Wettbewerbsrecht, internationales: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. September 2021, 11:39 Uhr

von Dietmar Baetge

1. Ausgangslage

Aufgabe des Wettbewerbsrechts (Kartellrecht) ist der Schutz des Wettbewerbs vor Beschränkungen durch Unternehmen. Ging die Wirtschaftstheorie des klassischen Liberalismus – in dem berühmten Bild Adam Smiths von der „invisible hand“ – noch davon aus, dass Märkte sich allein erhalten können, weiß man inzwischen, dass ein vollständig sich selbst überlassener Wettbewerb ständig der Gefahr unterliegt, sich selbst aufzuheben. Der Wettbewerb bedarf deshalb staatlichen Schutzes. Das Wettbewerbsrecht erfüllt mithin eine wichtige Funktion innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung. Herkömmlicherweise sorgen sich die staatlichen Wettbewerbsgesetze um die Bewahrung des Wettbewerbs innerhalb der Grenzen des jeweiligen Territoriums. Für Aktivitäten jenseits der Staatsgrenze interessieren sie sich dagegen nur, wenn diese sich in nennenswertem Umfang im Inland auswirken. In einer zunehmend globalisierten Welt, in der Transaktionen eine Vielzahl von territorialen Räumen umspannen, muss die nationale Ausrichtung der Kartellgesetze zu Problemen führen, die sich in einer möglichen Über- wie Unterregulierung äußern. Eine Überregulierung kann eintreten, wenn eine Transaktion nicht nur einer, sondern gleich mehreren der inzwischen über einhundert staatlichen Wettbewerbsregimen unterfällt. So sind größere grenzüberschreitende Unternehmensfusionen nicht selten bei Dutzenden von staatlichen Kartellbehörden anzumelden, die den Zusammenschluss auf Grundlage ihrer jeweils eigenen Wettbewerbsgesetze überprüfen. Zugleich besteht das Problem der Unterregulierung, weil das unkoordinierte Nebeneinander nationaler Wettbewerbsgesetzgebung die privaten Akteure dazu ermutigen kann, Unterschiede im Schutzniveau gezielt für ihre Zwecke auszunutzen. So hat sich gezeigt, dass kleinere, wirtschaftlich nicht so potente Staaten unter internationalen Kartellabsprachen (Kartellverbot) vielfach stärker leiden müssen als die wohlhabenden Industrienationen, da ihnen nicht die erforderlichen Ressourcen für eine effektive Bekämpfung zur Verfügung stehen. Die Problematik wird zunehmend auch von den politischen Entscheidungsträgern erkannt, mit der Folge, dass man sich verstärkt um internationale Regelungen bemüht.

2. Internationale Wettbewerbsregelungen

Schon in der Vergangenheit sind verschiedene Anläufe zur Schaffung eines internationalen Wettbewerbsregimes unternommen worden. Das bekannteste Beispiel ist die Havanna-Charta von 1948, die ein ganzes Kapitel mit Vorschriften über wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen durch Unternehmen vorsah. Die vom freihandelspolitischen Geist geprägte Charta scheiterte jedoch am Widerstand des amerikanischen Kongresses und ist niemals in Kraft getreten. Während die Havanna-Charta als verbindliches Instrument geplant war, handelt es sich bei dem unter Ägide der UNCTAD entstandenen UN-Wettbewerbskodex von 1980 (RBP-Code) um rechtlich unverbindliches soft law. Der im Zusammenhang mit den damaligen Bemühungen der Entwicklungsländer um eine „neue Weltwirtschaftsordnung“ stehende Kodex richtet sich vor allem gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die den freien Welthandel beeinträchtigen. Seine praktische Bedeutung ist bis heute freilich gering geblieben.

In der Gegenwart konzentriert sich das Interesse hauptsächlich auf die WTO. So enthalten verschiedene WTO-Instrumente wettbewerbsrechtliche Vorschriften, die allerdings, im Gegensatz zur gescheiterten Havanna-Charta, keine in sich geschlossene Regelung bilden. Beispielsweise trifft das TRIPS-Übereinkommen Anordnungen zu Zwangslizenzen und zur Kooperation der Staaten im Falle grenzüberschreitender Wettbewerbsbeschränkungen. Zudem statuiert das GATS gewisse Aufsichtspflichten für Monopol- und Staatshandelsunternehmen. In der Praxis bislang am bedeutsamsten haben sich die sektorspezifischen Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet der Telekommunikation erwiesen. So ist Mexiko in einem WTO-Panelverfahren ein Verstoß gegen diese Vorschriften nachgewiesen worden, weil es den nationalen Hauptanbieter von Telekommunikationsdienstleistungen in wettbewerbswidriger Weise gegenüber ausländischen Konkurrenten begünstigt hatte (Mexico – Telecoms, Report of the Panel vom 2.4.2004, Doc. WT/DS204/R). In einem anderen wichtigen Verfahren, in dem es um den ungehinderten Zugang für ausländische Unternehmen zum japanischen Markt für Fotofilme ging, wies das Panel die von den USA gerügte Verletzung von Vorschriften des GATT mangels ausreichender Beweise zurück, schloss jedoch die Möglichkeit, dass bestimmte wettbewerbsbegrenzende Praktiken gegen das GATT verstoßen können, wenn staatliche Stellen darin involviert sind, nicht per se aus (Japan – Film, Report of the Panel vom 31.3.1998, Doc. WT/DS44/R).

3. Kooperations- und Regionalabkommen; Netzwerk der Kartellbehörden

Wegen der bestehenden Lücken im internationalen Wettbewerbsschutz suchen die Staaten und ihre Kartellbehörden nach Alternativen. So werden, um die Probleme von Über- und Unterregulierung in den Griff zu bekommen, vermehrt Kooperationsabkommen geschlossen. Die meist bilateralen Abkommen, von denen gegenwärtig etwa fünfzig existieren, sollen die Zusammenarbeit der staatlichen Wettbewerbsämter verbessern und so zu einer effektiveren Bekämpfung grenzüberschreitender Wettbewerbsbeschränkungen beitragen. Am bekanntesten, weil die beiden wichtigsten Kartelljurisdiktionen verbindend, ist der Kooperationsvertrag zwischen den USA und der EG. Angelehnt an die – rechtlich unverbindlichen – Empfehlungen der OECD über die Zusammenarbeit bei Wettbewerbsbegrenzungen mit Auswirkungen auf den internationalen Handel, enthalten die Abkommen zum Teil übereinstimmende Regelungen über Notifizierungen, Konsultationen, Informationsaustausch, Amts- und technische Hilfe. Ebenso findet sich darin die Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme (comity) verankert. In der negativen Ausprägung des comity-Gedankens ist jede Wettbewerbsbehörde gehalten, die Interessen der anderen Seite im Rahmen ihrer Untersuchung gebührend zu berücksichtigen und gegebenenfalls von Maßnahmen Abstand zu nehmen. In ihrer positiven Ausprägung erlaubt die comity, die andere Partei um ein Tätigwerden zu ersuchen, wenn von ihrem Territorium eine Wettbewerbsbeschränkung mit extraterritorialer Wirkung ausgeht. Die positive comity-Variante ist freilich nicht in allen Abkommen vorgesehen und konnte in der Praxis bisher auch kaum Bedeutung erlangen. Nachteilig wirkt sich aus, dass die Kooperationsverträge durchgängig die Kartellrechte der Staaten und damit auch deren grundsätzlich einseitig nationale Ausrichtung unangetastet lassen. Des Weiteren erscheint es schon aus numerischen Gründen ausgeschlossen, allein auf bilateralem Wege ein weltumspannendes Netz aus Kooperationspflichten weben zu wollen.

Gewissermaßen zwischen den Kooperationsabkommen und den multilateralen WTO-Regelungen sind die regionalen Wettbewerbsregime angesiedelt. Entsprechend dem generellen Trend zur Regionalisierung des Welthandels nimmt ihre Zahl stetig zu. Bedeutendstes Beispiel für eine regionale Wettbewerbsordnung innerhalb eines gemeinsamen Marktes ist die EG. Weitere Beispiele für regionale Organisationen mit eigenen Kartellnormen sind der MERCOSUR, NAFTA und die Andengemeinschaft. Daneben enthalten immer häufiger Abkommen über die Errichtung von Freihandelszonen wettbewerbsrechtliche Vorschriften. Der Grund hierfür liegt in dem handels- und investitionshemmenden Potenzial privater Wettbewerbsbeschränkungen.

Ein neues wettbewerbspolitisches Forum ohne eigene Rechtspersönlichkeit bildet das 2001 auf Betreiben der USA gegründet International Competition Network (ICN). Mitglieder sind allein die Kartellämter, derzeit rund 100, aus allen Kontinenten. Seine Struktur ist betont informell, weshalb man auch von einem „virtuellen“ Netzwerk spricht. Das ICN besitzt keine Rechtsetzungsfunktion (rule-making function). Gleichwohl soll es für mehr inhaltliche Übereinstimmung (Konvergenz) zwischen den nationalen Kartellrechtsordnungen sorgen. Zu diesem Zweck werden best practices-Empfehlungen erarbeitet, die in Anbetracht ihres rechtlich unverbindlichen Charakters als Instrumente einer „weichen“ Kartellrechtsharmonisierung verstanden werden können. Eine entsprechende Empfehlung wurde bislang für den Bereich der Fusionskontrolle vorgelegt, die – sehr ehrgeizige – Vorgaben zu Ablauf und Ausgestaltung von Zusammenschlussverfahren vorsieht. Daneben unterstützt das Netzwerk Kartellbehörden aus den Entwicklungs- und Transformationsländern bei der Verankerung des Wettbewerbsgedankens in ihren Staaten (competition advocacy).

4. Reform und Ausblick

Der gegenwärtige Stand des internationalen Wettbewerbsrechts wird vielfach als unbefriedigend empfunden. So liegt die Bekämpfung internationaler Wettbewerbsbeschränkungen nach wie vor größtenteils in den Händen der einzelnen Staaten. Die Staaten sind auf der Grundlage des inzwischen weithin anerkannten Wirkungsprinzips zwar befugt, ihre Wettbewerbsregeln auf im Ausland veranlasste Begrenzungen zu erstrecken, sofern sich diese auf den inländischen Markt auswirken. Tatsächlich sind jedoch nicht alle Nationen in der Lage, ihrem Regelungsanspruch auf diese Weise Geltung zu verschaffen. Schutzlücken sind daher ebenso unvermeidlich wie jurisdiktionelle Überschneidungen in Folge paralleler Anwendungserstreckungen. Der Lösung, nach der eine der „führenden“ Kartelljurisdiktionen (USA, EG), gewissermaßen stellvertretend für alle anderen, die Rolle des wettbewerbspolitischen „Weltpolizisten“ übernehmen könnte, hat der US-amerikanische Supreme Court kürzlich im Fall Empagran unter Hinweis auf das Gebot der Rücksichtnahme auf die Belange anderer Staaten zu Recht eine Absage erteilt (124 S. Ct. 2359 [2004]). Die Weiterentwicklung des multilateralen Wettbewerbssystems erscheint daher der beste Weg. Doch ist dieser Weg, wie das Schicksal der bisherigen Reformansätze zeigt, zugleich politisch der steinigste. Vorschläge, wie die künftige internationale Wettbewerbsordnung ausgestaltet werden könnte, gibt es nicht wenige. Das ehrgeizigste Projekt bildet der von einer Gruppe Wissenschaftler formulierte Draft International Antitrust Code. Der DIAC folgt einem kodifikatorischen Ansatz. Obwohl als völkerrechtlicher Vertrag konzipiert, gleicht er in seinem Aufbau einem Kartellgesetz. Inhaltlich nimmt der Code manche Anleihe beim Recht zum Schutz des geistigen Eigentums. Von seinen Prinzipien ist die sogenannte internationale Verfahrensinitiative am interessantesten. Danach soll eine internationale Antitrust-Behörde eingerichtet werden, die dafür Sorge zu tragen hat, dass die nationalen Stellen die internationalen Wettbewerbsregeln auch einhalten. Zu diesem Zweck kann sie vor den staatlichen Gerichten und speziellen Wettbewerbspaneln Klage erheben. Hingegen soll die Befugnis zur Anwendung des Codes im Einzelfall allein bei den nationalen Behörden und Gerichten liegen. Andere Vorschläge zielen auf die Schaffung einer konstitutionellen Wettbewerbsordnung. In diesem Rahmen sollen nur gewisse grundlegende Prinzipien mit Hilfe eines pluri- oder multilateralen Übereinkommens in das bestehende Welthandelssystem integriert werden. Dabei spielt die Überlegung, dass private Wettbewerbsbeschränkungen eine ähnlich handelshemmende Wirkung wie staatliche Handelsschranken entfalten können, eine wichtige Rolle.

Reformüberlegungen sind auch auf Ebene der WTO angestellt worden. So beschloss die Mitte der neunziger Jahre in Singapur tagende Ministerkonferenz auf Drängen der EU die Aufnahme der Wettbewerbspolitik in eine Liste neu zu behandelnder Themen (sogenannte „Singapore issues“). Gleichzeitig wurde die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zu den Wechselwirkungen von Handels- und Wettbewerbspolitik vereinbart, die ihre Tätigkeit zwischenzeitlich eingestellt hat. In 2001 wurde auf der Doha-Ministerkonferenz sogar die Aufnahme von Verhandlungen innerhalb der WTO in Aussicht gestellt. Zugleich erfuhren in Doha die besonderen wettbewerbspolitischen Bedürfnisse der Entwicklungsländer erstmalig eine ausdrückliche Anerkennung. Zu den anvisierten Verhandlungen ist es freilich bis heute nicht gekommen. Vielmehr beschlossen die Staatenvertreter nach dem Scheitern der Folgekonferenz von Cancún, die Wettbewerbspolitik aus den Gegenständen der laufenden Doha-Welthandelsrunde auszuklammern. Die pauschale Ablehnung der Singapur-Themen durch die Entwicklungsländer war dafür ebenso verantwortlich wie die zögerliche Haltung der um ihre wettbewerbspolitische Souveränität besorgten Vereinigten Staaten. Aufkeimende protektionistische Tendenzen lassen gegenwärtig das Schicksal jeglicher Einigung auf multilateraler Ebene ungewiss erscheinen. Doch führt zumindest langfristig kein Weg an einer globalen, dem Gedanken der Wohlfahrt aller verpflichteten Wettbewerbsordnung vorbei.

Literatur

Wolfgang Fikentscher, Ulrich Immenga (Hg.), Draft International Antitrust Code, 1995; Eleanor Fox, Toward World Antitrust and Market Access, AJIL 91 (1997) 1 ff.; Jürgen Basedow, Weltkartellrecht, 1998; International Competition Advisory Committee to the Attorney General and Assistant Attorney General for Antitrust (ICPAC), Final Report, 2000; Kevin C. Kennedy, Competition Law and the World Trade Organization, 2001; Jürgen Basedow (Hg.), Limits and Control of Competition with a View to International Harmonization, 2002; Maher M. Dabbah, The Internationalisation of Antitrust Policy, 2003; Josef Drexl (Hg.), The Future of Transnational Antitrust: From Comparative to Common Competition Law, 2003; Ulrich Immenga, Internationales Wettbewerbs- und Kartellrecht, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 11, 4. Aufl. 2006; Dietmar Baetge, Globalisierung des Wettbewerbsrechts, 2009.

Abgerufen von Wettbewerbsrecht, internationales – HWB-EuP 2009 am 24. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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