Verbandsklage: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 31. August 2021, 18:08 Uhr

von Dietmar Baetge

1. Gegenstand und Zweck

Der Zweiparteienprozess klassischer Prägung basiert auf dem Modell des mündigen, um seine Rechte kämpfenden Bürgers. Der an den Interessen des Einzelnen ausgerichtete, individualrechtsschützende Ansatz versagt, wenn es an der notwendigen Eigeninitiative fehlt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Einzelnen nur geringer Schaden entstanden ist. Ein gerichtliches Vorgehen für den einzelnen Geschädigten lohnt sich oftmals nicht, da die mit einem Prozess verbundenen finanziellen und persönlichen Nachteile einen möglichen Vorteil überwiegen. Aus gesellschaftlicher Sicht kann das Ergebnis nicht befriedigen, wenn der Schädiger mit seinem Verhalten, das in der Summe aller Betroffenen einen erheblichen Schaden angerichtet haben kann, ungeschoren davonkommt. In dieser Situation kommen die Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes zum Einsatz. Ziel des kollektiven Rechtsschutzes ist die effiziente Durchsetzung überindividueller, sog. „diffuser“ Interessen. Kollektiver Rechtsschutz hat also, auch wenn der Ausdruck den Anschein erwecken mag, nichts mit Sozialismus oder gar Kommunismus zu tun. Vielmehr geht es darum, das rationale Desinteresse des Einzelnen oder der vielen Einzelnen an der Rechtsverfolgung durch alternative Mechanismen zu überwinden.

Die Verbandsklage stellt in vielen europäischen Ländern die wichtigste kollektive Rechtsschutzform dar. Historisch lässt sie sich auf die erste lauterkeitsrechtliche Kodifikation im deutschen UWG von 1896 zurückführen, nach dessen Bestimmungen neben einzelnen Konkurrenten auch Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen Wettbewerbsverletzungen geltend machen konnten. Das Lauterkeitsrecht bildet auch heute eines der wichtigsten Anwendungsfelder der Verbandsklage. Ein weiteres ist der Verbraucherschutz (Verbraucher und Verbraucherschutz), wo die Unterlassungsklagen-RL (RL 1998/27) für eine europaweite Ausdehnung der Verbandsklagebefugnisse gesorgt hat.

Neben der Verbandsklage gibt es weitere Formen des kollektiven Rechtsschutzes. Eine davon ist die Gruppenklage, deren bekannteste Ausprägung die class action des US-amerikanischen Rechts bildet. Während bei der Verbandsklage nicht die subjektiven Interessen der Verbandsmitglieder, sondern das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des objektiven Rechts im Vordergrund steht, geht es bei der Gruppenklage zuvörderst um die Verwirklichung des Interesses der Gruppenmitglieder. Einen typischen Anwendungsfall der Gruppenklage bildet die Abwicklung von Großschäden infolge eines Unfalls oder einer technischen Katastrophe mit einer Vielzahl von Geschädigten, die aber eindeutig bestimmbar sind. In dieser Situation spricht weniger das rationale Desinteresse der einzelnen Betroffenen als vielmehr der Gedanke der Verfahrensökonomie (Entlastung der Gerichte) für die Bündelung der Einzelansprüche in einer gemeinsamen Gruppenklage. Die Grenze zwischen Gruppen- und Allgemeininteresse verwischt sich jedoch mit zunehmender Größe der Gruppe. Je weiter die Gruppe (z.B. „alle Raucher“), desto weniger lässt sich ein spezifisches Gruppeninteresse in Abgrenzung vom öffentlichen Interesse an der Rechtsbewehrung erkennen.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Der kollektive Rechtsschutz, einschließlich der Verbandsklage, ist in Europa wie weltweit in lebhafter Entwicklung begriffen. Die Tendenz geht eindeutig in Richtung auf eine Ausdehnung kollektiver Rechtsschutzformen, wobei sowohl bestehende Instrumente ausgebaut als auch neue geschaffen werden. In Deutschland sind die Möglichkeiten zur Verbandsklage, die neben dem Lauterkeitsrecht traditionell bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen am stärksten ausgeprägt sind, in den vergangenen Jahren auf weitere Bereiche ausgedehnt worden, so u.a. auf das Kartell-, Telekommunikations-, Arbeits- und Naturschutzrecht. Hinzu kommen neue Rechtsschutzziele, so der Anspruch auf Gewinnabschöpfung, den der klagende Verband, vorerst auf das Lauterkeits- und Kartellrecht begrenzt, geltend machen kann, um die unrechtmäßig erlangten Gewinne des Zuwiderhandelnden abzuschöpfen. Eine neue kollektive Rechtsschutzvariante bildet das Musterverfahren nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG), bei dem das Prozessgericht auf Antrag der Kläger (mindestens zehn) die individuellen Streitfälle aussetzen kann, um in einem als Zwischenverfahren ausgestalteten Musterrechtsstreit die allen Klagen gemeinsamen Fragen von der übergeordneten Gerichtsinstanz mit Hilfe eines Musterentscheids verbindlich klären zu lassen. Dieses rechtliche Experiment – das KapMuG gilt vorerst bis November 2010 – wird in den anderen europäischen Ländern mit großem Interesse verfolgt.

Eine andere Form der Verbandsklage existiert in Frankreich, wo auf Grundlage besonderer gesetzlicher Ermächtigungen eine Vielfalt von Verbänden (associations) aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen klagebefugt ist. Dabei muss der Verband ein häufig nur schwer bestimmbares „kollektives Interesse“ vertreten, das sowohl vom Individual- als auch vom Allgemeininteresse abzugrenzen ist. In der Praxis dominiert die Verbandsklage in Gestalt der action civile, die auf Ersatz des aus einer Straftat resultierenden Schadens gerichtet ist. Der Verband tritt in diesen Fällen als Privatkläger im Strafverfahren auf. Die klassische Schadensersatzfunktion in Form der Reparation von Einbußen tritt freilich bei Verletzung von sehr weitgefassten Kollektivinteressen, wie etwa dem Verbraucherinteresse, zugunsten der Bestrafung des Täters und seines Verhaltens in den Hintergrund.

Zunehmend stößt man in Europa auch auf Gruppenklagen. So gibt es in Schweden seit 2003 Gruppenklageverfahren. Grundlage der gesetzlichen Regelung sind Vorarbeiten von Per Henrik Lindblom, dessen Entwurf allerdings stärker vom Vorbild der US-amerikanischen class action geprägt ist als der endgültige Gesetzestext. Die schwedische Gruppenklage kann auf dreierlei Art geführt werden: als sowohl natürlichen wie juristischen Personen zustehende „private“ Gruppenklage; als „Verbandsgruppenklage“, bei der ideelle Zwecke verfolgende Vereinigungen klageberechtigt sind; sowie als „öffentliche“ Gruppenklage, die von einer Behörde zu erheben ist. Anders als bei der privaten Gruppenklage, bei der nur Gruppenkläger sein kann, wer auch einen materiellen Anspruch hat, besteht die Klagebefugnis bei Verbands- und öffentlicher Gruppenklage unabhängig von der materiellen Anspruchsberechtigung. In der Rechtswirklichkeit überwiegen bislang vom Konsumentenombudsmann erhobene öffentliche Gruppenklagen. Mit Schweden vergleichbare Gruppenklagemodelle sind kürzlich auch in Dänemark und Norwegen Gesetz geworden. Dagegen hat man sich in England im Jahr 2000 in Umsetzung der Vorschläge des Woolf- Reports für die Einführung der sog. multi-party action entschieden. Die multi-party action tritt neben die schon zuvor bestehende representative action. Anders als diese bietet sie die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche im Kollektivwege einzuklagen. Das Gericht kann auf Antrag oder eigene Initiative eine Group Litigation Order erlassen, wenn mehrere Ansprüche gemeinsame oder verwandte rechtliche oder tatsächliche Fragen aufwerfen. Es kann zudem den Anwalt einer oder mehrerer Parteien zum lead solicitor bestellen oder einzelne Ansprüche im Wege von Musterverfahren (test cases) auswählen. Von der Gruppenklage im eigentlichen Sinne unterscheidet sich die multi-party action dadurch, dass jeder Beteiligte zugleich Partei ist.

3. Regelungsstrukturen im Einheitsrecht

Die Vereinheitlichung des kollektiven Rechtsschutzes wirft diverse, zum Teil sehr schwierige Fragen auf. Da es sich um ein politisch sensibles Gebiet handelt, wird die Diskussion kontrovers geführt. Die Kontroverse beginnt bereits mit der Frage, wie viel kollektiver Rechtsschutz notwendig und sinnvoll ist. So bestehen in vielen Ländern Widerstände gegen einen Ausbau kollektiver Rechtsschutzinstrumente. Insbesondere weite Teile der Wirtschaft befürchten den Einzug „amerikanischer Verhältnisse“ in Europa, wenn umfassende Verbands- und Gruppenklagemöglichkeiten gewährt würden. Dahinter steht die Sorge, dass Kollektivklagen, ähnlich der class action in den USA, dazu benutzt werden könnten, Unternehmen mit überhöhten, in der Sache unbegründeten Schadensersatzforderungen zu überziehen. Statt sich auf ein langwieriges Verfahren mit ungewissem Ausgang einzulassen, schließen viele Unternehmen lieber einen Vergleich, was zur Folge hat, dass class actions in der Praxis nur selten mit einem gerichtlichen Urteil enden. Inwieweit die amerikanischen Erfahrungen auf Europa übertragbar sind, ist aber fraglich. So lässt sich mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass das erpresserische Potenzial weniger in dem Instrument der class action als solchem, als vielmehr in anderen Besonderheiten des US-amerikanischen Rechts, wie Strafschadensersatz (punitive damages), Jury-Verfahren oder den weitreichenden Möglichkeiten des Ausforschungsbeweises (pre trial discovery) wurzelt. Das meist als negativ empfundene Beispiel der USA führt dazu, dass das Vermeiden von Missbräuchen die rechtliche und politische Debatte über den kollektiven Rechtsschutz in Europa prägt. Auf der anderen Seite zeigt der Ausbau kollektiver Rechtsschutzmöglichkeiten in den letzten Jahren, dass man auch in den europäischen Staaten deren praktischen Nutzwert zunehmend erkennt.

Eine Frage, die sich mit Blick auf die Schaffung von Einheitsrecht stellt, betrifft den Anwendungsbereich. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen kann kollektiver Rechtsschutz allgemein gewährt werden, zum anderen kann er nur für bestimmte Rechtsgebiete zur Verfügung gestellt werden. Während die class action in den USA umfassend ausgestaltet ist, überwiegt in den nationalen Rechtsordnungen Europas bislang die zuletzt genannte Lösung. Sie hat den Nachteil, dass die Auswahl der Bereiche, in denen Verbands- und Gruppenklage zum Einsatz kommen, oftmals eher zufällig erscheint. Auch entsteht auf diese Weise leicht ein rechtlicher Flickenteppich, der, wie die Beispiele Deutschlands und Frankreichs mit ihren verstreuten Verbandsklagebefugnissen zeigen, nur schwer überschaubar ist. Auf der anderen Seite ermöglicht diese Vorgehensweise, Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets bei der Ausgestaltung des kollektiven Rechtsschutzes gezielt zu berücksichtigen. Damit eng verknüpft ist die Frage nach dem am besten geeigneten kollektiven Rechtsschutzinstrument. In der europäischen Rechtswirklichkeit steht noch die Verbandsklage im Vordergrund. Allerdings haben mittlerweile einige Staaten auch Gruppenklagen eingeführt. Ebenso existieren Mischformen, wie die schwedische Verbandsgruppenklage zeigt. Eine mögliche Alternative bilden Musterverfahren, wie sie in Deutschland für den Bereich des Kapitalmarktrechts im KapMuG verwirklicht sind. Darüber hinaus bestehen die traditionellen Formen der Interessenbündelung, wie Streitgenossenschaft und Verfahrensverbindung, fort. Letztere bieten allerdings bei einer Vielzahl von Geschädigten, die sich nur schwer identifizieren lassen, keinen ausreichend wirksamen Schutz.

Eine einheitsrechtliche Regelung hat ferner zu klären, wer bei einer Kollektivklage als Kläger vor Gericht auftreten darf. Um das Missbrauchsrisiko zu verringern, stellen manche Staaten bei der Verbandsklage bestimmte Seriositätserfordernisse an die klagebefugten Verbände auf. Angesichts der Tatsache, dass den meisten Verbänden ohnehin die finanziellen und organisatorischen Mittel zur Entfaltung einer umfangreichen Klagetätigkeit fehlen, erscheinen diese Maßnahmen eher überflüssig. Bei der Gruppenklage bildet die Bestimmung des oder der geeigneten Gruppenrepräsentanten ein Problem, das sich kaum im Vorwege abschließend gesetzlich regeln lässt. Ähnliches gilt für die Auswahl eines Musterklägers im Musterverfahren. Der Gesetzgeber kann nur einzelne Kriterien formulieren, wie etwa die Höhe der geltend gemachten Ansprüche. Die eigentliche Auswahlentscheidung liegt aber notwendig beim Gericht, das dementsprechend über einen weiten Ermessensspielraum verfügt. Ein weiteres, vor allem im Zusammenhang mit der Gruppenklage umstrittenes Problem ist die Bindungswirkung des Urteils, das im kollektiven Rechtsstreit ergeht. Nach dem sog. opt in-Verfahren ist nur gebunden, wer sich mit der Kollektivklage einverstanden erklärt hat. Nach dem opt out-Modell erstreckt sich die Bindungswirkung dagegen automatisch auf alle Betroffenen, sofern der Einzelne seine Beteiligung an dem Verfahren nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Bislang überwiegen in Europa die Bedenken gegenüber der opt out-Lösung, die zum Teil auf verfassungsrechtlichen Erwägungen (Gebot rechtlichen Gehörs) fußen. Allerdings gibt es inzwischen auch in Europa Ansätze zu einer opt out-Gruppenklage, so namentlich in Dänemark und Norwegen, wo es den Gerichten unter gewissen Voraussetzungen gestattet ist, bei kleineren Beträgen (small claims) von der ausdrücklichen Zustimmung aller Gruppenmitglieder abzusehen. Unter dem menschen- und verfassungsrechtlichen Postulat effektiven Rechtsschutzes erscheint dieser Ansatz bedenkenswert. Freilich entsteht zugleich das Problem, wie ein etwaiger Erlös mit vertretbarem Kostenaufwand auf die im Zeitpunkt der Klage nicht namentlich bekannten Gruppenmitglieder verteilt werden kann. Die in den genannten Rechtsordnungen geltenden Gesetze geben hierauf keine Antwort. Generell sind aber, wie das Beispiel der USA zeigt, in dieser Frage flexible Lösungen erforderlich, die notfalls auch alternative Verwendungsweisen (Errichtung einer Stiftung, Überweisung der Gelder an den Staat mit der Maßgabe, diese im Sinne des Klagezwecks zu verwenden) einschließen.

Eine Schwierigkeit der Verbandsklage liegt in der Finanzierung. Woher soll das Geld kommen, das die Verbände zur Prozessführung benötigen? Neben Mitgliedsbeiträgen und Spenden stammen die notwendigen Mittel, besonders bei Verbraucherorganisationen, meist aus den öffentlichen Kassen. Es handelt sich also mit anderen Worten um eine staatlich subventionierte Klagetätigkeit. Die Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen hat zur Folge, dass die Verbände riskante Prozesse oftmals scheuen und lieber die sicheren, aber rechtlich und politisch weniger wegweisenden Verfahren auswählen. Eine zumindest partielle Finanzierung aus der eigenen Klagetätigkeit kommt nur in Betracht, wenn der Verband mit seiner Klage Schadensersatz verlangen kann und im Falle des Obsiegens den ausgekehrten Betrag behalten darf. In der Mehrzahl der europäischen Staaten kann eine Verbandsklage jedoch nur als Unterlassungsklage erhoben werden. Sofern auch Schadensersatz oder, wie in Deutschland, Auskehrung des unrechtmäßig erlangten Gewinns verlangt werden kann, muss der obsiegende Verband das Erlangte nicht selten an den Staatshaushalt abführen. Dadurch will man einem Missbrauch der Verbandsklage entgegenwirken, nimmt den Verbänden aber zugleich einen potenziellen Anreiz zur Führung schwieriger Verfahren.

4. Vereinheitlichungsprojekte

Ein die Verbandsklage betreffendes Vereinheitlichungsprojekt ist die Unterlassungsklagen-RL der EG von 1998. Politisch ist sie Ausfluss der Bemühungen auf Gemeinschaftsebene um einen verbesserten Zugang der Verbraucher zum Recht. Inhaltlich geht es der Richtlinie um die Durchsetzung der kollektiven Verbraucherinteressen bei Verletzung bestimmter, einzeln genannter Verbraucherschutzrichtlinien bzw. der zu ihrer Umsetzung ergangenen innerstaatlichen Ausführungsgesetzgebung. Was genau unter den kollektiven Verbraucherinteressen zu verstehen ist, bleibt offen. Die Unterlassungklagen-RL bemerkt nur, dass es sich nicht um die „Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen“ handelt. Bei der Verwirklichung ihrer Ziele lässt die Unterlassungsklagen-RL den Mitgliedstaaten weite Spielräume. So können die Staaten zwischen zwei unterschiedlichen Rechtsschutzarten wählen, nämlich zwischen Klagen durch Verbraucherverbände und Klagen durch öffentliche Stellen. Beide Organisationsformen werden unter dem Oberbegriff der „qualifizierten Einrichtung“ zusammengefasst. Manche Mitgliedsländer haben Klagemöglichkeiten sowohl für Behörden als auch für Verbände geschaffen, andere, wie Deutschland und Österreich, nur für Verbände. Eine Minderheit sieht ein Klagerecht ausschließlich für öffentliche Einrichtungen vor. Alle Lösungen sind mit der Unterlassungsklagen-RL vereinbar. Nach dem Text der Unterlassungsklagen-RL muss den qualifizierten Einrichtungen lediglich ein Recht zur Erhebung von Unterlassungsklagen eingeräumt werden. Doch bleibt den Mitgliedstaaten unbenommen, auch kollektive Schadensersatzklagen zuzulassen. Bislang sind nur einige Staaten diesen Weg gegangen, in anderen wird darüber nachgedacht. Ein wesentliches Ziel der Unterlassungsklagen-RL liegt darin, die grenzüberschreitende Klagetätigkeit der qualifizierten Einrichtungen zu erleichtern. Zu diesem Zweck schreibt sie die wechselseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten gewährten Klageberechtigungen sowie die Errichtung einer von der Europäischen Kommission geführten Liste der qualifizierten Einrichtungen vor. Aus dem Prinzip der wechselseitigen Anerkennung folgt, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats die Klage der Einrichtung eines anderen Mitgliedstaats nicht mit der Begründung abweisen können, diese erfülle nicht die im Gerichtsstaat für Ausstattung und Organisation geltenden Voraussetzungen. Ein erheblicher Anstieg grenzüberschreitender Verbandsklagen ist seit Erlass der Unterlassungsklagen-RL allerdings nicht zu beobachten. Insgesamt hat die Unterlassungsklagen-RL nur in begrenztem Umfang zur Schaffung von Einheitsrecht beigetragen. Da sie nur eine Mindestharmonisierung anstrebt und den Mitgliedstaaten in zentralen Fragen weitgehende Wahlmöglichkeiten einräumt, hat sie kaum zu einer Angleichung der nationalen Rechte geführt. Stattdessen existiert in Europa auf nationaler Ebene eine große Vielfalt kollektiver Rechtsschutzinstrumente, die in ihren Einzelheiten für den rechtsuchenden Bürger wie für potenziell mit einer Klage konfrontierte Unternehmen nur schwer zu überblicken ist.

Seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen innerhalb der Kommission für einen weiteren Ausbau des Kollektivrechtsschutzes, speziell in den Bereichen des Wettbewerbs- und des Verbraucherrechts. Im Wettbewerbsrecht verspricht man sich davon eine wirksamere Unterstützung der Wettbewerbsbehörden in ihrem Kampf gegen verbotene Kartellpraktiken. Bislang liegt allerdings noch kein konkreter Gesetzesvorschlag, sondern nur ein Weißbuch der Kommission vor. Im Konsumentenrecht hat die Kommission hingegen kürzlich den Vorschlag für eine neue Richtlinie über Rechte der Verbraucher unterbreitet, in der die bisher verstreuten Verbraucherschutzrichtlinien zusammengefasst werden sollen. Um die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der Unterlassungsklagen-RL sicherzustellen, sieht der Entwurf die Gewährung von Klagebefugnissen durch die Mitgliedstaaten an öffentliche Einrichtungen, Verbraucher- und Berufsverbände auf der Grundlage ihres innerstaatlichen Rechts vor. Darüber hinaus prüft die Kommission im Rahmen ihrer aktuellen „Verbraucherpolitischen Strategie 2007-2013“, ob im Interesse eines effektiven Verbraucherschutzes weitergehende kollektive Klagerechte erforderlich sind. Zu diesem Zweck wurden Konsultationen durchgeführt und eine rechtsvergleichende Studie erstellt. Im November 2008 hat die Kommission ein Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher vorgelegt, in dem sie verschiedene Optionen zur Diskussion stellt. Ob daraus konkrete Gesetzesvorhaben auf Gemeinschaftsebene erwachsen werden, ist derzeit noch nicht absehbar.

Literatur

Jürgen Basedow, Klaus J. Hopt, Hein Kötz, Dietmar Baetge (Hg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999; Dietmar Baetge, Das Recht der Verbandsklage auf neuen Wegen, Zeitschrift für Zivilprozeß 112 (1999) 329 ff.; Harald Koch, Die Verbandsklage in Europa, Zeitschrift für Zivilprozeß 113 (2000) 413 ff.; Harald Koch, Non-Class Group Litigation under EU and European Law, Duke Journal of Comparative and International Law 11 (2001) 355 ff.; Hans-W. Micklitz, Astrid Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, 2005; Peter Rott, Ulrike Docekal, Hans-W. Micklitz, Peter Kolba, Verbraucherschutz durch Unterlassungsklagen, 2007; Willem van Boom, Marco Loos (Hg.), Collective Enforcement of Consumer Law, 2007; Chrisoula Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes im europäischen Justizraum, 2007; The Study Centre for Consumer Law – Centre for European Economic Law Katholieke Universiteit Leuven, An analysis and evaluation of alternative means of consumer redress other than redress through ordinary judicial proceedings, Final Report, 2007, 260 ff.; Deborah Hensler, Christopher Hodges, Magdalena Tulibacka (Hg.), The Globalization of Class Actions, 2009.

Abgerufen von Verbandsklage – HWB-EuP 2009 am 24. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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