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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 16:03 Uhr
von Anatol Dutta
1. Begriff und Rechtsquellen
Der Begriff der Gerichtsbarkeit beschreibt im internationalen Zivilverfahrensrecht die völkerrechtlich bestimmte Reichweite der inländischen Rechtsprechungsgewalt. Die Vorschriften über die Gerichtsbarkeit legen fest, ob der inländische Richter völkerrechtlich überhaupt entscheiden darf; sie sind Teil der Regeln über die völkerrechtlichen Grenzen der Hoheitsgewalt eines jeden Staates. Die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte lässt sich vor allem negativ definieren. Die inländischen Gerichte dürfen völkerrechtlich nicht entscheiden, soweit ihre Gerichtsbarkeit durch die Grundsätze der Staatenimmunität (sogleich 2.), durch die Exemtion bestimmter Personen von der inländischen Gerichtsbarkeit (sodann 3.) sowie durch das Verbot der Vornahme extraterritorialer Hoheitsakte (unten 4.) und extraterritorial bezogener Hoheitsakte (schließlich 5.) eingeschränkt wird.
Vordergründig enthält das Gemeinschaftsrecht keine Regelungen zur Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten. Zwar regelt das sekundäre Gemeinschaftsrecht in zahlreichen Rechtsakten die internationale Zuständigkeit. Jedoch ist auch im Gemeinschaftsrecht klar zwischen internationaler Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit zu trennen; die Gerichtsbarkeit ist der internationalen Zuständigkeit vorgelagert (GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge in der Rs. C-292/05 – Lechouritou, Slg. 2007, I-1519, Rn. 77 f.). Auch derogieren die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Gerichte (Europäisches Zivilprozessrecht) nicht ohne Weiteres von den völkerrechtlichen Regeln über die Gerichtsbarkeit. Etwa gestattet Art. 14(2)(b) der Beweisaufnahme-VO (VO 1206/2001; Beweisrecht, internationales) ausdrücklich die Zurückweisung eines Beweisaufnahmeersuchens, wenn die „Erledigung des Ersuchens nach dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchten Gerichts nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt fällt“, was wohl auch die völkerrechtliche Gerichtsbarkeit umfasst (zum Begriff der Gerichtsgewalt siehe GA Juliane Kokott, Schlussanträge in der Rs. C-175/06 – Alessandro Tedesco, Slg. 2007, I-7929, Rn. 103 ff.). Auch wenn das Gemeinschaftsrecht die völkerrechtlichen Regeln über die Gerichtsbarkeit damit regelmäßig nicht direkt berührt, so kann es diese Regeln freilich indirekt modifizieren. Das allgemeine (dispositive) Völkerrecht wird im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander durch das Gemeinschaftsrecht überlagert. Grundsätzlich kann deshalb, eine entsprechende Kompetenz vorausgesetzt, eine gemeinschaftsrechtliche Norm die völkerrechtlichen Grundsätze über die Gerichtsbarkeit zwischen den Mitgliedstaaten abändern.
2. Grundsätze der Staatenimmunität
a) Völkerrecht
Aus dem Grundsatz der Staatensouveränität und der Gleichheit aller Staaten folgt die Befreiung ausländischer Staaten von der inländischen Gerichtsgewalt im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren: Par in parem non habet imperium. Die Grundsätze der Staatenimmunität sind völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, werden aber völkervertraglich teils kodifiziert sowie teils zwischen den Vertragsstaaten modifiziert. Zu nennen sind insbesondere das Europäische Übereinkommen über die Staatenimmunität von 1972 (EuStImÜ) sowie die von der UN-Generalversammlung im Jahr 2004 zur Annahme empfohlene UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property (UN Convention). Daneben haben einige Staaten Immunitätsgesetze erlassen, etwa das Vereinigte Königreich den State Immunity Act 1978 sowie die USA den Foreign Sovereign Immunities Act (28 USCA §§ 1602 ff.).
Überwiegend wird die Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren nicht als absolut, sondern relativ verstanden. Der ausländische Staat ist als Beklagter nur von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit, soweit das Verfahren seine acta iure imperii – also Hoheitsakte – betrifft (siehe nur BVerfG 30.4.1963, BVerfGE 16, 27, 61). Die Qualifikation staatlicher Handlungen als acta iure imperii ist grundsätzlich eine völkerrechtliche Frage. Dennoch hat das Bundesverfassungsgericht zumindest für die Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren festgestellt, dass mangels subsumtionsfähiger völkerrechtlicher Kriterien bei der Definition von hoheitlichem Handeln auf die lex fori zu rekurrieren sei (BVerfG 30.4.1963, BVerfGE 16, 27, 62). Hinsichtlich seiner acta iure gestionis – seiner privaten Handlungen – unterliegt der ausländische Staat der inländischen Gerichtsbarkeit. Er wird anderen Privaten gegenüber nicht privilegiert.
Daneben ist der ausländische Staat auch im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich vor inländischen Vollstreckungsmaßnahmen geschützt. Jedoch genießt der ausländische Staat auch hier von Völkerrechts wegen keine absolute Immunität (anders aber Art. 23 EuStImÜ). Zwar existiert kein Konnexitätsgrundsatz, wonach nur in Gegenstände vollstreckt werden darf, die einem privatrechtlichen Zweck dienen, der mit dem zu vollstreckende Anspruch einen Zusammenhang aufweist (so aber noch Cass. civ. 14.3.1984, Revue de l’arbitrage 1985, 69, 71; anders Cour d’Appel Paris 9.7.1992, Revue de l’arbitrage 1994, 133; siehe nunmehr Cass. civ. 25.1.2005, Revue critique de droit international privé 2006, 123). Aber dem Zugriff der inländischen Vollstreckungsorgane sind Gegenstände des fremden Staates entzogen, die hoheitlichen Zwecken des fremden Staates dienen (Art. 19(c) der UN Convention; BVerfG 13.12.1977, BVerfGE 46, 342, 392; BVerfG 12.4.1983, BVerfGE 64, 1, 40). Zur Qualifikation des Verwendungszwecks kann auch bei der Vollstreckungsimmunität auf die Rechtsvorstellungen des Vollstreckungsstaates zurückgegriffen werden, soweit es an völkerrechtlichen Kriterien mangelt. Zwar nehmen die Gerichte im Rahmen der Vollstreckungsimmunität die Abgrenzung meist ohne expliziten Rückgriff auf das eigene Recht vor (vgl. BVerfG 13.12.1977, BVerfGE 46, 342, 394 ff.; BVerfG 12.4. 1983, BVerfGE 64, 1, 42). Dennoch ist eine Qualifikation lege fori jedenfalls völkerrechtlich zulässig. Eine Vollstreckungsmaßnahme in einen im Inland belegenen Gegenstand des ausländischen Staates aufgrund einer abweichenden Qualifikation des Verwendungszwecks führt in aller Regel nicht zu einer Gefährdung der Souveränität des ausländischen Staates: Die Qualifikation des Bestimmungszwecks eines im Inland belegenen Vermögensgegenstandes ist keine ausschließliche Angelegenheit des fremden Staates (BVerfG 12.4.1983, BVerfGE 64, 1, 43).
Die Staatenimmunität besteht nicht ausnahmslos. Der ausländische Staat kann etwa auf seine Immunität verzichten und sich der inländischen Gerichtsbarkeit unterwerfen. Ein Immunitätsverzicht ist nicht nur im Erkenntnisverfahren (vgl. nur Art. 1(2)(a) EuStImÜ; Art. 9 UN Convention), sondern auch im Vollstreckungsverfahren möglich (vgl. nur Art. 23 EuStImÜ; Art. 19(a) UN Convention). Ein Verzicht auf die Immunität im Erkenntnisverfahren bedingt aber keinen Verzicht auf die Vollstreckungsimmunität (Art. 20 UN Convention; BVerfG 13.12.1977, BVerfGE 46, 342, 366 f.), denn Vollstreckungs-maßnahmen greifen in der Regel sehr viel unmittelbarer und einschneidender in die Ausübung der Hoheitsgewalt des fremden Staates ein als gerichtliche Erkenntnisse. Eine weitere Ausnahme enthält zum Teil das Völkervertragsrecht für extraterritorial begangene Delikte (Art. 11 EuStImÜ; Art. 12 UN Convention; siehe auch für das Vereinigte Königreich Sec. 5 des State Immunity Act 1978; für die USA 28 USCA § 1605(a)(5). Umstritten ist jedoch, ob diese Ausnahmen das Völkergewohnheitsrecht widerspiegeln und – vor allem – für extraterritoriale acta iure imperii gelten (dagegen etwa BGH 26.6.2003, BGHZ 155, 279, 283 f.; EGMR Nr. 31253/96 – McElhinney v. Ireland, ECHR Rep. 2001-XI, 37, § 38; vgl. aber auch Liu v. Republic of China, 892 F2d 1419 (9th Cir. 1989)).
Keine Ausnahme von den Grundsätzen der Staatenimmunität ist für acta iure imperii zu machen, die gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen. Gegenläufige Überlegungen haben sich in der völkerrechtlichen Praxis bisher nicht durchgesetzt. Zwar hat das englische House of Lords im Pinochet-Fall Ansätze einer Erosion der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter bei der Verletzung zwingenden Völkerrechts erkennen lassen (Regina v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate and others, ex parte Pinochet Ugarte [No 3] [2000] 1 AC 147). Auch die griechischen (siehe Areopag 4.5.2000, Krit. J. 2000, 472) und italienischen Gerichte (siehe vor allem Corte cass. 11.3.2004, Ferrini c. Repubblica federale di Germania, Rivista di diritto internazionale 87 (2004) 539; Corte cass. 29.5.2008, Repubblica federale di Germania c. Presidenza Consiglio dei ministri, Rivista di diritto internazionale 91 (2008) 896) haben der Bundesrepublik Deutschland für Ansprüche aus dem Zweiten Weltkrieg die Staatenimmunität verweigert. Von diesen vereinzelten Ausnahmen abgesehen haben die nationalen Gerichte allerdings bei Verstößen gegen zwingendes Völkerrecht regelmäßig Staatenimmunität gewährt (siehe nur Princz v. Federal Republic of Germany, 26 F3d 1166 (DC Cir. 1994); BGH 26.6.2003, BGHZ 155, 279, 283 ff.; BVerfG 15.2.2006, NJW 2006, 2542, 2543; Jones v. Ministry of the Interior Al-Mamlaka Al-Arabiya AS Saudiya [2007] 1 AC 270 (HL)). Auch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtfertigt eine Verletzung zwingenden Völkerrechts keine Ausnahme von der Staatenimmunität (EGMR Nr. 35763/97 – Al-Adsani v. United Kingdom, ECHR Rep. 2001-XI, 79, §§ 61 ff.; EGMR Nr. 59021/00 – Kalogeropoulou and others v. Greece and Germany, ECHR Rep. 2002-X, 415, 428 f.). Außerdem hat der Internationale Gerichtshof im Arrest Warrant Case (IGH 14.2.2002, ICJ Rep. 2002, 3, Rn. 58) zumindest für die Immunität amtierender Regierungsvertreter (s.u. 3.) festgestellt, dass eine Ausnahme von der Immunität für Völkerrechtsverstöße keine Basis im Völkergewohnheitsrecht findet. Anlässlich der Entscheidungen der italienischen Gerichte hat Deutschland Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof erhoben (Case concerning Jurisdictional Immunities of the State), der damit nunmehr Gelegenheit hat, die Grenzen der Staatenimmunität bei der Verletzung zwingenden Völkerrechts zu klären.
b) Überlagerung durch das europäische Zuständigkeitsrecht?
Fraglich ist jedoch, ob die Grundsätze der Staatenimmunität mittelbar durch das Gemeinschaftsrecht überlagert werden. Kann sich ein beklagter Staat vor einem mitgliedstaatlichen Gericht auf die Staatenimmunität berufen, wenn das europäische internationale Zuständigkeitsrecht (Zuständigkeit, internationale), etwa nach der EuGVO (VO 44/2001), die internationale Zuständigkeit eines Mitgliedstaates vorsieht? Zu einer solchen Überscheidung zwischen europäischem Zuständigkeitsrecht und völkerrechtlicher Staatenimmunität dürfte es freilich sehr selten kommen. Das europäische Zuständigkeitsrecht ist nämlich nur auf Zivil- und Handelssachen anwendbar (etwa Art. 1(1)1 EuGVO), und ein Rechtsstreit über acta iure imperii des ausländischen Staates, für die ein ausländischer Staat Immunität in Anspruch nehmen kann, wird regelmäßig keine Zivil- und Handelssache begründen. Dennoch sind in Grenzbereichen Überschneidungen denkbar (siehe etwa österreich. OGH 14.5.2001, SZ 74/86, S. 561; Grovit v. De Nederlandsche Bank [2006] 1 Lloyd’s Rep. 636 (QB)).
Zunächst enthält die EuGVO eine Kollisionsregel für Konstellationen, in denen sich die Staatenimmunität nach völkervertraglichen Regeln, etwa nach dem erwähnten EuStImÜ, richtet. Grundsätzlich weichen Völkerverträge der Mitgliedstaaten dem Gemeinschaftsrecht zwar in den Grenzen des Art. 307 EG/351 AEUV (vgl. nur EuGH Rs. 235/87 – Matteucci, Slg. 1988, 5589, Rn. 22; EuGH Rs. C-158/91 – Levy, Slg. 1993, I-4287, Rn. 22). Aber gemäß Art. 71(1) lässt die EuGVO Übereinkommen unberührt, „denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit […] regeln“. Das EuStImÜ stellt wohl ein solches vorrangiges Abkommen dar, soweit das Übereinkommen nicht nur die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte für Klagen gegen den ausländischen Staat festlegt, sondern zugleich auch die internationale Zuständigkeit für solche Verfahren mitregelt, in denen sich der ausländische Staat nicht auf seine Immunität berufen kann (vgl. Art. 2 bis 11 EuStImÜ).
Eine ausdrückliche Kollisionsregel fehlt jedoch für das Verhältnis zwischen Staatenimmunität nach Völkergewohnheitsrecht und europäischem Zuständigkeitsrecht. Dennoch wird ein Vorrang der EuGVO auch hier abzulehnen sein (GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge in der Rs. C-292/05 – Lechouritou, Slg. 2007, I-1519, Rn. 78; siehe auch österr. OGH 14.5.2001, SZ 74/86, 561; Grovit v. De Nederlandsche Bank [2006] 1 Lloyd’s Rep. 636 (QB)). Zunächst kann die EuGVO in Bezug auf Klagen gegen Drittstaaten die Immunität des Drittstaats nach Völkergewohnheitsrecht nicht berühren – soweit auf solche Klagen die EuGVO räumlich-persönlich überhaupt anwendbar ist. Bei der Auslegung der EuGVO ist nämlich die Gemeinschaftstreue und insbesondere Art. 10 EG, im Wesentlichen ersetzt durch Art. 4(3) EU(2008), zu beachten. Das Gemeinschaftsrecht kann nicht die Mitgliedstaaten zwingen, Drittstaaten gegenüber Verstöße gegen Völkergewohnheitsrecht zu begehen, das Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft ist (siehe EuGH Rs. C-162/96 – Racke, Slg. 1998, I-3655, Rn. 46). Dieser Gedanke liegt auch Art. 307(1) EG/351(1) AEUV zugrunde, wonach die bestehenden völkervertraglichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht durch die Gründung der EG oder den Beitritt zur EG berührt werden. Eine Überlagerung durch das europäische Zuständigkeitsrecht scheidet aber auch aus, wenn nach der EuGVO die Gerichte eines Mitgliedstaates international für die Klage gegen einen anderen Mitgliedstaat zuständig wären, für die dieser Mitgliedstaat eigentlich nach Völkergewohnheitsrecht Immunität in Anspruch nehmen könnte. Insbesondere der Effektivitätsgrundsatz (effet utile) führt zu keinem Vorrang des europäischen Zuständigkeitsrechts. Zwar steht die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts unter dem Vorbehalt der praktischen Wirksamkeit des europäischen Verfahrensrecht (EuGH Rs. 119/84 – Capelloni, Slg. 1985, 3147, Rn. 21; EuGH Rs. 288/82 – Duijnstee, Slg. 1983, 3663, Rn. 13 f.; EuGH Rs. 145/86 – Hoffmann, Slg. 1988, 645, Rn. 29; EuGH Rs. C-365/88 – Kongress Agentur Hagen, Slg. 1990, I-1845, Rn. 20; EuGH Rs. C-68/93 – Shevill, Slg. 1995, I-415, Rn. 36; EuGH Rs. C-159/02 – Turner, Slg. 2004, I-3565, Rn. 29; EuGH Rs. C-420/07 – Apostolides, EuLF (Section I) 2009, 9, Rn. 69). Unter dem gleichen Vorbehalt des Effektivitätsprinzips stehen prinzipiell auch die Regeln des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts mit verfahrensrechtlichem Bezug, soweit das Gemeinschaftsrecht im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander diese in gleicher Weise wie das nationale Verfahrensrecht überlagern kann (vgl. oben 1.). Aber es finden sich in der Rechtsprechung des EuGH Hinweise, dass – wie etwa im deutschen Recht auch – das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich völkerrechtsfreundlich auszulegen ist (vgl. etwa EuGH Rs. C-286/90 – Poulsen, Slg. 1992, I-6019, Rn. 9; EuGH Rs. C-188/07 – Commune de Mesquer, Slg. 2008, I-4501. Rn. 81). Insbesondere war der EuGH bereits in van Duyn sehr zurückhaltend, dem Gemeinschaftsrecht eine stillschweigend vom allgemeinen Völkergewohnheitsrecht derogierende Regel zu entnehmen (EuGH Rs. 41/74 – van Duyn, Slg. 1974, 1337, Rn. 21/23).
3. Exemtionen bestimmter Personen
Nicht nur fremde Staaten sind von der inländischen Gerichtsbarkeit teilweise ausgenommen, auch bestimmte Personen genießen nach Völkerrecht persönliche Immunität. Dies betrifft neben Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern im Amt (IGH 14.2.2004, Arrest Warrant Case, ICJ Rep. 2002, 3) nach den Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 und über konsularische Beziehungen von 1963 vor allem auch ausländische Diplomaten. Soweit nach europäischem Zuständigkeitsrecht eine internationale Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts gegen eine solche immune Person eröffnet ist, verdrängt das europäische Zuständigkeitsrecht jedoch aus den soeben angeführten Gründen (s.o. 2. b) diese völkerrechtlichen Exemtionen nicht.
4. Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet
Die Gerichtsbarkeit der inländischen Gerichte wird zudem durch das Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet begrenzt. Wie schon der Ständige Internationale Gerichtshof im Lotus Case (StIGH 7.9.1927, PCIJ ser. A, No. 9, S. 18) betont hat, gilt: „[T]he first and foremost restriction imposed by international law upon a State is that, failing the existence of a permissive rule to the contrary, it may not exercise its power in any form in the territory of another State“. Zwar herrscht im Anschluss an Lotus Einigkeit, dass ein Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet als völkerrechtliche Regel existiert; jedes hoheitliche Handeln eines ausländischen Staates auf inländischem Territorium stellt die Staatsgewalt des inländischen Staates für sein Staatsgebiet in Frage und gefährdet damit potentiell seine Staatseigenschaft, die sich nach dem traditionellen dreigliedrigen Staatsbegriff aus den Elementen Staatsgebiet, Staatsvolk und – eben – Staatsgewalt zusammensetzt.
Trotz der unumstrittenen Existenz des Vornahmeverbotes ist aber unklar, welche Tätigkeiten eines Staates im Staatsgebiet eines anderen konkret einen solchen verbotenen Hoheitsakt begründen. Entscheidend scheint es darauf anzukommen, dass die fragliche Handlung vom ausländischen Staat gerade als Hoheitsträger, d.h. gerade in seiner Tätigkeit als Staat, vorgenommen wird. Da es sich beim Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet um eine Regel des Völkerrechts handelt, könnte man meinen, dass das Völkerrecht für die nähere Qualifikation der fraglichen extraterritorial vorgenommenen Handlungen maßgeblich ist. Dennoch sollte zur Qualifikation nicht vorrangig auf das Völkerrecht zurückgegriffen werden, sondern vielmehr auf das Recht desjenigen Staates, dessen Hoheitsgebiet betroffen ist. Das Verbot der Vornahme von fremden Hoheitsakten im inländischen Staatsgebiet ist Ausfluss der Gebietshoheit des inländischen Staates, die durch den extraterritorialen Hoheitsakt verletzt würde. Grundsätzlich könnte sich der inländische Staat als Inhaber der Gebietshoheit jede – auch nichthoheitliche – Handlung eines ausländischen Staates auf seinem Territorium verbitten. Es ist aber, soweit der inländische Staat ausdrücklich nichts Abweichendes verlautbaren lässt, zu vermuten, dass er allein Handlungen anderer Staaten auf seinem Staatsgebiet untersagt, die nach seinem Recht als hoheitlich zu beurteilen sind. Nur dann wird seine Hoheitsgewalt auf seinem Territorium in Frage gestellt, weil nur dann der ausländische Staat als konkurrierende Staatsmacht zum inländischen Staat auftritt und damit die Staatsqualität des inländischen Staates gefährdet.
Das Gemeinschaftsrecht derogiert von dem Verbot der extraterritorialen Vornahme von Hoheitsakten nur sehr zurückhaltend. Etwa legt Art. 22 Nr. 5 EuGVO fest, dass für Vollstreckungsentscheidungen allein der Staat zuständig ist, in dem die Zwangsvollstreckung erfolgen soll. Bemerkenswert sind aber die Vorschriften über die unmittelbare Beweisaufnahme durch die Gerichte eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 17 ff. der Beweisaufnahme-VO. Danach dürfen – ein entsprechendes Ersuchen vorausgesetzt – inländische Gerichte im Ausland unmittelbar Beweis erheben, soweit die Beweiserhebung aufgrund freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen möglich ist (Art. 17(2)). Die unmittelbare gerichtliche Beweisaufnahme im Ausland kann nur aus begrenzten Gründen vom ersuchten Mitgliedstaat versagt werden (Art. 17(5)). Extraterritoriales Handeln der inländischen Gerichte gestattet teilweise auch die Zustellungs-VO (VO 1393/ 2007; [[Zustellung]]). Nach Art. 13(1) darf jeder Mitgliedstaat Personen in anderen Mitgliedstaaten unmittelbar durch seine diplomatischen und konsularischen Vertretungen ohne Androhung von Zwang Schriftstücke zustellen, wobei nach Art. 13(2) jeder Mitgliedstaat solche Zustellungen auf Staatsangehörige des Übermittlungsmitgliedstaates begrenzen kann. Auch gestattet die Zustellungs-VO in Art. 14 eine unmittelbare Zustellung im Ausland durch die Post – soweit man eine solche Zustellung überhaupt als Hoheitsakt qualifizieren möchte.
5. Verbot der Vornahme extraterritorial bezogener Hoheitsakte?
Während das Verbot der Vornahme von Hoheitsakten im fremden Staatsgebiet (dazu soeben 4.) absolut ist, dürfen die Staaten – also auch die Gerichte – grundsätzlich mit ihren Hoheitsakten auch Sachverhalte mit Auslandsbezug regeln, d.h. extraterritorial bezogene, aber intraterritorial vorgenommene Hoheitsakte erlassen. So hat der Ständige Internationale Gerichtshof ausdrücklich im bereits erwähnten Lotus Case (StIGH 7.9.1927, PCIJ ser. A, No. 10, S. 19) festgehalten: „It does not, however, follow that international law prohibits a State from exercising jurisdiction in its own territory, in respect of any case which relates to acts which have taken place abroad“. Allerdings wurde Lotus vom Internationalen Gerichtshof in der Entscheidung im Barcelona Traction Case (IGH 5.2.1970, ICJ Rep. 1970, 3, 105) eingeschränkt; es bestünden im Völkerrecht Grenzen für die Regelung von grenzüberschreitenden Sachverhalten durch Hoheitsakte, es existiere eine „obligation [...] to avoid undue encroachment on a jurisdiction more properly appertaining to, or more appropriately exercisable by, another State“. Wo genau die Grenze zu einem solchen „undue encroachment“ verläuft, ist freilich unklar. Verbreitet sind Formulierungen wie die, dass der vom Hoheitsakt erfasste Sachverhalt einen „genuine link“, sprich eine sinnvolle Verknüpfung zum anordnenden Staat, besitzen müsse (BVerfG 22.3.1983, BVerfGE 63, 343, 369). Gerade bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bestehen oftmals Berührungen zu mehreren Staaten. Völkerrechtswidrige extraterritorial bezogene Hoheitsakte sind demnach ein seltenes Phänomen, weil sich fast immer Verknüpfungen zum Erlassstaat konstruieren lassen.
Die Staaten sind deshalb weitgehend frei, ihren Gerichten Maßnahmen auch in Bezug auf Sachverhalte mit Auslandsbezug zu gestatten. Insbesondere dürfen die Gerichte – eine Verbindung zum Inland vorausgesetzt – die Parteien zu Handlungen oder Unterlassungen im Ausland verpflichten und eine solche Verpflichtung auch durch Zwang im Inland durchsetzen. Eine sinnvolle Verknüpfung zum Inland bei gerichtlichen Entscheidungen gewährleisten die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit. Jedoch legt das Völkerrecht keine bestimmte Zuständigkeitsanknüpfung fest. Deshalb sorgt etwa auch das europäische internationale Zuständigkeitsrecht dafür, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte keine Maßnahmen treffen, für die sie – mangels Verbindung zum betreffenden Mitgliedstaat – über keine Gerichtsbarkeit verfügen.
Literatur
Wilhelm Karl Geck, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, in: Karl Strupp (Bg.), Hans-Jürgen Schlochauer (Hg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1960, 795 f.; Hans-Jürgen Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten nach dem öffentlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland und nach internationalem Recht, 1962; F.A. Mann, The doctrine of jurisdiction in international law, Recueil des Cours 111 (1964) 1 ff.; Michael Akehurst, Jurisdiction in International Law, British Year Book of International Law 46 (1972–1973) 145 ff.; Dave Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987; Burkhard Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992; Juliane Kokott, Mißbrauch und Verwirkung von Souveränitätsrechten bei gravierenden Völkerrechtsverstößen, in: Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, 135 ff.; Joachim Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998; Reinhold Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 5. Aufl. 2005, 155 ff.; Michael Stürner, Staatenimmunität und Brüssel I-Verordnung, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2008, 197 ff.