Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 14:01 Uhr

von Jan von Hein

1. Europäisches IPR

Das IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse ist in der EU mit der VO 864/2007 v. 11.7.2007 (Rom II-VO) nach mehr als dreißigjährigen Vorarbeiten vereinheitlicht worden. Die Rom II-VO ist ab dem 11.1.2009 anwendbar. Die Anwendbarkeit der Verordnung setzt lediglich eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten voraus, wobei es sich nicht unbedingt um Mitgliedstaaten handeln muss (Art. 1(1)1 Rom II-VO). Art. 3 Rom II-VO bestimmt, dass das Recht, auf das die Verordnung verweist, auch dann anzuwenden ist, wenn es sich hierbei nicht um das Recht eines Mitgliedstaates handelt. Aufgrund der Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO behält jedoch das autonome Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten z.B. für Persönlichkeitsrechtsverletzungen weiterhin Bedeutung (Art. 1(2)(g) Rom II-VO). Ferner bleiben die Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung (HPÜ) und auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht (HStVÜ) unberührt (Art. 28(2) Rom II-VO). Zudem ist der Vorrang spezieller Gemeinschaftsrechtsakte zu beachten (Art. 27 Rom II-VO). Schließlich gilt die Rom II-VO nicht in Dänemark (Art. 1(4) Rom II-VO), aber in Großbritannien und Irland, die ein opt-in erklärt haben. Insgesamt bietet das europäische IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse trotz aller Bemühungen um Vereinheitlichung in Kernbereichen nach wie vor ein zersplittertes Bild.

2. Methodologische Grundlagen der Rom II-VO

Obwohl die Vergemeinschaftung des IPR von manchen geradezu als eine „Revolution“ bezeichnet wird, erweist sich die Rom II-VO in methodologischer Hinsicht als eher konservativ. Ihr oberstes Ziel bleibt der in Erwägungsgrund 6 beschworene internationale Entscheidungseinklang, der seit Friedrich Carl von Savigny die Leitidee des europäischen Kollisionsrechts bildet. Ein allgemeiner Umschwung zu einem Herkunftslandprinzip, dem im internationalen Deliktsrecht die Grundanknüpfung an den Handlungsort entsprochen hätte, ist unterblieben. Ein solches Prinzip hätte die Informationslasten in Bezug auf die Anwendung fremden Rechts einseitig dem Geschädigten aufgebürdet und unweigerlich zu einer Spaltung zwischen dem Gemeinschafts-IPR und dem gegenüber Drittstaaten anwendbaren Kollisionsrecht geführt. Die Vorgabe des internationalen Entscheidungseinklangs prägt die Methodik der Rom II-VO, die letztlich auf dem Prinzip der engsten Verbindung beruht (Art. 4(3), 5(2), 10(6), 11(4), 12(2)(c) Rom II-VO), dieses aber aus Gründen der Rechtssicherheit in festen Anknüpfungsregeln für einzelne Typen konkretisiert. Grundsätzlich soll nicht das Gericht den Sitz des Rechtsverhältnisses bestimmen, sondern der Gesetzgeber. Der Verordnungsgeber hat Vorschlägen zur Ausweitung der Ausweichklausel, die von Methoden der US-amerikanischen conflicts revolution der 1960-er und 1970-er Jahre inspiriert waren, eine Absage erteilt. Andererseits ist der Verordnungsgeber nicht der Versuchung erlegen, den Leitgedanken der Rechtssicherheit zu übersteigern, sondern bekennt sich ausdrücklich zur notwendigen Flexibilität der richterlichen Entscheidung (Erwägungsgrund 14, Art. 4(3) Rom II-VO). Lediglich im Bereich der Produkthaftung ist mit der vom HPÜ beeinflussten Technik der Kaskadenanknüpfung (Art. 5 Rom II-VO) eine mittelbare Rezeption der conflicts revolution festzustellen. Schließlich entspricht die Rom II-VO insoweit dem klassischen IPR, als grundsätzlich das „räumlich“ beste und nicht das materiellrechtlich „beste“ Recht zur Anwendung bestimmt wird. Nur in drei speziellen Fällen – Multi-State-Delikte im Kartellrecht (Art. 6(3)(b) Rom II-VO), Umweltschäden (Art. 7 Rom II-VO), Direktanspruch des Haftpflichtversicherten (Art. 18 Rom II-VO) – wird wahlweise ein weiteres Recht zur Verfügung gestellt. Insgesamt bewirkt die Rom II-VO für das europäische IPR keinen grundlegenden methodologischen Paradigmenwechsel, sondern ist Ausdruck eines kontinuierlichen Evolutionsprozesses, der dem Erbe Savignys verpflichtet ist.

3. Sachlicher Anwendungsbereich der Rom II‑VO

Die Rom II-VO ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen anwendbar, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen (Art. 1(1)1 Rom II-VO). Der Begriff der Zivil- und Handelssache ist autonom zu bestimmen, wobei auf die Rechtsprechung des EuGH z.B. zur EuGVO (VO 44/ 2001) zurückgegriffen werden kann. Öffentlich-rechtliche Materien (Steuern, Zölle, Verwaltungsrecht) werden explizit ausgeschlossen (Art. 1(1)2 Rom II-VO). Staatshaftungsansprüche für hoheitliches Handeln bilden keine Zivilsache i.S.d. Verordnung (Art. 1(1) 2 Rom II-VO). Art. 1 (2) Rom II-VO nennt bestimmte zivilrechtliche Materien, die von der Anwendung der Verordnung ausgenommen werden, so namentlich Familien- und ähnliche Verhältnisse (z.B. eingetragene Lebenspartnerschaften), das Güterstandsrecht, das Wertpapierrecht, bestimmte Fragen des Gesellschaftsrechts, Trusts und Nuklearschäden sowie Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Art. 1(2)(a)-(g) Rom II-VO). Zahlreiche Abgrenzungsprobleme ruft der Ausschluss des Wertpapier- und Gesellschaftsrechts (lit. c und d) hervor. Internationales Kapitalmarktrecht, Internationales Gesellschaftsrecht. Der Ausschluss der Haftung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist darauf zurückzuführen, dass insoweit kein politischer Konsens erzielt werden konnte. Die Kommission ist jedoch zur Vorlage einer Studie verpflichtet (Art. 30(1)(i) Rom II-VO). Die Abgrenzung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen erfolgt kraft autonomer Qualifikation. Zu den unerlaubten Handlungen i.S.d. Art. 2(1) Rom II-VO gehören auch Ansprüche aus Gefährdungshaftung. Art. 2(1) Rom II-VO stellt ferner klar, dass auch Ansprüche aus einem Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) i.S.d. Verordnung als außervertraglich gelten, folglich Rom II und nicht Rom I unterfallen (Art. 1(2)(i) Rom I-VO); s. näher unten 5. d). Diese Qualifikation der c.i.c dient der Konsistenz mit der EuGVO (vgl. Erwägungsgrund 7 Rom II-VO). Art. 2(2), (3) Rom II-VO bezieht den wahrscheinlichen Eintritt eines schädigenden Ereignisses bzw. eines Schadens in den Anwendungsbereich der Verordnung ein und ermöglicht so die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei vorbeugenden Unterlassungsklagen. Nach Art. 1(3) Rom II-VO gilt die Verordnung unbeschadet der Art. 21 und 22 Rom II-VO nicht für den Beweis und das Verfahren. Im Übrigen folgt die Abgrenzung zwischen lex causae und Verfahrensrecht aus mehreren Buchstaben des Art. 15 Rom II-VO, die vor allem für die Rechtsordnungen des common law bedeutsam sind. Haftungsausschlüsse und ‑beschränkungen ebenso wie das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens oder der geforderten Wiedergutmachung unterfallen dem Deliktsstatut (Art. 15(b), (c) Rom II-VO). Eine verfahrensrechtliche Qualifikation der Schadensbemessung (quantification of damages) wird damit ausgeschlossen. Erwägungsgrund 33 verpflichtet zwar die Gerichte, die tatsächlichen Verluste und Kosten des Opfers im Rahmen des anwendbaren materiellen Rechts zu berücksichtigen, erlaubt aber keine Sonderanknüpfung dieser Frage. Art. 15(d) Rom II-VO unterwirft die Maßnahmen, die ein Gericht zur Vorbeugung, zur Beendigung oder zum Ersatz eines Schadens anordnen kann, der lex causae, allerdings nur innerhalb der Grenzen seiner verfahrensrechtlichen Befugnisse. Schließlich qualifiziert Art. 15 (h) Rom II-VO die Frage der Verjährung verbindlich als materiell- und nicht als prozessrechtlich.

4. Das auf Delikte anwendbare Recht nach der Rom II-VO

a) Grundregel und allgemeine Fragen der Anknüpfung

Gemäß Art. 4(1) Rom II-VO ist auf eine unerlaubte Handlung unabhängig davon, in welchem Staat die schadensbegründende Handlung vorgenommen worden ist und in welchem Staat oder welchen Staaten die indirekten Schadensfolgen festzustellen sind, das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt. Hiermit ist i.S.d. herkömmlichen deutschen Sprachgebrauchs der Erfolgsort, d.h. der Ort der Rechtsgutsverletzung, gemeint (vgl. auch Erwägungsgrund 17). Die Anknüpfung an den Erfolgsort ist im Regelfall eine effiziente Lösung, weil dem Schädiger grundsätzlich angesonnen werden kann, sich über das Recht des Staates zu informieren, in dem Schadensfolgen eintreten, während sie es dem Opfer erlaubt, sich bei der Wahl seines Versicherungsschutzes an dem Recht der ihm vertrauten Umwelt zu orientieren. Tritt der schädigende Erfolg in mehreren Staaten ein, greift eine Mosaikbetrachtung, d.h. jede Rechtsgutsverletzung wird nach dem Recht des jeweiligen Erfolgsortes beurteilt. Jedoch bestimmt Art. 17 Rom II-VO, dass Sicherheits- und Verhaltensvorschriften am Handlungsort als sog. local data zu berücksichtigen sind. Die Anknüpfung an den Erfolgsort wird verdrängt, wenn die Parteien im Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben (Art. 4(2) Rom II-VO). Diese Auflockerung des Deliktsstatuts ermöglicht eine effizientere Bewältigung von Rechtsstreitigkeiten, insbesondere bei Straßenverkehrsunfällen, weil das Opfer gegen den Schädiger typischerweise am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt prozessiert und auch in diesem Staat die Folgen der erlittenen Schädigung bewältigen muss. Für Sicherheits- und Verhaltensvorschriften des Unfallortes gilt auch insoweit Art. 17 Rom II-VO. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird in Art. 23 Rom II-VO ausschnittsweise definiert. Die allgemeine Ausweichklausel (Art. 4(3) Rom II-VO) ist nur ausnahmsweise anzuwenden, nämlich wenn sich „aus der Gesamtheit der Umstände [ergibt], dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat aufweist.“ Eine Auflockerung ist hierbei für die gesamte unerlaubte Handlung vorzunehmen; eine Aufspaltung (dépeçage) der Anknüpfung in einzelne Teilfragen (z.B. Haftungsbegründung einerseits, Schadensbemessung andererseits) ist unzulässig. Die Ausweichklausel kann auch dazu führen, dass von der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Abs. 2) zugunsten des Erfolgsortes (Abs. 1) wieder abgewichen wird, wenn auf diesen Ort weitere Anknüpfungsmomente verweisen (z.B. die Zulassung und die Versicherung eines Kraftfahrzeugs bei Mietwagenunfällen). Art. 4(3)2 Rom II-VO ermöglicht eine akzessorische Anknüpfung an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis, wie z.B. einen Vertrag.

Die objektiven Anknüpfungen werden durch eine Rechtswahl der Parteien verdrängt. Nicht-gewerbliche Parteien bleiben auf die nachträgliche Rechtswahl beschränkt (Art. 14(1)(a) Rom II-VO). Die Rechtswahl muss hinreichend sicher feststellbar sein (Art. 14(1)2 Rom II-VO). Sie lässt die Rechte Dritter unberührt (Art. 14(1)2 Rom II-VO). Die Abs. 2 und 3 des Art. 14 Rom II-VO erklären intern zwingende Normen in reinen Inlands- oder Binnenmarktfällen trotz der Rechtswahl der Parteien für anwendbar. Die Anknüpfung zwingenden Rechts in reinen Inlandsfällen wird sodann entsprechend auf allein mit dem Gemeinschaftsgebiet verknüpfte Fälle übertragen (Art. 14(3) Rom II-VO). Die Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO ist auf staatliches Recht beschränkt. Auch die in dem jüngst vorgelegten Entwurf eines Gemeinsamen Referenzrahmens enthaltenen Normen für außervertragliche Schuldverhältnisse dürfen nicht im Wege einer kollisionsrechtlichen Rechtswahl vereinbart werden; lediglich im Rahmen einer materiellrechtlichen Rechtswahl ist ihre Vereinbarung möglich.

Während in neueren Verordnungen zum internationalen Zivilverfahrensrecht auf eine ordre-public-Klausel (ordre public) verzichtet wird, stellt die Rom II-VO einen solchen Vorbehalt weiterhin auf (Art. 26 Rom II-VO). Erwägungsgrund 32 stellt klar, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten Formen des Strafschadensersatzes weiterhin als mit der öffentlichen Ordnung der lex fori unvereinbar einstufen dürfen. Auch wenn nach der Rom II-VO ein ausländisches Recht anwendbar ist, bleibt eine Sonderanknüpfung der Eingriffsnormen der lex fori vorbehalten (Art. 16 Rom II-VO). Das Konzept der Eingriffsnorm sollte aus Gründen der konsistenten Auslegung (Erwägungsgrund 7 Rom II-VO) im Einklang mit der in Art. 9(1) Rom I-VO gegebenen Legaldefinition interpretiert werden. Für die Anknüpfung ausländischer Eingriffsnormen enthält die Rom II-VO hingegen keine ausdrückliche Regelung. Auch nach Inkrafttreten der Rom II-VO sollte diese Frage der weiteren Entwicklung der europäischen Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen bleiben. Zumindest wird man es den Gerichten nicht verwehren können, ausländische Eingriffsnormen wie bisher im Rahmen der Generalklauseln des materiellen Rechts (z.B. §§ 138, 826 BGB) zu beachten, da die Rom II-VO nicht das materielle Zivilrecht vereinheitlicht. Der Renvoi ist generell ausgeschlossen (Art. 24 Rom II-VO).

b) Besondere Anknüpfungsregeln

Für besondere Deliktstypen spielt der Handlungsort weiterhin eine wichtige Rolle. Er kann subsidiär zur Anknüpfung gelangen, wenn das Recht am Erfolgsort für den Schädiger nicht vorhersehbar ist, so in Form des Herstellersitzes bei der Produkthaftung (Art. 5(1)2 Rom II-VO). Für Arbeitskampfmaßnahmen wird sogar ausschließlich an den Handlungsort angeknüpft (Art. 9 Rom II-VO). Des Weiteren wird der Handlungsort bei Umweltschäden dem Geschädigten wahlweise zur Verfügung gestellt, um ein hohes Umweltschutzniveau zu gewährleisten (Art. 7 Rom II-VO). Ferner kann der Geschädigte bei durch Kartelldelikte verursachten Streuschäden aus Gründen der Prozessökonomie die Anwendung des am Sitz, also der Verhaltenszentrale, des Schädigers geltenden Rechts verlangen (Art. 6(3)(b) Rom II-VO). Zudem wird bei Verletzungen von Gemeinschafts-Immaterialgüterrechten an den Begehungsort angeknüpft, weil das Schutzlandprinzip hier keine eindeutige räumliche Zuweisung ermöglicht. Andere Spezialregeln verfolgen zwar einen an der Rechtsgutsverletzung orientierten Ansatz, modifizieren diesen aber gegenüber dem Erfolgsortbegriff der Grundregel. Hierzu zählen die Anknüpfungsleiter für die Produkthaftung (Art. 5(1)1 Rom II-VO), die Anknüpfung an den betroffenen Markt bei Wettbewerbsdelikten (Art. 6(1) und (3)(a) Rom II-VO) sowie das bei Immaterialgüterrechten nach nationalem Recht geltende Schutzlandprinzip (Art. 8(1) Rom II-VO). Die Spezialregeln für besondere Deliktstypen sind nur zum Teil einer Auflockerung zugänglich. Für die Produkthaftung und für Arbeitskampfmaßnahmen bleibt die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ausdrücklich vorbehalten (Art. 5 (1) und Art. 9 Rom II-VO). Die anderen Spezialregeln können hingegen nicht durch den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt verdrängt werden, wobei für Wettbewerbsverstöße nur zulasten eines Konkurrenten wiederum eine Unterausnahme eingreift (Art. 6(2) Rom II-VO). Die Spezialregeln unterliegen nur vereinzelt einer Korrektur anhand des Prinzips der engsten Verbindung. Für die Produkthaftung enthält Art. 5(2) Rom II-VO eine spezielle Ausweichklausel, die inhaltlich Art. 4(3) Rom II-VO widerspiegelt. Vorbehalten bleibt die Ausweichklausel auch für bilaterale Wettbewerbsverstöße (Art. 6 (2) Rom II-VO). Für alle übrigen besonders geregelten Deliktstypen ist der Rückgriff auf die Ausweichklausel hingegen versperrt. Die Parteiautonomie wird stets gewährt, wenn dem keine ausdrückliche Ausnahmevorschrift entgegensteht, also bei der Produkthaftung (Art. 5 Rom II-VO), bei Umweltschäden (Art. 7 Rom II-VO) und bei Arbeitskampfmaßnahmen (Art. 9 Rom II-VO). Explizit ausgeschlossen ist sie hingegen im Lauterkeits- und Kartellrecht (Art. 6(4) Rom II-VO) sowie im Immaterialgüterrecht (Art. 8(3) Rom II-VO). Für weitere Einzelheiten muss auf die Spezialliteratur verwiesen werden.

5. Andere außervertragliche Ansprüche nach der Rom II-VO

a) Allgemeines

Auch für die nicht-deliktischen Ansprüche besteht die Möglichkeit der Rechtswahl; die unter 4. a) gemachten Ausführungen zu ordre public, Eingriffsnormen und renvoi gelten auch hier.

b) Ungerechtfertigte Bereicherung

Bei einer engen Verbindung des Schuldverhältnisses aus ungerechtfertigter Bereicherung mit einem bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien (z.B. aus Vertrag oder Delikt) wird akzessorisch angeknüpft (Art. 10(1) Rom II-VO). Kommt eine solche Anknüpfung nicht in Betracht, wird das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts berufen (Art. 10(2) Rom II-VO). Wenn auch dies nicht weiterhilft, kommt es auf das Recht des Staates an, in dem die Bereicherung eintritt (Art. 10(3) Rom II-VO). Angemessene Flexibilität soll durch eine Ausweichklausel ermöglicht werden (Art. 10(4) Rom II-VO).

c) Geschäftsführung ohne Auftrag

Auch Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag werden grundsätzlich akzessorisch an ein bestehendes Rechtsverhältnis angeknüpft (Art. 11(1) Rom II-VO). Ist dies nicht möglich, kommt das Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zuge (Art. 11(2) Rom II-VO). Wenn auch diese Anknüpfung ins Leere geht, wird das Recht am Vornahmeort berufen (Art. 11(3) Rom II-VO). Auch bei der GoA ist eine Auflockerung der Anknüpfung durch eine Ausweichklausel möglich (Art. 11(4) Rom II-VO). Eine Spezialregel für die freiwillige Tilgung fremder Verbindlichkeiten fehlt.

d) Culpa in contrahendo

Ansprüche aus c.i.c. werden grundsätzlich akzessorisch an das tatsächliche oder hypothetische Vertragsstatut, das wiederum nach der Rom I-VO (Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR)) zu bestimmen ist, angeknüpft (Art. 12 Rom II-VO). Der Begriff des Verschuldens bei Vertragsschluss ist autonom auszulegen. In erster Linie hat der Rat die Verletzung von Aufklärungspflichten und die Haftung für den Abbruch von Vertragsverhandlungen ins Auge gefasst. Hingegen sollen Personenschäden, die eine Partei während der Vertragsverhandlungen erleidet, Art. 4 Rom II-VO oder den anderen einschlägigen Bestimmungen der Rom II-VO unterliegen. Lässt sich das anwendbare Recht nicht gemäß Art. 12(1) Rom II-VO bestimmen, gilt das Recht am Erfolgsort (Art. 12(2)(a) Rom II-VO), das wiederum vom Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien verdrängt wird (Art. 12(2)(b) Rom II-VO). Schließlich bleibt auch bei der c.i.c. eine Auflockerung wegen einer offensichtlich engeren Verbindung mit einem anderen Staat möglich (Art. 12(2)(c) Rom II-VO).

Literatur

Helmut Heiss, Leander D. Loacker, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse durch Rom II, Juristische Blätter 2007, 613 ff.; Abbo Junker, Die Rom II-Verordnung: Neues Internationales Deliktsrecht auf europäischer Grundlage, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 3675 ff.; Stefan Leible, Matthias Lehmann, Die neue EG-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (“Rom II”), Recht der Internationalen Wirtschaft 2007, 721 ff.; Andrew Dickinson, The Rome II Regulation: The Law Applicable to Non-Contractual Obligations (2008); Jan von Hein, Something Old and Something Borrowed, but Nothing New? Rome II and the European Choice of Law Evolution, Tulane Law Review 82 (2008) 1663 ff.; Thomas Kadner Graziano, Das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht nach Inkrafttreten der Rom II-Verordnung, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 73 (2009) 1 ff.; Phaedon John Kozyris, Rome II: Tort Conflicts on the Right Track!, American Journal of Comparative Law 56 (2008) 471 ff.; Luis de Lima Pinheiro, Choice of Law on Non-Contractual Obligations between Communitarization and Globalization, Rivista di diritto internazionale privato et processuale 44 (2008) 5 ff.; Symeon C. Symeonides, Rome II and Tort Conflicts: A Missed Opportunity, American Journal of Comparative Law 56 (2008) 173 ff.; Gerhard Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2008, 1 ff.; Gralf-Peter Calliess (Hg.), The Rome Regulations (Rome I and II): Commentary on the European Rules for Conflict of Laws, 2009.

Abgerufen von Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR) – HWB-EuP 2009 am 22. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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