Unlauterer Wettbewerb (Rechtsfolgen): Unterschied zwischen den Versionen

Aus HWB-EuP 2009
hwb>Admin
 
 
(Eine dazwischenliegende Version von einem anderen Benutzer wird nicht angezeigt)
Zeile 31: Zeile 31:


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Unfair_Competition_(Consequences)]]

Aktuelle Version vom 29. September 2021, 12:20 Uhr

von Olaf Sosnitza

1. Bedeutung

Die Europäische Gemeinschaft ist gemäß Art. 4(1) EG den Grundsätzen einer offenen Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs verpflichtet. Für einen unverfälschten und funktionierenden Wettbewerb ist die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes auch gegen unlautere Wettbewerbshandlungen von zentraler Bedeutung. Im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen von Wettbewerbsverstößen ist zunächst von Interesse, welche konkreten Ansprüche aus einem Verstoß gegen lauterkeitsrechtliche Vorschriften resultieren. Daneben ist zu klären, wer im Einzelfall zur Geltendmachung der aus unlauteren Wettbewerbshandlungen herrührenden Ansprüche berechtigt ist.

Weder durch das europäische Gemeinschaftsrecht noch durch andere völkerrechtliche Verträge oder internationales Einheitsrecht werden ein bestimmtes System der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)) oder konkrete Rechtsfolgen zwingend vorgeschrieben. Durch das Unionsrecht werden materiell-rechtliche Grundlagen für den lauteren Wettbewerb geschaffen und Zielvorgaben für die Rechtsdurchsetzung aufgestellt, wobei die Ausgestaltung und Durchsetzung Angelegenheit der nationalen Gesetzgeber ist. Von Bedeutung für die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts ist die VO 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (Verbraucher und Verbraucherschutz), da zu den durchzusetzenden Richtlinien im Sinne der Verordnung beispielsweise auch die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (Irreführungs-RL [RL 2006/114]) und die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL [RL 2005/29]; Unlauterer Wettbewerb (Grundlagen)) zählen. Zu den Durchsetzungsbefugnissen, die den zuständigen Behörden nach der Verordnung zustehen müssen, zählen gemäß Art. 4(3) und (6) die Befugnisse, einen Verletzer zur Einstellung eines Verstoßes zu verpflichten (lit. e), sowie ihm im Falle der Nichtbeachtung einer Entscheidung die Zahlung einer Geldsumme aufzuerlegen (lit. g). Art. 11(1) UGP-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich zur Bereitstellung geeigneter und wirksamer Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken. Art. 13 UGP-RL konkretisiert die von den Mitgliedstaaten zu erfüllenden Anforderungen dahingehend, dass diese Sanktionen festlegen müssen, welche bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie anzuwenden sind, und sie alle geeigneten Maßnahmen zu treffen haben, um die Durchsetzung der Richtlinie sicherzustellen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Auch Art. 10bis(1) der Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) bestimmt lediglich allgemein, dass die Verbandsländer gehalten sind, den Verbandsangehörigen einen wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu sichern. Zu diesem Zweck sind gemäß Art. 10ter(1) PVÜ „geeignete Rechtsbehelfe“ zur wirksamen Unterdrückung unlauteren Wettbewerbs bereit zu stellen. Schließlich wird auch in Art. 1(1)(b) der WIPO Modellvorschriften gegen unlauteren Wettbewerb aus dem Jahr 1996 auf die Bezeichnung einzelner Sanktionen verzichtet (WIPO).

An der Schnittstelle zwischen dem Lauterkeits- und dem Immaterialgüterrecht sind das TRIPS und die Durchsetzungs-RL (RL 2004/48) zu beachten. Die Mitglieder des TRIPS sind gemäß Art. 41 TRIPS verpflichtet, bestimmte zivil- oder verwaltungsrechtliche Durchsetzungsverfahren (Art. 42 ff. TRIPS) vorzusehen, darunter einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen (Art. 50 TRIPS), Unterlassungsanordnungen (Art. 44 TRIPS) und die Verpflichtung zu Schadensersatz (Art. 45 TRIPS). Die Durchsetzungsrichtlinie enthält unter anderem konkrete Vorgaben zu einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen (Art. 9), zu Abhilfemaßnahmen (Art. 10) sowie zu Schadensersatzansprüchen (Art. 13).

Häufig stehen in den einzelnen europäischen Staaten zivilrechtliche, verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten kumulativ oder alternativ zur Verfügung. Teilweise, etwa in Italien oder in der tschechischen Republik, werden bestimmte unlautere Wettbewerbshandlungen (zum Beispiel Werbeverstöße) administrativ verfolgt, während andere Lauterkeitsverstöße zivilrechtlich sanktioniert sind. In Deutschland ist die Rechtsdurchsetzung im Bereich des Lauterkeitsrechts zivil- und strafrechtlich ausgestaltet. Das niederländische Wettbewerbsrecht ist demgegenüber ausschließlich zivilrechtlich sanktioniert. In einigen Ländern spielen bei der Sanktionierung unlauteren Wettbewerbs auch Selbstregulierungssysteme der Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Bekanntestes Beispiel ist die englische Advertising Standards Authority, die mit weit reichenden Befugnissen ausgestattet ist.

2. Rechtsfolgen

Unter den Rechtsfolgen unlauterer Wettbewerbshandlungen ist der Unterlassungsanspruch von zentraler Bedeutung. Der Unterlassungsanspruch richtet sich darauf, dass eine konkrete Verletzungshandlung in Zukunft nicht mehr begangen wird. Er dient damit der Abwehr künftiger Beeinträchtigungen und entsteht in Form des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs bereits dann, wenn eine konkrete Beeinträchtigung noch nicht eingetreten ist, sondern lediglich bevorsteht (vgl. Art. 11(2)1(b) UGP-RL). Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs ist das Bestehen einer Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr, wobei die Wiederholungsgefahr hinsichtlich gleichartiger Verletzungshandlungen aufgrund einer bereits erfolgten unlauteren Wettbewerbshandlung zumeist vermutet wird. Die Wiederholungsgefahr kann beispielsweise durch eine ernstliche, strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung beseitigt werden. Der Unterlassungsanspruch setzt nicht voraus, dass der Verletzer vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Besonders wichtig in der Praxis ist die Durchsetzung eines einstweiligen Unterlassungsanspruchs im beschleunigten Verfahren. Sofern der Rechtsschutz zivilrechtlich ausgestaltet ist, richtet sich die gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs in einigen Ländern nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften (zum Beispiel in Deutschland). Zum Teil existieren auch besondere Verfahren, wie das beim Handelsgerichtspräsidenten anzustrengende référé-Verfahren in Belgien. Bei der verwaltungsrechtlichen Ausprägung des Lauterkeitsrechts können auch staatliche Behörden zum Erlass von Unterlassungsanordnungen befugt sein. Beispiele dafür finden sich in Portugal und Italien.

Ein Anspruch auf Schadensersatz kommt in Betracht, wenn der Verletzer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine unlautere Wettbewerbshandlung begeht. Im Unterschied zum Unterlassungsanspruch setzt der Schadensersatzanspruch daher schuldhaftes Handeln des Verletzers voraus. Durch das schuldhafte unlautere Handeln muss ein Schaden verursacht worden sein. Als problematisch erweist sich in der Praxis oftmals die Bezifferung des tatsächlich entstandenen Schadens, welcher auch den entgangenen Gewinn umfasst. In einzelnen Ländern kann der entgangene Gewinn nach dem Ermessen des Gerichts geschätzt werden (zum Beispiel in Großbritannien und den Niederlanden). Zur Schadensberechnung wird zum Teil auch auf den vom Verletzer erzielten Gewinn abgestellt. In Konstellationen mit Bezug zum Immaterialgüterrecht besteht bei der Schadensbezifferung oftmals auch die Möglichkeit der Orientierung an dem Betrag, den der Verletzer zur Einholung der Erlaubnis für sein Handeln hätte entrichten müssen (fiktive Lizenzgebühr, vgl. auch Art. 13(1)2(b) DurchsetzungsRL).

Neben dem in der Praxis bedeutsamsten Unterlassungsanspruch und dem Anspruch auf Schadensersatz existiert noch eine Reihe weiterer Rechtsfolgen unlauterer Wettbewerbshandlungen. Dabei ist zunächst der Anspruch auf Beseitigung der durch die unlautere Handlung entstandenen Folgen zu nennen. Der Beseitigungsanspruch ist neben dem Unterlassungsanspruch ein zweiter verschuldensunabhängiger Anspruch. Der Inhalt des Beseitigungsanspruchs richtet sich nach der Art und dem Umfang der eingetretenen Beeinträchtigung. Wichtige Anwendungsfälle des Beseitigungsanspruchs sind der Anspruch auf Widerruf einer wettbewerbswidrigen Äußerung sowie der Anspruch auf Veröffentlichung berichtigender Erklärungen oder berichtigender Werbung. Der Beseitigung eines Störungszustandes dient auch der Anspruch auf Veröffentlichung von Entscheidungen der für die Verfolgung von Lauterkeitsverstößen zuständigen Gerichte bzw. Behörden, welcher auch in Art. 11(2)3(a) UGP-RL normiert ist.

In einzelnen europäischen Staaten bestehen neben den genannten Rechtsfolgen besondere Sanktionsmöglichkeiten. Zu nennen sind beispielhaft die Marktstörungsabgabe nach den §§ 22 ff. des schwed. Marktvertriebsgesetzes, der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 des dt. UWG oder die Pflicht zur Zahlung einer Geldsumme für einen sozialen Zweck nach Art. 18 des poln. Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Art. 18 des span. Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sieht die Möglichkeit vor, eine Klage auf Feststellung der Unlauterkeit der Handlung zu erheben.

Sofern einzelne Wettbewerbsverstöße strafbewehrt sind, erfolgt die Verfahrenseinleitung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Diese werden von Amts wegen, in manchen Ländern zum Teil auch nach Vorermittlungen besonderer Behörden (zum Beispiel der Direction générale de la concurrence et de la répression des fraudes in Frankreich) oder nur auf Antrag des Verletzten tätig. In einigen Ländern, darunter Deutschland, England und Irland, besteht für die Verletzten auch die Möglichkeit einer privaten Klage vor den Strafgerichten. Wettbewerbsverstöße können aus strafrechtlicher Sicht mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden. Im Falle der administrativen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts besteht neben Unterlassungs- und Beseitigungsanordnungen durch die zuständigen Behörden häufig die Möglichkeit zur Verhängung von Bußgeldern bei Wettbewerbsverstößen.

3. Aktiv- und Passivlegitimation

Bei der Frage nach der Berechtigung, gegen unlautere Wettbewerbshandlungen gerichtlich vorzugehen oder ein Verwaltungsverfahren einzuleiten, kann zwischen individuellem und kollektivem Rechtsschutz unterschieden werden. Als Einzelpersonen sind die betroffenen Mitbewerber des unlauter handelnden Konkurrenten in der Regel klage- bzw. antragsberechtigt. Vielfach besteht – jedenfalls theoretisch – auch für einzelne Verbraucher die Möglichkeit, gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen (Verbraucher und Verbraucherschutz). Die sekundärrechtlichen Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts verlangen, dass für Personen, die ein „berechtigtes Interesse“ an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs haben, entsprechende Möglichkeiten im Recht der Mitgliedstaaten vorhanden sein müssen (vgl. Art. 11(1)2 UGP-RL, Art. 5(1)2 IrreführungsRL). Eine besondere Rolle bei der Rechtsdurchsetzung in den skandinavischen Ländern spielt der Konsumentenombudsmann. Der Ombudsmann kann im Interesse der Verbraucher Klage erheben, teilweise jedoch auch selbst Maßnahmen und Regelungen gegen unlautere Wettbewerbshandlungen treffen.

Im Bereich der kollektiven Verfolgung von Wettbewerbsverstößen sind zumeist Verbraucherverbände, Verbände der gewerblichen Wirtschaft sowie andere Interessenvereinigungen aktivlegitimiert. Die Verbandsklage ist bei der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts insbesondere in den Konstellationen von Bedeutung, in denen Einzelpersonen von der Erhebung einer Klage oder der Einleitung eines Verfahrens absehen, etwa infolge wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Verletzer oder weil der entstandene Schaden lediglich gering ist. Bei der kollektiven Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen können Einschränkungen bestehen. Teilweise, insbesondere in straf- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren, sind auch spezielle staatliche Durchsetzungsbehörden aktivlegitimiert.

Passivlegitimiert ist jeder, der den Wettbewerbsverstoß selbst oder durch einen anderen begeht. Ansprüche können sich daneben auch gegen Personen richten, die zu einem fremden Wettbewerbsverstoß kausal beitragen, wobei insbesondere im Bereich der Medien, zum Beispiel bei der Veröffentlichung wettbewerbswidriger Werbeanzeigen, einschränkende Voraussetzungen gelten können.

Literatur

Gerhard Schricker (Hg.), Recht der Werbung in Europa, 1995; Frauke Henning-Bodewig, International Protection Against Unfair Competition: Art. 10bis Paris Convention, TRIPS and WIPO Model Provisions, International Review of Industrial Property and Copyright Law 1999, 166 ff.; eadem, Unfair Competition Law: European Union and Member States, 2006; Hans-Wolfgang Micklitz, EG F, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, Bd. 1, 2006; Roger W. de Vrey, Towards a European Unfair Competition Law, 2006; Otto Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl. 2007; Thomas M.J. Möllers, Andreas Heinemann (Hg.), The Enforcement of Competition Law in Europe, 2007; Helmut Köhler, §§ 8 ff. UWG, in: Wolfgang Hefermehl, idem, Joachim Bornkamm (Hg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 27. Aufl. 2009.

Abgerufen von Unlauterer Wettbewerb (Rechtsfolgen) – HWB-EuP 2009 am 24. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).