Seeverkehr (Personenbeförderungsverträge): Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 29. September 2021, 08:26 Uhr
von Peter Mankowski
1. Praktisches Vorkommen
Die Personenbeförderung zur See findet auf Fernstrecken kaum je mehr statt. Seit dem Aufkommen des Flugverkehrs in den 1930ern ist sie stetig dieser schnelleren Beförderungsart gewichen. Ihre größte Bedeutung hat sie typischerweise im Fährverkehr über Kurz- oder gegebenenfalls Mittelstrecken, zum Beispiel in der Ostsee von und nach Skandinavien sowie im Mittelmeer zwischen Italien und Griechenland. 39.9 Bill. p/km (Personenkilomenter) fielen 2006 in der EU an. Darin enthalten ist jedwede Art der Passagierbeförderung auf dem Wasser, also auch der regionale Fährverkehr. Die USA, Japan, China und Russland steuerten weitere 12 Bill. p/km bei. Charakteristisch ist die Prägung gerade durch die Beförderung. Geschuldet ist die Beförderung ans Ziel, nicht das bloße Bemühen.
Daneben begegnet Personenbeförderung zur See bei Kreuzfahrten oder sonstigen leisure tours, z.B. Gastfahrten auf Frachtschiffen. Dabei steht allerdings weniger der Transporterfolg, die Beförderung gerade von einem Ort zum anderen, im Vordergrund, sondern die Reise als solche und in ihrer Gesamtheit. Nur die jeweilige Umgebung, die location, spielt eine Rolle, etwa bei einer Kreuzfahrt in der Karibik oder im Nordmeer. Die Beförderung ist indes ein etwas gewichtigerer Aspekt bei Luxusfernreisen, z.B. auf der Queen Elisabeth II von Southampton nach New York oder umgekehrt.
2. Einheitsrecht: Athener Übereinkommen von 1974 und Protokoll von 2002
Anders als beim Seegütertransport (Seeverkehr (Gütertransportverträge)) hat sich Einheitsrecht für den Seepersonentransport erst spät entwickelt und zudem nicht flächendeckend durchzusetzen vermocht. Seit 1974 existiert das sog. Athener Übereinkommen, erarbeitet von der International Maritime Organization. Dazu gibt es ein Protokoll von 1976, das von Poincaré-Francs auf Sonderziehungsrechte (SZR) des Internationalen Währungsfonds als maßgebliche Einheit für die Haftung umstellt, und ein weiteres Protokoll von 2002. Vorgänger waren zwei nie in Kraft getretene Abkommen des Comité Maritime International von 1961 und 1967. Jedoch hat nur eine Minderzahl der EG-Mitgliedstaaten überhaupt das Athener Übereinkommen ratifiziert. Die Gemeinschaft wird dem Protokoll jedoch, nachdem infolge der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts die Außenkompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Abkommen auf sie übergegangen ist, beitreten. Dies impliziert den Beitritt zum Athener Regime insgesamt, denn das Protokoll kann nicht ohne das Übereinkommen als Basis angewendet werden.
a) Strukturen des Athener Übereinkommens von 1974
Das Athener Übereinkommen von 1974 beschränkt sich sachlich auf Schäden durch Tod oder Körperverletzung, Verlust oder Beschädigung von Gepäck und den Verzugsschaden für die verzögerte Auslieferung von Gepäck. Die Haftung ist zu Gunsten des Reisenden einseitig zwingende Mindesthaftung. Andererseits verschärfen sich Abgrenzungsprobleme, weil die erfassten Schäden nur auf der Grundlage des Übereinkommens geltend gemacht werden können. Die Haftung unter dem Übereinkommen folgt laut Art. 2(1) dem Verschuldensprinzip, allerdings mit partiellen Beweiserleichterungen für den Kläger durch zum Teil recht weitreichende Verschuldensvermutungen nach Art. 2(3). Der Verfrachter hat für seine Leute einzustehen. Anders als beim Seegütertransport (Seeverkehr (Gütertransportverträge)) gibt es keine Ausnahmen für nautisches Verschulden. Der vertragliche Beförderer haftet auch für Verschulden eines von ihm beauftragten ausführenden Beförderers (Art. 2 S.2). Der ausführende Beförderer haftet dem Reisenden gesamtschuldnerisch neben dem vertraglichen Beförderer, soweit er tätig geworden ist. Für Wertsachen wird nur bei besonderer Aufbewahrungspflicht gehaftet. Die Haftung ist ihrer Höhe nach bei Körperverletzung auf ursprünglich 700.000 Poincaré-Francs, mit dem Protokoll von 1976 auf 46.666 SZR beschränkt (Art. 7), bei Verlust oder Beschädigung von Gepäck auf zunächst 833 SZR für Kabinengepäck, 3.333 SZR für Kraftfahrzeuge einschließlich des auf oder in ihnen befindlichen Gepäcks, 1.200 SZR für sonstiges Gepäck (Art. 8). Auf Haftungsbegrenzungen zu Gunsten des Beförderers können sich auch Bedienstete und Beauftragte des Beförderers berufen, wenn sie in Anspruch genommen werden (Art. 11). Haftungsbegrenzungen stehen nach Art. 12 demjenigen nicht zu Gebote, der vorsätzlich oder rücksichtslos (recklessly and with knowledge that such damage would probably result) gehandelt hat. Den Gläubiger trifft die Obliegenheit, bei Ausschiffung bzw. Aushändigung von Gepäck für äußerlich erkennbare Gepäckschäden und binnen einer kurzen Frist ab Ausschiffung bzw. Aushändigung für äußerlich nicht erkennbare Gepäckschäden eine schriftliche Schadensanzeige zu machen (Art. 13). Verjährungs- und Gerichtsstandsregeln runden das Regime ab (Art. 16, 17).
b) Strukturen des Protokolls von 2002
Das Protokoll von 2002 bezweckt – wie schon das Vorgängerprotokoll von 1990 – in erster Linie, bei den Haftungssummen eine realistische Anpassung an die summenmäßige Entwicklung seit den siebziger Jahren zu bewirken. Zu unterscheiden sind eine verschuldensunabhängige Haftung und eine Verschuldenshaftung. Die verschuldensunabhängige Haftung greift für so genannte Schifffahrtsereignisse, d.h. Schäden, welche durch den Betrieb des Schiffes verursacht sind und bei denen die Möglichkeiten der Reisenden, Einfluss zu nehmen, sehr eingeschränkt sind. Für andere Personenschäden an Bord gilt eine Verschuldenshaftung. Für Schifffahrtsereignisse gibt es eine Haftungshöchstgrenze von EUR 287.500,- (SZR 250.000) für verschuldensunabhängige Haftung und eine weitere von EUR 460.000,- (SZR 400.000) für Haftung aus vermutetem Verschulden. Der Beförderer geht jedweder Haftungsbeschränkung verlustig und haftet unbeschränkt, wenn nachgewiesen ist, dass der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung des Beförderers zurückzuführen ist, die von ihm selbst entweder absichtsvoll oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen wurde, dass ein solcher Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (Art. 13). Die Versicherungspflicht ist eine wesentliche Neuerung im Protokoll von 2002; sie ist ausgeführt bis in Details des gerichtlichen Verfahrens.
3. Gemeinschaftsrecht: Athens Regulation
Die Personenbeförderung zur See ist jedenfalls auf Fernstrecken kein touristisches Massengeschäft. Auch Verspätungs- und Ausfallschäden halten sich in Grenzen, wenn sie überhaupt relevant werden. Daher hat sich die EG, obwohl es zumeist an einer einheitsrechtlichen Erfassung fehlt, erst spät veranlasst gesehen, eigene Verordnungen über Verbraucher- oder Passagierrechte im Seeverkehr zu schaffen. Das Projekt einer Verordnung, mit welcher – nach dem Vorbild der luftrechtlichen VO 2027/97, womit man Teile der Haftung von Luftfahrtunternehmen aus dem Warschau-Montrealer Regime in das Gemeinschaftsrecht kopierte – das Protokoll 2002 zum Athener Übereinkommen in das Gemeinschaftsrecht importiert werden sollte, war lange Zeit nicht über den Status eines Vorschlags hinaus gediehen (KOM(2005) 592 endg.) und machte mehrere Jahre lang keine Fortschritte. Es ist Baustein einer Politik, die Risiken angehen will, denen die Bürger in ihrem Alltagsleben ausgesetzt sind. Die sog. Athens Regulation ist im April 2009 ergangen und soll mit dem Inkrafttreten des Athener Übereinkommens für die Gemeinschaft, spätestens aber ab dem 31.12.2012 gelten.
Die Grundsätze der verfolgten Politik hat bereits die Kommissionsmitteilung zur Erhöhung der Sicherheit von Fahrgastschiffen (KOM(2002) 158 endg.) umrissen: Die Beförderer soll eine verschuldensunabhängige Haftung bis zu einer Höchstsumme treffen. Pflichtversicherungen haben diese abzudecken. Geschädigte sollen einen Direktanspruch gegen den Pflichtversicherer haben. Dieses Regime soll auch die Inlandsbeförderung innerhalb einzelner Mitgliedstaaten erfassen. Die ersten beiden Punkte entsprechen genau den Neuerungen innerhalb des Athener Systems durch das Protokoll von 2002. Die Kommission will eine Vollharmonisierung der Haftungssummen. Das Niveau soll genau jenes der Beträge im Protokoll von 2002 sein. Art. 4(1) Athens Regulation schneidet dementsprechend den Mitgliedstaaten die – vom Protokoll durchaus vorgesehene – Möglichkeit ab, höhere Haftungssummen einzuführen. Auf der anderen Seite geht Art. 5 Athens Regulation über das Protokoll hinaus, indem er Vorschusszahlungen analog den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen für Passagierrechte im Luft- und Eisenbahnverkehr vorsieht. Gleiches gilt für die in Art. 6 Athens Regulation vorgesehenen Informationspflichten. Insoweit ist klar erkennbar, dass sich die Gemeinschaft bemüht, ein kohärentes und möglichst einheitliches System von Passagierrechten für alle Transportmodi entstehen zu lassen.
4. Sonstiges Gemeinschaftsrecht
Im Übrigen erfasst das Gemeinschaftsrecht die Seepersonenbeförderung nicht gezielt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es überhaupt keine Relevanz besäße. Ausnahmsweise kann insbesondere eine Kreuzfahrt Teil einer Pauschalreise sein und dem Regime der Pauschalreise-RL (RL 90/314) unterfallen (Reisevertrag (Pauschalreisen)). Insoweit regiert ein nicht sektorspezifisches Gemeinschaftsrecht als Querschnittsregelung hinein. Das Regime für Pauschalreisen ist insoweit sachlich wie funktionell angemessen, denn bei Kreuzfahrten steht eben nicht die Beförderung als solche dominierend im Vordergrund, sondern entscheidend und prägend ist das Gesamtpaket von Leistungen.
5. Europäisches Privatrecht
Für das allgemeine europäische Privatrecht im eigentlichen Sinn ist die Personenbeförderung zur See eine zu spezielle Materie, als dass man sich ihr spezifisch zuwenden würde. Aus diesem Grunde finden sich eigenständige Aussagen zur Seepersonenbeförderung weder in den PECL noch in den Acquis Principles noch im Draft DCFR. Außerdem würde ein gewisser Respekt vor dem in diesem Bereich dominierenden Einheitsrecht herrschen, wenn man wirklich einzelne Vertragstypen einbeziehen wollte.
Literatur
Susan Schubert, Die Haftung für Reisende und ihr Gepäck auf Schiffen, 1981; Jürgen Basedow, Der Transportvertrag, 1987; Peter Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im Internationalen Privatrecht, 1995; René Rodière, Emmanuel du Pontavice, Droit maritime, 12. Aufl. 1997; Beate Czerwenka, Das Protokoll von 2002 zum Athener Übereinkommen von 1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See, ReiseRecht aktuell 2003, 158 ff.; Pierre Bonassies, Christian Scapel, Droit maritime, 2006; Sergio M. Carbone, Pierangelo Celle, Marco Lopez di Gonzalo, Diritto marittimo, 3. Aufl. 2006; Nicolai Lagoni, Die Haftung des Beförderers von Reisenden auf See und im Binnenschiffsverkehr und das Gemeinschaftsrecht, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 1079 ff.; Jens Karsten, European Passenger Law for Sea and Inland Waterway Transport, in: Christian Twigg-Flesner, Deborah Parry, Geraint Howells, Annette Nordhausen (Hg.), Yearbook of Consumer Law, 2008, 201 ff.; Erik Røsæg, The Athens Regulation and International Law, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 16 (2008) 599 ff; Jens Karsten, Im Fahrwasser der Athener Verordnung zu Seereisenden: Neuere Entwicklungen des europäischen Passagierrechts, Versicherung und Recht 2009, 213 ff.