Aufsicht über Finanzdienstleistungen und Aufsichtsrat/Board/Vorstand: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Jan von Hein]]''
von ''[[Klaus J. Hopt]]''
== 1. Einführung  ==
== 1. Leitung und Kontrolle durch Vorstand und Aufsichtsrat oder durch den ''Board''? ==
Die umfassende Harmonisierung des Bank- und Wertpapieraufsichtsrechts bildet den Kern des europäischen Bankrechts. Ein stabiler und funktionsfähiger Finanzdienstleistungssektor ist für die Verwirklichung der Grundfreiheiten der Bürger von fundamentaler Bedeutung. Dies gilt erst recht seit der Einführung des Euro. Überdies trägt die Harmonisierung des Bankaufsichtsrechts dazu bei, die Kosten für den Markteintritt ausländischer Anbieter zu senken und erweitert so die Nachfragefreiheit der Bankkunden. Das private Bankrecht ist hingegen bislang nur in einzelnen Bereichen angeglichen worden, namentlich in Bezug auf den Verbraucherkredit und den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr ([[Überweisungsverkehr (grenzüberschreitender)]]). Intensiv diskutiert wird aber eine Ausstrahlung der wertpapieraufsichtsrechtlichen Verhaltenspflichten auf das Zivilrecht.
Leitung und Kontrolle in der Aktiengesellschaft werden nicht mehr unmittelbar durch die Aktionäre, sondern für sie durch Organe der Aktiengesellschaft wahrgenommen. Dabei haben sich international zwei Systeme herausgebildet: das ''board''-System, das einstufig ist (''one tier'') und das zweistufige System von Vorstand und Aufsichtsrat (''two tier''). In Deutschland hat das letztere System mit einer grundsätzlichen, zwingenden Aufgabenteilung zwischen einem Leitungs- und einem Kontrollorgan eine weit über hundertjährige Geschichte und ist bei keiner Aktienrechtsreform ernsthaft in Frage gestellt worden. Trotzdem ist dieses sogenannte ''two tier''-System im internationalen Vergleich eher ein Sonderweg. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis, aber auch in der Schweiz und vielen anderen Ländern herrscht das ''one tier''-System mit nur einem einzigen Unternehmensleitungs- und ‑kontrollorgan, dem ''board''. Innerhalb desselben wird allerdings heutzutage häufig zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden bzw., weitergehend, unabhängigen ''directors'' getrennt. Wenn dann noch zusätzlich zwischen dem Amt des ''chief executive'' und des ''chairman of the board ''getrennt wird und auch kein unmittelbarer Wechsel von dem ersteren in das letztere stattfindet bzw. stattfinden soll und schließlich sogar unter den ''independent directors'' ein ''lead director'' gewählt wird, dann findet sich auch im einstufigen System eine Separierung von Leitung und Kontrolle.


== 2. Rechtsetzungsorgane, Regelungsprinzipien und Rechtsquellen ==
Über die Vor- und Nachteile beider Systeme wird heftig gestritten. Das zweistufige System hat den Vorteil einer klaren, auch institutionellen Trennung zwischen der Leitungs- und Kontrollaufgabe, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die diesbezüglichen Erwartungen des deutschen Gesetzgebers sich, wie die fortdauernde Aufsichtsratsdiskussion seit Ende des 19. Jahrhunderts und die zahlreichen Reformen und Reformvorschläge zeigen, nicht erfüllt haben. Der deutsche Aufsichtsrat ist nie ein bloßes Kontrollorgan gewesen, sondern hat immer auch über Netzwerkbildung und Beratung auf die Leitung Einfluss genommen. Auch ist die zwingende Trennung zwischen beiden Organen rechtlich nur eine formale. Aufsichtsratsmitglieder sind nicht ''eo ipso'' unabhängig, im traditionellen Rheinischen Kapitalismus schon ganz und gar nicht. Das einstufige System hat demgegenüber den Nachteil, dass alle Direktoren, auch die unabhängigen, letztlich für die Leitung verantwortlich sind, was die Kontrolle schwieriger macht. Es hat andererseits den Vorteil, dass auch die unabhängigen Direktoren voll und direkt in den Informationsfluss im Zentrum der Gesellschaft eingebunden sind, was nach manchen bei der Waage den Ausschlag gibt (''Paul Davies'').
=== a) Rechtsetzungsorgane ===
Die Entwicklung zu einem europäischen Bankaufsichtsrecht wurde und wird in wichtigen Punkten durch die – rechtlich strenggenommen nicht bindenden – Beschlüsse des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht zu den Mindeststandards der ''prudential regulation'' im Finanzdienstleistungsgewerbe vorgeprägt. Der Basler Ausschuss wurde im Jahre 1974 bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich eingerichtet. Er setzt sich aus Vertretern der Zentralbanken und Aufsichtsbehörden der zehn bedeutendsten westlichen Industriestaaten zusammen (sog. G 10). Das Ziel der Tätigkeit des Basler Ausschusses besteht in einer wechselseitigen Annäherung der nationalen Aufsichtsrechte. Hierdurch sollen zum einen die Kosten gesenkt werden, die für grenzüberschreitend tätige Kreditinstitute dadurch entstehen, dass sie der Aufsicht mehrerer Regulierungsbehörden unterliegen können. Darüber hinaus soll die Stabilität des Finanzsystems durch die globale Etablierung guter Aufsichtspraxis gefestigt werden. Schließlich wird die internationale Behördenkooperation durch eine Angleichung der Rechtsgrundlagen erleichtert. Herausragende praktische Bedeutung haben insbesondere die Basler Vorgaben für das notwendige Eigenkapital der Banken, zuletzt die Vereinbarung „Basel II“ vom 26.6.2004, die in der EU mit der Neufassung der Kapitaladäquanz-RL (RL 2006/49) rezipiert wurde. Die Tätigkeit des Basler Ausschusses bildet ein Beispiel dafür, dass der letztlich nicht-staatlichen Normschöpfung nicht nur in denjenigen Bereichen wachsende Relevanz zukommt, in denen die Parteien Privatautonomie genießen, sondern dass diese formal unverbindlichen Normen auch das öffentlich-rechtliche Wirtschaftsaufsichtsrecht der Mitgliedstaaten in zunehmendem Maße inhaltlich vorformen. Dies mag unter verfassungsrechtlichen und demokratietheoretischen Aspekten nicht unbedenklich sein, ist aber wegen der normativen Anbindung an den europäischen Richtliniengeber hinnehmbar und aus praktischen Gründen angesichts der hohen Technizität der Materie wohl kaum anders machbar.


=== b) Regelungsprinzipien ===
Wenn es somit einen klaren Vorrang des einen oder anderen Systems nicht gibt, sondern diese eher auf historischen Entwicklungen und Pfadabhängigkeiten beruhen und wenn andererseits die Trennung zwischen zwei Organen in mittleren und kleinen Gesellschaften zu aufwendig ist und in Deutschland für die GmbH ja auch nicht zwingend verlangt wird, dann liegt es nahe, den Gesellschaften selbst die Wahl zwischen beiden Systemen einzuräumen. Das ist in Frankreich mit zwei und in Italien mit sogar drei Wahlmöglichkeiten geschehen. Auch das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft sieht eine Wahlmöglichkeit zwischen dem ein- und dem zweistufigen System vor. Das wird auch für Deutschland für alle Aktiengesellschaften gefordert, auch wenn die (quasi)paritätische Mitbestimmung dabei Besonderheiten bedingt.
Die Harmonisierung des europäischen Bankaufsichtsrechts beruht auf drei Grundsätzen: der Mindestharmonisierung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften, der gegenseitigen Anerkennung der Zulassung von Kreditinstituten ([[Europäischer Pass]]) und der Kontrolle durch das Sitz- bzw. Herkunftsland. Der noch zu Beginn der 1970er Jahre unternommene ehrgeizige Versuch der Schaffung eines Europäischen Bankgesetzes scheiterte. Das Prinzip der Mindestharmonisierung durch Richtlinien trägt dem Umstand Rechnung, dass eine umfassende Vereinheitlichung des Bankaufsichtsrechts im Verordnungswege angesichts der vorhandenen nationalen Unterschiede (Universalbanken- und Trennbanksystem, Bankaufsicht durch die nationale Zentralbank, eine separate Bankaufsichtsbehörde oder eine einheitliche Finanzdienstleistungsaufsicht) weder wünschenswert noch durchsetzbar ist. Gleichzeitig soll aber ein auf die Absenkung des bankaufsichtsrechtlichen Niveaus gerichteter Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten (''race to the bottom'') verhindert werden. Der [[Europäischer Pass|Europäische Pass]] ermöglicht es Kreditinstituten, ihre Dienstleistungen europaweit anzubieten, ohne jeweils eine erneute Zulassung zu beantragen. Die Kontrolle durch das Herkunftsland schließlich stellt grundsätzlich sicher, dass die jeweilige Behörde, die die Zulassung erteilt, auch den laufenden Geschäftsbetrieb überwacht. Die Behörden des Mitgliedstaates sind weitgehend auf Kompetenzen für statistische Zwecke und auf ein Eingreifen in abschließend normierten Notfällen beschränkt. Ein Herkunftslandprinzip im kollisionsrechtlichen Sinne folgt daraus jedoch nicht; insoweit gelten auch für bankvertragliche Geschäfte die Kollisionsnormen der Rom I-VO (VO 593/2008; [[Bankrecht, internationales]]). Abgerundet wird die europäische Harmonisierung des Aufsichtsrechts durch die Angleichung der Einlagensicherung und der Anlegerentschädigung, die den Gläubigerschutz in der Krise gewährleisten sollen. Hinzu kommen aufsichts- und strafrechtliche Vorschriften zur Geldwäscheprävention.


Das Bankaufsichtsrecht war in Deutschland und zunächst auch auf EU-Ebene herkömmlich überwiegend institutsbezogen. Es setzte also bei der Bonität (Solvenz und Liquidität) der Institute an und suchte diese zu gewährleisten. Dieser institutionelle Ansatz konnte jedoch im Zuge der Ausweitung des Aufsichtsrechts auf Wertpapierdienstleister und andere Finanzinstitute, die nicht unter den engen europäischen Begriff des Kreditinstituts fallen, nicht durchgehalten werden. In anderen Mitgliedstaaten – vor allem in Großbritannien – werden traditionell bestimmte Geschäfte und Dienstleistungen nicht von Universalbanken, sondern von anderen Finanzinstituten erbracht. Daher knüpfen die Kapitaladäquanz-RL und die RL 2004/39 über [[Märkte für Finanzinstrumente]] (MiFID) sowie speziell für den Bereich der Finanzdienstleistungen zur Förderung der [[Transparenz]] von Kapitalmärkten die Marktmissbrauchs-RL (RL 2003/6; [[Marktmanipulation]]) an diese Aktivitäten an. Dies entspricht einem funktionalen Regelungsansatz. Darüber hinaus werden im europäischen Bankrecht vereinzelt auch bestimmte „Produkte“ der Kreditinstitute reglementiert, insbesondere beim Verbraucherkredit und im Investmentrecht (OGAW-RL). Das Investmentgeschäft gilt heute nicht mehr als spezifisches Bankgeschäft, sodass Investmentgesellschaften nicht mehr dem KWG, sondern allein dem InvG unterliegen.
Dazu, wie Leitung und Kontrolle im ein- oder zweistufigen System rechtlich geregelt werden können oder sollten, gibt es, wie die Aktienrechte und die ''Corporate Governance'' Kodices der verschiedenen Länder zeigen, sehr unterschiedliche Vorstellungen und Erfahrungen, die hier nicht näher dargestellt werden können ([[Aktiengesellschaft]]). Für Deutschland ergeben sie sich aus den Kommentierungen zum Aktienrecht und zum Deutsche ''Corporate Governance'' Kodex (DCGK). Beispiele sind die Leitungsmacht des Vorstands, die Bestellung und Abberufung von Vorstand und Aufsichtsrat, ihre Vergütung, unabhängige Direktoren, Beziehung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, die innere Ordnung beider Organe, insbesondere Ausschüsse, Sorgfalts- und Treuepflichten, Interessenkonflikte, Haftung u.a. Diese Fragen sind Teil der breiteren ''[[Corporate Governance]]'' Problematik.


=== c) Rechtsquellen ===
== 2. Banken und Mitbestimmung im Aufsichtsrat ==
Die meisten der zahlreichen seit 1977 erlassenen, mehrfach in wesentlichen Punkten geänderten Richtlinien zum Bankaufsichtsrecht wurden wiederholt aus Gründen der Übersichtlichkeit in einem konsolidierten Rechtsakt zusammengefasst, zuletzt 2006 in der RL 2006/48 über die Aufnahme und Tätigkeit der Kreditinstitute (Kreditinstitut-RL II). Diese Gesamtkodifikation bestimmt zunächst den Gegenstand, den Anwendungsbereich und die Terminologie des europäischen Bankaufsichtsrechts (Titel I). Sie regelt sodann die allgemeinen Bedingungen für die Aufnahme der Tätigkeit der Kreditinstitute und ihre Ausübung (Titel II). Der dritte Titel umfasst die Bestimmungen über die Ausübung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit durch Kredit- und Finanzinstitute. Daran schließen sich Bestimmungen über die Beziehungen zu Drittländern an (Titel IV). Die Grundsätze der Bankenaufsicht und die technischen Instrumente zu ihrer Durchführung werden detailliert in Titel V geregelt. Das erste Kapitel („Grundsätze“) definiert zunächst die Befugnisse des Herkunfts- und Aufnahmemitgliedstaates. Darauf folgen Vorschriften über den Informationsaustausch und das Berufsgeheimnis. Ferner werden unter den „Grundsätzen“ die Pflichten der Abschlussprüfer sowie die Sanktionsbefugnisse und die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln festgelegt. Das zweite Kapitel umfasst Einzelheiten zu den technischen Instrumenten der Bankenaufsicht, namentlich Eigenmittel, Risikovorsorge, Mindesteigenkapitalanforderungen zur Absicherung des Kreditrisikos bzw. des operationellen Risikos sowie Vorschriften über Großkredite und qualifizierte Beteiligungen außerhalb des Finanzbereichs. Das dritte Kapitel definiert die bankinternen Verfahren zur Bewertung der Eigenkapitalausstattung. Es folgen Vorschriften über die Beaufsichtigung, die Informationspflichten der Behörden und der Kreditinstitute sowie Einzelheiten zu den Ausübungsbefugnissen. Zahlreiche begriffliche und technische Einzelfragen, auf die in diesem Überblick nicht eingegangen werden kann, sind in den Anhängen I-XII der Richtlinie geregelt.
Bankenvertreter im Aufsichtsrat großer deutscher Aktiengesellschaften entsprachen einer in Deutschland herkömmlichen, verbreiteten Praxis. Überhaupt ist hierzulande der Einfluss der Banken auf die Unternehmen gegenüber anderen Ländern wie insbesondere den USA und Großbritannien erheblich. Kritisiert wird vor allem die Kombination von Kreditvergabe, Bankbeteiligungen, Vorsitz und Mandaten im Aufsichtsrat und Stimmrechtsvollmacht. Hinzu kommt noch der Einfluss, den die privaten Banken über ihre Investmenttochtergesellschaften haben. Unter dem Einfluss des Globalisierung und des Vordringens der Investmentbanken hat sich jedoch auch in Deutschland eine Entwicklung weg vom Rheinischen Kapitalismus ergeben, und die von den Banken gehaltenen Mandate, insbesondere die Vorsitze, sind zurückgegangen. Die in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbreitete Forderung, die „Macht der Banken“ einzuschränken, hat sich überholt.


Diese Kodifikation des institutsbezogenen Bankaufsichtsrechts wird in funktionaler Hinsicht flankiert von der RL über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID), deren Grundzüge andernorts dargestellt sind. Sie gilt für Wertpapierfirmen i.S.d. Art. 4(1) Nr. 1 MiFID, geregelte Märkte i.S.d. Art. 4(1) Nr. 14 MiFID sowie für die bereits durch die Kreditinstitut-RL erfassten Kreditinstitute nach Maßgabe des in Art. 1(2) MiFID festgelegten Umfangs.
Demgegenüber ist es in Deutschland bisher bei der Unternehmensmitbestimmung geblieben, auf Grund derer die deutschen Arbeitnehmer und Gewerkschaften Sitz und Stimme im Aufsichtsrat aller großen deutschen Kapitalgesellschaften haben (ab 1000 Arbeitnehmer hälftig, aber 500 drittelparitätisch). International gesehen ist diese Mitbestimmung in ihrer paritätischen bzw. quasiparitätischen Form ein deutscher und niederländischer Sonderweg geblieben. In den Niederlanden galt das paritätische Kooptationssystem interessanterweise nicht für multinationale Unternehmen, die dadurch abgeschreckt werden könnten, und es ist dort inzwischen zugunsten einer Drittelparität mit einer Verstärkung der Rechte des Betriebsrates aufgegeben worden. In anderen europäischen Ländern gilt die Arbeitnehmermitbestimmung seit jeher nur drittelparitätisch. Im anglo-amerikanischen Bereich wird sie von der Praxis und nachdrücklich auch von der ökonomischen Theorie strikt abgelehnt. Die Kontroverse hat mittlerweile auch auf die deutsche Diskussion übergegriffen, in der die Kritiker sich unter dem Eindruck des globalen Wettbewerbs und der Standortnachteile, die sich für Deutschland aus der im Ausland (zu Recht oder zu Unrecht) gefürchteten deutschen Mitbestimmung ergeben, in jüngster Zeit verstärkt artikulieren, während unter dem Eindruck der Finanzkrise in Deutschland sogar Forderungen nach noch mehr Mitbestimmung laut werden. Die Praxis, jedenfalls innerhalb von Deutschland, scheint sich mit der Mitbestimmung hingegen ganz gut arrangiert zu haben.


== 3. Aufsichtsbehörden ==
== 3. Europäische Vorgaben für Vorstand und Aufsichtsrat bzw. ''Board'' ==
=== a) Konvergenz zum single regulator? ===
a) Die [[Europäische Kommission]] hat sich seit Jahrzehnten um eine Harmonisierung des Kernaktienrechts bemüht. Der Vorschlag einer fünften Richtlinie, der sogenannten Struktur-RL (vom 9.10.1972, geändert am 19.8.1983 und 20.11.1991) befasste sich mit der Struktur der Aktiengesellschaft und den Befugnissen und Verpflichtungen ihrer Organe. Sein Hauptproblem lag aber in der Mitbestimmungsfrage. Der Vorschlag ist deshalb gescheitert und wird von der Kommission nicht mehr weiterverfolgt. Die Europäische Kommission hat sich stattdessen in ihrem Aktionsplan vom 21.5.2003 und mit den inzwischen umgesetzten Maßnahmen der ersten Stufe desselben verstärkt der ''[[Corporate Governance]] ''und dem Aktionärsschutz zugewandt.
Es wird seit längerem kontrovers diskutiert, ob die Strukturen der Finanzdienstleistungsaufsicht in den Mitgliedstaaten in Richtung auf ein einheitliches Modell konvergieren. Die Aufsicht über Finanzdienstleistungen war in Deutschland lange Zeit – und ist es zum Teil immer noch – sektoriell und geographisch zersplittert. Die Aufsicht über die Solvenz von Banken und Wertpapierdienstleistern oblag dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Bonn (BAKred). Die Marktaufsicht über den Wertpapierhandel hingegen lag in den Händen des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel in Frankfurt am Main (BAWe), das 1995 aufgrund der Umsetzung der europäischen Insider-Richtlinie und der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie in das deutsche Recht eingerichtet werden musste. Deutschland verfügt zudem, obwohl es sich bei dem Börsengesetz um ein Bundesgesetz handelt, über ein international eher seltenes System der Regionalbörsen in acht verschiedenen Bundesländern. Sofern dem BAWe keine Kompetenzen durch das Wertpapierhandelsgesetz zugewiesen waren, oblag die Börsenaufsicht den jeweiligen Landesbehörden. Im Jahre 2002 wurden das BAKred, das BAWe sowie das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen zu einem ''single regulator'', einer Allfinanzaufsichtsbehörde, zusammengefasst (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BaFin). Der Gesetzgeber versprach sich hiervon zum einen eine bessere Aufsicht über Finanzkonglomerate, zum anderen eine Effizienzsteigerung durch die Nutzung von Synergieeffekten. Bei der Schaffung der deutschen Allfinanzaufsicht wurde auch auf ausländische Vorbilder, namentlich aus Großbritannien (''Financial Services Authority'' – FSA), den nordischen Ländern sowie aus Japan zurückgegriffen. Es bleiben jedoch praktisch bedeutsame Unterschiede. Die Zersplitterung des deutschen Börsenaufsichtsrechts wurde durch die Reform nicht beseitigt. Während beispielsweise die FSA als zentrale Börsenaufsichtsbehörde fungiert, die auch über die Zulassung der Handelsteilnehmer zum Börsenhandel und das Listing der Unternehmen entscheidet, obliegen diese Aufgaben in Deutschland nicht der BaFin, sondern den jeweiligen Landesbehörden (bzw. den Börsen selbst unter der Rechtsaufsicht dieser Behörden). Andererseits werden in Deutschland Unternehmensübernahmen von der BaFin beaufsichtigt, während diese Aufgabe in Großbritannien von dem ''Takeover Panel'', einem Selbstregulierungsorgan der Londoner City, erfüllt wird. Selbst in dem bei der Schaffung der deutschen Allfinanzaufsicht politisch umstrittensten Bereich, der Bankenaufsicht, entspricht die BaFin weniger dem international typischen Fall eines vollintegrierten ''single regulators'' als einer traditionellen deutschen Regelungsmodellen angepassten, dual strukturierten Aufsicht. § 7 KWG n.F. hat die bisherige Zuständigkeitsverteilung zwischen Bundesbank und BaFin (zuvor BAKred) im Wesentlichen aufrechterhalten.


=== b) Die Rolle der Zentralbanken ===
b) Europäische Regeln über den Vorstand und Aufsichtsrat bzw. den ''board'' sind dagegen notwendigerweise in europäischen Gesellschaftsrechtsformen enthalten. So regelt die Verordnung vom 8.10.2001 über das Statut der [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäischen Aktiengesellschaft (SE)]] (VO 2157/2001) den Aufbau der SE. Diese muss entweder ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder ein Verwaltungsorgan (monistisches System), entsprechend der in der Satzung gewählten Form haben (Art. 38). Das Statut enthält dann ausführliche Vorschriften für das dualistische System (Art. 39-42) und das monistische System (Art. 43-45) und gemeinsame Vorschriften für beide Systeme (Art. 46-51). Zu diesem Statut tritt die Richtlinie vom selben Tag über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE hinzu. Diese europäischen Vorschriften sind mittlerweile in den Mitgliedstaaten umgesetzt, so dass auch in Deutschland die Aktionäre einer deutschen SE ein Wahlrecht zwischen dem zweistufigen und dem einstufigen System haben. Die Mitbestimmung in der SE basiert auf dem Prinzip der Verhandlung zwischen Kapital und Arbeit, die bis zu sechs Monaten dauern kann, und der Auffangregelung für den Fall, dass die Verhandlung scheitert. Dann bleibt es für die SE grundsätzlich bei dem am weitesten gehenden Mitbestimmungssystem unter den beteiligten Gesellschaften. Praktisch führt die SE-Mitbestimmung zur Beteiligung von ausländischen Arbeitnehmern und zu anderen international und ökonomisch angezeigten Erleichterungen im Vergleich zum deutschen System, so namentlich zu Aufsichtsräten mit weniger Mitgliedern (etwa Umwandlung der Allianz in eine SE).
Während die Geldpolitik im „Euroland“ auf supranationaler Ebene betrieben wird, bleibt die Bankaufsicht den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten überlassen. Das Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB) beschränkt die EZB auf eine konsultative Funktion. Art. 105(5) EG/127(5) AEUV legt das ESZB gegenüber den nationalen Behörden auf eine unterstützende Rolle fest. Art. 105(6) EG/127(6) AEUV sieht zwar eine Übertragung weiterer bankaufsichtsrechtlicher Befugnisse vor, knüpft diese aber an Hürden, die derzeit aus politischen Gründen nicht zu überwinden sein dürften.


Die Trennung von Aufgaben der Bankaufsicht und der monetären Politik ist aus deutscher Sicht zwar nicht ungewöhnlich: Die Aufsicht über die Kreditinstitute war schon vor der Europäischen Währungsunion (EWU) nicht der Bundesbank, sondern dem BAKred anvertraut, wenngleich der Bundesbank eine kooperative Rolle gesetzlich zugewiesen war und ist. Während diese Form der „funktionalen“ oder „horizontalen“ Trennung von Bankaufsicht einerseits, Geldpolitik andererseits nicht neu ist, ist das „geographische“ bzw. „vertikale“ Auseinanderfallen dieser Kompetenzen ohne Beispiel; in den USA, zu denen ein Vergleich naheliegt, sind beide Kompetenzen auf der Bundesebene, bei der ''Federal Reserve Bank'' (Fed) und dem ''Office of the Comptroller of the Currency'' (OCC), angesiedelt. Das europäische Experiment einer Kombination von supranational-zentraler Währungspolitik einerseits, national-dezentraler Bankaufsicht andererseits, ist zum Teil auf heftige Kritik gestoßen, die im Wesentlichen auf drei Punkten beruht: Die Bankaufsicht sei die originäre Aufgabe einer Zentralbank, nationale Aufsichtsbehörden würden eher zur Nachsicht mit ihren „Klienten“ neigen als eine zentrale Behörde (''regulatory capture''), und die gegenwärtige Struktur des ESZB sei für eine wirksame Bewältigung von Liquiditätskrisen zu schwerfällig und zu wenig transparent, weil nicht geklärt sei, wer im Ernstfall als ''lender of last resort'' zur Verfügung stehe. Zum Zwecke des besseren Informationsaustauschs auf internationaler Ebene wurde von der Kommission mit dem Beschluss 2004/5 der Ausschuss der europäischen Bankaufsichtsbehörden eingesetzt.
c) An europäischen Regelungen für Vorstand und Aufsichtsrat bzw. ''board'' von Aktiengesellschaften allgemein, also nicht nur der SE, sind vor allem zwei Richtlinien und zwei Empfehlungen zu nennen. Sie betreffen den Prüfungsausschuss bestimmter Unternehmen nach der Richtlinie vom 17.5.2006 (RL 2006/43), die Offenlegung und Haftung nach der Richtlinie vom 14.6.2006 (RL 2006/46), die Vergütung von Direktoren nach der Empfehlung vom 14.12.2004 und die Aufgaben von Aufsichtsratsmitgliedern und Ausschüssen nach der Empfehlung vom 15.2. 2005 und der die Vergütungs-Empfehlung ergänzenden Empfehlung vom 30.4.2009.


== 4. Aktuelle Reformvorhaben ==
(i) Nach der RL 2006/43 muss jedes Unternehmen von öffentlichem Interesse einen Prüfungsausschuss haben. Unternehmen von öffentlichem Interesse sind mitgliedstaatliche Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaates zugelassen sind, sowie Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses muss unabhängig sein und über Sachverstand in Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung (''financial literacy'') verfügen. Mitgliedstaaten können dazu weiter gehen. Was unabhängig ist, ist im Einzelnen definiert. Der Prüfungsausschuss hat den Rechnungslegungsprozess, die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems des Unternehmens und die Abschlussprüfung zu überwachen und die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers zu überprüfen und zu überwachen. Die Verantwortung der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens wird dadurch nicht berührt.
Bislang haben sich zwar die bei der Euro-Einführung vereinzelt beschworenen Schreckensszenarien (siehe oben 3. b) nicht bewahrheitet. Die Europäische Kommission hat jedoch als Reaktion auf die aktuelle Finanzkrise im Oktober 2008 eine Expertengruppe unter der Leitung des ehemaligen IWF-Direktors ''Jacques'' ''de Larosière ''<nowiki>eingesetzt (abrufbar unter <http://ec.europa.eu/ internal_market/finances/docs/de_larosiere_report_en.pdf>). Die von dieser High-Level-Group am 25.2.2009 vorgelegten Reformvorschläge sehen zwar weiterhin keine zentrale europäische Aufsichtsbehörde vor, doch werden umfangreiche Änderungen im Detail angemahnt. Die Finanzaufsicht in Europa soll durch eine stärkere Vernetzung von gesamtwirtschaftlicher Analyse und der Beaufsichtigung einzelner Unternehmen verbessert werden. Zudem sollen zwei neue EU-Gremien eingerichtet werden: Ein „Europäischer Rat für systemische Risiken“ (ESRC), der bei der EZB angesiedelt werden soll, und ein Europäisches System der Finanzaufsicht (ESFS). Dem ESRC sollen Vertreter der Zentralbanken in der EU, der Kommission sowie der europäischen und der nationalen Finanzaufsichtsbehörden angehören. Hierdurch werden eine substanzielle Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Behörden und die Errichtung eines Frühwarnsystems für Finanzmarktrisiken angestrebt. Zur Beaufsichtigung grenzüberschreitender Institute wird der Aufbau eines dezentralen Europäischen Systems der Finanzaufsicht bis zum Jahr 2012 angeregt.</nowiki>


== 5. Markteintritt ==
Nach der Ergänzungs-Empfehlung vom 30.4. 2009, die unter dem Eindruck der internationalen Kritik an überhöhten Managervergütungen ergangen ist, sollten unter anderem Höchstgrenzen für variable Vergütungskomponenten vorgesehen werden und diese an im Voraus festgelegte, messbare, langfristig angelegte Leistungskriterien geknüpft sein. Ein Großteil der variablen Vergütungskomponenten sollte während eines Mindestzeitraums nicht ausgezahlt werden. Abfindungen sollten in der Regel nicht mehr als zwei Jahreseinkommen aus der nicht variablen Vergütungskomponente betragen. Aktienoptionen sollten frühestens nach drei Jahren ausübbar sein und nicht an Aufsichtsratsmitglieder vergeben werden. Mindestens ein Mitglied des Vergütungsausschusses des Aufsichtsrats sollte über Fachkenntnis und Erfahrungen im Bereich der Vergütungspolitik verfügen. Zu den diesbezüglichen Regelungen im deutschen VorstAG und im Deutschen ''Corporate Governance'' Kodex siehe [[Private Rechtsetzung und Codes of Conduct|Private Rechtsetzung und ''Codes of Conduct'']].
=== a) Anbieter aus EU/EWR ===
Im europäischen Rahmen ist die genehmigungsfreie Zulassung bestimmter Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen eines Unternehmens (Kreditinstitut oder Wertpapierfirmen) mit Sitz im EU- oder EWR-Ausland durch das unter 2. erwähnte Prinzip der Herkunftslandkontrolle ([[Europäischer Pass]]) garantiert. Nach Art.&nbsp;25 der Kreditinstitut-RL&nbsp;II und Art.&nbsp;31 MiFID bedarf es lediglich einer Mitteilung an den Aufnahmemitgliedstaat durch die zuständige Behörde des Heimatlandes. Die von der Anerkennungspflicht erfassten und in Anhang&nbsp;I der Kreditinstitut-RL&nbsp;II aufgezählten Geschäftsarten sind sehr weitgehend. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gilt unter anderem für die Entgegennahme von Einlagen, die Kreditgewährung, das Finanzierungsleasing, die Ausgabe und Verwaltung von Zahlungsmitteln (Karten und Schecks), die Gewährung von Garantien, Wertpapiergeschäfte, das Emissionsgeschäft, die Portfolioverwaltung und die Wertpapieraufbewahrung und &#8209;verwaltung.


=== b) Anbieter aus Drittstaaten  ===
(ii)&nbsp;Die RL&nbsp;2006/46 enthält unter anderem Vorschriften über den von der Gesellschaft, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zugelassen sind, jährlich zu erstellenden ''Corporate Governance'' Bericht (Erklärung zur Unternehmensführung) und über die Pflicht und Haftung hinsichtlich der Aufstellung und der Veröffentlichung der Jahresabschlüsse, des Lageberichts, der konsolidierten Abschlüsse und des konsolidierten Lageberichts. Die Erklärung zur Unternehmensführung muss in den Lagebericht aufgenommen werden und hat unter anderem einen Verweis auf den Unternehmensführungskodex, dem die Gesellschaft unterliegt, und Abweichungen davon mit Begründungen sowie eine Beschreibung der wichtigsten Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems der Gesellschaft zu enthalten. Die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaften müssen kollektiv die Pflicht haben sicherzustellen, dass die Rechnungslegung den entsprechenden Anforderungen gemäß erstellt und veröffentlicht wird. Dafür sind sie zumindest gegenüber der Gesellschaft haftbar.
Anbieter von Finanzdienstleistungen oder Bankgeschäften aus Drittstaaten (d.h. weder EU noch EWR) bedürfen einer Erlaubnis der BaFin, wenn diese Dienstleistungen im Inland erbracht werden sollen (§&nbsp;32 KWG). Für die Anwendbarkeit der Erlaubnispflicht kommt es nicht auf den Sitz des Anbieters an (so der früher vielfach vertretene sog. institutsbezogene Ansatz), sondern auf die Ausrichtung der Tätigkeit auf Deutschland (sog. vertriebsbezogener Ansatz, heute h.M.). Hiermit soll die Aushöhlung aufsichtsrechtlicher Standards auf dem deutschen Markt durch in Drittstaaten ansässige Anbieter verhindert werden. Der vertriebsbezogene Ansatz verstößt nicht gegen die nach Art.&nbsp;56 EG/63 AEUV auch gegenüber Drittstaatenanbietern gewährleistete Kapitalverkehrsfreiheit, weil derartige Fälle vorwiegend die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit berühren (Art.&nbsp;49&nbsp;ff. EG/56&nbsp;ff AEUV), auf die sich Drittstaatenanbieter nicht berufen können (EuGH Rs.&nbsp;C-452/04 – ''Fidium Finanz AG'', Slg. 2006, I-9562).


== 6. Staatshaftung bei Verletzung der Aufsichtspflicht ==
(iii)&nbsp;Die Empfehlung vom 14.12.2004 versucht, eine angemessene Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften zu finden. Das allgemeine Konzept der Vergütung soll offengelegt werden, und die Hauptversammlung soll darüber beraten und Beschluss fassen. Die Bezüge der einzelnen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sollen individualisiert offen gelegt werden. Das ist auf dem Hintergrund zu sehen, dass die ''International Financial Reporting Standards ''(IFRS) ab 2005 verlangen, dass Aktienoptionen nach einer gängigen ''Fair Value''-Methode bewertet und als Personalaufwand über die Sperrfrist verrechnet werden. Die Empfehlung eines zumindest beratenden Beschlusses der Hauptversammlung über das Vergütungssystem, was auf britisches Vorbild zurückgeht, hat Deutschland ebensowenig wie die meisten Mitgliedstaaten umgesetzt.
Die BaFin nimmt ihre Aufgaben ausschließlich im öffentlichen Interesse wahr (§&nbsp;4&nbsp;Abs.&nbsp;4 FinDAG). Entsprechende Vorschriften existieren in zahlreichen Mitgliedstaaten. Daraus folgt, dass eine unzureichende Beaufsichtigung grundsätzlich keine staatshaftungsrechtlichen Ansprüche der geschädigten Anleger nach sich zieht. Eine derartige Einschränkung hat der EuGH trotz Kritik aus der Literatur unbeanstandet gelassen, da eine Harmonisierung der Haftung nicht notwendig sei, um die Zielsetzungen der Angleichung des Aufsichtsrechts, insbesondere die wechselseitige Anerkennung und Kontrolle durch den Herkunftsmitgliedstaat, zu verwirklichen (EuGH Rs.&nbsp;C-222/02 – ''Peter Paul u.a.'', Slg.&nbsp;2004, I-9460). Zudem erkennt der EuGH an, dass die Aufsichtsbehörden aufgrund der Komplexität der Bankenaufsicht und der Bedeutung des Schutzes der Stabilität des Finanzsystems über einen erheblichen Ermessensspielraum zur Abwägung der widerstreitenden Interessen verfügen müssen. Die aufsichtsrechtlichen Vorschriften des KWG haben grundsätzlich auch keinen drittschützenden Charakter i.S.v. §&nbsp;823&nbsp;Abs.&nbsp;2 BGB. Nennenswerte europäische Harmonisierungsimpulse für das Staats- oder gar das private Haftungsrecht sind aus dieser Richtung folglich nicht zu erwarten.


== 7. Zivilrechtliche Ausstrahlung der aufsichtsrechtlichen Verhaltenspflichten im Wertpapierhandel ==
(iv)&nbsp;Zentraler ist die Empfehlung vom 15.2. 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats. Wichtig für Deutschland ist, dass als Normfall empfohlen wird, dass der ausscheidende Vorstandsvorsitzende nicht unmittelbar Aufsichtsratsvorsitzender wird. Davon kann zwar abgewichen werden, aber das sollte begleitet werden von Informationen über die getroffenen Schutzvorkehrungen.
Vielfach befürwortet wird hingegen eine Ausstrahlung der aufsichtsrechtlichen Verhaltenspflichten im Wertpapierhandel (§§&nbsp;31&nbsp;ff. WpHG) auf das Zivilrecht. Hierdurch sollen Friktionen und Widersprüche zwischen dem aufsichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Pflichtenprogramm vermieden werden. Zahlreiche Autoren plädieren für eine Einstufung der entsprechenden Normen als Schutzgesetze im Rahmen des §&nbsp;823&nbsp;II BGB. Hieran wird indes die Absenkung der Haftbarkeitsschwelle auf bloße Fahrlässigkeit unabhängig von vertraglichen Beziehungen als nicht sachgerecht kritisiert. Der BGH hat die Frage lange offen gelassen (BGH 5.10.1999, BGHZ 142, 345, 356). Jüngst hat der BGH die Schutzgesetzeigenschaft von §&nbsp;32 Abs.&nbsp;2 Nr. 1 WpHG verneint, obwohl er zugleich anerkannt hat, dass der Anlegerschutz zumindest auch Sinn und Zweck der Norm sei. Denn im Gesamtsystem der Haftungsgrundlagen sei die Ausweitung des Vermögensschutzes zu Lasten einfacher Angestellter nicht vom Gesetzgeber intendiert (BGH 19.2.2008, BGHZ 175, 276). Des weiteren hat der BGH das Geldwäschegesetz nicht für ein Schutzgesetz gehalten, da dieses nur die Weiterverwendung von Erträgen aus Straftaten verhindern solle (BGH 6.5.2008, BGHZ 176, 281). Die auch von der Rechtsprechung favorisierte Alternative besteht darin, die wertpapierhandelsrechtlichen Verhaltenspflichten zur Konkretisierung der (vor&#8209;)vertraglichen Sorgfaltsmaßstäbe, insbesondere der vorvertraglichen Aufklärungs- und Beratungspflichten heranzuziehen (BGH a.a.O.; ferner BGH 8.5.2001, BGHZ 147, 343, 348). Angesichts der Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Haftungsrechten dürfte sich in diesen Fragen von selbst kaum ein europäischer Konsens einstellen.


== 8. Ausblick ==
Sodann sind als Norm mit Ausnahmen für kleine und mittlere Unternehmen ein Nominierungs-, ein Vergütungs- und ein Rechnungslegungsausschuss zu etablieren, in denen die Mehrheit der Mitglieder unabhängig sein soll. Unabhängig ist ein Mitglied der Unternehmensleitung, „wenn es in keiner geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zu der Gesellschaft, ihrem Mehrheitsaktionär oder deren Geschäftsführung steht, die einen Interessenkonflikt begründet, der sein Urteilsvermögen beeinflussen könnte.“ Anhang&nbsp;II der Empfehlung enthält dazu eine zweiseitige Liste zusätzlicher Hinweise für die Auslegung der in der Empfehlung niedergelegten Grundsätze, wonach u.a. folgende Umstände gegen Unabhängigkeit sprechen: Vorstandsmitglieder der Mutter oder Tochter innerhalb der letzten fünf Jahre; umfangmäßig bedeutende zusätzliche Vergütungen von Müttern oder Töchtern, insbesondere über ''stock options''<nowiki>; Repräsentanten der Mutter; umfangmäßig bedeutendes Geschäftsverhältnis mit Mutter oder Tochter, und zwar direkt oder als Partner, Anteilseigner, Direktor oder leitender Angestellter eines Unternehmens oder einer Organisation mit einem solchen Geschäftsverhältnis.</nowiki>
Die unmittelbaren Auswirkungen der bankaufsichtsrechtlichen Harmonisierung auf das europäische private Bankrecht sind zwar sehr begrenzt. Es sollte aber nicht unterschätzt werden, dass aufgrund des aufsichtsrechtlichen Herkunftslandprinzips in Verbindung mit der kollisionsrechtlich gewährleisteten Rechtswahlfreiheit der Anbieter (Art.&nbsp;3 und 6 Rom&nbsp;I-VO; [[Bankrecht, internationales]]) die Auswahl der Verbraucher zwischen verschiedenen Finanzdienstleistungsprodukten im Binnenmarkt beträchtlich erweitert worden ist. Insoweit schafft die Harmonisierung des Bankaufsichtsrechts die Grundlage, auf der sich ein [[Wettbewerb der Rechtsordnungen]] im privatrechtlichen Sinne erst entfalten kann.
 
Obwohl dann letztlich der Aufsichtsrat entscheidet, ob Unabhängigkeit anzunehmen ist, wäre die Umsetzung in Deutschland wegen der Beschneidung der Kontrollmöglichkeiten im Konzern und vor allem angesichts der (quasi) paritätischen Mitbestimmung ein tiefer Eingriff in das System. Diese Empfehlungen beruhen auf anglo-amerikanischen Vorstellungen und sind auf Gesellschaften ohne herrschende Aktionäre und ohne Mitbestimmung wie in den USA oder Großbritannien gemünzt. Bei einer Aktionärsstruktur wie typischerweise in Deutschland und in vielen kontinentaleuropäischen Ländern muss das zu Schwierigkeiten führen.
 
== 4. Forderungen nach weiteren europäischen Regelungen für Vorstand und Aufsichtsrat bzw. ''Board'' ==
Aus der Agenda des Aktionsplans vom 21.5.2003 stehen vor allem noch zwei Vorstand und Aufsichtsrat bzw. den ''board'' betreffende Regelungsprobleme aus. Dabei handelt es sich erstens um die Einführung der Möglichkeit einer Wahl zwischen einem dualistischen und einem monistischen System für alle börsennotierten Gesellschaften. Zweitens war die Stärkung der Verantwortung der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans mit den drei Untergruppen (Recht auf Sonderprüfung, Insolvenzverschleppungshaftung und Verbot der Tätigkeit als Direktor) vorgesehen. Für Deutschland hat das allerdings verhältnismäßig geringe Bedeutung, weil das Recht der Sonderprüfung verschiedentlich reformiert und mit dem MoMiG das Verbot der Tätigkeit als Direktor verstärkt worden ist. Darüber, ob die deutsche Insolvenzverschleppungshaftung ausreicht, besteht Streit. Diesbezügliche Pläne des Justizministeriums bei der GmbH-Reform konnten nicht realisiert werden.


==Literatur==
==Literatur==
''Franz-Christoph Zeitler'', Internationale Entwicklungslinien der Bankenaufsicht, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2001, 1397&nbsp;ff.; ''James R. Barth'','' Daniel E. Nolle'', ''Triphon Phumiwasana'', ''Glenn Yago'', A Cross-Country Analysis of the Bank Supervisory Framework and Bank Performance, in: Financial Markets, Institutions & Instruments 12&nbsp;(2003) 67&nbsp;ff.; ''Eilís Ferran'', Examining the UK’s Experience in Adopting the Single Financial Regulator Model, Brooklyn Journal of International Law 28 (2003) 257&nbsp;ff.; ''Rosa M. Lastra'', The Governance Structure for Financial Regulation and Supervision in Europe, Columbia Journal of European Law 10 (2003) 49&nbsp;ff.; ''Rainer Pitschas'', ''Stefanie Gille'', Rechtliche und institutionelle Entwicklungen der Finanzmarktaufsicht in der EU, Verwaltungsarchiv 94 (2003) 68&nbsp;ff.; ''Christoph Ohler'', Europäisches Bankaufsichtsrecht, in: Peter Derleder, Kai-Oliver Knops, Heinz-Georg Bamberger (Hg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2004, 1591&nbsp;ff.; ''Anton K. Schnyder'', Europäisches Banken- und Versicherungsrecht, 2005; ''Peter Troberg'', ''Doris Kolassa'', §§&nbsp;135-139, in: Herbert Schimansky, Hermann-Josef Bunte, Hans-Jürgen Lwowski (Hg.), Bankrechts-Handbuch, Bd.&nbsp;II, 2007; ''Eddy Wymeersch'', The Structure of Financial Supervision in Europe: About Single Financial Supervisors, Twin Peaks and Multiple Financial Supervisors, European Business Organization Law Review 8 (2007) 237&nbsp;ff.; ''Karl-Heinz Boos'', ''Reinfrid Fischer'', ''Hermann Schulte-Mattler'' (Hg.), Kreditwesengesetz, 2008.
''Paul Davies'', Struktur der Unternehmensführung in Großbritannien und Deutschland, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2001, 268&nbsp;ff.; ''Markus Roth'', Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001; ''High Level Group of Company Law Experts'', A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe: Report of the High Level Group of Company Law Experts, in: Guido Ferrarini, Klaus J. Hopt, Jaap Winter, Eddy Wymeersch (Hg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, Annex 3, 925&nbsp;ff.; ''Klaus J. Hopt'', ''Patrick C. Leyens'', Board Models in Europe, European Company and Financial Law Review 2004, 135&nbsp;ff.; ''Klaus J. Hopt'', ''Markus Roth'', ''Andrea Peddinghaus'', §§ 95-116 AktG, in: Klaus J. Hopt, H. Wiedemann (Hg.), Aktiengesetz, 4.&nbsp;Aufl. 2005;'' Patrick C. Leyens'', Information des Aufsichtsrats, Ökonomisch-funktionale Analyse und Rechtsvergleich zum englischen Board, 2006; ''Elmar Gerum'', Das deutsche Corporate Governance-System, 2007; ''Marcus Lutter'', ''Gerd Krieger'', Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5.&nbsp;Aufl. 2008; ''Henrik-Michael Ringleb'', ''Thomas'' ''Kremer'', ''Marcus'' ''Lutter'', ''Axel von Werder'', Deutscher Corporate Governance Kodex, 3.&nbsp;Aufl. 2008; ''Reinier Kraakman'', ''John Armour'', ''Paul Davies'', ''Luca Enriques'', ''Henry Hansmann'', ''Gérard'' ''Hertig'', ''Klaus J. Hopt'', ''Hideki'' ''Kanda'', ''Edward B. Rock'', Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. 2009.


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[[en:Board]]

Version vom 8. September 2021, 12:02 Uhr

von Klaus J. Hopt

1. Leitung und Kontrolle durch Vorstand und Aufsichtsrat oder durch den Board?

Leitung und Kontrolle in der Aktiengesellschaft werden nicht mehr unmittelbar durch die Aktionäre, sondern für sie durch Organe der Aktiengesellschaft wahrgenommen. Dabei haben sich international zwei Systeme herausgebildet: das board-System, das einstufig ist (one tier) und das zweistufige System von Vorstand und Aufsichtsrat (two tier). In Deutschland hat das letztere System mit einer grundsätzlichen, zwingenden Aufgabenteilung zwischen einem Leitungs- und einem Kontrollorgan eine weit über hundertjährige Geschichte und ist bei keiner Aktienrechtsreform ernsthaft in Frage gestellt worden. Trotzdem ist dieses sogenannte two tier-System im internationalen Vergleich eher ein Sonderweg. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis, aber auch in der Schweiz und vielen anderen Ländern herrscht das one tier-System mit nur einem einzigen Unternehmensleitungs- und ‑kontrollorgan, dem board. Innerhalb desselben wird allerdings heutzutage häufig zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden bzw., weitergehend, unabhängigen directors getrennt. Wenn dann noch zusätzlich zwischen dem Amt des chief executive und des chairman of the board getrennt wird und auch kein unmittelbarer Wechsel von dem ersteren in das letztere stattfindet bzw. stattfinden soll und schließlich sogar unter den independent directors ein lead director gewählt wird, dann findet sich auch im einstufigen System eine Separierung von Leitung und Kontrolle.

Über die Vor- und Nachteile beider Systeme wird heftig gestritten. Das zweistufige System hat den Vorteil einer klaren, auch institutionellen Trennung zwischen der Leitungs- und Kontrollaufgabe, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die diesbezüglichen Erwartungen des deutschen Gesetzgebers sich, wie die fortdauernde Aufsichtsratsdiskussion seit Ende des 19. Jahrhunderts und die zahlreichen Reformen und Reformvorschläge zeigen, nicht erfüllt haben. Der deutsche Aufsichtsrat ist nie ein bloßes Kontrollorgan gewesen, sondern hat immer auch über Netzwerkbildung und Beratung auf die Leitung Einfluss genommen. Auch ist die zwingende Trennung zwischen beiden Organen rechtlich nur eine formale. Aufsichtsratsmitglieder sind nicht eo ipso unabhängig, im traditionellen Rheinischen Kapitalismus schon ganz und gar nicht. Das einstufige System hat demgegenüber den Nachteil, dass alle Direktoren, auch die unabhängigen, letztlich für die Leitung verantwortlich sind, was die Kontrolle schwieriger macht. Es hat andererseits den Vorteil, dass auch die unabhängigen Direktoren voll und direkt in den Informationsfluss im Zentrum der Gesellschaft eingebunden sind, was nach manchen bei der Waage den Ausschlag gibt (Paul Davies).

Wenn es somit einen klaren Vorrang des einen oder anderen Systems nicht gibt, sondern diese eher auf historischen Entwicklungen und Pfadabhängigkeiten beruhen und wenn andererseits die Trennung zwischen zwei Organen in mittleren und kleinen Gesellschaften zu aufwendig ist und in Deutschland für die GmbH ja auch nicht zwingend verlangt wird, dann liegt es nahe, den Gesellschaften selbst die Wahl zwischen beiden Systemen einzuräumen. Das ist in Frankreich mit zwei und in Italien mit sogar drei Wahlmöglichkeiten geschehen. Auch das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft sieht eine Wahlmöglichkeit zwischen dem ein- und dem zweistufigen System vor. Das wird auch für Deutschland für alle Aktiengesellschaften gefordert, auch wenn die (quasi)paritätische Mitbestimmung dabei Besonderheiten bedingt.

Dazu, wie Leitung und Kontrolle im ein- oder zweistufigen System rechtlich geregelt werden können oder sollten, gibt es, wie die Aktienrechte und die Corporate Governance Kodices der verschiedenen Länder zeigen, sehr unterschiedliche Vorstellungen und Erfahrungen, die hier nicht näher dargestellt werden können (Aktiengesellschaft). Für Deutschland ergeben sie sich aus den Kommentierungen zum Aktienrecht und zum Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK). Beispiele sind die Leitungsmacht des Vorstands, die Bestellung und Abberufung von Vorstand und Aufsichtsrat, ihre Vergütung, unabhängige Direktoren, Beziehung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, die innere Ordnung beider Organe, insbesondere Ausschüsse, Sorgfalts- und Treuepflichten, Interessenkonflikte, Haftung u.a. Diese Fragen sind Teil der breiteren Corporate Governance Problematik.

2. Banken und Mitbestimmung im Aufsichtsrat

Bankenvertreter im Aufsichtsrat großer deutscher Aktiengesellschaften entsprachen einer in Deutschland herkömmlichen, verbreiteten Praxis. Überhaupt ist hierzulande der Einfluss der Banken auf die Unternehmen gegenüber anderen Ländern wie insbesondere den USA und Großbritannien erheblich. Kritisiert wird vor allem die Kombination von Kreditvergabe, Bankbeteiligungen, Vorsitz und Mandaten im Aufsichtsrat und Stimmrechtsvollmacht. Hinzu kommt noch der Einfluss, den die privaten Banken über ihre Investmenttochtergesellschaften haben. Unter dem Einfluss des Globalisierung und des Vordringens der Investmentbanken hat sich jedoch auch in Deutschland eine Entwicklung weg vom Rheinischen Kapitalismus ergeben, und die von den Banken gehaltenen Mandate, insbesondere die Vorsitze, sind zurückgegangen. Die in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbreitete Forderung, die „Macht der Banken“ einzuschränken, hat sich überholt.

Demgegenüber ist es in Deutschland bisher bei der Unternehmensmitbestimmung geblieben, auf Grund derer die deutschen Arbeitnehmer und Gewerkschaften Sitz und Stimme im Aufsichtsrat aller großen deutschen Kapitalgesellschaften haben (ab 1000 Arbeitnehmer hälftig, aber 500 drittelparitätisch). International gesehen ist diese Mitbestimmung in ihrer paritätischen bzw. quasiparitätischen Form ein deutscher und niederländischer Sonderweg geblieben. In den Niederlanden galt das paritätische Kooptationssystem interessanterweise nicht für multinationale Unternehmen, die dadurch abgeschreckt werden könnten, und es ist dort inzwischen zugunsten einer Drittelparität mit einer Verstärkung der Rechte des Betriebsrates aufgegeben worden. In anderen europäischen Ländern gilt die Arbeitnehmermitbestimmung seit jeher nur drittelparitätisch. Im anglo-amerikanischen Bereich wird sie von der Praxis und nachdrücklich auch von der ökonomischen Theorie strikt abgelehnt. Die Kontroverse hat mittlerweile auch auf die deutsche Diskussion übergegriffen, in der die Kritiker sich unter dem Eindruck des globalen Wettbewerbs und der Standortnachteile, die sich für Deutschland aus der im Ausland (zu Recht oder zu Unrecht) gefürchteten deutschen Mitbestimmung ergeben, in jüngster Zeit verstärkt artikulieren, während unter dem Eindruck der Finanzkrise in Deutschland sogar Forderungen nach noch mehr Mitbestimmung laut werden. Die Praxis, jedenfalls innerhalb von Deutschland, scheint sich mit der Mitbestimmung hingegen ganz gut arrangiert zu haben.

3. Europäische Vorgaben für Vorstand und Aufsichtsrat bzw. Board

a) Die Europäische Kommission hat sich seit Jahrzehnten um eine Harmonisierung des Kernaktienrechts bemüht. Der Vorschlag einer fünften Richtlinie, der sogenannten Struktur-RL (vom 9.10.1972, geändert am 19.8.1983 und 20.11.1991) befasste sich mit der Struktur der Aktiengesellschaft und den Befugnissen und Verpflichtungen ihrer Organe. Sein Hauptproblem lag aber in der Mitbestimmungsfrage. Der Vorschlag ist deshalb gescheitert und wird von der Kommission nicht mehr weiterverfolgt. Die Europäische Kommission hat sich stattdessen in ihrem Aktionsplan vom 21.5.2003 und mit den inzwischen umgesetzten Maßnahmen der ersten Stufe desselben verstärkt der Corporate Governance und dem Aktionärsschutz zugewandt.

b) Europäische Regeln über den Vorstand und Aufsichtsrat bzw. den board sind dagegen notwendigerweise in europäischen Gesellschaftsrechtsformen enthalten. So regelt die Verordnung vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) (VO 2157/2001) den Aufbau der SE. Diese muss entweder ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder ein Verwaltungsorgan (monistisches System), entsprechend der in der Satzung gewählten Form haben (Art. 38). Das Statut enthält dann ausführliche Vorschriften für das dualistische System (Art. 39-42) und das monistische System (Art. 43-45) und gemeinsame Vorschriften für beide Systeme (Art. 46-51). Zu diesem Statut tritt die Richtlinie vom selben Tag über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE hinzu. Diese europäischen Vorschriften sind mittlerweile in den Mitgliedstaaten umgesetzt, so dass auch in Deutschland die Aktionäre einer deutschen SE ein Wahlrecht zwischen dem zweistufigen und dem einstufigen System haben. Die Mitbestimmung in der SE basiert auf dem Prinzip der Verhandlung zwischen Kapital und Arbeit, die bis zu sechs Monaten dauern kann, und der Auffangregelung für den Fall, dass die Verhandlung scheitert. Dann bleibt es für die SE grundsätzlich bei dem am weitesten gehenden Mitbestimmungssystem unter den beteiligten Gesellschaften. Praktisch führt die SE-Mitbestimmung zur Beteiligung von ausländischen Arbeitnehmern und zu anderen international und ökonomisch angezeigten Erleichterungen im Vergleich zum deutschen System, so namentlich zu Aufsichtsräten mit weniger Mitgliedern (etwa Umwandlung der Allianz in eine SE).

c) An europäischen Regelungen für Vorstand und Aufsichtsrat bzw. board von Aktiengesellschaften allgemein, also nicht nur der SE, sind vor allem zwei Richtlinien und zwei Empfehlungen zu nennen. Sie betreffen den Prüfungsausschuss bestimmter Unternehmen nach der Richtlinie vom 17.5.2006 (RL 2006/43), die Offenlegung und Haftung nach der Richtlinie vom 14.6.2006 (RL 2006/46), die Vergütung von Direktoren nach der Empfehlung vom 14.12.2004 und die Aufgaben von Aufsichtsratsmitgliedern und Ausschüssen nach der Empfehlung vom 15.2. 2005 und der die Vergütungs-Empfehlung ergänzenden Empfehlung vom 30.4.2009.

(i) Nach der RL 2006/43 muss jedes Unternehmen von öffentlichem Interesse einen Prüfungsausschuss haben. Unternehmen von öffentlichem Interesse sind mitgliedstaatliche Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaates zugelassen sind, sowie Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses muss unabhängig sein und über Sachverstand in Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung (financial literacy) verfügen. Mitgliedstaaten können dazu weiter gehen. Was unabhängig ist, ist im Einzelnen definiert. Der Prüfungsausschuss hat den Rechnungslegungsprozess, die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems des Unternehmens und die Abschlussprüfung zu überwachen und die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers zu überprüfen und zu überwachen. Die Verantwortung der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des geprüften Unternehmens wird dadurch nicht berührt.

Nach der Ergänzungs-Empfehlung vom 30.4. 2009, die unter dem Eindruck der internationalen Kritik an überhöhten Managervergütungen ergangen ist, sollten unter anderem Höchstgrenzen für variable Vergütungskomponenten vorgesehen werden und diese an im Voraus festgelegte, messbare, langfristig angelegte Leistungskriterien geknüpft sein. Ein Großteil der variablen Vergütungskomponenten sollte während eines Mindestzeitraums nicht ausgezahlt werden. Abfindungen sollten in der Regel nicht mehr als zwei Jahreseinkommen aus der nicht variablen Vergütungskomponente betragen. Aktienoptionen sollten frühestens nach drei Jahren ausübbar sein und nicht an Aufsichtsratsmitglieder vergeben werden. Mindestens ein Mitglied des Vergütungsausschusses des Aufsichtsrats sollte über Fachkenntnis und Erfahrungen im Bereich der Vergütungspolitik verfügen. Zu den diesbezüglichen Regelungen im deutschen VorstAG und im Deutschen Corporate Governance Kodex siehe Private Rechtsetzung und Codes of Conduct.

(ii) Die RL 2006/46 enthält unter anderem Vorschriften über den von der Gesellschaft, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zugelassen sind, jährlich zu erstellenden Corporate Governance Bericht (Erklärung zur Unternehmensführung) und über die Pflicht und Haftung hinsichtlich der Aufstellung und der Veröffentlichung der Jahresabschlüsse, des Lageberichts, der konsolidierten Abschlüsse und des konsolidierten Lageberichts. Die Erklärung zur Unternehmensführung muss in den Lagebericht aufgenommen werden und hat unter anderem einen Verweis auf den Unternehmensführungskodex, dem die Gesellschaft unterliegt, und Abweichungen davon mit Begründungen sowie eine Beschreibung der wichtigsten Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems der Gesellschaft zu enthalten. Die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaften müssen kollektiv die Pflicht haben sicherzustellen, dass die Rechnungslegung den entsprechenden Anforderungen gemäß erstellt und veröffentlicht wird. Dafür sind sie zumindest gegenüber der Gesellschaft haftbar.

(iii) Die Empfehlung vom 14.12.2004 versucht, eine angemessene Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften zu finden. Das allgemeine Konzept der Vergütung soll offengelegt werden, und die Hauptversammlung soll darüber beraten und Beschluss fassen. Die Bezüge der einzelnen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sollen individualisiert offen gelegt werden. Das ist auf dem Hintergrund zu sehen, dass die International Financial Reporting Standards (IFRS) ab 2005 verlangen, dass Aktienoptionen nach einer gängigen Fair Value-Methode bewertet und als Personalaufwand über die Sperrfrist verrechnet werden. Die Empfehlung eines zumindest beratenden Beschlusses der Hauptversammlung über das Vergütungssystem, was auf britisches Vorbild zurückgeht, hat Deutschland ebensowenig wie die meisten Mitgliedstaaten umgesetzt.

(iv) Zentraler ist die Empfehlung vom 15.2. 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats. Wichtig für Deutschland ist, dass als Normfall empfohlen wird, dass der ausscheidende Vorstandsvorsitzende nicht unmittelbar Aufsichtsratsvorsitzender wird. Davon kann zwar abgewichen werden, aber das sollte begleitet werden von Informationen über die getroffenen Schutzvorkehrungen.

Sodann sind als Norm mit Ausnahmen für kleine und mittlere Unternehmen ein Nominierungs-, ein Vergütungs- und ein Rechnungslegungsausschuss zu etablieren, in denen die Mehrheit der Mitglieder unabhängig sein soll. Unabhängig ist ein Mitglied der Unternehmensleitung, „wenn es in keiner geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zu der Gesellschaft, ihrem Mehrheitsaktionär oder deren Geschäftsführung steht, die einen Interessenkonflikt begründet, der sein Urteilsvermögen beeinflussen könnte.“ Anhang II der Empfehlung enthält dazu eine zweiseitige Liste zusätzlicher Hinweise für die Auslegung der in der Empfehlung niedergelegten Grundsätze, wonach u.a. folgende Umstände gegen Unabhängigkeit sprechen: Vorstandsmitglieder der Mutter oder Tochter innerhalb der letzten fünf Jahre; umfangmäßig bedeutende zusätzliche Vergütungen von Müttern oder Töchtern, insbesondere über stock options; Repräsentanten der Mutter; umfangmäßig bedeutendes Geschäftsverhältnis mit Mutter oder Tochter, und zwar direkt oder als Partner, Anteilseigner, Direktor oder leitender Angestellter eines Unternehmens oder einer Organisation mit einem solchen Geschäftsverhältnis.

Obwohl dann letztlich der Aufsichtsrat entscheidet, ob Unabhängigkeit anzunehmen ist, wäre die Umsetzung in Deutschland wegen der Beschneidung der Kontrollmöglichkeiten im Konzern und vor allem angesichts der (quasi) paritätischen Mitbestimmung ein tiefer Eingriff in das System. Diese Empfehlungen beruhen auf anglo-amerikanischen Vorstellungen und sind auf Gesellschaften ohne herrschende Aktionäre und ohne Mitbestimmung wie in den USA oder Großbritannien gemünzt. Bei einer Aktionärsstruktur wie typischerweise in Deutschland und in vielen kontinentaleuropäischen Ländern muss das zu Schwierigkeiten führen.

4. Forderungen nach weiteren europäischen Regelungen für Vorstand und Aufsichtsrat bzw. Board

Aus der Agenda des Aktionsplans vom 21.5.2003 stehen vor allem noch zwei Vorstand und Aufsichtsrat bzw. den board betreffende Regelungsprobleme aus. Dabei handelt es sich erstens um die Einführung der Möglichkeit einer Wahl zwischen einem dualistischen und einem monistischen System für alle börsennotierten Gesellschaften. Zweitens war die Stärkung der Verantwortung der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans mit den drei Untergruppen (Recht auf Sonderprüfung, Insolvenzverschleppungshaftung und Verbot der Tätigkeit als Direktor) vorgesehen. Für Deutschland hat das allerdings verhältnismäßig geringe Bedeutung, weil das Recht der Sonderprüfung verschiedentlich reformiert und mit dem MoMiG das Verbot der Tätigkeit als Direktor verstärkt worden ist. Darüber, ob die deutsche Insolvenzverschleppungshaftung ausreicht, besteht Streit. Diesbezügliche Pläne des Justizministeriums bei der GmbH-Reform konnten nicht realisiert werden.

Literatur

Paul Davies, Struktur der Unternehmensführung in Großbritannien und Deutschland, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2001, 268 ff.; Markus Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001; High Level Group of Company Law Experts, A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe: Report of the High Level Group of Company Law Experts, in: Guido Ferrarini, Klaus J. Hopt, Jaap Winter, Eddy Wymeersch (Hg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, Annex 3, 925 ff.; Klaus J. Hopt, Patrick C. Leyens, Board Models in Europe, European Company and Financial Law Review 2004, 135 ff.; Klaus J. Hopt, Markus Roth, Andrea Peddinghaus, §§ 95-116 AktG, in: Klaus J. Hopt, H. Wiedemann (Hg.), Aktiengesetz, 4. Aufl. 2005; Patrick C. Leyens, Information des Aufsichtsrats, Ökonomisch-funktionale Analyse und Rechtsvergleich zum englischen Board, 2006; Elmar Gerum, Das deutsche Corporate Governance-System, 2007; Marcus Lutter, Gerd Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008; Henrik-Michael Ringleb, Thomas Kremer, Marcus Lutter, Axel von Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 3. Aufl. 2008; Reinier Kraakman, John Armour, Paul Davies, Luca Enriques, Henry Hansmann, Gérard Hertig, Klaus J. Hopt, Hideki Kanda, Edward B. Rock, Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. 2009.