Geistiges Eigentum und Wettbewerbsbeschränkung: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 31. August 2021, 18:07 Uhr

von Beatriz Conde Gallego

1. Schutz des geistigen Eigentums und Schutz des Wettbewerbs

Der Schutz des geistigen Eigentums und der Schutz des Wettbewerbs stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Immaterialgüterrechte gewähren dem Schutzrechtsinhaber das zeitlich begrenzte Recht zur alleinigen Nutzung eines bestimmten geistigen Guts. Damit sollen Anreize zu Innovationen bzw. zu schöpferischen Leistungen geschaffen werden, die aufgrund des Charakters von Wissen (Ideen, Kenntnisse, Informationen) als öffentliches Gut sonst nicht oder nur in ungenügender Weise geschaffen worden wären. Gleichzeitig aber eröffnen Immaterialgüterrechte dem Schutzrechtsinhaber einen Bereich wettbewerblichen Verhaltens, in dem er seine Mitbewerber ausschließen darf. Die Gewährung eines solchen gesetzlichen Monopols lässt sich auf den ersten Blick nur schwer mit dem Gedanken der Wettbewerbsfreiheit in Einklang bringen.

Die Auseinandersetzungen über das Verhältnis zwischen dem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen und den Immaterialgüterrechten reichen weit zurück. Schon früh und über lange Zeit wurden die Ziele von Immaterialgüter- und Wettbewerbschutz als antagonistisch empfunden. Während Immaterialgüterrechte den Einzelnen für seine geistig-gewerbliche Leistung belohnen sollten, sorgte das Kartellrecht für die Einhaltung des Wettbewerbs gerade dadurch, dass es die Bildung von Monopolstellungen verhinderte oder kontrollierte.

Die Einbeziehung des technischen Fortschritts als einem der wesentlichen Faktoren des Wettbewerbsprozesses in den 1950er und 1960er Jahren führte zu einer neuen Auffassung des Verhältnisses zwischen beiden Rechtsgebieten: Auch wenn auf kurze Frist eine Antinomie zwischen Schutzrechts- und Wettbewerbsgewährleistung existieren mag, besteht zwischen ihnen eine langfristige Zielharmonie. Das System des Immaterialgüterschutzes schafft durch die Einräumung von ausschließlichen Positionen erst die Voraussetzung für die Realisierung eines oft risikobehafteten Innovationsaufwandes. Der dadurch geförderte technische Fortschritt erzeugt eine Verschärfung des Wettbewerbs auf der Ebene von Forschung und Entwicklung, welcher wiederum die Notwendigkeit weiterer Innovationen mit sich bringt. Beide – Immaterialgüterschutz und Freiheit des Wettbewerbs – sind also auf die Förderung der Innovationstätigkeit ausgelegt.

Zwar besteht zwischen Immaterialgüterschutz und Wettbewerbsfreiheit kein rechtspolitischer Zielkonflikt. Spannungen zwischen beiden sind jedoch nicht ausgeschlossen, denn sie verfolgen das gleiche Ziel, setzen dafür aber unterschiedliche Mittel ein. Das Verhältnis von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht wird daher in jüngster Zeit als komplementär bezeichnet. Geistiges Eigentum und Wettbewerbsschutz sind dieser Sichtweise nach als gleichwertige und notwendige Bestandteile einer dynamischen Rechts- und Wirtschaftsordnung zu sehen. Immaterialgüterrechte sichern sie, indem sie dem Einzelnen bestimmte geistige Güter zuordnen und hierdurch die Voraussetzungen für den Wettbewerb um diese Güter schaffen. Dadurch bestimmen sie die Inhalte dieses Wettbewerbs. Sie entfalten jedoch ihre positive Wirkung nicht schlechterdings und unbegrenzt, sondern sind stets auf wirksamen Wettbewerb angewiesen. Dort, wo es zu Reibungen kommt, geht es vor allem um die Suche nach brauchbaren Kriterien, welche kartell- und schutzrechtliche Interessen zu einem allseits zufriedenstellenden Ausgleich bringen.

Dabei wird allgemein von zwei Grundgedanken ausgegangen. Erstens unterliegen Immaterialgüterrechte den gleichen wettbewerbsrechtlichen Grundregeln, die auch für Rechte an körperlichem Eigentum gelten. Sie sind trotz ihrer Besonderheiten weder besonders verdächtig noch besonders schützbedürftig. Es ergibt sich daraus – und hier kommt man zum zweiten Grundsatz –, dass Immaterialgüterrechte allein keine marktmächtige Stellung des Schutzrechtsinhabers begründen. Legales und wirtschaftliches Monopol können, müssen sich aber nicht entsprechen. Es ist deshalb zutreffender, bei Immaterialgüterrechten nicht von gesetzlichen Monopolen, sondern (nur) von Ausschließlichkeitsrechten zu sprechen.

2. Anwendung der Wettbewerbsregeln auf schutzrechtsbezogene Wettbewerbsbeschränkungen

Im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen – so z.B. das deutsche Recht bis zur 7. GWB-Novelle von 2005 (§§ 17, 18 GWB a.F.) oder das schweizerische Recht (Art. 3 Abs. 2 Kartellgesetz) – kennt das primäre Gemeinschaftsrecht keine Sonderregeln für Immaterialgüterrechte. Art. 81 ff. EG/‌101 ff. AEUV sind auf den Erwerb, die Ausübung oder die Verwertung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten bei Vorliegen ihrer tatbestandsmäßigen Voraussetzungen uneingeschränkt anwendbar. Frühere Versuche der Literatur, Immaterialgüterrechte und ihre vertragliche bzw. einseitige Verwertung der Anwendung der Wettbewerbsregeln zu entziehen, sind vom EuGH entschieden zurückgewiesen worden. Der Gerichtshof entwickelte dabei die Unterscheidung zwischen dem vom Gemeinschaftsrecht unberührten Bestand und der gemeinschaftsrechtlich kontrollierbaren Ausübung des Schutzrechts (EuGH verb. Rs. 56 und 58/‌64 – Grundig und Consten, Slg. 1966, 321). Da sich der konkrete Bestand eines Immaterialgüterrechts gerade in den von ihm gewährten Ausübungsrechten manifestiert, bleibt jedoch diese Unterscheidung über ihren Kompetenzregelungsgehalt hinaus kaum mehr als eine Leerformel. Inhaltlich maßgeblich für die kartellrechtliche Beurteilung immaterialgüterrechtlicher Ausschlussbefugnisse ist vielmehr, ob die Ausübung zur Wahrung von Rechten erforderlich ist, die den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts ausmachen. Dabei belässt es der Gerichtshof allerdings nicht bei dem formalen Hinweis auf den spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts, sondern nimmt stets eine Analyse des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs der schutzrechtsbezogenen Verhaltensweise vor.

Anders als auf nationaler Ebene wird die Suche nach Kriterien zur Lösung des Konfliktes zwischen Immaterialgüter- und Wettbewerbsschutz auf gemeinschaftlicher Ebene durch ein weiteres Element erschwert, nämlich die gebotene Aufrechterhaltung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs. Die besondere Marktintegrationsfunktion der EG-Wettbewerbsregeln (Wettbewerb im Binnenmarkt) hat ihre Anwendung auf schutzrechtsbezogene Wettbewerbsbeschränkungen entscheidend geprägt. So standen von Anfang an Schutzrechtsverwertungsabreden, die eine Aufspaltung nationaler Märkte bezweckten oder bewirkten, im Mittelpunkt der Kartellrechtskontrolle. Bereits 1966 erklärte der EuGH die Vereinbarung zwischen den Firmen Grundig und Consten über die Eintragung der Marke GINT in Frankreich als unvereinbar mit der Wettbewerbsordnung der Gemeinschaft, weil sie dazu diente, dem Alleinvertriebsberechtigten Consten absoluten Gebietsschutz gegen Parallelimporte (Geistiges Eigentum (Erschöpfung) zu gewähren (EuGH verb. Rs. 56/‌64 und 58/‌64 – Consten und Grundig, Slg. 1966, 321). Der Europäischen Kommission und den Gemeinschaftsgerichten kam es bei der Anwendung der Kartellvorschriften auf Lizenzverträge besonders darauf an, die Dispositionsfreiheit des Schutzrechtsinhabers in Übereinstimmung mit dem integrationspolitischen Ziel der Zusammenführung nationaler Märkte zu bringen. Grundsätzlich gilt in der Gemeinschaft, dass die Geltendmachung von Immaterialgüterrechten durch die Lizenzparteien nicht über das kartellrechtlich erlaubte Maß an Gebietsschutz hinausgehen darf. Entsprechend entziehen heute Lizenzklauseln, die einen exzessiven Gebietsschutz beabsichtigen, dem gesamten Lizenzvertrag den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung.

Die seit Ende der 1990er Jahre vorgenommenen Reformen des EG-Wettbewerbsrechts im Lichte eines more economic approach haben sich auch auf die Beurteilung schutzrechtsbezogener Wettbewerbsbeschränkungen erstreckt. Vor allem das Lizenzkartellrecht ist von dieser Entwicklung betroffen. Die im Mai 2004 in Kraft getretene Technologietransfer (TT)-GVO (VO 772/‌ 2004) überträgt das Marktanteilsmodell auf das Gebiet der Technologietransfervereinbarungen und erhebt das Nichtüberschreiten bestimmter Marktanteilsschwellen zum zentralen Kriterium der Freistellung (dazu 3.). Aber auch im Bereich der Marktmachtkontrolle beabsichtigt die Europäische Kommission, schutzrechtsbezogene Verhaltensweisen eines Marktbeherrschers einem wirtschaftsorientierten Ansatz zu unterziehen. So wird die Lizenzverweigerung in der von der Kommission im Dezember 2008 vorgelegten Mitteilung zu Fällen von Behinderungsmissbrauch als eine Unterform der Lieferverweigerung behandelt. Dabei ist die Kommission jedoch an die engen Kriterien der gemeinschaftlichen Rechtsprechung gebunden (s.u. 4.)

Die Entwicklungen auf gemeinschaftlicher Ebene haben die nationalen Rechtsordnungen maßgeblich beeinflusst. Insgesamt lässt sich ein Trend zur Europäisierung – und damit auch zur Ökonomisierung – der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen feststellen. Paradigmatisch dafür ist das deutsche Recht. Mit der 7. GWB-Novelle hat der deutsche Gesetzgeber eine vollständige Angleichung des deutschen Rechts an das europäische Recht im Bereich der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen durchgeführt. § 2 Abs. 2 GWB enthält nun einen dynamischen Verweis auf die gemeinschaftlichen Gruppenfreistellungsverordnungen. Für das deutsche Lizenzkartellrecht bedeutet dies den endgültigen Abschied von der im Schrifttum scharf kritisierten Inhaltstheorie. §§ 17 f. GWB a.F., welche die Inhaltstheorie kodifizierten und allein Lizenznehmerbeschränkungen, die über den Inhalt des gewerblichen Schutzrechts hinausgingen, dem Kartellverbot unterwarfen, wurden abgeschafft.

3. Schutzrechtsverwertungs­abreden

Das Verbot in Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV erfasst alle Schutzrechtsabreden, die eine gemeinschaftserhebliche Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Aufgrund der grundsätzlich wettbewerbsfördernden Wirkungen, die mit der vertraglichen Verwertung von Immaterialgüterrechten einhergehen, ist allerdings die Anwendung der Freistellungsvoraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV in den Mittelpunkt der kartellrechtlichen Beurteilung gerückt.

Die TT-GVO stellt die zentrale Norm im Freistellungssystem für Schutzrechtsverwertungsabreden dar. Sie basiert auf der Annahme, dass Technologietransfer-Vereinbarungen, die in ihren Anwendungsbereich fallen, typischerweise die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV erfüllen. Der Begriff der Technologietransfer-Vereinbarung erfasst sowohl die zweiseitige Lizenz an technischen Schutzrechten (Patente [Patentrecht], Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster [Geschmacksmusterrecht], Sortenschutzrechte [Sortenschutz] sowie Softwareurheberrechte [Softwareschutz]) als auch die Überlassung von Know-how. Sonstige, von der TT-GVO nicht erfasste Schutzrechtsverwertungsabreden (insbesondere mehrseitige Vereinbarungen sowie Marken- und nicht-softwarebezogene Urheberrechtslizenzen, soweit diese den Hauptgegenstand der Vereinbarung darstellen) unterliegen einer Einzelfallprüfung im Rahmen der Legalausnahme des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV, wobei die Europäische Kommission eine analoge Anwendung der in der TT-GVO dargelegten Grundsätze für Mehrparteien-Vereinbarungen und Urheberrechtslizenzen für die Vervielfältigung und Verbreitung von geschützten Werken vorsieht. Erfolgt der Technologietransfer im Rahmen einer F&E‑Kooperation und geht es dabei um die Einbringung der Technologie in die Kooperation oder um die Aufteilung der Nutzung von Forschungsergebnissen zwischen den Kooperationspartnern, so finden die spezielleren Regelungen der F&E-GVO (VO 2659/‌2000) Anwendung.

Mit der Verabschiedung der TT-GVO im Jahre 2004 hat die Kommission den Trend zur Ökonomisierung des europäischen Wettbewerbsrechts auf den Bereich des Lizenzkartellrechts übertragen. Im Gegensatz zu einem formalistischen Ansatz wird unter einem wirtschaftsorientierten Ansatz auf die konkreten Auswirkungen einer Vereinbarung auf den Wettbewerb abgestellt. Anders als ihre Vorgängerregelung (VO 240/‌96) folgt die TT-GVO dem Grundsatz „alles was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt“. Art. 2 enthält eine pauschale Freistellung für zweiseitige Technologietransfer-Vereinbarungen, die die Produktion von Vertragsprodukten ermöglichen. Die Freistellung wird jedoch von der Einhaltung zweier zusätzlicher Voraussetzungen abhängig gemacht. Erstens dürfen die Vertragsparteien bestimmte Marktanteilschwellen nicht überschreiten. Dabei wird zwischen horizontalen (gemeinsamer Marktanteil < 20 %) und vertikalen Vereinbarungen (individueller Marktanteil < 30 %) unterschieden. Das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Vertragsparteien und ihre Marktmacht werden dann zu zentralen Kriterien für die Begrenzung des Freistellungsbereichs. Dahinter steht einerseits die ökonomische Erkenntnis, dass die negativen Auswirkungen vertikaler Vereinbarungen auf den Intrabrand-Wettbewerb ihre wettbewerbsfördernden Wirkungen auf den Interbrand-Wettbewerb nur beim Vorliegen von Marktmacht überwiegen. Andererseits wird das grundsätzliche wettbewerbsbeschränkende Potential horizontaler Vereinbarungen anerkannt. Als zweite Voraussetzung dürfen bestimmte Klauseln – Preisbindungen, Produktionsbeschränkungen, Markt- und Kundenzuweisungen und F&E‑Beschränkungen (sog. Kernbeschränkungen) – nicht im Lizenzvertrag vereinbart werden. Damit soll sichergestellt werden, dass nur Wettbewerbsbeschränkungen in den Genuss der Gruppenfreistellung kommen, die mit hinreichender Sicherheit die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌ 101(3) AEUV erfüllen.

Technologietransfer-Vereinbarungen, die nicht unter die TT-GVO fallen, etwa weil die Marktanteilschwellen überschritten wurden, unterliegen einer Einzelfallprüfung anhand der Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV. Eine Rechtswidrigkeitsvermutung gibt es mit Ausnahme der Kernbeschränkungen nicht. In den die TT-GVO begleitenden Leitlinien erläutert die Kommission den analytischen Rahmen für eine solche Einzelfallbetrachtung. Dabei sollen u.a. Faktoren wie etwa die Art der Vereinbarung, die Marktstellung der Vertragsparteien, ihrer Wettbewerber sowie der Abnehmer der Vertragsprodukte, die Existenz und Höhe von Marktzutrittschranken oder der Reifegrad des Marktes berücksichtigt werden.

Mit der neuen TT-GVO ist eine weitgehende Angleichung des europäischen Lizenzkartellrechts an das US-Recht erfolgt. So gehen die Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property, welche die Aufsichtspraxis der US-Kartellbehörde konkretisieren, ebenfalls von der Wettbewerbsförderlichkeit von Lizenzverträgen aus. Regelungstechnisch sehen die Guidelines auch eine sog. safety zone für Lizenzverträge vor, in denen die Vertragsparteien unterhalb eines gemeinsamen Marktanteils von 20 % bleiben. Vergleichbar den Kernbeschränkungen in der TT-GVO werden Preisbindungen, Produktionsbeschränkungen und horizontale Marktaufteilungen als per se-Verstöße beurteilt. Im Gegensatz jedoch zu den strengeren europäischen Regelungen – insbesondere gegenüber Gebietsschutzklauseln – verfolgen die Guidelines einen deutlich laxeren Ansatz im Bereich der Vertikalverhältnisse.

Versuche, in den 1970er und 1980er Jahren einen International Code of Conduct on the Transfer of Technology unter der Schirmherrschaft der UNCTAD zu verabschieden, sind vor allem an Meinungsverschiedenheiten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gescheitert. Die detaillierteste Regelung auf internationaler Ebene zur Kontrolle wettbewerbswidriger Praktiken in Lizenzverträgen stellt Art. 40 TRIPS dar. Nach einer allgemeinen Anerkennung der nachteiligen Effekte, die gewisse wettbewerbsbeschränkende Lizenzierungspraktiken auf den Handel und die Weitergabe und Verbreitung von Technologie haben können (Abs. 1), gestattet diese Vorschrift den WTO-Mitgliedstaaten, solche Praktiken (u.a. Nichtangriffsklauseln, die dem Lizenznehmer die Möglichkeit nehmen, gegen das lizenzierte Schutzrecht auf Nichtigkeit zu klagen, oder ausschließliche Rückgewährklauseln, d.h. die Verpflichtung des Lizenznehmers, die eigenen Schutzrechte dem Lizenzgeber ausschließlich zur Verfügung zu stellen) in ihren Rechtsvorschriften aufzuführen und geeignete Maßnahmen zu ihrer Kontrolle oder Vermeidung zu ergreifen (Abs. 2). Eine Verpflichtung zur Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen in Lizenzverträgen besteht allerdings nicht.

4. Marktmachtmissbrauch

Wie oben erwähnt, begründet die immaterialgüterrechtliche Ausschließlichkeit für sich allein keine marktbeherrschende Stellung. Zwar darf der Schutzrechtsinhaber jeglichen Imitationswettbewerb mit dem geschützten Gegenstand ausschließen. Im Normalfall existieren jedoch Substitutionsprodukte (bzw. ‑dienstleistungen) außerhalb des Schutzrechts. Immaterialgüterrechtlich geschützte Gegenstände und Leistungen bilden folglich selten einen eigenen Markt. Vielmehr sind sie dem für sie relevanten Markt zuzuordnen. Die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes erfolgt nach den allgemeinen kartellrechtlichen Kriterien, wobei der Unterscheidung von Technologie- bzw. Lizenzierungsmarkt und Produktmarkt eine besondere Bedeutung zukommt. In einem zweiten Schritt ist dann die Stellung des Schutzrechtsinhabers auf dem derart abgegrenzten Markt zu ermitteln.

Anders als sein US-amerikanisches Pendant (sec. 2 Sherman Act) verbietet Art. 82 EG/‌102 AEUV nicht die Erlangung, sondern bloß den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung stellt der Umstand, dass das Schutzrecht von einem marktbeherrschenden Unternehmen erworben oder ausgeübt wird, keinen Missbrauch dar, soweit nicht außergewöhnliche Umstände hinzutreten, die eine missbräuchliche Verhaltensweise begründen. Trotz ihrer Vielfältigkeit lassen sich schutzrechtsbezogene Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden Unternehmens grundsätzlich zu den Fallgruppen des Ausbeutungs-, Marktstruktur- und Behinderungsmissbrauchs zuweisen. So unterliegen beispielsweise sachlich nicht gerechtfertigte überhöhte oder diskriminierende Preise oder Lizenzgebühren dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot. Den Ausbeutungstatbestand erfüllt etwa auch das Verlangen von unangemessen hohen Nutzungsentgelten durch Verwertungsgesellschaften.

Im Vordergrund standen in letzter Zeit Fälle des Behinderungsmissbrauchs. Missbräuchlich im Sinne des Art. 82 EG/‌102 AEUV handelt etwa ein marktbeherrschendes Unternehmen, das durch falsche Angabe bei einer Behörde ein Schutzrecht erwirkt. Als besonders schwierig erweist sich die Frage, wann eine Lizenzverweigerung seitens eines marktbeherrschenden Schutzrechtsinhabers gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot verstößt. Die Gemeinschaftsgerichte haben einen Missbrauch bejaht, wenn folgende außergewöhnliche Umstände vorliegen: (1) der Zugang zu den geschützten Erzeugnissen oder Dienstleistungen ist unerlässlich für eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit; (2) die Lizenzverweigerung ist geeignet, jeglichen Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt auszuschließen, (3) die Lizenzverweigerung verhindert weiter die Entwicklung dieses Marktes zum Nachteil der Verbraucher in dem Sinne, dass das Auftreten eines neuen Produktes, nach dem zumindest eine potentielle Nachfrage besteht, unterbunden wird und (4) sie ist nicht objektiv gerechtfertigt (EuGH Rs. C-418/‌01 – IMS Health, Slg. 2004, I-5039 und EuG Rs. T- 201/‌04 – Microsoft, WUW 2007, 1169). Das EuG hat allerdings eine Anwendung des Missbrauchsverbots auf solche Konstellationen erleichtert, indem es die Voraussetzung der Verhinderung eines neuen Produktes weiter gefasst hat im Sinne einer Einschränkung des technischen Fortschrittes zum Schaden der Verbraucher.

Literatur

Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), Competition Policy and Intellectual Property Rights, Series Roundtables on Competition Policy Nr. 18, DAFFE/‌CLP(98)18, 1998; Steven Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 1998; Andreas Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung, 2002; Ernst-Joachim Mestmäcker, Heike Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, 653 ff.; Claus-Dieter Ehlermann, Isabela Atanasiu (Hg.), European Competition Law Annual 2005, 2007; Hanns Ullrich, Andreas Heinemann, Die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die Verwertung von Schutzrechten und sonst geschützten Kenntnissen, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht, Bd. 1 EG, Teil 2, 4. Aufl. 2007, 119 ff.; Andreas Fuchs, Verordnung (EG) Nr. 772/‌2004 (Technologietransfer), in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht, Bd. 1 EG, Teil 1, 4. Aufl. 2007, 1675 ff.; Josef Drexl (Hg.), Research Handbook on Intellectual Property and Competition Law, 2008.

Abgerufen von Geistiges Eigentum und Wettbewerbsbeschränkung – HWB-EuP 2009 am 23. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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