Informationspflichten (Verbrauchervertrag) und Informationspflichten (Versicherungsrecht): Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Bettina Heiderhoff]]''
von ''[[Giesela Rühl]]''
== 1. Gegenstand und Zweck von Informationspflichten ==
== 1. Funktion ==


Der Verbraucher ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]]) kann bei Abschluss eines [[Vertrag]]s auf unterschiedliche Weise vor Benachteiligung geschützt werden. Die Information des Verbrauchers über den Vertragsgegenstand und seine vertraglichen Rechte ist ein wesentliches Schutzinstrument. Der Schutz durch Information bietet große Vorteile. Er basiert auf der Überlegung, dass die Unterlegenheit des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer darauf beruht, dass der Informationsstand des Verbrauchers niedriger ist. Indem das Machtgefälle zwischen den Vertragspartnern durch Information des Verbrauchers verringert wird, lässt sich die Vertragsgerechtigkeit wieder herstellen. Denn die nun gleich (oder ähnlich) starken Parteien werden in die Lage versetzt, einen gerechten Vertrag auszuhandeln. Der Schutz durch Information läuft so nicht Gefahr, die Vertragsfreiheit der Parteien wesentlich zu beschränken. Die Aushandlung des Vertragsinhalts bleibt ganz ihnen überlassen, es herrscht Privatautonomie. Leider stehen diesen Vorzügen schwerwiegende Nachteile gegenüber. Insbesondere ist anerkannt, dass die Informationsaufnahme- und ‑verarbeitungsfähigkeit des Verbrauchers begrenzt ist. Vor allem die besonders schwachen Verbraucher (niedriger Bildungsstand, hohes Alter, Jugend etc) lassen sich durch Information kaum unterstützen. Aber auch die informationswilligen Verbraucher können durch Informationspflichten nicht immer so gestärkt werden, dass sie in der Lage sind, einen gerechten Vertrag mit dem Unternehmer auszuhandeln.
Versicherungsverträge gehören zu den Verträgen, die in besonderer Weise unter Informationsasymmetrien leiden: Der Versicherungsnehmer weiß regelmäßig alles über das versicherte Risiko. Er weiß, ob Umstände eintreten, die das versicherte Risiko erhöhen oder erniedrigen. Und er weiß, wie sich der Versicherungsfall ereignet hat. Der Versicherer kennt demgegenüber die statistische Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Risiko auftritt. Er kennt die Umstände, die statistisch gesehen die Verwirklichung des versicherten Risikos erhöhen oder erniedrigen. Und er kennt das von ihm angebotene komplexe „Rechtsprodukt“ Versicherung. Da beiden Parteien damit Informationen fehlen, die für den Abschluss und die Durchführung des [[Versicherungsvertrag]]s von Bedeutung sind, besteht die Gefahr, dass das vertragliche Äquivalenzverhältnis aus dem Gleichgewicht gerät und das ordnungsgemäße Funktionieren des Versicherungsmarktes beeinträchtigt wird. Um beides zu verhindern, werden sowohl dem Versicherungsnehmer als auch dem Versicherer durch die meisten nationalen Rechtsordnungen und internationalen Regelwerke Informationspflichten auferlegt, die zur Überwindung der beschriebenen Informationsdefizite beitragen sollen. Für den Fall, dass der Versicherungsvertrag mit Hilfe eines [[Versicherungsvermittler]]s geschlossen wird, treffen auch diesen Informationspflichten.


Für das Recht der [[Europäische Gemeinschaft|EG]] kommt ein weiterer Aspekt hinzu, der die Verwendung des Instruments der Informationspflichten ebenfalls beschränkt. Der Zweck des europäischen Verbrauchervertragsrechts, nach dem der Verbraucher sich im Binnenmarkt leicht und unbelastet bewegen soll, lässt sich nicht vollkommen mit dem Informationsgedanken vereinbaren. Denn der Verbraucher kann zu solchem gewissermaßen sorglosen, optimistischen Konsumverhalten eher durch eine günstige Rechtsposition angeregt werden. Informationslasten können ihm vor diesem Hintergrund dagegen nur in begrenztem Maße auferlegt werden.
==2. Informationspflichten des Versicherungsnehmers ==


Daher wird der Schutz durch Information im nationalen und im europäischen Recht häufig durch weitere Schutzinstrumente verstärkt. Teils lassen diese wiederum einen Rest des Informationsgedankens erkennen, teils wirken sie auf gerade entgegengesetzte Weise. Ersteres gilt für das Widerrufsrecht. Es ist ein Schutzelement, welches dazu dient, dass der Verbraucher sich noch nachträglich überlegen kann, ob er an einem Vertrag festhalten will. Es wird angenommen, dass er nachträglich Informationen sammelt und verarbeitet, auf deren Basis er eine privatautonome Entscheidung treffen kann. Dagegen ist die Inhaltskontrolle von [[Allgemeine Geschäftsbedingungen|[Allgemeinen Geschäftsbedingungen]], wie sie für die [[Europäische Union|EU]] in der Klausel-RL (RL 93/‌13) vorgesehen ist, entgegengesetzt begründet. Sie basiert darauf, dass es Bereiche gibt, in denen vom Verbraucher Informiertheit nicht erwartet werden kann und aus Gründen der Effizienz auch nicht erwartet werden sollte. Das Gericht überprüft vorformulierte Vertragsbedingungen, weil davon auszugehen ist, dass der Verbraucher sie typischerweise akzeptiert, ohne ihren Inhalt zu kennen. Dabei ist eine interessante und nicht leicht zu begründende Doppelspurigkeit zu beobachten, wenn die Klauselrichtlinie dennoch verlangt, dass die AGB für den Verbraucher verständlich und lesbar sein müssen, damit er sich über ihren Inhalt informieren kann.
Dem Versicherungsnehmer werden in jeder Phase des Versicherungsvertrags Informationspflichten auferlegt: vor Abschluss des Versicherungsvertrags, während der Laufzeit des Versicherungsvertrags und nach Eintritt des Versicherungsfalls. Ihre Rechtsgrundlage finden sie im Wesentlichen im nationalen Recht. Bestrebungen die einschlägigen Bestimmungen auf europäischer Ebene zu harmonisieren, waren bislang nicht von Erfolg gekrönt. Insbesondere kam ein im Jahr 1979 vorgelegter Richtlinien-Vorschlag zu keinem Zeitpunkt auch nur in die Nähe der Verabschiedung und wurde deshalb im Jahr 1993 wieder zurückgezogen. Die Rufe nach einer Vereinheitlichung oder zumindest nach einer Harmonisierung sind trotzdem nie verstummt. Im Gegenteil: Da der europäische Binnenmarkt für Versicherungen ([[Versicherungsbinnenmarkt]]) trotz zahlreicher Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft ([[Europäische Gemeinschaft]]) immer noch nicht Wirklichkeit geworden ist, haben sich in den letzten Jahren immer mehr Wissenschaftler für eine Wiederaufnahme der Harmonisierungsarbeiten ausgesprochen. Die Europäische Kommission hat deshalb im Jahr 2001 zur Diskussion über die Harmonisierung des Vertragsrechts im Allgemeinen und des Versicherungsvertragsrechts im Besonderen aufgerufen. Seit 2004 strebt sie allerdings statt der Harmonisierung der einschlägigen Bestimmungen nur noch die Verabschiedung eines [[Common Frame of Reference|Gemeinsamen Referenzrahmen]]s an, der die wichtigsten Regelungen des europäischen Vertragsrechts einschließlich der Informationspflichten des Versicherungsnehmers enthalten soll. Mit der Erarbeitung der versicherungsrechtlichen Regelungen hat die Europäische Kommission die ''Restatement Group European Insurance Contract Law'' beauftragt. Den Allgemeinen Teil, die so genannten ''[[Principles of European Insurance Contract Law]]'' (PEICL), hat die Gruppe Ende 2007 vorgelegt. Da der Gemeinsame Referenzrahmen allerdings nicht bindend sein wird, werden die Informationspflichten des Versicherungsnehmers ihre eigentliche Rechtsgrundlage auch in Zukunft im nationalen Recht finden. Zahlreiche europäische Staaten – zu nennen sind hier nur Belgien, Deutschland, die Niederlande und Schweden – haben deshalb ihre Versicherungsvertragsrechte einschließlich der Informationspflichten des Versicherungsnehmers in den letzten Jahren modernisiert. In England hat die ''Law Commission'' im Jahr 2006 zumindest damit begonnen, Vorschläge für die Reform der einschlägigen Bestimmungen, insbesondere der Bestimmungen über ''non-disclosure'' und ''misrepresentation'' zu erarbeiten. Die PEICL werden vor diesem Hintergrund nur dann eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie – den Vorstellungen der ''Restatement Group European Insurance Contract Law'' entsprechend – neben der Aufnahme in den Gemeinsamen Referenzrahmen außerdem den Status eines optionalen Instruments erhalten, das die Parteien im Wege der [[Rechtswahl]] ihrem Vertrag zugrunde legen können. Ob den PEICL dieser Status zuerkannt werden wird, ist derzeit allerdings noch unklar.


Oftmals sind die Informationspflichten sehr detailliert. Dann können sie für den Unternehmer eine erhebliche Belastung darstellen. Dies wird in den Richtlinien kaum berücksichtigt und gilt wohl pauschal als dadurch gerechtfertigt, dass die Richtlinien der Marktverbesserung dienen sollen und damit letztlich auch dem Vorteil der Unternehmer dienen. In der Literatur wird teilweise auch die Theorie der „vertraglichen Solidarität“ als Basis für die Belastungen des Unternehmers herangezogen. Dies überzeugt jedoch kaum, da das Privatrecht in der freien Marktwirtschaft – insbesondere aber das europäische Verbrauchervertragsrecht – solche altruistischen, zudem einseitigen, Motivationen nicht kennt.
=== a) Vor Abschluss des Versicherungsvertrags ===


In den europäischen Mitgliedstaaten ist der Gedanke der vertraglichen Solidarität allerdings teilweise bekannt, und Informationspflichten werden gerade darauf gestützt. Dies gilt insbesondere für das französische Recht, wo auch außerhalb des Verbraucherschutzrechts von einer gewissen Solidargemeinschaft der Vertragsparteien (sog. ''fraternité contractuelle'') ausgegangen wird, die auch Informationspflichten mit sich bringt. Umgekehrt gilt im englischen Recht der ''caveat emptor''-Grundsatz, demzufolge niemand verpflichtet ist, der anderen Vertragspartei aus freien Stücken nachteilige Informationen zu erteilen.
Die mit Abstand wichtigste Informationspflicht des Versicherungsnehmers ist die Anzeigepflicht, die ihn vor Abschluss des Versicherungsvertrags trifft. Sie wird ihm von allen Rechtsordnungen und auch von den PEICL auferlegt, weil der Versicherer die Besonderheiten des ihm angebotenen Risikos kennen muss, um seiner Aufgabe nachkommen zu können, gleiche Risiken zusammenzufassen und auf eine Vielzahl von Personen zu verteilen, die durch das gleiche Risiko bedroht sind. Nur wenn der Versicherer die Besonderheiten des zu versichernden Risikos kennt, kann er nämlich die vom Versicherungsnehmer zu zahlende Prämie richtig berechnen und damit verhindern, dass es deswegen zu einer ineffizienten Aufteilung des Risikos kommt, weil sich die Träger „schlechter Risiken“ zu günstig, und die Träger „guter Risiken“ zu teuer versichern (''adverse selection''). Da sich die Umstände, die für die richtige Einschätzung des Risikos nötig sind, regelmäßig in der Sphäre des Versicherungsnehmers finden und diesem leichter zugänglich sind als dem Versicherer (''cheapest cost avoider''), wird dem Versicherungsnehmer die Verantwortlichkeit dafür aufgebürdet, dass der Versicherer über die für den Abschluss des Vertrags erheblichen Umstände informiert ist. Die Ausgestaltung der vorvertraglichen Anzeigepflicht in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen spiegelt den damit umschriebenen Sinn und Zweck der vorvertraglichen Anzeigepflicht wieder. Die Anforderungen an das dem Versicherungsnehmer auferlegte Verhalten sind dabei grundsätzlich hoch. Allerdings zeigen sich in nahezu allen europäischen Ländern Tendenzen, den Versicherungsnehmer vor einer zu strengen Anzeigepflicht, insbesondere vor den Folgen einer ungewollten Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zu schützen.  


== 2. Einzelausgestaltung der Informationspflichten in den europäischen Richtlinien ==
Von den meisten Rechtsordnungen wird der Versicherungsnehmer zur spontanen Anzeige aller Umstände verpflichtet, die für das versicherte Risiko erheblich sind. Der Versicherungsnehmer muss die entsprechenden Umstände folglich unabhängig davon anzeigen, ob der Versicherer nach ihnen gefragt hat. In den Ländern, die ihre Versicherungsvertragsrechte in den letzten Jahren reformiert haben, wird die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers demgegenüber häufig auf eine Pflicht zur richtigen Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen beschränkt. Dies gilt namentlich für das im Jahr 2008 in Kraft getretene neue deutsche Versicherungsvertragsrecht. Aber auch Art. 2:101(1) PEICL verpflichtet den Versicherungsnehmer lediglich zur Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen. In England hat sich die ''Law Commission'' in ihren Vorschlägen zur Reform des englischen Versicherungsvertragsrechts jüngst zumindest bei Verbraucherverträgen für eine entsprechende Beschränkung ausgesprochen. Die Entwicklungen der jüngeren Zeit tragen damit dem Umstand Rechnung, dass der Versicherer regelmäßig besser als der Versicherungsnehmer weiß, welche Informationen er vor Abschluss des Vertrags benötigt. Gleichzeitig machen sie sich die typische Informations- und Wissensverteilung bei Versicherungsverträgen besser zu nutze als eine spontane Anzeigepflicht.


Die Informationspflichten in den [[Richtlinie]]n der EG folgen keinem vollkommen einheitlichen Muster. Insgesamt lässt sich aber unterscheiden zwischen Informationspflichten, die vor Vertragsschluss erfüllt werden müssen, und Informationspflichten, die erst im Nachhinein zu erfüllen sind. Bei den vorvertraglichen Informationspflichten wird teilweise verlangt, dass vor Vertragsschluss ein Prospekt (Timesharing, Pauschalreisen) oder wenigstens gedrucktes Informationsmaterial ([[Verbraucherkredit (Regelungsgrundsätze)|Verbraucherkredit]]) übergeben wird, teilweise reichen mündliche Informationen aus. Die nachträglichen Informationen müssen dagegen immer in Schriftform erteilt werden. Dabei geht es nicht um die Erteilung zusätzlicher wesentlicher Informationen – die nach Vertragsschluss auch zu spät kämen – sondern um die Dokumentation und gegebenenfalls Vertiefung der Informationen.
Unabhängig davon, ob die Anzeigepflicht spontan ausgestaltet ist oder nicht, erstreckt sie sich in allen Rechtsordnungen nur auf erhebliche Umstände, die dem Versicherungsnehmer bekannt sind. Nach Art. 2:103(b) PEICL zieht die unterlassene Anzeige nicht erheblicher Umstände zumindest keine Rechtsfolgen nach sich. Soweit der Versicherer nach einem Umstand nicht ausdrücklich gefragt hat, wird zur Bestimmung der Erheblichkeit in den meisten Rechtsordnungen auf den konkreten Versicherer abgestellt. Nur in wenigen Ländern ist wie nach Art. 2:103(b) PEICL ein umsichtiger Versicherer ausschlaggebend. Erheblich ist ein Umstand in den meisten Rechtsordnungen dementsprechend, wenn er die Entscheidung des konkreten Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu denselben Vertragsbestimmungen abzuschließen, beeinflussen würde. Überwiegend wird dabei von einer Beeinflussung bereits dann ausgegangen, wenn der Versicherer den entsprechenden Umstand – ohne seine Entscheidung zu ändern – in seine Überlegungen einbezogen hätte. Nur vereinzelt wird gefordert, dass das angebotene Risiko vom Versicherer tatsächlich abgelehnt oder nur zu anderen Bedingungen, insbesondere einer höheren Prämie, versichert worden wäre. Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob der Versicherungsnehmer auch zur Anzeige solcher Umstände verpflichtet ist, die er zwar nicht kennt, aber kennen müsste. Während insbesondere die Rechtsordnungen des ''[[common law]]'' und Art. 2:101 PEICL auch diese Umstände der Anzeigepflicht unterwerfen, werden sie in den meisten anderen Ländern nicht als anzeigepflichtig angesehen. Wie oben dargelegt, mildern allerdings zumindest die PEICL die Folgen dieser Regelung dadurch ab, dass sie die Anzeigepflicht nur auf Umstände erstrecken, nach denen der Versicherer gefragt hat.


Unterschieden werden kann zudem zwischen Informationspflichten, die sich auf den Vertragsinhalt oder dessen Begleitumstände beziehen und solchen, die sich auf das Widerrufsrecht des Verbrauchers beziehen.
Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zieht in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich. Dem Grundsatz nach folgen alle Rechtsordnungen allerdings entweder dem Alles-oder-Nichts-Prinzip oder dem Proportionalitätsprinzip. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip ist das Regelungsmodell, das in Europa traditionell angewandt wird. Es räumt dem Versicherer das Recht zur Auflösung des Vertrags ein und führt damit dem Grundsatz nach zur Rückabwicklung des Vertrags. Es findet bis heute in zahlreichen Ländern Anwendung und zeichnet sich dadurch aus, dass der Versicherer entweder vollumfänglich zur Leistung verpflichtet ist oder vollumfänglich von der Leistungspflicht frei wird. Es wird von dem grundsätzlich richtigen Gedanken geleitet, einen nicht gewollten und damit nicht effizienten Vertrag aus der Welt zu schaffen. Allerdings steht dem Versicherer das Recht zur Auflösung des Vertrags auch dann zu, wenn dem Versicherungsnehmer kein oder nur geringes Verschulden vorgeworfen werden kann. Da dies zunehmend als unbefriedigend empfunden wird, haben sich die Länder, die ihre Versicherungsvertragsrechte in den letzten Jahren modernisiert haben, ebenso wie die ''Restatement Group European Insurance Contract Law'' und die ''Law Commission'' in ihren jüngsten Vorschlägen für das Proportionalitätsprinzip entschieden. Dieses Regelungsmodell läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass der Versicherungsvertrag nur bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht rückwirkend aufgelöst werden kann, während ansonsten lediglich der Anspruch des Versicherungsnehmers auf die Versicherungsleistung gekürzt wird. Unterschiede ergeben sich zwischen den einzelnen Rechtsordnungen und Regelwerken allerdings, soweit es um die Frage geht, wie der Anspruch auf die Versicherungsleistung zu mindern ist. Während der Anspruch in den meisten Rechtsordnungen und nach Art. 2:102(5) PEICL in dem Verhältnis herabgesetzt wird, in dem die aufgrund der Verletzung der Anzeigepflicht zu niedrig berechnete Prämie zur tatsächlich angebrachten Prämie steht, wird in anderen Ländern die Versicherungsleistung auf die vertraglich vereinbarte Höhe begrenzt oder in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Verschulden des Versicherungsnehmers und der Kausalität zwischen Verletzung der Anzeigepflicht und Eintritt des Versicherungsfalls, gemindert. Das Proportionalitätsprinzip trägt damit sowohl dem Interesse des Versicherungsnehmers an der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes als auch dem Interesse des Versicherers am Schutz vor ungewollten Verträgen und daraus resultierenden Leistungspflichten besser Rechnung als das Alles-oder-Nichts-Prinzip.


Schon in der Haustürgeschäfte-RL (RL 85/‌ 577) von 1985 sind auf das Widerrufsrecht bezogene Informationspflichten vorgesehen. Dort muss der Unternehmer den Verbraucher schriftlich über sein Widerrufsrecht belehren und dabei den Namen und die Anschrift einer Person angeben, der gegenüber das Widerrufsrecht ausgeübt werden kann. Die Pflicht, über ein bestehendes Widerrufsrecht zu informieren, ist auch in den späteren Richtlinien, die einen Widerruf durch den Verbraucher vorsehen, jeweils als wesentliches Element enthalten. Dabei wird diese Informationspflicht in den späteren Richtlinien noch erweitert. In Art. 5 Fernabsatz-RL (RL 97/‌7) heißt es, dass über die „Bedingungen und Einzelheiten der Ausübung des Widerrufsrechts“ belehrt werden muss. In der neuen Verbraucherkredit-RL (RL 2008/‌48) muss nach Art. 10(p) insbesondere darauf hingewiesen werden, dass das Darlehen nach Widerruf zurückzuzahlen ist und wie es in diesem Falle verzinst wird.
=== b) Während der Laufzeit des Versicherungsvertrags ===


Informationen über den Vertragsinhalt finden sich vor allem dort, wo dieser sich nicht ohne weiteres von selbst erschließt. So muss über den Vertragsgegenstand beim [[Verbraucherkredit (Regelungsgrundsätze)|Verbraucherkredit]], bei Teilzeitwohnrechten und bei den Finanzdienstleistungen besonders gründlich aufgeklärt werden. Beim [[Fernabsatzverträge|Fernabsatzvertrag]] muss die Ware beschrieben werden, weil der Verbraucher diese typischerweise bei Abschluss des Vertrags nicht in den Händen hält (Art. 4(1)(a) Fernabsatz-RL). In diesem Bereich tritt das oben angesprochene Problem der Überinformation besonders deutlich zu Tage. Die obligatorischen Informationen sind teilweise sehr umfangreich, und es darf nicht angenommen werden, dass der durchschnittliche Verbraucher sie verarbeiten kann. Dies muss selbst dann angenommen werden, wenn es sich um einen widerruflichen Vertrag handelt und ihm die Widerrufsfrist als zusätzliche Bedenkzeit zur Verfügung steht.
Während der Laufzeit des Versicherungsvertrags trifft den Versicherungsnehmer in den meisten europäischen Ländern die Pflicht, dem Versicherer Änderungen des versicherten Risikos, insbesondere Gefahrerhöhungen, anzuzeigen. Diese Pflicht ergibt sich in den meisten Ländern aus dem Gesetz. In einigen Ländern, namentlich in England trifft sie den Versicherungsnehmer demgegenüber nur, wenn dies vertraglich vorgesehen ist. Auch nach Art. 4:202 PEICL ist der Versicherungsnehmer nur dann zur Anzeige von Gefahrerhöhungen verpflichtet, wenn eine entsprechende Pflicht vertraglich vereinbart wird.


<nowiki>Insbesondere bei Vertragsschlüssen im Internet oder auf anderen Wegen des Fernabsatzes kommen schließlich Informationen über die Identität des Anbieters, über die Entgeltlichkeit des Angebots sowie über die technische Funktionsweise der Internetkommunikation hinzu (vgl. Art.&nbsp;5, 6, 10 E&#8209;Commerce-RL [RL&nbsp;2000/‌31]).</nowiki>
Unabhängig von ihrem Ursprung garantiert die Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen, dass das versicherte Risiko, das bei Abschluss des Vertrags vorlag und das Grundlage für die Kalkulation der Versicherungsprämie war, perpetuiert wird und das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung erhalten bleibt. Da sich der Versicherer darauf verlassen kann, dass sich das versicherte Risiko, soweit der Versicherungsnehmer einen Einfluss darauf hat, während der Laufzeit des Vertrags nicht verändert, entlastet die Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen den Versicherer darüber hinaus von der Notwendigkeit, Änderungen des Risikos beim Abschluss des Vertrags und insbesondere bei der Kalkulation der Prämie zu berücksichtigen. Er muss nicht den Eintritt aller möglichen Gefahrerhöhungen auf Verdacht von Anfang an und mit Hilfe grober Schätzungen in seine Überlegungen und die Berechnung der Prämie einbeziehen, sondern kann bis zum Eintritt einer Gefahrerhöhung warten. Die Ausgestaltung der Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen ähnelt in allen europäischen Rechtsordnungen der Ausgestaltung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Insbesondere werden an eine Verletzung ähnliche Rechtsfolgen geknüpft.


Die Anforderungen bei der Erfüllung der Informationspflichten sind sehr hoch, und nicht immer ist in den [[Richtlinie]]n und den Umsetzungsgesetzen klar genug vorgegeben, was genau in den Informationen enthalten sein muss. Die Rechtsprechung muss sich daher regelmäßig mit Fragen der korrekten Erfüllung der Informationspflichten auseinandersetzen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Informationen immer so erfolgen müssen, dass der Verbraucher sowohl über seine Rechte als auch über seine Pflichten in verständlicher Weise aufgeklärt wird (BGH 12.4.2007, BGHZ&nbsp;172, 58).
===c) Nach Eintritt des Versicherungsfalls ===


Nur wenige Richtlinien enthalten explizite Regelungen dazu, welche Rechtsfolgen sich an die Verletzung von Informationspflichten knüpfen. Allenfalls findet sich die Aussage, dass die Sanktionen für eine solche Verletzung „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen (so z.B. Art.&nbsp;23 Verbraucherkredit-RL). In Art.&nbsp;11 der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen wird den Mitgliedstaaten vorgeschlagen, ein Kündigungsrecht des Verbrauchers vorzusehen. Wegen dieser Offenheit der Richtlinien ist die Rechtslage in den Mitgliedstaaten hier gänzlich uneinheitlich. Vielfach werden wettbewerbsrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionsmechanismen eingesetzt. Einige Mitgliedstaaten haben ausdrückliche Regelungen dazu, dass ein Vertrag bei Verletzung der Informationspflichten dem Verbraucher gegenüber nicht durchsetzbar ist – so etwa Irland, ''Reg.&nbsp;4 European Communities (Protection of Consumers in Respect of Contracts made by Means of Distance Communication) Regulations 2001''. Daneben gilt stets das allgemeine Privatrecht der Mitgliedstaaten, welches für eine Haftung jedoch häufig zusätzliche Voraussetzungen, wie etwa ein Verschulden, kennt.
Nach Eintritt des Versicherungsfalls trifft den Versicherungsnehmer in allen europäischen Rechtsordnungen sowie nach Art.&nbsp;6:101 und 6:102 PEICL eine Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls sowie zur Erteilung von Auskünften. Beide Pflichten hat der Versicherungsnehmer unabhängig von einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zu erfüllen. Dies mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich dürfte der Versicherungsnehmer regelmäßig ein eigenes Interesse daran haben, den Versicherer über den Eintritt des Versicherungsfalls zu informieren. Die Verpflichtung zur Anzeige und zur Erteilung von Auskünften dient allerdings dem Schutz des Versicherers. Er soll die Umstände und den Umfang des geltend gemachten Schadens untersuchen können, und das zu einem angemessenen Zeitpunkt nach Eintritt des Versicherungsfalls. Da es für den Versicherungsnehmer aufgrund der Nähe zum Versicherungsgegenstand regelmäßig leichter und kostengünstiger ist festzustellen, ob ein Schaden entstanden ist, wird ihm die Verantwortlichkeit dafür aufgebürdet, dass der Versicherer über den Eintritt des Versicherungsfalls und die Einzelheiten des entstanden Schadens informiert wird. Die Ausgestaltung der Anzeige- und Auskunftspflicht orientiert sich in allen Rechtsordnungen weitgehend an den anderen Anzeigepflichten, die dem Versicherungsnehmer auferlegt werden.  


== 3. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
== 3.&nbsp;Informationspflichten des Versicherers ==


Es ist inzwischen anerkannt, dass Information kontraproduktive Effekte haben kann. Nachteilige Auswirkungen hat vor allem die Überinformation. Durch die Bereitstellung zu vieler Informationen wird der Verbraucher letztendlich eher verunsichert, er kann wesentliche und unwesentliche Informationen nicht trennen und mag letztendlich sogar eine weniger rationale Entscheidung treffen, als er ohne die Informationen getroffen hätte. Bei der Richtliniensetzung wurden bisher keine Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen. So enthält der Vorschlag für eine Reform der Teilzeitwohnrechte-RL (RL&nbsp;94/‌ 47) keine Verringerung, sondern gar eine Erhöhung der Informationspflichten. In der neuen Verbraucherkredit-RL lässt sich demgegenüber eine – wiewohl eher zufällige – Verbesserung des Umgangs mit den Informationspflichten erkennen. Hier wird die Hervorhebung von so genannten „Standardinformationen“ verlangt (Art. 4 Verbraucherkredit-RL) und zugleich ein einheitliches Formular verwendet, nämlich die „Europäischen Standardinformationen für Verbraucherkredite“. Damit ist den Verbrauchern in gewissem Maße geholfen, und zugleich werden die Unternehmer deutlich entlastet. Eine besondere Chance bedeutet an sich die geplante Richtlinie über Rechte der Verbraucher, die darauf ausgerichtet ist, das Verbraucherschutzrecht der EU konsistenter zu machen. Der Entwurf der Kommission vom 8.10.2008 enthält Regelungen zu den Informationspflichten (Art. 5&nbsp;ff.), setzt sich aber nicht näher mit der Informationsproblematik auseinander.
Ebenso wie dem Versicherungsnehmer werden auch dem Versicherer vor Abschluss und während der Laufzeit des Versicherungsvertrags Informationspflichten auferlegt. Anders als die Informationspflichten des Versicherungsnehmers ergeben sich die Informationspflichten des Versicherers allerdings in erster Linie aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht. Die einschlägigen Regelungen finden sich in der dritten Richtlinie Leben (RL&nbsp;96/‌1992, RL&nbsp;83/‌2002), in der dritten Richtlinie Schaden (RL&nbsp;49/‌1992) sowie in der Finanzdienstleistungs-RL (RL&nbsp;65/‌2002; [[Fernabsatzverträge]]). Alle Richtlinien schreiben mit großer Liebe zum Detail vor, worüber und wie der Versicherer den Versicherungsnehmer vor Abschluss und während der Laufzeit des Vertrags informieren muss. Im Einzelnen verpflichten sie den Versicherer zur Übermittlung von Informationen über das Versicherungsunternehmen, über die angebotene Leistung, über den Vertrag und über den Rechtsweg. Bei Lebensversicherungen muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer außerdem Informationen über die zu erwartenden Leistungen, über ihre Ermittlung und Berechnung, über den Rückkaufswert sowie über Abschluss- und Vertriebskosten zukommen lassen. Bei Krankenversicherungen kommen Angaben über die Prämienentwicklung und die Prämiengestaltung hinzu. Ändern sich die vor Abschluss des Vertrags gemachten Angaben während der Laufzeit des Vertrags, muss der Versicherer den Versicherungsnehmer darüber in Kenntnis setzen.


Auch darüber hinaus bleibt der theoretische Ansatz diffus. In der verbraucherpolitischen Strategie 2007–2013 wird erneut keine klare Rangordnung oder Abgrenzung zwischen Information und „wirksamem Schutz sowie ausgeprägten Rechten“ getroffen. Enttäuschend ist auch, dass das Gemeinschaftsrecht weiterhin nicht genau zwischen vertraglichen Informationspflichten und allgemeinen Informationspflichten – also insbesondere den Informationen in der Produktwerbung – unterscheidet.
Indem die genannten Richtlinien den Versicherer zur Übermittlung wichtiger Informationen anhalten, sorgen sie für Transparenz im Hinblick auf das verkaufte Produkt. Dies ist bei Versicherungsverträgen von besonderer Bedeutung, da Versicherungen durch das Recht geschaffen werden und nicht unabhängig vom Recht bestehen. Anders als bei gegenständlichen Waren, deren Qualität in den meisten Fällen durch Inspektion und Untersuchung beurteilt werden kann, bedürfen Versicherungen als „Rechtsprodukte“ der Erläuterung und Erklärung durch den Versicherer, um sicherzustellen, dass Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz wählen, der ihre Risiken auch tatsächlich abdeckt. Allerdings ist unklar, ob und inwiefern die Vorgaben der Richtlinien tatsächlich dazu beitragen, dass Versicherungsnehmer bessere Entscheidungen in diesem Sinne treffen. Die Informationen, die der Versicherer nach den einschlägigen Bestimmungen zu übermitteln hat, sind nämlich so umfangreich und so detailliert, dass viele Versicherungsnehmer auf die Lektüre verzichten, weil die damit verbundenen Kosten den zu erwartenden Nutzen übersteigen (''rational ignorance''). Aber selbst wenn Versicherungsnehmer alle übersandten Informationen lesen, läuft dies nicht zwangsläufig auf eine Verbesserung ihrer Entscheidungen hinaus. Da die menschlichen Aufnahme- und Verarbeitungskapazitäten begrenzt sind, führt ein „Mehr“ an Informationen häufig nicht zu einem „Mehr“ an Erkenntnis. Im Gegenteil: Wie Untersuchungen aus dem Bereich der Konsumenten- und Verhaltensforschung zeigen, kann ein „Mehr“ an Informationen ab einem bestimmten Punkt sogar eine Verschlechterung von Entscheidungen nach sich ziehen, weil selbst die wichtigen Informationen nicht mehr wahrgenommen werden (''information overload''). Die unternehmerischen Informationspflichten erlangen vor diesem Hintergrund in erster Linie nach Eintritt des Versicherungsfalls Bedeutung, wenn sich der Versicherungsnehmer gezielt – über den Versicherungsschutz und das von ihm verlangte Verhalten informieren möchte. Die oben beschriebenen Informationsasymmetrien dürften sich demgegenüber besser auf andere Weise überwinden lassen. Genannt seien hier beispielsweise die Beratungspflichten des Versicherers, wie sie sich etwa in Art.&nbsp;6 des im Jahr 2008 in Kraft getretenen neuen deutschen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und in abgeschwächter Form in Art.&nbsp;2:202 PEICL finden. Verwiesen sei aber auch auf Maßnahmen wie das „Produktinformationsblatt“, das der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach §&nbsp;4 der im Jahr 2008 in Kraft getretenen deutschen Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) übermitteln muss. Dieses fasst die wichtigsten Informationen bezüglich der angebotenen Leistung kurz, übersichtlich und verständlich zusammen und gibt dem Versicherungsnehmer so die Möglichkeit, sich innerhalb kurzer Zeit einen Überblick über die wesentlichen Merkmale des Vertrags zu verschaffen. Es dürfte dem Versicherungsnehmer helfen, der ansonsten auf ihn einprasselnden Flut von Informationen in angemessener Zeit Herr zu werden und eine seinen Bedürfnissen entsprechende Entscheidung zu treffen.


Eine deutliche Weiterentwicklung des Informationsgedankens ist im Draft [[Common Frame of Reference]] erkennbar. Dort werden die Informationspflichten als gegenüber sonstigen Eingriffen zu bevorzugendes Instrument eingeordnet (Einleitung&nbsp;27, 28). An die Verletzung von Informationspflichten werden klare Sanktionen geknüpft. Die in einigen Mitgliedstaaten bisher bekannte Nichtigkeit oder einseitige Undurchsetzbarkeit des Vertrags bei einer Verletzung wichtiger Informationspflichten ist allerdings nicht vorgesehen (Art.&nbsp;II.-3:109 DCFR).
== 4. Informationspflichten des Versicherungsvermittlers ==


Zugleich erhält die Information im DCFR auch außerhalb der Verbraucherverträge einen hohen Stellenwert. Das wird zum einen dadurch erkennbar, dass die grundlegenden Informationspflichten in Art.&nbsp;II.-3:101 DCFR nicht nur im Verbrauchervertrag, sondern auch im Vertrag zwischen zwei Unternehmern gelten. Zum anderen enthält der DCFR eine Vielzahl von ausdrücklichen Informationspflichten für die jeweiligen besonderen Verträge (''[[Leasing]]'', ''[[Franchising]]'', [[Vertrieb]]).
Wird der Versicherungsvertrag – wie regelmäßig – nicht unmittelbar zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer, sondern mit Hilfe eines [[Versicherungsvermittler]]s geschlossen, treffen auch diesen Informationspflichten. Sie finden ihre Rechtsgrundlage im Europäischen Gemeinschaftsrecht, insbesondere in der Versicherungsvermittler-RL (RL&nbsp;92/‌2002) und verfolgen im Wesentlichen zwei Ziele: Zunächst einmal sollen sie die bei Versicherungsverträgen typischerweise anzutreffenden Informationsasymmetrien ausgleichen, indem der Versicherungsnehmer über die angebotenen Produkte informiert wird. Insofern verfolgen die Informationspflichten des Versicherungsvermittlers die gleiche Funktion wie die Informationspflichten des Versicherers. Darüber hinaus sollen sie aber auch sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer die Leistung des Versicherungsvermittlers im Hinblick auf ihre Qualität und ihre Neutralität einschätzen kann. Insbesondere sollen sie sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer weiß, wie groß das eigene Interesse des Versicherungsvermittlers am Abschluss der in Rede stehenden Versicherung ist. Die Versicherungsvermittler-Richtlinie verpflichtet den Versicherungsvermittler deshalb dazu, sein Verhältnis zu dem Versicherer, dessen Versicherungen er vermittelt, offen zu legen, indem er insbesondere auf gegenseitige Beteiligungen und vertragliche Verpflichtungen hinweist. Langfristig sollen die Informationspflichten des Versicherungsvermittlers damit verhindern, dass der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer im eigenen Interesse, insbesondere zur Erzielung von Provisionen, zum Abschluss einer Versicherung bewegt, die seinen Bedürfnissen nicht entspricht. Gemeinsam mit den Informationspflichten des Versicherers tragen sie damit zur dauerhaften Funktionsfähigkeit des Versicherungsmarktes bei.
 
Ende 2008 veröffentlichte die Kommission einen Vorschlag für eine neue Richtlinie über die Rechte der Verbraucher, welche eine Vielzahl der bisherigen Richtlinien in sich aufnehmen und die Regelungen, gerade auch im Bereich der Informationspflichten, insgesamt konsistenter machen soll. Die allgemeinen Informationspflichten sind dort in einem Katalog in Art.&nbsp;5 zusammengefasst. Art.&nbsp;6 Abs.&nbsp;2 überlässt die Sanktionen bei Verletzungen der Informationspflichten weiterhin weitgehend den Mitgliedstaaten. Eine Sonderregelung gilt nur für Zusatzkosten (Art.&nbsp;6 Abs.&nbsp;1). Soweit Informationen über solche fehlen, dürfen sie nicht beansprucht werden.
 
== 4. Einheitsrecht ==
 
Das Einheitsrecht der [[Principles of European Contract Law|PECL]], [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]], CISG ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]) enthält keine Regelungen zu den Informationspflichten gegenüber dem Verbraucher, weil es das Verbrauchervertragsrecht nicht umfasst.
 
Jedoch reicht der Gedanke der Information über das Verbrauchervertragsrecht hinaus. Zu jeder vertraglichen Einigung gehören gewisse Informationen. Die vertraglichen Rechte hängen unmittelbar davon ab, über welche Informationen der andere Vertragspartner bei Vertragsschluss verfügt. Das lässt sich für das Kaufrecht gut im CISG erkennen. Nach Art.&nbsp;35(1) CISG kommt es für die Vertragsmäßigkeit der Ware auf die vertragliche Vereinbarung an, die meist auf der Beschreibung der Ware durch den Verkäufer beruht. Nach Art.&nbsp;35(2) CISG kann auch ein zur Information überreichtes Muster die Vertragsmäßigkeit der Ware bestimmen. Schließlich haftet der Verkäufer nach Art.&nbsp;35(3) CISG nicht für solche Vertragswidrigkeiten, die der Käufer kannte oder über die er nicht in Unkenntnis sein konnte. Die allgemeine Informationspflicht als solche ist im Vorentwurf für ein europäisches Vertragsgesetzbuch der Akademie europäischer Privatrechtswissenschaftler (um ''Giuseppe Gandolfi'') ausdrücklich enthalten (Art.&nbsp;7).
 
Große Aufmerksamkeit hat der Informationsgedanke zuletzt im Recht des ''E&#8209;Commerce'' erhalten. Hier ist im internationalen Bereich der Schutzgedanke jedoch letztlich noch nicht weiter ausgebaut worden. Anders als die E&#8209;Commerce-RL konzentriert sich das UNCITRAL ''Model Law on Electronic Commerce'' vor allem auf den Gedanken, dass Information in elektronischer Form erbracht werden können muss.
 
Die ''United Nations Convention on the Use of Electronic Communications in International Contracts'' von 2005 spart den Bereich der Information ebenfalls weitgehend aus und verweist dafür auf die nationalen Gesetze (Art.&nbsp;7).


==Literatur==
==Literatur==
''Barbara Dauner-Lieb'', Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983; ''Holger Fleischer'', Informationsasymmetrien im Vertragsrecht, 2001; ''Hans-Christoph'' ''Grigoleit'', Vorvertragliche Informationshaftung, 1997; ''Jochen Hoffmann'', Spezielle Informationspflichten im BGB und ihre Sanktionierung, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 2005, 829&nbsp;ff.; ''Reiner Schulze'','' Martin Ebers'','' Hans Christoph Grigoleit'' (Hg.) Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis communautaire, 2003; ''Geraint Howells'','' Andre Janssen'','' Rainer Schulze'' (Hg.) Information rights and obligations: a challenge for party autonomy and transactional fairness, 2005; ''Thomas Wilhelmsson'', European rules on pre-contractual information duties, ERA Forum 2006, Special Issue on European Contract Law, 16&nbsp;ff.
''Andrew McGee'', The single market in insurance, 1998; ''Eva-Maria Kieninger'', Informations-, Beratungs- und Aufklärungspflichten beim Abschluß von Versicherungsverträgen, Archiv für die civilistische Praxis 199 (1999) 190&nbsp;ff; Jürgen Basedow, Till Fock (Hg.) Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bde.&nbsp;I-III, 2002/‌2003; ''Markus Rehberg'', Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, 2003; ''Malcolm A. Clarke'', Policies and Perceptions of Insurance Law in the Twenty-First Century, 2005; ''Giesela Rühl'', Die vorvertragliche Anzeigepflicht: Empfehlungen für ein europäisches Versicherungsvertragsrecht, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 95 (2005) 479&nbsp;ff; ''Martina Eckardt'', Insurance Intermediation, 2006; ''Giesela Rühl'','' ''Common Law, Civil Law, and the Single European Market for Insurances, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006) 879&nbsp;ff; ''Jörg Ihle'', Der Informationsschutz des Versicherungsnehmers, 2006; ''Angela Regina Stöbener'', Informations- und Beratungspflichten des Versicherers nach der VVG-Reform, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 96 (2007) 465&nbsp;ff.


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Version vom 28. September 2021, 17:31 Uhr

von Giesela Rühl

1. Funktion

Versicherungsverträge gehören zu den Verträgen, die in besonderer Weise unter Informationsasymmetrien leiden: Der Versicherungsnehmer weiß regelmäßig alles über das versicherte Risiko. Er weiß, ob Umstände eintreten, die das versicherte Risiko erhöhen oder erniedrigen. Und er weiß, wie sich der Versicherungsfall ereignet hat. Der Versicherer kennt demgegenüber die statistische Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Risiko auftritt. Er kennt die Umstände, die statistisch gesehen die Verwirklichung des versicherten Risikos erhöhen oder erniedrigen. Und er kennt das von ihm angebotene komplexe „Rechtsprodukt“ Versicherung. Da beiden Parteien damit Informationen fehlen, die für den Abschluss und die Durchführung des Versicherungsvertrags von Bedeutung sind, besteht die Gefahr, dass das vertragliche Äquivalenzverhältnis aus dem Gleichgewicht gerät und das ordnungsgemäße Funktionieren des Versicherungsmarktes beeinträchtigt wird. Um beides zu verhindern, werden sowohl dem Versicherungsnehmer als auch dem Versicherer durch die meisten nationalen Rechtsordnungen und internationalen Regelwerke Informationspflichten auferlegt, die zur Überwindung der beschriebenen Informationsdefizite beitragen sollen. Für den Fall, dass der Versicherungsvertrag mit Hilfe eines Versicherungsvermittlers geschlossen wird, treffen auch diesen Informationspflichten.

2. Informationspflichten des Versicherungsnehmers

Dem Versicherungsnehmer werden in jeder Phase des Versicherungsvertrags Informationspflichten auferlegt: vor Abschluss des Versicherungsvertrags, während der Laufzeit des Versicherungsvertrags und nach Eintritt des Versicherungsfalls. Ihre Rechtsgrundlage finden sie im Wesentlichen im nationalen Recht. Bestrebungen die einschlägigen Bestimmungen auf europäischer Ebene zu harmonisieren, waren bislang nicht von Erfolg gekrönt. Insbesondere kam ein im Jahr 1979 vorgelegter Richtlinien-Vorschlag zu keinem Zeitpunkt auch nur in die Nähe der Verabschiedung und wurde deshalb im Jahr 1993 wieder zurückgezogen. Die Rufe nach einer Vereinheitlichung oder zumindest nach einer Harmonisierung sind trotzdem nie verstummt. Im Gegenteil: Da der europäische Binnenmarkt für Versicherungen (Versicherungsbinnenmarkt) trotz zahlreicher Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft (Europäische Gemeinschaft) immer noch nicht Wirklichkeit geworden ist, haben sich in den letzten Jahren immer mehr Wissenschaftler für eine Wiederaufnahme der Harmonisierungsarbeiten ausgesprochen. Die Europäische Kommission hat deshalb im Jahr 2001 zur Diskussion über die Harmonisierung des Vertragsrechts im Allgemeinen und des Versicherungsvertragsrechts im Besonderen aufgerufen. Seit 2004 strebt sie allerdings statt der Harmonisierung der einschlägigen Bestimmungen nur noch die Verabschiedung eines Gemeinsamen Referenzrahmens an, der die wichtigsten Regelungen des europäischen Vertragsrechts einschließlich der Informationspflichten des Versicherungsnehmers enthalten soll. Mit der Erarbeitung der versicherungsrechtlichen Regelungen hat die Europäische Kommission die Restatement Group European Insurance Contract Law beauftragt. Den Allgemeinen Teil, die so genannten Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), hat die Gruppe Ende 2007 vorgelegt. Da der Gemeinsame Referenzrahmen allerdings nicht bindend sein wird, werden die Informationspflichten des Versicherungsnehmers ihre eigentliche Rechtsgrundlage auch in Zukunft im nationalen Recht finden. Zahlreiche europäische Staaten – zu nennen sind hier nur Belgien, Deutschland, die Niederlande und Schweden – haben deshalb ihre Versicherungsvertragsrechte einschließlich der Informationspflichten des Versicherungsnehmers in den letzten Jahren modernisiert. In England hat die Law Commission im Jahr 2006 zumindest damit begonnen, Vorschläge für die Reform der einschlägigen Bestimmungen, insbesondere der Bestimmungen über non-disclosure und misrepresentation zu erarbeiten. Die PEICL werden vor diesem Hintergrund nur dann eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie – den Vorstellungen der Restatement Group European Insurance Contract Law entsprechend – neben der Aufnahme in den Gemeinsamen Referenzrahmen außerdem den Status eines optionalen Instruments erhalten, das die Parteien im Wege der Rechtswahl ihrem Vertrag zugrunde legen können. Ob den PEICL dieser Status zuerkannt werden wird, ist derzeit allerdings noch unklar.

a) Vor Abschluss des Versicherungsvertrags

Die mit Abstand wichtigste Informationspflicht des Versicherungsnehmers ist die Anzeigepflicht, die ihn vor Abschluss des Versicherungsvertrags trifft. Sie wird ihm von allen Rechtsordnungen und auch von den PEICL auferlegt, weil der Versicherer die Besonderheiten des ihm angebotenen Risikos kennen muss, um seiner Aufgabe nachkommen zu können, gleiche Risiken zusammenzufassen und auf eine Vielzahl von Personen zu verteilen, die durch das gleiche Risiko bedroht sind. Nur wenn der Versicherer die Besonderheiten des zu versichernden Risikos kennt, kann er nämlich die vom Versicherungsnehmer zu zahlende Prämie richtig berechnen und damit verhindern, dass es deswegen zu einer ineffizienten Aufteilung des Risikos kommt, weil sich die Träger „schlechter Risiken“ zu günstig, und die Träger „guter Risiken“ zu teuer versichern (adverse selection). Da sich die Umstände, die für die richtige Einschätzung des Risikos nötig sind, regelmäßig in der Sphäre des Versicherungsnehmers finden und diesem leichter zugänglich sind als dem Versicherer (cheapest cost avoider), wird dem Versicherungsnehmer die Verantwortlichkeit dafür aufgebürdet, dass der Versicherer über die für den Abschluss des Vertrags erheblichen Umstände informiert ist. Die Ausgestaltung der vorvertraglichen Anzeigepflicht in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen spiegelt den damit umschriebenen Sinn und Zweck der vorvertraglichen Anzeigepflicht wieder. Die Anforderungen an das dem Versicherungsnehmer auferlegte Verhalten sind dabei grundsätzlich hoch. Allerdings zeigen sich in nahezu allen europäischen Ländern Tendenzen, den Versicherungsnehmer vor einer zu strengen Anzeigepflicht, insbesondere vor den Folgen einer ungewollten Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zu schützen.

Von den meisten Rechtsordnungen wird der Versicherungsnehmer zur spontanen Anzeige aller Umstände verpflichtet, die für das versicherte Risiko erheblich sind. Der Versicherungsnehmer muss die entsprechenden Umstände folglich unabhängig davon anzeigen, ob der Versicherer nach ihnen gefragt hat. In den Ländern, die ihre Versicherungsvertragsrechte in den letzten Jahren reformiert haben, wird die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers demgegenüber häufig auf eine Pflicht zur richtigen Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen beschränkt. Dies gilt namentlich für das im Jahr 2008 in Kraft getretene neue deutsche Versicherungsvertragsrecht. Aber auch Art. 2:101(1) PEICL verpflichtet den Versicherungsnehmer lediglich zur Beantwortung der vom Versicherer gestellten Fragen. In England hat sich die Law Commission in ihren Vorschlägen zur Reform des englischen Versicherungsvertragsrechts jüngst zumindest bei Verbraucherverträgen für eine entsprechende Beschränkung ausgesprochen. Die Entwicklungen der jüngeren Zeit tragen damit dem Umstand Rechnung, dass der Versicherer regelmäßig besser als der Versicherungsnehmer weiß, welche Informationen er vor Abschluss des Vertrags benötigt. Gleichzeitig machen sie sich die typische Informations- und Wissensverteilung bei Versicherungsverträgen besser zu nutze als eine spontane Anzeigepflicht.

Unabhängig davon, ob die Anzeigepflicht spontan ausgestaltet ist oder nicht, erstreckt sie sich in allen Rechtsordnungen nur auf erhebliche Umstände, die dem Versicherungsnehmer bekannt sind. Nach Art. 2:103(b) PEICL zieht die unterlassene Anzeige nicht erheblicher Umstände zumindest keine Rechtsfolgen nach sich. Soweit der Versicherer nach einem Umstand nicht ausdrücklich gefragt hat, wird zur Bestimmung der Erheblichkeit in den meisten Rechtsordnungen auf den konkreten Versicherer abgestellt. Nur in wenigen Ländern ist wie nach Art. 2:103(b) PEICL ein umsichtiger Versicherer ausschlaggebend. Erheblich ist ein Umstand in den meisten Rechtsordnungen dementsprechend, wenn er die Entscheidung des konkreten Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu denselben Vertragsbestimmungen abzuschließen, beeinflussen würde. Überwiegend wird dabei von einer Beeinflussung bereits dann ausgegangen, wenn der Versicherer den entsprechenden Umstand – ohne seine Entscheidung zu ändern – in seine Überlegungen einbezogen hätte. Nur vereinzelt wird gefordert, dass das angebotene Risiko vom Versicherer tatsächlich abgelehnt oder nur zu anderen Bedingungen, insbesondere einer höheren Prämie, versichert worden wäre. Unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob der Versicherungsnehmer auch zur Anzeige solcher Umstände verpflichtet ist, die er zwar nicht kennt, aber kennen müsste. Während insbesondere die Rechtsordnungen des common law und Art. 2:101 PEICL auch diese Umstände der Anzeigepflicht unterwerfen, werden sie in den meisten anderen Ländern nicht als anzeigepflichtig angesehen. Wie oben dargelegt, mildern allerdings zumindest die PEICL die Folgen dieser Regelung dadurch ab, dass sie die Anzeigepflicht nur auf Umstände erstrecken, nach denen der Versicherer gefragt hat.

Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zieht in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich. Dem Grundsatz nach folgen alle Rechtsordnungen allerdings entweder dem Alles-oder-Nichts-Prinzip oder dem Proportionalitätsprinzip. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip ist das Regelungsmodell, das in Europa traditionell angewandt wird. Es räumt dem Versicherer das Recht zur Auflösung des Vertrags ein und führt damit dem Grundsatz nach zur Rückabwicklung des Vertrags. Es findet bis heute in zahlreichen Ländern Anwendung und zeichnet sich dadurch aus, dass der Versicherer entweder vollumfänglich zur Leistung verpflichtet ist oder vollumfänglich von der Leistungspflicht frei wird. Es wird von dem grundsätzlich richtigen Gedanken geleitet, einen nicht gewollten und damit nicht effizienten Vertrag aus der Welt zu schaffen. Allerdings steht dem Versicherer das Recht zur Auflösung des Vertrags auch dann zu, wenn dem Versicherungsnehmer kein oder nur geringes Verschulden vorgeworfen werden kann. Da dies zunehmend als unbefriedigend empfunden wird, haben sich die Länder, die ihre Versicherungsvertragsrechte in den letzten Jahren modernisiert haben, ebenso wie die Restatement Group European Insurance Contract Law und die Law Commission in ihren jüngsten Vorschlägen für das Proportionalitätsprinzip entschieden. Dieses Regelungsmodell läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass der Versicherungsvertrag nur bei vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht rückwirkend aufgelöst werden kann, während ansonsten lediglich der Anspruch des Versicherungsnehmers auf die Versicherungsleistung gekürzt wird. Unterschiede ergeben sich zwischen den einzelnen Rechtsordnungen und Regelwerken allerdings, soweit es um die Frage geht, wie der Anspruch auf die Versicherungsleistung zu mindern ist. Während der Anspruch in den meisten Rechtsordnungen und nach Art. 2:102(5) PEICL in dem Verhältnis herabgesetzt wird, in dem die aufgrund der Verletzung der Anzeigepflicht zu niedrig berechnete Prämie zur tatsächlich angebrachten Prämie steht, wird in anderen Ländern die Versicherungsleistung auf die vertraglich vereinbarte Höhe begrenzt oder in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Verschulden des Versicherungsnehmers und der Kausalität zwischen Verletzung der Anzeigepflicht und Eintritt des Versicherungsfalls, gemindert. Das Proportionalitätsprinzip trägt damit sowohl dem Interesse des Versicherungsnehmers an der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes als auch dem Interesse des Versicherers am Schutz vor ungewollten Verträgen und daraus resultierenden Leistungspflichten besser Rechnung als das Alles-oder-Nichts-Prinzip.

b) Während der Laufzeit des Versicherungsvertrags

Während der Laufzeit des Versicherungsvertrags trifft den Versicherungsnehmer in den meisten europäischen Ländern die Pflicht, dem Versicherer Änderungen des versicherten Risikos, insbesondere Gefahrerhöhungen, anzuzeigen. Diese Pflicht ergibt sich in den meisten Ländern aus dem Gesetz. In einigen Ländern, namentlich in England trifft sie den Versicherungsnehmer demgegenüber nur, wenn dies vertraglich vorgesehen ist. Auch nach Art. 4:202 PEICL ist der Versicherungsnehmer nur dann zur Anzeige von Gefahrerhöhungen verpflichtet, wenn eine entsprechende Pflicht vertraglich vereinbart wird.

Unabhängig von ihrem Ursprung garantiert die Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen, dass das versicherte Risiko, das bei Abschluss des Vertrags vorlag und das Grundlage für die Kalkulation der Versicherungsprämie war, perpetuiert wird und das Gleichgewicht zwischen Prämienaufkommen und Versicherungsleistung erhalten bleibt. Da sich der Versicherer darauf verlassen kann, dass sich das versicherte Risiko, soweit der Versicherungsnehmer einen Einfluss darauf hat, während der Laufzeit des Vertrags nicht verändert, entlastet die Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen den Versicherer darüber hinaus von der Notwendigkeit, Änderungen des Risikos beim Abschluss des Vertrags und insbesondere bei der Kalkulation der Prämie zu berücksichtigen. Er muss nicht den Eintritt aller möglichen Gefahrerhöhungen auf Verdacht von Anfang an und mit Hilfe grober Schätzungen in seine Überlegungen und die Berechnung der Prämie einbeziehen, sondern kann bis zum Eintritt einer Gefahrerhöhung warten. Die Ausgestaltung der Pflicht zur Anzeige von Gefahrerhöhungen ähnelt in allen europäischen Rechtsordnungen der Ausgestaltung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Insbesondere werden an eine Verletzung ähnliche Rechtsfolgen geknüpft.

c) Nach Eintritt des Versicherungsfalls

Nach Eintritt des Versicherungsfalls trifft den Versicherungsnehmer in allen europäischen Rechtsordnungen sowie nach Art. 6:101 und 6:102 PEICL eine Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalls sowie zur Erteilung von Auskünften. Beide Pflichten hat der Versicherungsnehmer unabhängig von einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zu erfüllen. Dies mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich dürfte der Versicherungsnehmer regelmäßig ein eigenes Interesse daran haben, den Versicherer über den Eintritt des Versicherungsfalls zu informieren. Die Verpflichtung zur Anzeige und zur Erteilung von Auskünften dient allerdings dem Schutz des Versicherers. Er soll die Umstände und den Umfang des geltend gemachten Schadens untersuchen können, und das zu einem angemessenen Zeitpunkt nach Eintritt des Versicherungsfalls. Da es für den Versicherungsnehmer aufgrund der Nähe zum Versicherungsgegenstand regelmäßig leichter und kostengünstiger ist festzustellen, ob ein Schaden entstanden ist, wird ihm die Verantwortlichkeit dafür aufgebürdet, dass der Versicherer über den Eintritt des Versicherungsfalls und die Einzelheiten des entstanden Schadens informiert wird. Die Ausgestaltung der Anzeige- und Auskunftspflicht orientiert sich in allen Rechtsordnungen weitgehend an den anderen Anzeigepflichten, die dem Versicherungsnehmer auferlegt werden.

3. Informationspflichten des Versicherers

Ebenso wie dem Versicherungsnehmer werden auch dem Versicherer vor Abschluss und während der Laufzeit des Versicherungsvertrags Informationspflichten auferlegt. Anders als die Informationspflichten des Versicherungsnehmers ergeben sich die Informationspflichten des Versicherers allerdings in erster Linie aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht. Die einschlägigen Regelungen finden sich in der dritten Richtlinie Leben (RL 96/‌1992, RL 83/‌2002), in der dritten Richtlinie Schaden (RL 49/‌1992) sowie in der Finanzdienstleistungs-RL (RL 65/‌2002; Fernabsatzverträge). Alle Richtlinien schreiben mit großer Liebe zum Detail vor, worüber und wie der Versicherer den Versicherungsnehmer vor Abschluss und während der Laufzeit des Vertrags informieren muss. Im Einzelnen verpflichten sie den Versicherer zur Übermittlung von Informationen über das Versicherungsunternehmen, über die angebotene Leistung, über den Vertrag und über den Rechtsweg. Bei Lebensversicherungen muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer außerdem Informationen über die zu erwartenden Leistungen, über ihre Ermittlung und Berechnung, über den Rückkaufswert sowie über Abschluss- und Vertriebskosten zukommen lassen. Bei Krankenversicherungen kommen Angaben über die Prämienentwicklung und die Prämiengestaltung hinzu. Ändern sich die vor Abschluss des Vertrags gemachten Angaben während der Laufzeit des Vertrags, muss der Versicherer den Versicherungsnehmer darüber in Kenntnis setzen.

Indem die genannten Richtlinien den Versicherer zur Übermittlung wichtiger Informationen anhalten, sorgen sie für Transparenz im Hinblick auf das verkaufte Produkt. Dies ist bei Versicherungsverträgen von besonderer Bedeutung, da Versicherungen durch das Recht geschaffen werden und nicht unabhängig vom Recht bestehen. Anders als bei gegenständlichen Waren, deren Qualität in den meisten Fällen durch Inspektion und Untersuchung beurteilt werden kann, bedürfen Versicherungen als „Rechtsprodukte“ der Erläuterung und Erklärung durch den Versicherer, um sicherzustellen, dass Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz wählen, der ihre Risiken auch tatsächlich abdeckt. Allerdings ist unklar, ob und inwiefern die Vorgaben der Richtlinien tatsächlich dazu beitragen, dass Versicherungsnehmer bessere Entscheidungen in diesem Sinne treffen. Die Informationen, die der Versicherer nach den einschlägigen Bestimmungen zu übermitteln hat, sind nämlich so umfangreich und so detailliert, dass viele Versicherungsnehmer auf die Lektüre verzichten, weil die damit verbundenen Kosten den zu erwartenden Nutzen übersteigen (rational ignorance). Aber selbst wenn Versicherungsnehmer alle übersandten Informationen lesen, läuft dies nicht zwangsläufig auf eine Verbesserung ihrer Entscheidungen hinaus. Da die menschlichen Aufnahme- und Verarbeitungskapazitäten begrenzt sind, führt ein „Mehr“ an Informationen häufig nicht zu einem „Mehr“ an Erkenntnis. Im Gegenteil: Wie Untersuchungen aus dem Bereich der Konsumenten- und Verhaltensforschung zeigen, kann ein „Mehr“ an Informationen ab einem bestimmten Punkt sogar eine Verschlechterung von Entscheidungen nach sich ziehen, weil selbst die wichtigen Informationen nicht mehr wahrgenommen werden (information overload). Die unternehmerischen Informationspflichten erlangen vor diesem Hintergrund in erster Linie nach Eintritt des Versicherungsfalls Bedeutung, wenn sich der Versicherungsnehmer – gezielt – über den Versicherungsschutz und das von ihm verlangte Verhalten informieren möchte. Die oben beschriebenen Informationsasymmetrien dürften sich demgegenüber besser auf andere Weise überwinden lassen. Genannt seien hier beispielsweise die Beratungspflichten des Versicherers, wie sie sich etwa in Art. 6 des im Jahr 2008 in Kraft getretenen neuen deutschen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und in abgeschwächter Form in Art. 2:202 PEICL finden. Verwiesen sei aber auch auf Maßnahmen wie das „Produktinformationsblatt“, das der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach § 4 der im Jahr 2008 in Kraft getretenen deutschen Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) übermitteln muss. Dieses fasst die wichtigsten Informationen bezüglich der angebotenen Leistung kurz, übersichtlich und verständlich zusammen und gibt dem Versicherungsnehmer so die Möglichkeit, sich innerhalb kurzer Zeit einen Überblick über die wesentlichen Merkmale des Vertrags zu verschaffen. Es dürfte dem Versicherungsnehmer helfen, der ansonsten auf ihn einprasselnden Flut von Informationen in angemessener Zeit Herr zu werden und eine seinen Bedürfnissen entsprechende Entscheidung zu treffen.

4. Informationspflichten des Versicherungsvermittlers

Wird der Versicherungsvertrag – wie regelmäßig – nicht unmittelbar zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer, sondern mit Hilfe eines Versicherungsvermittlers geschlossen, treffen auch diesen Informationspflichten. Sie finden ihre Rechtsgrundlage im Europäischen Gemeinschaftsrecht, insbesondere in der Versicherungsvermittler-RL (RL 92/‌2002) und verfolgen im Wesentlichen zwei Ziele: Zunächst einmal sollen sie die bei Versicherungsverträgen typischerweise anzutreffenden Informationsasymmetrien ausgleichen, indem der Versicherungsnehmer über die angebotenen Produkte informiert wird. Insofern verfolgen die Informationspflichten des Versicherungsvermittlers die gleiche Funktion wie die Informationspflichten des Versicherers. Darüber hinaus sollen sie aber auch sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer die Leistung des Versicherungsvermittlers im Hinblick auf ihre Qualität und ihre Neutralität einschätzen kann. Insbesondere sollen sie sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer weiß, wie groß das eigene Interesse des Versicherungsvermittlers am Abschluss der in Rede stehenden Versicherung ist. Die Versicherungsvermittler-Richtlinie verpflichtet den Versicherungsvermittler deshalb dazu, sein Verhältnis zu dem Versicherer, dessen Versicherungen er vermittelt, offen zu legen, indem er insbesondere auf gegenseitige Beteiligungen und vertragliche Verpflichtungen hinweist. Langfristig sollen die Informationspflichten des Versicherungsvermittlers damit verhindern, dass der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer im eigenen Interesse, insbesondere zur Erzielung von Provisionen, zum Abschluss einer Versicherung bewegt, die seinen Bedürfnissen nicht entspricht. Gemeinsam mit den Informationspflichten des Versicherers tragen sie damit zur dauerhaften Funktionsfähigkeit des Versicherungsmarktes bei.

Literatur

Andrew McGee, The single market in insurance, 1998; Eva-Maria Kieninger, Informations-, Beratungs- und Aufklärungspflichten beim Abschluß von Versicherungsverträgen, Archiv für die civilistische Praxis 199 (1999) 190 ff; Jürgen Basedow, Till Fock (Hg.) Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bde. I-III, 2002/‌2003; Markus Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem, 2003; Malcolm A. Clarke, Policies and Perceptions of Insurance Law in the Twenty-First Century, 2005; Giesela Rühl, Die vorvertragliche Anzeigepflicht: Empfehlungen für ein europäisches Versicherungsvertragsrecht, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 95 (2005) 479 ff; Martina Eckardt, Insurance Intermediation, 2006; Giesela Rühl, Common Law, Civil Law, and the Single European Market for Insurances, International and Comparative Law Quarterly 55 (2006) 879 ff; Jörg Ihle, Der Informationsschutz des Versicherungsnehmers, 2006; Angela Regina Stöbener, Informations- und Beratungspflichten des Versicherers nach der VVG-Reform, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 96 (2007) 465 ff.