Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze) und Gruppenfreistellungsverordnungen: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Reinhard Ellger]]''
== 1. Entwicklung und Bedeutung ==
== 1. Begriff, Rechtsnatur und Funktion ==  


Die Grundfreiheiten sind mit ihrer grenzöffnenden Wirkung ein Kernelement des [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarktes]] und sind für das ganze Recht in Europa und den Mitgliedstaaten bedeutsam. Ihre Einteilung ist umstritten, doch werden zumeist [[Warenverkehrsfreiheit]], Personenverkehrsfreiheit als [[Arbeitnehmerfreizügigkeit]] sowie [[Niederlassungsfreiheit]], [[Dienstleistungsfreiheit]] und [[Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit]] unterschieden. Daneben ist inzwischen das nach Art. 18 EG/‌21 AEUV aus der [[Unionsbürgerschaft]] fließende Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger getreten, welches auch privatrechtlich relevant ist. In der Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] hat sich weithin eine allgemeine Systematik der Grundfreiheiten entwickelt, wobei die Warenverkehrsfreiheit zunächst die Leitrolle spielte. Grundlage ist die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten (EuGH Rs. 26/‌62 – ''van Gend & Loos'', Slg. 1963, 1) mit der Maßgabe, dass der Einzelne sich auf sie berufen kann und entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht nicht angewandt werden kann (EuGH Rs. 6/‌64 – ''Costa/‌ENEL'', Slg. 1964, 125). Die Anwendung von Rechtsnormen, und zwar gerade auch solchen der Mitgliedstaaten, unterliegt daher in Binnenmarktfällen der Kontrolle des EuGH anhand der primärrechtlichen Grundfreiheiten. Die Anwendung den Binnenmarkt unangemessen beeinträchtigender Rechtsnormen wird damit ausgeschaltet. Insofern wird zuweilen von Negativintegration gesprochen, als Gegenbild zur Rechtsangleichung als Positivintegration. Grundfreiheitenkontrolle und Rechtsangleichung sind grundsätzlich auf das gleiche Ziel gerichtet, den [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarkt]], und stehen zueinander im Verhältnis kommunizierender Röhren. Ist eine Rechtsangleichung erfolgt, liegt jedoch infolge einer Mindestklausel eine strengere nationale Maßnahme vor, so können noch die Grundfreiheiten greifen. Für das Privatrecht entstehen vor allem die zwei besonderen Fragen der Bindung Privater an die Grundfreiheiten und der Überprüfung von Privatrechtsnormen, ggf. auch Kollisionsnormen, anhand der Grundfreiheiten.
=== a) Begriff der Gruppenfreistellungsverordnung (GFVO) ===


== 2. Adressat und Struktur ==
Nach Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV kann das Kartellverbot des Abs. 1 dieser Vorschrift für „nicht anwendbar erklärt werden auf Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen ...“. Damit stellt Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV zwei unterschiedliche Wege zur Freistellung von Vereinbarungen (oder den anderen in der Vorschrift genannten Maßnahmen mit wettbewerbsbeschränkender Wirkung) vom Kartellverbot ([[Kartellverbot und Freistellung]]) zur Verfügung: die Freistellung einer einzelnen Vereinbarung unmittelbar auf der Grundlage des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV und die Freistellung ganzer Gruppen von Vereinbarungen, abgestimmten Verhaltensweisen und Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen. Der Begriff der „Gruppe“, wie er in Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV verwandt wird, ist an keiner Stelle des Vertrages definiert. In den englischen und französischen Vertragsfassungen ist von ''category of agreements'' bzw. ''catégorie des accords'' die Rede, eine Begrifflichkeit, die die Zielrichtung dieser Modalität der Freistellung deutlicher hervortreten lässt als der etwas unscharfe deutsche Begriff der Gruppe. Gleichwohl hat sich im Schrifttum ein einheitliches Verständnis dessen herausgebildet, was als Gruppe i.S.d. Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV zu verstehen ist. Danach sind „Gruppen“ Kategorien wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, die gemeinsame oder vergleichbare Tatbestände erfassen und die wegen der weitgehenden Gleichförmigkeit der Interessen der an den Vereinbarungen beteiligten Unternehmen, ihrer Handelspartner, ihrer Konkurrenten und der Verbraucher einer typisierenden Behandlung zugänglich sind. Die durch Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV gegebene Befugnis zur gruppenweisen Freistellung eröffnet den zuständigen Gemeinschaftsorganen die Möglichkeit, eine allgemeine Ausnahme vom Kartellverbot zu erlassen. Dabei werden die Gruppen von Vereinbarungen, abgestimmten Verhaltensweisen und ggf. von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen durch abstrakt-generelle Regelungen umschrieben und die Voraussetzungen und Grenzen solcher gruppenweiser Freistellungen durch abstrakt-generelle Regelungen festgelegt.


Adressat der Grundfreiheiten sind in erster Linie die Mitgliedstaaten, denen gegenüber sie zu Abwehrrechten und sogar Schutzrechten (EuGH Rs.&nbsp;C-265/‌95 ''Kommission/‌Frankreich'', Slg. 1997, I-6959; EuGH Rs.&nbsp;C-112/‌00 – ''Schmidberger'', Slg. 2003, I-5659) führen. Die Abgrenzung gegenüber privaten Beeinträchtigungen erfolgt funktional (EuGH Rs.&nbsp;249/‌81 – ''Buy Irish'', Slg. 1982, 4005; EuGH Rs.&nbsp;C-16/‌94 – ''Dubois'', Slg 1995, I-2421). Wird eine privatrechtliche Vereinbarung Gegenstand eines Gesetzes, so ist sie als nationale Maßnahme anzusehen (EuGH Rs.&nbsp;C-112/‌05 – ''Kommission/‌Deutschland'', Slg. 2007, I-8995, Rn.&nbsp;26). Auch die Gemeinschaft selbst und ihre Organe sind an die Grundfreiheiten gebunden (schon EuGH Rs.&nbsp;212/‌82 – ''Kommission/‌Rat'', Slg. 1983, 4063, 4075; EuGH Rs.&nbsp;15/‌83 – ''Denkavit'', Slg. 1984, 2171). Eine Drittwirkung der [[Warenverkehrsfreiheit]] ist trotz zweifelhafter Wendungen (EuGH Rs.&nbsp;58/‌80 – ''Dansk Supermarket'', Slg. 1981, 181, Rn.&nbsp;17) ausdrücklich abgelehnt worden, für Vereinbarungen zwischen Unternehmen gelten vielmehr die [[Wettbewerbsregeln, Anwendbarkeit|Wettbewerbsregeln]] der Art.&nbsp;81&nbsp;ff. EG/‌101&nbsp;ff. AEUV (EuGH Rs. 65/‌86 – ''Bayer AG'', Slg. 1988, 5249, Rn.&nbsp;11&nbsp;ff.). Für die [[Arbeitnehmerfreizügigkeit]], die [[Niederlassungsfreiheit]] und die [[Dienstleistungsfreiheit]] hat der EuGH für besondere Konstellationen die Bindung Privater anerkannt, so im Hinblick auf private Satzungen nationaler Sportverbände (Rs. C-415/‌93 – ''Bosman'', Slg. 1995, I-4921; verb. Rs.&nbsp;C-51/‌96 und C-191/‌97 – ''Deliège'', Slg. 2000, I-2549), [[Tarifverträge]] und kollektive Arbeitskampfmaßnahmen von Gewerkschaften (Rs.&nbsp;C- 341/‌05 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767<nowiki>; EuGH Rs.&nbsp;</nowiki>C-438/‌05 – ''International Transport Workers’ Federation/‌ Viking Line'', Slg. 2007, I-10779, Rn.&nbsp;57&nbsp;ff.). Auch hinsichtlich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gibt es entsprechende Anzeichen (EuGH Rs.&nbsp;251/‌83 – ''Haug Adrion'', Slg. 1984, 4277). In der Literatur wird gelegentlich von „intermediären Gewalten“ gesprochen, die eine Art Rechtsetzungsmacht haben und damit auch an die Grundfreiheiten gebunden sind. Davon abgesehen ist die Drittwirkung grundsätzlich zu verneinen, sie würde stark in die Privatautonomie eingreifen. In der Literatur finden sich Erwägungen dazu, inwieweit aus für die Mitgliedstaaten entstehenden Schutzpflichten eine mittelbare Drittwirkung folgen kann. Auf die Grundfreiheiten berufen können sich nach dem EuGH nicht nur die Anbieter etwa von Waren oder Dienstleistungen, sondern auch die Nachfrager (EuGH Rs.&nbsp;286/‌82 und 26/‌83 – ''Luisi und Carbone'', Slg. 1989, 195, Rn.&nbsp;15; EuGH Rs.&nbsp;362/‌88 – ''GB-INNO-BM'', Slg. 1990, I-667). Führt man dies konsequent durch, so kann es zu Kollisionen von Grundfreiheiten kommen.
=== b) Rechtsnatur und &#8209;wirkungen ===


Die Struktur der Grundfreiheiten ist annähernd einheitlich – man spricht von der Konvergenz der Grundfreiheiten (''Peter Behrens'') – und mehrgliedrig, je nach Aufteilung zwei-, drei- oder viergliedrig. Hinsichtlich des Anwendungsbereichs sind zunächst der Vorrang des Sekundärrechts, der sachliche Schutzbereich der einzelnen Grundfreiheiten und deren Abgrenzung voneinander, ggf. nach dem Schwerpunkt der Betätigung (EuGH Rs.&nbsp;C-275/‌92 – ''Schindler'', Slg. 1994, I-1039) zu beachten. Ferner gilt das – manchmal großzügig gehandhabte – Erfordernis eines grenzüberschreitenden Bezugs im Binnenmarkt (etwa EuGH Rs.&nbsp;C-332/‌90 –'' Steen'','' ''Slg. 1992, I-341, 365; EuGH Rs.&nbsp;C-23/‌93 – ''TV&nbsp;10'', Slg. 1994, I-4795; EuGH Rs.&nbsp;C-415/‌93 – ''Bosman'' Slg. 1995, I-4921) – bei der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art.&nbsp;56 EG/‌63 AEUV sogar zu Drittstaaten. Bei reinen Inlandssachverhalten greifen die Grundfreiheiten nicht. Dies kann zu Inländerdiskriminierung führen und zugleich einen nationalen Deregulierungsdruck ausüben. Zudem gibt es besondere Bereichsausnahmen, namentlich für die „Ausübung öffentlicher Gewalt“, Art. 45(1), 55 EG/‌51(1), 62 AEUV. Auf die Staatsangehörigkeit des Berechtigten stellt nur Art.&nbsp;49 EG/‌56 AEUV ausdrücklich ab.
GFVOen stellen nicht einzelne Vereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkendem Inhalt vom Kartellverbot frei, sondern ganze Kategorien solcher Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen. Die durch eine Gruppenfreistellung erfassten Vereinbarungen und die Voraussetzungen, unter denen solche Gruppen von Vereinbarungen freigestellt sind bzw. eine gruppenweise Freistellung nicht erfolgen kann, werden durch abstrakt-generelle Kriterien erfasst. Die GFVOen gelten darüber hinaus für eine unbestimmte Vielzahl von Vereinbarungen. Aus diesen Gründen handelt es sich bei der gruppenweisen Freistellung von Vereinbarungen um Normsetzung. GFVOen sind Legislativakte des Gemeinschaftsrechts. Es handelt sich bei ihnen um Verordnungen i.S.v. Art.&nbsp;249(2) EG/‌288(2) AEUV, die in allen Teilen verbindlich sind und in allen Mitgliedstaaten der EU unmittelbare und allgemeine Geltung haben.  


Ein Eingriff in die Grundfreiheit liegt zunächst bei einer unterschiedlichen Behandlung gegenüber Inländern vor, die Grundfreiheiten gebieten also die Inländergleichbehandlung und sind gegenüber Art.&nbsp;12 EG/‌18 AEUV speziellere [[Diskriminierungsverbot (allgemein)|Diskriminierungsverbot]]e. Verboten sind offene (=&nbsp;unmittelbare) wie versteckte (=&nbsp;mittelbare) Diskriminierungen. Darüber hinaus enthalten die Grundfreiheiten aber auch Beschränkungsverbote. Grundlegend ist die zur Warenverkehrsfreiheit entwickelte, aber auf die anderen Freiheiten dann übertragene ''Dassonville''-Formel: „jede Handelsregelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“ (EuGH Rs.&nbsp;8/‌74 – ''Dassonville'', Slg. 1974, 873, Rn.&nbsp;5). Grundsätzlich können auch Privatrechtsregeln solche Handelsregelungen sein. Eingeschränkt wird die ''Dassonville''-Formel durch die berechtigte, aber umstrittene ''Keck''-Rechtsprechung. Nach dieser ist „entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten&nbsp;… zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“ (EuGH verb. Rs.&nbsp;C-267 und 268/‌91 – ''Keck'', Slg. 1993, I-6097). Der Marktzugang wird dann nicht behindert. Dies führt wohl zu einer Unterscheidung nach produktbezogenen und – „Verkaufsmodalitäten“ – vertriebsbezogenen Regeln. Über die Bedeutung für die Privatrechtskontrolle wird gestritten (näher unten 3.). ''Keck'' ist wohl auf die anderen Grundfreiheiten zu übertragen.
===c) Funktion ===


Ein Eingriff in eine Grundfreiheit kann gerechtfertigt sein durch geschriebene Rechtfertigungsgründe (Art.&nbsp;30, 39(3), 46 i.V.m. 55, 57–59 EG/‌36, 45(3), 52 i.V.m. 62, 64–66 AEUV) und – sofern keine unmittelbare Diskriminierung vorliegt (EuGH Rs.&nbsp;46/‌76 – ''Bauhuis'', Slg. 1977, 5) – nach der ''Cassis de Dijon''-Formel (EuGH Rs.&nbsp;120/‌78 ''Cassis de Dijon'', Slg. 1979, 649) durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses: nach dem EuGH müssen „in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes“ (ebenda Rn.&nbsp;8; ferner Umweltschutz, EuGH Rs. 302/‌86 – ''Kommission/‌Dänemark – Pfandflaschen'', Slg. 1988, 4607). Auch Grundrechte können ein Rechtfertigungsgrund sein (etwa EuGH Rs.&nbsp;C-112/‌00 – ''Schmidberger'', Slg. 2003, I-5659, Rn.&nbsp;74; EuGH Rs. C-36/‌02 – ''Omega'', Slg. 2004, I-9609, Rn.&nbsp;35).
Unter dem alten, seit 1962 geltenden System der VO&nbsp;17/‌62 war die Einzelfreistellung nach Art. 85(3) EWG/‌81(3) EG/‌101(3) AEUV nicht unmittelbar anwendbar; die Rechtswirkungen der Freistellung traten nur ein, wenn eine Vereinbarung bei der Kommission angemeldet wurde und diese eine entsprechende Entscheidung traf. Dies führte – insbesondere im Bereich der Vertikalvereinbarungen – zu einer großen Anzahl von Anmeldungen wettbewerbsbeschränkender Abreden der Unternehmen. Der Erlass von GFVOen diente in diesem System einer Entlastung der Kommission vom Massengeschäft und auch zu einer Erleichterung für die Unternehmen, die den erheblichen Aufwand für ein Freistellungsverfahren tragen mussten. Mit Inkrafttreten der VO&nbsp;1/‌2003 ist Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV unmittelbar anwendbar geworden: nach Art.&nbsp;1(2) VO&nbsp;1/‌2003 sind Vereinbarungen, die die Voraussetzungen des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV erfüllen, nicht verboten, ohne dass dies einer Entscheidung bedarf. Die Einführung des Systems der Legalausnahme hat zu einem Funktionswandel der GFVOen geführt. Angesichts der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV tragen die GFVOen nicht mehr zur Verwaltungsvereinfachung und Entlastung der Kommission vom Massengeschäft der Freistellungen bei, sondern gewährleisten ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit für die Unternehmen, die an wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen beteiligt sind. Die Anwendung des durch generalklauselartig vage und unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichneten Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV durch Unternehmen kann zu Schwierigkeiten und Unsicherheiten führen. Die GFVOen enthalten konkretere und durch die Adressaten der Vorschriften leichter handhabbare Regelungen. Die Interpretation der Freistellungsvorschrift des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV als Legalausnahme durch Art.&nbsp;1(2) VO&nbsp;1/‌ 2003 hat zu Zweifelsfragen des rechtlichen Gehalts der GFVOen und ihres Verhältnisses zu Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV geführt. War unter dem alten Anmelde- und Genehmigungssystem unbestritten, dass den GFVOen konstitutive (rechtsbegründende) Wirkung im Hinblick auf die Freistellung der ihr unterfallenden Vereinbarungen zukam, ist dies unter dem System der Legalausnahme zweifelhaft geworden. Ein Teil des Schrifttums billigt den GFVOen lediglich eine deklaratorische (rechtsbestätigende) Wirkung zu, weil sie nur einen Rechtszustand bestätigten, der ohnehin unmittelbar aufgrund von Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV eingetreten sei. Richtigerweise ist aber davon auszugehen, dass den GFVOen auch im System der Legalausnahme eine – wenn auch im Vergleich zum früheren Rechtszustand beschränktere Konstitutivität zukommt. Dies ergibt sich daraus, dass einerseits Art.&nbsp;81(3) EG/‌ 101(3) AEUV unmittelbar zur Freistellung einzelner Vereinbarungen vom Kartellverbot führt, andererseits die Vorschrift aber auch eine Ermächtigung zur Konkretisierung der Freistellungsvoraussetzungen für bestimmte Kategorien von Vereinbarungen erhält. Diese Konkretisierung erfolgt durch gemeinschaftliche Legislativakte der zuständigen Gemeinschaftsorgane. Daraus ergibt sich eine wichtige Konsequenz für das Verhältnis der GFVOen zur Legalausnahme des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV: soweit eine Vereinbarung in den Anwendungsbereich einer GFVO fällt, ist sie auch dann vom Kartellverbot des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(1) AEUV freigestellt, wenn sie im Einzelfall nicht die Voraussetzungen des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV erfüllt. Insoweit entfalten die GFVOen im Verhältnis zu Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV eine Sperrwirkung. Eine nach einer GFVO freigestellte Vereinbarung kann nicht vor mitgliedstaatlichen Gerichten oder Wettbewerbsbehörden mit der Begründung angegriffen werden, sie erfülle nicht die Voraussetzungen des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV. Die Gerichte und Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sind an die Wertungen der GFVOen gebunden. Allerdings ist die Kommission gemäß Art.&nbsp;29 VO&nbsp;1/‌2003 bzw. entsprechender Vorschriften in den einzelnen GFVOen befugt, den beteiligten Unternehmen den Rechtsvorteil der GFVO durch Entscheidung zu entziehen, wenn sich herausstellt, dass eine unter die GFVO fallende Vereinbarung nicht mit Art.&nbsp;81(3) EG/‌ 101(3) AEUV vereinbar ist.  


Sind die Rechtfertigungsgründe Schranken der Grundfreiheit, so unterliegen sie doch selbst Schranken (im deutschen Schrifttum sog. „Schranken-Schranken“), insbesondere dem Grundsatz der [[Verhältnismäßigkeit]]. Die Maßnahmen müssen daher geeignet und erforderlich sein, die Angemessenheit hat in der Rechtsprechung nur eine geringe Bedeutung, vor allem bei Kollisionen mit Grundrechten oder Bindung privater Organisationen. Nicht erforderlich ist eine Maßnahme insbesondere dann, wenn dem Allgemeininteresse bereits durch gleichwertige Maßnahmen im Herkunftsstaat Rechnung getragen wird, insoweit ist hier primärrechtlich ein [[Herkunftslandprinzip]] angelegt, das aber nicht schrankenlos gilt. Bei der Erforderlichkeitsprüfung ist der EuGH tendenziell recht strikt, so dass eine Rechtfertigung oft verneint wird.
GFVOen sind als Legislativakte des Gemeinschaftsgesetzgebers wie Gesetze auszulegen; da sie Ausnahmen vom Kartellverbot des Art.&nbsp;81(1) EG/‌101(1) AEUV normieren, sind sie eng auszulegen (s. z.B. EuGH Rs.&nbsp;C-70/‌93 – ''BMW/‌ALD Autoleasing'', Slg. 1995, I-3439, Rn.&nbsp;28). Wird eine Vereinbarung, die in den Anwendungsbereich einer GFVO fällt, nicht freigestellt, weil sie die Bedingungen der GFVO für eine Freistellung nicht erfüllt, weil die daran beteiligten Unternehmen z.B. die in der Verordnung vorgesehenen Marktanteilsschwellen überschreiten, so bedeutet dies nicht, dass damit das Verbot des Art.&nbsp;81(1) EG/‌101(1) AEUV greift. Dann ist vielmehr zu prüfen, ob die Vereinbarung unmittelbar nach Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV freigestellt ist. Allerdings erfüllen Vereinbarungen mit besonders schweren Beschränkungen des Wettbewerbs, den sog. Kernbeschränkungen (z.B. Preiskartelle, Marktaufteilungen) in aller Regel nicht die Voraussetzungen dieser Vorschrift.


== 3. Privatrechtsnormen und Grundfreiheiten ==
=== d) Materiellrechtliche Voraussetzungen von GFVOen ===


Auch privatrechtliche Normen können entgegen vereinzelten Stimmen der Literatur der Kontrolle anhand der Grundfreiheiten unterliegen, der EGV unterscheidet insoweit nicht zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht. Verschiedenste Einzelfragen des Privatrechts sind bereits vom EuGH analysiert worden, indes stets punktuell. Die Einzelheiten sind jedoch sehr umstritten und in der Rechtsprechung des EuGH noch wenig entfaltet.  
Die GFVOen unterliegen denselben materiellrechtlichen Voraussetzungen, wie sie Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV für Freistellungen im Einzelfall vorsieht. Die durch eine GFVO freigestellten Vereinbarungen müssen demnach zu einer Verbesserung der Warenerzeugung oder &#8209;verteilung oder zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts beitragen. Darüber hinaus müssen die Verbraucher angemessen an dem durch die Vereinbarungen entstehenden Gewinn beteiligt werden. Weiterhin dürfen die Vereinbarungen zur Erreichung dieser Ziele nicht unerlässlich sein. Schließlich darf den beteiligten Unternehmen durch die Vereinbarungen keine Möglichkeit eröffnet werden, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren auszuschalten. Der Gemeinschaftsgesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der GFVOen an die Voraussetzungen des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV gebunden. Allerdings sind gewisse Unterschiede zwischen der Freistellung im Einzelfall und den GFVOen festzustellen, die auf deren Natur als Legislativakte beruhen. Eine GFVO umschreibt die Vereinbarungen, auf die sie anwendbar ist, durch abstrakt-generelle Kriterien. Dadurch kann die GFVO auch auf Vereinbarungen Anwendung finden, die nicht unter das Kartellverbot des Art.&nbsp;81(1) EG/‌101(1) AEUV fallen, während durch die unmittelbare Anwendung des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV nur Vereinbarungen freigestellt werden können, die den Tatbestand des Art.&nbsp;81(1) EG/‌101(1) AEUV erfüllen.


Im Privatrecht stellt sich zudem – anders als im meist territorial bezogenen Öffentlichen Recht – in der Regel zunächst die Kollisionsrechtsfrage, also die Anknüpfung nach [[Internationales Privatrecht|internationalem Privatrecht]]. Schon Kollisionsnormen können wohl gegen Grundfreiheiten verstoßen. Einige Stimmen der Literatur haben sogar versucht, aus den Grundfreiheiten klare Kollisionsregeln abzuleiten, etwa ein [[Herkunftslandprinzip]], einen ''favor offerentis'', doch hat sich dies zu Recht nicht durchgesetzt; die Anerkennung der Grundfreiheiten als Nachfragerfreiheiten und die stete Möglichkeit der Rechtfertigung sprechen dagegen. Wenn die Kollisionsnorm mit den Grundfreiheiten vereinbar ist, so bedeutet dies entgegen einer in der Literatur recht vereinzelt vertretenen Auffassung noch nicht, dass die Anwendung der Sachnorm grundfreiheitenrechtlich zulässig wäre. Vielmehr können sowohl Kollisionsnorm wie Sachnorm an den Grundfreiheiten zu messen sein, die Zulässigkeit der Kollisionsnorm immunisiert die Sachnorm nicht, maßgebend ist das Resultat. Umstritten ist aber, ob nur international zwingende Normen oder auch international oder national dispositive Normen einen Eingriff in die Grundfreiheiten darstellen können. In ''Alsthom Atlantique'' hat der EuGH (Rs.&nbsp;C-399/‌89, Slg. 1991, I-107) in einem ''dictum'' einen Eingriff wegen der Möglichkeit der Rechtswahl abgelehnt (Rn.&nbsp;15: „Im übrigen steht es den Parteien eines internationalen Kaufvertrags im allgemeinen frei, das auf ihre Vertragsbeziehungen anwendbare Recht zu bestimmen und so die Unterwerfung unter das französische Recht zu vermeiden.“). Dies scheint richtig, da durch die [[Rechtswahl]] die Beschränkung in die Hand der Parteien gelegt wird, ist jedoch sehr umstritten. [[Eingriffsnormen]] sind sicher einer Grundfreiheitenkontrolle zu unterziehen. Sehr umstritten ist die Bedeutung der ''Keck''-Rechtsprechung zu den Verkaufsmodalitäten. Während manche annehmen, dass Privatrechtsnormen zwar nicht immer, aber oft Verkaufsmodalitäten darstellen, wird dies von anderen bestritten. Eine sorgsame Betrachtung ist angebracht.
== 2. Zuständigkeit zum Erlass von GFVOen ==


Klare Grundfreiheitenverstöße können bei diskriminierenden Privatrechtsnormen vorliegen, die aber selten sind. Für das Zivilprozessrecht ist dies in der Rechtsprechung für die Ausländersicherheit (EuGH Rs.&nbsp;C-20/‌92 – ''Hubbard'','' ''Slg. 1993, I-3777) und den Arrestgrund der Auslandsvollstreckung (EuGH Rs.&nbsp;C-398/‌92 – ''Hatrex'', Slg. 1994, I-467) bejaht worden. Auch bei Sachrechtsnormen ist es nicht ausgeschlossen, etwa bei der Beschränkung tauglicher Bürgen auf im Inland Ansässige nach §&nbsp;239 BGB. Wenn bei der AGB-Kontrolle oder der Vermittlung von Pauschalreisen für Parteien mit ausländischer Niederlassung strengere Regeln gelten wie in den Niederlanden, so dürfte das eine Diskriminierung sein. Sogar in der Befristung der Arbeitsverträge von in der Regel ausländischen Fremdsprachenlektoren hat der EuGH eine versteckte Diskriminierung gesehen (EuGH Rs. 33/‌88 – ''Allué'','' ''Slg. 1989, 1591&nbsp;ff.). Noch problematischer ist das Beschränkungsverbot.
Nach Inkrafttreten der VO&nbsp;17/‌62 im Jahr 1962 bestanden zunächst Meinungsunterschiede zwischen Rat und Kommission über die Zuständigkeit zum Erlass der Gruppenfreistellungsregelung. Die Kommission war der Auffassung, sie könne die gruppenweise Freistellung durch Entscheidung ausgestalten. Der Rat hielt den Erlass entsprechender Regelungen für Normsetzung, die im Wege der Verordnung erfolgen müsse. Rat und Kommission fanden einen Kompromiss. In einem zweistufigen Rechtssetzungssystem legt der Rat zunächst durch Verordnung die Gruppen von Vereinbarungen fest, für die eine Gruppenfreistellung in Betracht kommt. In einem zweiten Schritt regelt die Kommission ebenfalls durch Verordnung die Einzelheiten der gruppenweisen Freistellung für diese Kategorien von Vereinbarungen. Der Rat hat insgesamt fünf Ermächtigungsverordnungen erlassen, die die Kommission umfassend zum Erlass entsprechender GFVOen genutzt hat.


Durch die Fortentwicklung der Grundfreiheiten zum Beschränkungsverbot überholt sein dürfte die Entscheidung in der Sache ''Koestler'', in der der EuGH die Nichtdurchsetzbarkeit von Schulden aus Differenzgeschäften nach damaligem deutschen Recht nicht als Beschränkung der [[Dienstleistungsfreiheit]] angesehen hatte (EuGH Rs. 15/‌78,'' ''Slg. 1978, 1971, 1980, Rn.&nbsp;5). Die Anordnung einer bloßen Naturalobligation greift nach heutigem Verständnis aber in die Grundfreiheiten ein. Für gesetzliche Verbote gilt dies gewiss, aber es ist stets die Rechtfertigung zu prüfen und bei Fragen der Sittenwidrigkeit ([[Sitten- und Gesetzwidrigkeit von Verträgen]]) – wie etwa Zwergenweitwurf (Benutzung kleinwüchsiger Menschen als Wurfobjekte zwecks Belustigung), Prostitution, Telefonsex, Leihmutterschaft etc. – fraglich, inwieweit ein mitgliedstaatlicher Spielraum besteht (vgl. EuGH Rs.&nbsp;C-36/‌02 – ''Omega'', Slg. 2004, I-9609). Vorvertragliche Haftung wegen Verletzung einer Informationspflicht über Schwierigkeiten mit Garantieleistungen bei Parallelimporten hat der EuGH in ''CMC Motorradcenter ''als zu ungewiss und zu mittelbar für einen Grundfreiheiteneingriff angesehen (EuGH Rs. C-93/‌92 – ''CMC Motorradcenter'', Slg. 1993, I-5009). International dispositive Leistungsstörungsvorschriften sind in ''Alsthom Atlantique'' nicht an der [[Warenverkehrsfreiheit]] gemessen worden, bei international zwingenden Normen würde sich die Frage der Verkaufsmodalitäten stellen. Preisregelungen sind vom EuGH unterschiedlich behandelt worden, zunächst fast freigestellt worden (EuGH Rs.&nbsp;82/‌77 – ''van Tiggele'','' ''Slg. 1978, 25, Rn.&nbsp;16/‌20; EuGH verb. Rs.&nbsp;177 und 178/‌82 – ''van de Haar'', Slg. 1984, 1797), verschiedentlich beanstandet oder als Eingriff angesehen worden, so die französische Buchpreisbindung (EuGH Rs.&nbsp;229/‌83 – ''Leclerc'', Slg. 1985,&nbsp;1) und italienische Mindesthonorarvorschriften für gerichtsbezogene Anwaltsdienstleistungen (EuGH verb. Rs.&nbsp;C-94 und 202/‌04 – ''Cipolla'', Slg. 2006, I-11421, evtl. Rechtfertigung); in Deutschland stellt sich die Frage bei Architektenhonoraren. Ein bankrechtliches Verbot der Verzinsung von Sichteinlagen soll die [[Niederlassungsfreiheit]] verletzen (EuGH Rs.&nbsp;C-442/‌02 – ''Caixa Bank France'', Slg. 2004, I-8961). Ein Verbot der Kreditkartennummeranforderung vor Ablauf der Widerrufsfrist ([[Widerrufsrecht]]) soll die Ausfuhrfreiheit nach Art.&nbsp;29 EG/‌35 AEUV verletzen, ein Verbot des Verlangens einer Anzahlung oder Zahlung nicht (EuGH Rs.&nbsp;C-205/‌07 – ''Gysbrechts'', EuZW 2009, 115).
== 3. Grundlegende Regelungsstrukturen der GFVOen ==


Bezüglich des Sachenrechts ist die Missachtung eines deutschen Eigentumsvorbehalts durch eine niederländische Pfändungsvorschrift zur Einziehung direkter Steuern vom EuGH nicht als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit gesehen worden (EuGH Rs.&nbsp;C-69/‌88 – ''Krantz'','' ''Slg. 1990, I-583''). ''In der Literatur ist hingegen versucht worden, aus der [[Warenverkehrsfreiheit]] des Art.&nbsp;28 EG/‌34 AEUV weitreichende Folgerungen für das Kreditsicherungsrecht zu ziehen. Hinsichtlich des Gesellschaftsrechts im Binnenmarkt hat der EuGH seit ''Centros'' umfassende Folgerungen aus der [[Niederlassungsfreiheit]] für richtig gehalten. Auch Geschäftsbezeichnung oder Firma sind zu nennen (Rs.&nbsp;C-255/‌97 – ''Pfeiffer'','' ''Slg.'' ''1999, I-2835).
=== a) GFVOen herkömmlichen Typs ===


Im Lauterkeitsrecht haben die Grundfreiheiten zunächst weitreichende Wirkung entfaltet, so beim Verbot der Werbung unter blickfangmäßiger Herausstellung des Preisvergleichs (EuGH Rs.&nbsp;C-126/‌91 – ''Yves Rocher'','' ''Slg. 1993, I-2361), doch wird gerade hier oft die ''Keck''-Rechtsprechung zu den Verkaufsmodalitäten eingreifen. Das Verbot des Verkaufs unter dem Einstandspreis (EuGH verb. Rs.&nbsp;C-267 und 268/‌91 – ''Keck'','' ''Slg. 1993, I-6097) hat der EuGH nicht als Beschränkung angesehen. Lauterkeitsrecht kann aber durchaus auch produktbeschränkend wirken (EuGH Rs.&nbsp;C-315/‌92 – ''Clinique'', Slg. 1994, I-317 und andere). Beim geistigen Eigentum hat der EuGH aus der [[Warenverkehrsfreiheit]] für mitgliedstaatliche Schutzrechte den Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung hergeleitet (EuGH Rs.&nbsp;78/‌70 – ''Deutsche Grammophon'', Slg. 1971, 487, Rn.&nbsp;11&nbsp;f.).
Die GFVOen herkömmlichen Typs, die die Kommission bis zum Ende der neunziger Jahre erließ, waren von dem Bemühen charakterisiert, neben dem Entlastungseffekt den Unternehmen eine möglichst klare Orientierung für ihre Vertragspraxis in kartellrechtlich wichtigen Bereichen zu geben. Diesem Ansatz entsprach es, in den GFVOen wettbewerbsbeschränkende Klauseln aufzunehmen, bei deren Verwendung die Vereinbarung freigestellt war („weiße Liste“). Daneben sah ein Teil der GFVOen auch Vertragsklauseln vor, bei deren Verwendung eine Freistellung der Vereinbarung ausgeschlossen war („schwarze Liste“). Schließlich enthielten einige GFVOen auch Klauseln, die nur dann freigestellt waren, wenn die Vereinbarung von den beteiligten Unternehmen bei der Kommission angemeldet wurden und die Kommission nicht innerhalb einer bestimmten Frist der Freistellung widersprach („graue Liste“). Diese Regelungstechnik führte in der Praxis zu erheblichen Problemen. Der EuGH hatte in Bezug auf die frühere VO&nbsp;67/‌67 über Alleinbezugs- und Alleinbelieferungsverpflichtungen entschieden, dass die Verwendung von wettbewerbsbeschränkenden Klauseln, die nicht in der „weißen Liste“ der GFVO enthalten waren, die Anwendung der GFVO auf die Vereinbarung insgesamt ausschloss (EuGH Rs.&nbsp;22/‌71 – ''Béguelin Import/‌G.L. Import Export'', Slg. 1971, 949, Rn.&nbsp;19&nbsp;ff.). Auf der Grundlage dieser sehr engen Beurteilung des Anwendungsbereichs einer GFVO entstand das sog. „Alles-oder-Nichts“-Prinzip, das von den Unternehmen als zu starr und streng kritisiert wurde. Hinzu kam, dass von den Klauseln der „weißen Liste“ der zulässigen Abreden ein sehr starker Anpassungsdruck auf die Vertragspraxis der betroffenen Unternehmen ausgeübt wurde: um sicherzustellen, dass eine Vereinbarung auch nach der einschlägigen GFVO freigestellt war, machten die Unternehmen die in den GFVOen enthaltenen „weißen Klauseln“ (die freistellungsfähig waren) zu Vertragsbestandteilen. Diese Regelungstechnik führte zu einer starken Inflexibilität bei der Vertragsgestaltung der Unternehmen und verhinderte innovative Vertragsgestaltungen, weil bei diesen die Gefahr bestand, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der GFVO fielen. Diese Auswirkung der Regelungstechnik bei den älteren GFVOen wurde im Schrifttum als „Zwangsjackeneffekt“ kritisiert.  


Arbeitskampfrechtliche Regelungen hat der EuGH ebenfalls an den Grundfreiheiten gemessen (EuGH Rs.&nbsp;C-341/‌05 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767; EuGH Rs.&nbsp;C-438/‌05 ''International Transport Workers’ Federation/‌Viking Line'', Slg. 2007, I-10779). Den Ausschluss eines Anspruchs auf „Abfertigung“ bei Eigenkündigung durch den Arbeitnehmer in Österreich hat der EuGH nicht als Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gewertet (EuGH Rs.&nbsp;C-190/‌98 – ''Filzmoser'','' ''Slg. 2000, I-493). Die Rechtsprechung bestätigt somit die vorhandene, aber moderate Rolle der Grundfreiheiten bei der Kontrolle von Privatrechtsnormen. Anders als verfassungsrechtliche Grundrechtskontrolle ist sie bisher allein liberalisierend.
===b) Regelungsstrukturen der GFVOen neuen Typs===
 
Die mit der alten Regelungsstruktur verbundenen negativen Auswirkungen veranlasste die Kommission am Ende der neunziger Jahre schließlich, diese Regelungsmethode aufzugeben und den GFVOen neue Regelungsstrukturen zu geben. Die erste GFVO neuen Typs war die VO&nbsp;2790/‌99 der Kommission über die Anwendung von Art.&nbsp;81(3) des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen vom 22.12.1999. Diese VO bezieht grundsätzlich alle Arten vertikaler Vereinbarungen in ihren Anwendungsbereich ein und ersetzt drei von der Kommission in den achtziger Jahren erlassene GFVOen über Alleinvertriebsvereinbarungen, Alleinbezugsvereinbarungen und Franchisevereinbarungen. Gesondert geregelt ist allerdings die gruppenweise Freistellung von Vertikalvereinbarungen im KFZ-Sektor. Das der neuen GFVO (VO&nbsp;2790/‌99) für Vertikalvereinbarungen zugrunde liegende neue Regelungskonzept wurde von der Kommission in der Folgezeit generalisiert und auch in fünf weitere GFVOen, die die praktisch wichtigsten Bereiche der Freistellung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen abdecken, übernommen.
 
Die VO&nbsp;2790/‌99 und die nach ihrem Modell gestalteten weiteren GFVOen enthalten keine Listen von „weißen“, „schwarzen“ oder „grauen“ Vereinbarungen mehr, die freigestellt sind oder die der gruppenweisen Freistellung nicht zugänglich sind. Die GFVOen legen vielmehr durch allgemeine Kriterien die Kategorien von Vereinbarungen fest, auf die sie anwendbar sind. Es handelt sich dabei z.B. um Vereinbarungen über den Bezug und Verkauf von Waren und Dienstleistungen in der GFVO über Vertikalvereinbarungen oder Vereinbarungen über die einseitige oder zweiseitige Spezialisierung zwischen Wettbewerbern in der GFVO über Spezialisierungsvereinbarungen. Die Freistellung dieser großflächig zugeschnittenen Kategorien von Vereinbarungen wird begrenzt durch eine Liste von sog. Kernbeschränkungen. Es handelt sich dabei um Abreden, die zu schweren Beschränkungen des Wettbewerbs führen. Enthält eine eigentlich unter eine GFVO fallende Vereinbarung eine Kernbeschränkung, so ist sie nicht vom Kartellverbot freigestellt, weil die GFVO nicht anwendbar ist. Neben den Kernbeschränkungen nennen einige der GFVOen neuen Typs auch bestimmte Wettbewerbsverbote, die eine Anwendung der jeweiligen GFVO ausschließen, wenn eine Vereinbarung ein solches Wettbewerbsverbot enthält. In beiden Fällen ist zu prüfen, ob die Vereinbarung – da sie nicht nach der GFVO freigestellt ist die Voraussetzungen des Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV für die Freistellung im Einzelfall erfüllt. Dabei werden in aller Regel Vereinbarungen mit Kernbeschränkungen nicht freistellbar sein.
 
Charakteristisch für alle GFVOen neuen Typs ist die Aufnahme einer Marktanteilsschwelle. Eine Marktanteilsschwelle verknüpft die Rechtswirkung einer GFVO, nämlich die Freistellung einer Vereinbarung vom Kartellverbot, mit dem Unterschreiten einer bestimmten Marktanteilsschwelle durch die beteiligten Unternehmen (oder eines von ihnen). Die Marktanteilsschwellen sind in den einzelnen GFVOen unterschiedlich hoch ausgestaltet, aber nicht höher als 30&nbsp;% (Ausnahme: bei Vereinbarungen über quantitativen selektiven Vertrieb nach der GFVO für den KFZ-Sektor gilt eine Marktanteilsschwelle von 40&nbsp;% für den Lieferanten neuer KFZ). Funktion der Marktanteilsschwellen ist es, die gruppenweise Freistellung von Vereinbarungen zu verhindern, die zwischen Unternehmen abgeschlossen sind, die über erhebliche Marktmacht verfügen und bei denen daher befürchtet werden muss, dass ihnen durch die Freistellung die Möglichkeit eröffnet wird, den Wettbewerb für einen erheblichen Teil des relevanten Marktes auszuschließen. Die Marktanteilsschwellen sollen sicherstellen, dass durch die Freistellung den beteiligten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnet wird, den Wettbewerb für einen erheblichen Teil der betreffenden Waren auszuschließen (Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV a.E.).
 
== 4. Überblick über die wichtigsten, in Kraft befindlichen GFVOen==
 
Auf der Grundlage der Ermächtigungsverordnungen des Rates hat die Kommission sechs GFVOen erlassen. Durch diese Verordnungen wird die Freistellung eines überaus weiten Spektrums wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen geregelt, insbesondere von Vereinbarungen, die von kleineren und mittleren Unternehmen abgeschlossen werden. Die GFVOen tragen zur Rechtssicherheit für die Unternehmen bei, indem bei ihnen eine Freistellung unter konkreteren Voraussetzungen für die Unternehmen möglich ist als bei Anwendung des generalklauselartig weiten und vage formulierten Art.&nbsp;81(3) EG/‌101(3) AEUV.
 
=== a) VO&nbsp;2790/‌‌1999 (Vertikalvereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen) ===
 
Die VO&nbsp;2790/‌1999 erfasst grundsätzlich alle vertikalen Vereinbarungen, die wettbewerbsbeschränkende Elemente enthalten. Die Kommission geht davon aus, dass Vertikalvereinbarungen, die keine Kernbeschränkungen enthalten, zu Effizienzverbesserungen im Bereich der Warenherstellung und des Vertriebs führen können. Die VO&nbsp;2790/‌1999 bindet die Freistellungswirkung an eine Marktanteilsschwelle des Lieferanten (bei Alleinbezugsvereinbarungen: des Käufers) von höchstens 30&nbsp;% des relevanten Marktes. Die VO&nbsp;2790/‌1999 ist gemäß ihrem Art.&nbsp;4 nicht anwendbar, wenn die betreffende Vereinbarung bestimmte Kernbeschränkungen wie z.B. eine Preisbindung der zweiten Hand oder Beschränkungen des Gebiets oder des Kundenkreises enthält. Ebenfalls nicht anwendbar ist die VO&nbsp;2790/‌ 1999 gemäß ihres Art.&nbsp;5, wenn eine Vertikalvereinbarung ein in bestimmter Weise ausgestaltetes Wettbewerbsverbot enthält. Die VO&nbsp;2790/‌ 1999, die am 1.1.2000 in Kraft getreten ist, gilt bis zum 31.7.2010.
 
=== b) VO&nbsp;2658/‌‌2000 (Spezialisierungsvereinbarungen) ===
 
Die VO&nbsp;2658/‌2000 der Kommission v. geht davon aus, dass sich Vereinbarungen zwischen Unternehmen über die Spezialisierung effizienzsteigernd auswirken können, weil die beteiligten Unternehmen ihre Produkte wirtschaftlicher herstellen und damit preisgünstiger anbieten können. Sie bezieht sich auf ein- und zweiseitige Spezialisierungsvereinbarungen. Allerdings ist nach Art.&nbsp;4 der VO&nbsp;2658/‌2000 die gruppenweise Freistellung solcher Spezialisierungsvereinbarungen nur dann möglich, wenn der aggregierte Marktanteil der beteiligten Unternehmen nicht mehr als 20&nbsp;% des relevanten Marktes beträgt. Art.&nbsp;5 der VO&nbsp;2658/‌2000 schließt ihre Anwendung auf Vereinbarungen aus, die bestimmte schwere Kernbeschränkungen enthalten, wie z.B. Festsetzungen des Preises für den Wiederverkauf von Produkten, Markt- und Kundenkreisaufteilung sowie Produktions- und Absatzbeschränkungen. Die VO&nbsp;2658/‌2000 ist am 1.1. 2001 in Kraft getreten und hat eine Laufzeit bis zum 31.12.2010.
 
===c) VO&nbsp;2659/‌‌2000 (Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen) ===
 
Die VO&nbsp;2659/‌2000 geht davon aus, dass die Kooperation von Unternehmen in den Sektoren Forschung und Entwicklung zum technischen und wirtschaftlichen Fortschritt beiträgt, Innovationen fördert sowie doppelte Forschungsinvestitionen verhindert. Die VO&nbsp;2659/‌2000 erfasst Vereinbarungen zwischen zwei und mehr Unternehmen über die gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie die gemeinsame Verwertung der erzielten Ergebnisse, die gemeinsame Verwertung von Forschungsergebnissen sowie die gemeinsame Forschung und Entwicklung ohne eine gemeinsame Verwertung von Ergebnissen. Die VO&nbsp;2659/‌2000 gilt allerdings bei Vereinbarungen miteinander konkurrierender Unternehmen nur, soweit ihre aggregierten Marktanteile 25&nbsp;% des relevanten Markts nicht übersteigen. Nach Art.&nbsp;5 der VO&nbsp;2659/‌2000 schließen bestimmte Kernbeschränkungen wie z.B. die Festsetzung der Wiederverkaufspreise für die entwickelten Produkte oder Beschränkungen der Forschungsaktivitäten der beteiligten Unternehmen außerhalb der gemeinsamen Forschung die Anwendung der VO&nbsp;2659/‌2000 aus. Sie ist am 1.1.2001 in Kraft getreten und endet am 31.12. 2010.
 
=== d) VO&nbsp;1400/‌‌2002 (Vertikalvereinbarungen im Kraftfahrzeugsektor)===
 
In den Anwendungsbereich der VO&nbsp;1400/‌2002 fallen Vertikalvereinbarungen im Bereich des Handels mit neuen KFZ sowie mit KFZ-Ersatzteilen. Der KFZ-Markt ist durch strukturelle Besonderheiten gekennzeichnet. Auf ihm steht einer kleinen Zahl von großen Autoherstellern eine Vielzahl von KFZ-Händlern und Reparaturwerkstätten gegenüber. Die im KFZ-Vertrieb üblichen Vertikalvereinbarungen enthalten häufig Elemente der Alleinbelieferung, des Alleinvertriebs, des selektiven Vertriebs, der Gebiets- und Kundenbeschränkung sowie der Wettbewerbsverbote. Die VO&nbsp;1400/‌2002 bildet im Verhältnis zur allgemeinen GFVO über Vertikalvereinbarungen (VO&nbsp;2790/‌99) eine Spezialregelung, die sowohl die Voraussetzungen der Gruppenfreistellung wie auch die Kernbeschränkungen präziser und konkreter, z.T. auch enger festlegt als die VO&nbsp;2790/‌99. Die VO&nbsp;1400/‌2002 ist am 1.10. 2002 in Kraft getreten und hat eine Laufzeit bis zum 31.5.2010.
 
===e) VO&nbsp;358/‌‌2003 (Versicherungssektor)===
 
Die VO&nbsp;358/‌2003 regelt die gruppenweise Freistellung von Vereinbarungen zwischen Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen für genau abgegrenzte Tätigkeitsbereiche von Versicherungsgesellschaften wie z.B. gemeinsame Erstellung von Mustern für allgemeine Versicherungsbedingungen. Für die gemeinsame Deckung von Risiken sieht die VO&nbsp;358/‌2003 eine Marktanteilsschwelle von 20&nbsp;% für Mitversicherungsgesellschaften und 25&nbsp;% für Rückversicherungsgesellschaften vor. Die VO&nbsp;358/‌2003, die am 1.4.2003 in Kraft getreten ist, gilt bis zum 31.3.2010.
 
===f) VO&nbsp;772/‌‌2004 (Technologietransfer)===
 
Technologietransfer-Vereinbarungen sorgen für die Weitergabe technologischen Wissens durch die Einräumung von Lizenzen an gewerblichen Schutzrechten und ''Know-How''. Dadurch wird ein Beitrag zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts geleistet, aber auch Effizienzverbesserungen bei der Produktion von Waren erzielt. Die Verordnung stellt Technologietransfer-Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen vom Kartellverbot frei, die die Herstellung von Vertragsprodukten ermöglichen sollen. Die VO&nbsp;772/‌2004 knüpft die Freistellung an die Einhaltung von Marktanteilsschwellen, die bei Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern bei 20&nbsp;%, bei Nicht-Wettbewerbern 30&nbsp;% des betroffenen Technologie- und Produktmarktes nicht überschreiten. Art.&nbsp;4 der VO&nbsp;772/‌2004 enthält eine Liste von Kernbeschränkungen, die die Anwendbarkeit der VO ausschließen. Sie ist am 1.5.2004 in Kraft getreten und läuft bis zum 30.4.2014.
 
=== g) Weitere GFVOen ===
 
Daneben besteht im Verkehrsbereich eine Anzahl von GFVOen, die gewisse Vereinbarungen im Luft- und Seeverkehr sowie im Strassen-, Eisenbahn- und Binnenschiffsverkehr betreffen.
 
== 5. Rezeption der GFVOen in das deutsche Kartellrecht  ==
 
Die 7.&nbsp;GWB-Novelle (Gesetz vom 7.7.2005. BGBl. I, 2546) hat den Art.&nbsp;81 EG/‌101 AEUV in die §§&nbsp;1 (Kartellverbot) und 2 (Freistellung) des deutschen GWB übernommen. Nach §&nbsp;2 Abs.&nbsp;2 GWB gelten bei der Anwendung der Freistellungsvorschrift auch die GFVOen des Gemeinschaftsrechts als deutsches Recht. Für die Anwendbarkeit der GFVOen als deutsches Recht kommt es nicht darauf an, ob die Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.  


==Literatur==
==Literatur==
''Wulf-Henning Roth'', Der Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Internationale Privatrecht, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 55 (1991) 623&nbsp;ff.; ''Peter Behrens'', Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht, Europarecht 1992, 145&nbsp;ff.; ''Luca Radicati de Brozolo'', L’influence sur les conflits de lois des principes de droit communautaire en matière de liberté de circulation, Revue critique de droit international privé 82 (1993) 401&nbsp;ff.; ''Jürgen Basedow'', Der kollisionsrechtliche Gehalt der Grundfreiheiten im europäischen Binnenmarkt: favor offerentis, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 59 (1995) 1&nbsp;ff.; ''Wulf-Henning Roth'', Drittwirkung der Grundfreiheiten?, in: Festschrift für Ulrich Everling 1995, 1231&nbsp;ff.; ''Ernst Steindorff'', EG-Vertrag und Privatrecht, 1996;'' Thorsten Kingreen'', Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999; ''Malcolm Jarvis'','' Peter Oliver'', Free Movement of Goods in the European Community, 4.&nbsp;Aufl. 2002; ''Oliver Remien'', Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2003; ''Torsten Körber'', Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004; ''Dirk Ehlers'' (Hg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2.&nbsp;Aufl. 2005; ''Arthur Hartkamp'', Europees recht en Nederlands vermogensrecht, Mr. C.&nbsp;Assers Handleiding tot de beoefening van het Nederlands Burgerlijk Recht, Vermogensrecht algemeen, Deel&nbsp;1, 2008.
''Christoph Liebscher'', ''Eckhard Flohr'', ''Alexander Petsche'' (Hg.), Handbuch der Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003; ''Ulrich Immenga'', ''Ernst Joachim Mestmäcker'', Kommentar zum Wettbewerbsrecht. EG, Teil 1, 4.&nbsp;Aufl. 2007; ''Ulrich Loewenheim'', ''Karl M. Meesen'', ''Alexander Riesenkampff'' (Hg.), Kartellrecht, 2.&nbsp;Aufl. 2009; ''Peter Roth'', ''Vivien Rose'' (Hg.), Bellamy & Child European Community Law of Competition, 6.&nbsp;Aufl. 2008, Rn.&nbsp;3.068&nbsp;ff.; ''Joseph Aicher'', ''Florian Schuhmacher'', Art.&nbsp;81, Rn.&nbsp;341&nbsp;ff., in: Eberhard Grabitz, Meinhard Hilf (Hg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd.&nbsp;II (Loseblatt).  


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Fundamental_Freedoms_(General_Principles)]]
[[en:Block_Exemption_Regulations]]

Version vom 8. September 2021, 12:01 Uhr

von Reinhard Ellger

1. Begriff, Rechtsnatur und Funktion

a) Begriff der Gruppenfreistellungsverordnung (GFVO)

Nach Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV kann das Kartellverbot des Abs. 1 dieser Vorschrift für „nicht anwendbar erklärt werden auf Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen ...“. Damit stellt Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV zwei unterschiedliche Wege zur Freistellung von Vereinbarungen (oder den anderen in der Vorschrift genannten Maßnahmen mit wettbewerbsbeschränkender Wirkung) vom Kartellverbot (Kartellverbot und Freistellung) zur Verfügung: die Freistellung einer einzelnen Vereinbarung unmittelbar auf der Grundlage des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV und die Freistellung ganzer Gruppen von Vereinbarungen, abgestimmten Verhaltensweisen und Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen. Der Begriff der „Gruppe“, wie er in Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV verwandt wird, ist an keiner Stelle des Vertrages definiert. In den englischen und französischen Vertragsfassungen ist von category of agreements bzw. catégorie des accords die Rede, eine Begrifflichkeit, die die Zielrichtung dieser Modalität der Freistellung deutlicher hervortreten lässt als der etwas unscharfe deutsche Begriff der Gruppe. Gleichwohl hat sich im Schrifttum ein einheitliches Verständnis dessen herausgebildet, was als Gruppe i.S.d. Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV zu verstehen ist. Danach sind „Gruppen“ Kategorien wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, die gemeinsame oder vergleichbare Tatbestände erfassen und die wegen der weitgehenden Gleichförmigkeit der Interessen der an den Vereinbarungen beteiligten Unternehmen, ihrer Handelspartner, ihrer Konkurrenten und der Verbraucher einer typisierenden Behandlung zugänglich sind. Die durch Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV gegebene Befugnis zur gruppenweisen Freistellung eröffnet den zuständigen Gemeinschaftsorganen die Möglichkeit, eine allgemeine Ausnahme vom Kartellverbot zu erlassen. Dabei werden die Gruppen von Vereinbarungen, abgestimmten Verhaltensweisen und ggf. von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen durch abstrakt-generelle Regelungen umschrieben und die Voraussetzungen und Grenzen solcher gruppenweiser Freistellungen durch abstrakt-generelle Regelungen festgelegt.

b) Rechtsnatur und ‑wirkungen

GFVOen stellen nicht einzelne Vereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkendem Inhalt vom Kartellverbot frei, sondern ganze Kategorien solcher Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen. Die durch eine Gruppenfreistellung erfassten Vereinbarungen und die Voraussetzungen, unter denen solche Gruppen von Vereinbarungen freigestellt sind bzw. eine gruppenweise Freistellung nicht erfolgen kann, werden durch abstrakt-generelle Kriterien erfasst. Die GFVOen gelten darüber hinaus für eine unbestimmte Vielzahl von Vereinbarungen. Aus diesen Gründen handelt es sich bei der gruppenweisen Freistellung von Vereinbarungen um Normsetzung. GFVOen sind Legislativakte des Gemeinschaftsrechts. Es handelt sich bei ihnen um Verordnungen i.S.v. Art. 249(2) EG/‌288(2) AEUV, die in allen Teilen verbindlich sind und in allen Mitgliedstaaten der EU unmittelbare und allgemeine Geltung haben.

c) Funktion

Unter dem alten, seit 1962 geltenden System der VO 17/‌62 war die Einzelfreistellung nach Art. 85(3) EWG/‌81(3) EG/‌101(3) AEUV nicht unmittelbar anwendbar; die Rechtswirkungen der Freistellung traten nur ein, wenn eine Vereinbarung bei der Kommission angemeldet wurde und diese eine entsprechende Entscheidung traf. Dies führte – insbesondere im Bereich der Vertikalvereinbarungen – zu einer großen Anzahl von Anmeldungen wettbewerbsbeschränkender Abreden der Unternehmen. Der Erlass von GFVOen diente in diesem System einer Entlastung der Kommission vom Massengeschäft und auch zu einer Erleichterung für die Unternehmen, die den erheblichen Aufwand für ein Freistellungsverfahren tragen mussten. Mit Inkrafttreten der VO 1/‌2003 ist Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV unmittelbar anwendbar geworden: nach Art. 1(2) VO 1/‌2003 sind Vereinbarungen, die die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV erfüllen, nicht verboten, ohne dass dies einer Entscheidung bedarf. Die Einführung des Systems der Legalausnahme hat zu einem Funktionswandel der GFVOen geführt. Angesichts der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV tragen die GFVOen nicht mehr zur Verwaltungsvereinfachung und Entlastung der Kommission vom Massengeschäft der Freistellungen bei, sondern gewährleisten ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit für die Unternehmen, die an wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen beteiligt sind. Die Anwendung des durch generalklauselartig vage und unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichneten Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV durch Unternehmen kann zu Schwierigkeiten und Unsicherheiten führen. Die GFVOen enthalten konkretere und durch die Adressaten der Vorschriften leichter handhabbare Regelungen. Die Interpretation der Freistellungsvorschrift des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV als Legalausnahme durch Art. 1(2) VO 1/‌ 2003 hat zu Zweifelsfragen des rechtlichen Gehalts der GFVOen und ihres Verhältnisses zu Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV geführt. War unter dem alten Anmelde- und Genehmigungssystem unbestritten, dass den GFVOen konstitutive (rechtsbegründende) Wirkung im Hinblick auf die Freistellung der ihr unterfallenden Vereinbarungen zukam, ist dies unter dem System der Legalausnahme zweifelhaft geworden. Ein Teil des Schrifttums billigt den GFVOen lediglich eine deklaratorische (rechtsbestätigende) Wirkung zu, weil sie nur einen Rechtszustand bestätigten, der ohnehin unmittelbar aufgrund von Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV eingetreten sei. Richtigerweise ist aber davon auszugehen, dass den GFVOen auch im System der Legalausnahme eine – wenn auch im Vergleich zum früheren Rechtszustand – beschränktere Konstitutivität zukommt. Dies ergibt sich daraus, dass einerseits Art. 81(3) EG/‌ 101(3) AEUV unmittelbar zur Freistellung einzelner Vereinbarungen vom Kartellverbot führt, andererseits die Vorschrift aber auch eine Ermächtigung zur Konkretisierung der Freistellungsvoraussetzungen für bestimmte Kategorien von Vereinbarungen erhält. Diese Konkretisierung erfolgt durch gemeinschaftliche Legislativakte der zuständigen Gemeinschaftsorgane. Daraus ergibt sich eine wichtige Konsequenz für das Verhältnis der GFVOen zur Legalausnahme des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV: soweit eine Vereinbarung in den Anwendungsbereich einer GFVO fällt, ist sie auch dann vom Kartellverbot des Art. 81(3) EG/‌101(1) AEUV freigestellt, wenn sie im Einzelfall nicht die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV erfüllt. Insoweit entfalten die GFVOen im Verhältnis zu Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV eine Sperrwirkung. Eine nach einer GFVO freigestellte Vereinbarung kann nicht vor mitgliedstaatlichen Gerichten oder Wettbewerbsbehörden mit der Begründung angegriffen werden, sie erfülle nicht die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV. Die Gerichte und Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sind an die Wertungen der GFVOen gebunden. Allerdings ist die Kommission gemäß Art. 29 VO 1/‌2003 bzw. entsprechender Vorschriften in den einzelnen GFVOen befugt, den beteiligten Unternehmen den Rechtsvorteil der GFVO durch Entscheidung zu entziehen, wenn sich herausstellt, dass eine unter die GFVO fallende Vereinbarung nicht mit Art. 81(3) EG/‌ 101(3) AEUV vereinbar ist.

GFVOen sind als Legislativakte des Gemeinschaftsgesetzgebers wie Gesetze auszulegen; da sie Ausnahmen vom Kartellverbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV normieren, sind sie eng auszulegen (s. z.B. EuGH Rs. C-70/‌93 – BMW/‌ALD Autoleasing, Slg. 1995, I-3439, Rn. 28). Wird eine Vereinbarung, die in den Anwendungsbereich einer GFVO fällt, nicht freigestellt, weil sie die Bedingungen der GFVO für eine Freistellung nicht erfüllt, weil die daran beteiligten Unternehmen z.B. die in der Verordnung vorgesehenen Marktanteilsschwellen überschreiten, so bedeutet dies nicht, dass damit das Verbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV greift. Dann ist vielmehr zu prüfen, ob die Vereinbarung unmittelbar nach Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV freigestellt ist. Allerdings erfüllen Vereinbarungen mit besonders schweren Beschränkungen des Wettbewerbs, den sog. Kernbeschränkungen (z.B. Preiskartelle, Marktaufteilungen) in aller Regel nicht die Voraussetzungen dieser Vorschrift.

d) Materiellrechtliche Voraussetzungen von GFVOen

Die GFVOen unterliegen denselben materiellrechtlichen Voraussetzungen, wie sie Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV für Freistellungen im Einzelfall vorsieht. Die durch eine GFVO freigestellten Vereinbarungen müssen demnach zu einer Verbesserung der Warenerzeugung oder ‑verteilung oder zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts beitragen. Darüber hinaus müssen die Verbraucher angemessen an dem durch die Vereinbarungen entstehenden Gewinn beteiligt werden. Weiterhin dürfen die Vereinbarungen zur Erreichung dieser Ziele nicht unerlässlich sein. Schließlich darf den beteiligten Unternehmen durch die Vereinbarungen keine Möglichkeit eröffnet werden, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren auszuschalten. Der Gemeinschaftsgesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der GFVOen an die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV gebunden. Allerdings sind gewisse Unterschiede zwischen der Freistellung im Einzelfall und den GFVOen festzustellen, die auf deren Natur als Legislativakte beruhen. Eine GFVO umschreibt die Vereinbarungen, auf die sie anwendbar ist, durch abstrakt-generelle Kriterien. Dadurch kann die GFVO auch auf Vereinbarungen Anwendung finden, die nicht unter das Kartellverbot des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV fallen, während durch die unmittelbare Anwendung des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV nur Vereinbarungen freigestellt werden können, die den Tatbestand des Art. 81(1) EG/‌101(1) AEUV erfüllen.

2. Zuständigkeit zum Erlass von GFVOen

Nach Inkrafttreten der VO 17/‌62 im Jahr 1962 bestanden zunächst Meinungsunterschiede zwischen Rat und Kommission über die Zuständigkeit zum Erlass der Gruppenfreistellungsregelung. Die Kommission war der Auffassung, sie könne die gruppenweise Freistellung durch Entscheidung ausgestalten. Der Rat hielt den Erlass entsprechender Regelungen für Normsetzung, die im Wege der Verordnung erfolgen müsse. Rat und Kommission fanden einen Kompromiss. In einem zweistufigen Rechtssetzungssystem legt der Rat zunächst durch Verordnung die Gruppen von Vereinbarungen fest, für die eine Gruppenfreistellung in Betracht kommt. In einem zweiten Schritt regelt die Kommission – ebenfalls durch Verordnung – die Einzelheiten der gruppenweisen Freistellung für diese Kategorien von Vereinbarungen. Der Rat hat insgesamt fünf Ermächtigungsverordnungen erlassen, die die Kommission umfassend zum Erlass entsprechender GFVOen genutzt hat.

3. Grundlegende Regelungsstrukturen der GFVOen

a) GFVOen herkömmlichen Typs

Die GFVOen herkömmlichen Typs, die die Kommission bis zum Ende der neunziger Jahre erließ, waren von dem Bemühen charakterisiert, neben dem Entlastungseffekt den Unternehmen eine möglichst klare Orientierung für ihre Vertragspraxis in kartellrechtlich wichtigen Bereichen zu geben. Diesem Ansatz entsprach es, in den GFVOen wettbewerbsbeschränkende Klauseln aufzunehmen, bei deren Verwendung die Vereinbarung freigestellt war („weiße Liste“). Daneben sah ein Teil der GFVOen auch Vertragsklauseln vor, bei deren Verwendung eine Freistellung der Vereinbarung ausgeschlossen war („schwarze Liste“). Schließlich enthielten einige GFVOen auch Klauseln, die nur dann freigestellt waren, wenn die Vereinbarung von den beteiligten Unternehmen bei der Kommission angemeldet wurden und die Kommission nicht innerhalb einer bestimmten Frist der Freistellung widersprach („graue Liste“). Diese Regelungstechnik führte in der Praxis zu erheblichen Problemen. Der EuGH hatte in Bezug auf die frühere VO 67/‌67 über Alleinbezugs- und Alleinbelieferungsverpflichtungen entschieden, dass die Verwendung von wettbewerbsbeschränkenden Klauseln, die nicht in der „weißen Liste“ der GFVO enthalten waren, die Anwendung der GFVO auf die Vereinbarung insgesamt ausschloss (EuGH Rs. 22/‌71 – Béguelin Import/‌G.L. Import Export, Slg. 1971, 949, Rn. 19 ff.). Auf der Grundlage dieser sehr engen Beurteilung des Anwendungsbereichs einer GFVO entstand das sog. „Alles-oder-Nichts“-Prinzip, das von den Unternehmen als zu starr und streng kritisiert wurde. Hinzu kam, dass von den Klauseln der „weißen Liste“ der zulässigen Abreden ein sehr starker Anpassungsdruck auf die Vertragspraxis der betroffenen Unternehmen ausgeübt wurde: um sicherzustellen, dass eine Vereinbarung auch nach der einschlägigen GFVO freigestellt war, machten die Unternehmen die in den GFVOen enthaltenen „weißen Klauseln“ (die freistellungsfähig waren) zu Vertragsbestandteilen. Diese Regelungstechnik führte zu einer starken Inflexibilität bei der Vertragsgestaltung der Unternehmen und verhinderte innovative Vertragsgestaltungen, weil bei diesen die Gefahr bestand, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der GFVO fielen. Diese Auswirkung der Regelungstechnik bei den älteren GFVOen wurde im Schrifttum als „Zwangsjackeneffekt“ kritisiert.

b) Regelungsstrukturen der GFVOen neuen Typs

Die mit der alten Regelungsstruktur verbundenen negativen Auswirkungen veranlasste die Kommission am Ende der neunziger Jahre schließlich, diese Regelungsmethode aufzugeben und den GFVOen neue Regelungsstrukturen zu geben. Die erste GFVO neuen Typs war die VO 2790/‌99 der Kommission über die Anwendung von Art. 81(3) des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen vom 22.12.1999. Diese VO bezieht grundsätzlich alle Arten vertikaler Vereinbarungen in ihren Anwendungsbereich ein und ersetzt drei von der Kommission in den achtziger Jahren erlassene GFVOen über Alleinvertriebsvereinbarungen, Alleinbezugsvereinbarungen und Franchisevereinbarungen. Gesondert geregelt ist allerdings die gruppenweise Freistellung von Vertikalvereinbarungen im KFZ-Sektor. Das der neuen GFVO (VO 2790/‌99) für Vertikalvereinbarungen zugrunde liegende neue Regelungskonzept wurde von der Kommission in der Folgezeit generalisiert und auch in fünf weitere GFVOen, die die praktisch wichtigsten Bereiche der Freistellung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen abdecken, übernommen.

Die VO 2790/‌99 und die nach ihrem Modell gestalteten weiteren GFVOen enthalten keine Listen von „weißen“, „schwarzen“ oder „grauen“ Vereinbarungen mehr, die freigestellt sind oder die der gruppenweisen Freistellung nicht zugänglich sind. Die GFVOen legen vielmehr durch allgemeine Kriterien die Kategorien von Vereinbarungen fest, auf die sie anwendbar sind. Es handelt sich dabei z.B. um Vereinbarungen über den Bezug und Verkauf von Waren und Dienstleistungen in der GFVO über Vertikalvereinbarungen oder Vereinbarungen über die einseitige oder zweiseitige Spezialisierung zwischen Wettbewerbern in der GFVO über Spezialisierungsvereinbarungen. Die Freistellung dieser großflächig zugeschnittenen Kategorien von Vereinbarungen wird begrenzt durch eine Liste von sog. Kernbeschränkungen. Es handelt sich dabei um Abreden, die zu schweren Beschränkungen des Wettbewerbs führen. Enthält eine eigentlich unter eine GFVO fallende Vereinbarung eine Kernbeschränkung, so ist sie nicht vom Kartellverbot freigestellt, weil die GFVO nicht anwendbar ist. Neben den Kernbeschränkungen nennen einige der GFVOen neuen Typs auch bestimmte Wettbewerbsverbote, die eine Anwendung der jeweiligen GFVO ausschließen, wenn eine Vereinbarung ein solches Wettbewerbsverbot enthält. In beiden Fällen ist zu prüfen, ob die Vereinbarung – da sie nicht nach der GFVO freigestellt ist – die Voraussetzungen des Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV für die Freistellung im Einzelfall erfüllt. Dabei werden in aller Regel Vereinbarungen mit Kernbeschränkungen nicht freistellbar sein.

Charakteristisch für alle GFVOen neuen Typs ist die Aufnahme einer Marktanteilsschwelle. Eine Marktanteilsschwelle verknüpft die Rechtswirkung einer GFVO, nämlich die Freistellung einer Vereinbarung vom Kartellverbot, mit dem Unterschreiten einer bestimmten Marktanteilsschwelle durch die beteiligten Unternehmen (oder eines von ihnen). Die Marktanteilsschwellen sind in den einzelnen GFVOen unterschiedlich hoch ausgestaltet, aber nicht höher als 30 % (Ausnahme: bei Vereinbarungen über quantitativen selektiven Vertrieb nach der GFVO für den KFZ-Sektor gilt eine Marktanteilsschwelle von 40 % für den Lieferanten neuer KFZ). Funktion der Marktanteilsschwellen ist es, die gruppenweise Freistellung von Vereinbarungen zu verhindern, die zwischen Unternehmen abgeschlossen sind, die über erhebliche Marktmacht verfügen und bei denen daher befürchtet werden muss, dass ihnen durch die Freistellung die Möglichkeit eröffnet wird, den Wettbewerb für einen erheblichen Teil des relevanten Marktes auszuschließen. Die Marktanteilsschwellen sollen sicherstellen, dass durch die Freistellung den beteiligten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnet wird, den Wettbewerb für einen erheblichen Teil der betreffenden Waren auszuschließen (Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV a.E.).

4. Überblick über die wichtigsten, in Kraft befindlichen GFVOen

Auf der Grundlage der Ermächtigungsverordnungen des Rates hat die Kommission sechs GFVOen erlassen. Durch diese Verordnungen wird die Freistellung eines überaus weiten Spektrums wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen geregelt, insbesondere von Vereinbarungen, die von kleineren und mittleren Unternehmen abgeschlossen werden. Die GFVOen tragen zur Rechtssicherheit für die Unternehmen bei, indem bei ihnen eine Freistellung unter konkreteren Voraussetzungen für die Unternehmen möglich ist als bei Anwendung des generalklauselartig weiten und vage formulierten Art. 81(3) EG/‌101(3) AEUV.

a) VO 2790/‌‌1999 (Vertikalvereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen)

Die VO 2790/‌1999 erfasst grundsätzlich alle vertikalen Vereinbarungen, die wettbewerbsbeschränkende Elemente enthalten. Die Kommission geht davon aus, dass Vertikalvereinbarungen, die keine Kernbeschränkungen enthalten, zu Effizienzverbesserungen im Bereich der Warenherstellung und des Vertriebs führen können. Die VO 2790/‌1999 bindet die Freistellungswirkung an eine Marktanteilsschwelle des Lieferanten (bei Alleinbezugsvereinbarungen: des Käufers) von höchstens 30 % des relevanten Marktes. Die VO 2790/‌1999 ist gemäß ihrem Art. 4 nicht anwendbar, wenn die betreffende Vereinbarung bestimmte Kernbeschränkungen wie z.B. eine Preisbindung der zweiten Hand oder Beschränkungen des Gebiets oder des Kundenkreises enthält. Ebenfalls nicht anwendbar ist die VO 2790/‌ 1999 gemäß ihres Art. 5, wenn eine Vertikalvereinbarung ein in bestimmter Weise ausgestaltetes Wettbewerbsverbot enthält. Die VO 2790/‌ 1999, die am 1.1.2000 in Kraft getreten ist, gilt bis zum 31.7.2010.

b) VO 2658/‌‌2000 (Spezialisierungsvereinbarungen)

Die VO 2658/‌2000 der Kommission v. geht davon aus, dass sich Vereinbarungen zwischen Unternehmen über die Spezialisierung effizienzsteigernd auswirken können, weil die beteiligten Unternehmen ihre Produkte wirtschaftlicher herstellen und damit preisgünstiger anbieten können. Sie bezieht sich auf ein- und zweiseitige Spezialisierungsvereinbarungen. Allerdings ist nach Art. 4 der VO 2658/‌2000 die gruppenweise Freistellung solcher Spezialisierungsvereinbarungen nur dann möglich, wenn der aggregierte Marktanteil der beteiligten Unternehmen nicht mehr als 20 % des relevanten Marktes beträgt. Art. 5 der VO 2658/‌2000 schließt ihre Anwendung auf Vereinbarungen aus, die bestimmte schwere Kernbeschränkungen enthalten, wie z.B. Festsetzungen des Preises für den Wiederverkauf von Produkten, Markt- und Kundenkreisaufteilung sowie Produktions- und Absatzbeschränkungen. Die VO 2658/‌2000 ist am 1.1. 2001 in Kraft getreten und hat eine Laufzeit bis zum 31.12.2010.

c) VO 2659/‌‌2000 (Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen)

Die VO 2659/‌2000 geht davon aus, dass die Kooperation von Unternehmen in den Sektoren Forschung und Entwicklung zum technischen und wirtschaftlichen Fortschritt beiträgt, Innovationen fördert sowie doppelte Forschungsinvestitionen verhindert. Die VO 2659/‌2000 erfasst Vereinbarungen zwischen zwei und mehr Unternehmen über die gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie die gemeinsame Verwertung der erzielten Ergebnisse, die gemeinsame Verwertung von Forschungsergebnissen sowie die gemeinsame Forschung und Entwicklung ohne eine gemeinsame Verwertung von Ergebnissen. Die VO 2659/‌2000 gilt allerdings bei Vereinbarungen miteinander konkurrierender Unternehmen nur, soweit ihre aggregierten Marktanteile 25 % des relevanten Markts nicht übersteigen. Nach Art. 5 der VO 2659/‌2000 schließen bestimmte Kernbeschränkungen wie z.B. die Festsetzung der Wiederverkaufspreise für die entwickelten Produkte oder Beschränkungen der Forschungsaktivitäten der beteiligten Unternehmen außerhalb der gemeinsamen Forschung die Anwendung der VO 2659/‌2000 aus. Sie ist am 1.1.2001 in Kraft getreten und endet am 31.12. 2010.

d) VO 1400/‌‌2002 (Vertikalvereinbarungen im Kraftfahrzeugsektor)

In den Anwendungsbereich der VO 1400/‌2002 fallen Vertikalvereinbarungen im Bereich des Handels mit neuen KFZ sowie mit KFZ-Ersatzteilen. Der KFZ-Markt ist durch strukturelle Besonderheiten gekennzeichnet. Auf ihm steht einer kleinen Zahl von großen Autoherstellern eine Vielzahl von KFZ-Händlern und Reparaturwerkstätten gegenüber. Die im KFZ-Vertrieb üblichen Vertikalvereinbarungen enthalten häufig Elemente der Alleinbelieferung, des Alleinvertriebs, des selektiven Vertriebs, der Gebiets- und Kundenbeschränkung sowie der Wettbewerbsverbote. Die VO 1400/‌2002 bildet im Verhältnis zur allgemeinen GFVO über Vertikalvereinbarungen (VO 2790/‌99) eine Spezialregelung, die sowohl die Voraussetzungen der Gruppenfreistellung wie auch die Kernbeschränkungen präziser und konkreter, z.T. auch enger festlegt als die VO 2790/‌99. Die VO 1400/‌2002 ist am 1.10. 2002 in Kraft getreten und hat eine Laufzeit bis zum 31.5.2010.

e) VO 358/‌‌2003 (Versicherungssektor)

Die VO 358/‌2003 regelt die gruppenweise Freistellung von Vereinbarungen zwischen Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen für genau abgegrenzte Tätigkeitsbereiche von Versicherungsgesellschaften wie z.B. gemeinsame Erstellung von Mustern für allgemeine Versicherungsbedingungen. Für die gemeinsame Deckung von Risiken sieht die VO 358/‌2003 eine Marktanteilsschwelle von 20 % für Mitversicherungsgesellschaften und 25 % für Rückversicherungsgesellschaften vor. Die VO 358/‌2003, die am 1.4.2003 in Kraft getreten ist, gilt bis zum 31.3.2010.

f) VO 772/‌‌2004 (Technologietransfer)

Technologietransfer-Vereinbarungen sorgen für die Weitergabe technologischen Wissens durch die Einräumung von Lizenzen an gewerblichen Schutzrechten und Know-How. Dadurch wird ein Beitrag zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts geleistet, aber auch Effizienzverbesserungen bei der Produktion von Waren erzielt. Die Verordnung stellt Technologietransfer-Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen vom Kartellverbot frei, die die Herstellung von Vertragsprodukten ermöglichen sollen. Die VO 772/‌2004 knüpft die Freistellung an die Einhaltung von Marktanteilsschwellen, die bei Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern bei 20 %, bei Nicht-Wettbewerbern 30 % des betroffenen Technologie- und Produktmarktes nicht überschreiten. Art. 4 der VO 772/‌2004 enthält eine Liste von Kernbeschränkungen, die die Anwendbarkeit der VO ausschließen. Sie ist am 1.5.2004 in Kraft getreten und läuft bis zum 30.4.2014.

g) Weitere GFVOen

Daneben besteht im Verkehrsbereich eine Anzahl von GFVOen, die gewisse Vereinbarungen im Luft- und Seeverkehr sowie im Strassen-, Eisenbahn- und Binnenschiffsverkehr betreffen.

5. Rezeption der GFVOen in das deutsche Kartellrecht

Die 7. GWB-Novelle (Gesetz vom 7.7.2005. BGBl. I, 2546) hat den Art. 81 EG/‌101 AEUV in die §§ 1 (Kartellverbot) und 2 (Freistellung) des deutschen GWB übernommen. Nach § 2 Abs. 2 GWB gelten bei der Anwendung der Freistellungsvorschrift auch die GFVOen des Gemeinschaftsrechts als deutsches Recht. Für die Anwendbarkeit der GFVOen als deutsches Recht kommt es nicht darauf an, ob die Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

Literatur

Christoph Liebscher, Eckhard Flohr, Alexander Petsche (Hg.), Handbuch der Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003; Ulrich Immenga, Ernst Joachim Mestmäcker, Kommentar zum Wettbewerbsrecht. EG, Teil 1, 4. Aufl. 2007; Ulrich Loewenheim, Karl M. Meesen, Alexander Riesenkampff (Hg.), Kartellrecht, 2. Aufl. 2009; Peter Roth, Vivien Rose (Hg.), Bellamy & Child European Community Law of Competition, 6. Aufl. 2008, Rn. 3.068 ff.; Joseph Aicher, Florian Schuhmacher, Art. 81, Rn. 341 ff., in: Eberhard Grabitz, Meinhard Hilf (Hg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. II (Loseblatt).