Gesamtschuld: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 16:05 Uhr
von Sonja Meier
1. Gegenstand, Zweck und Terminologie
Mehrere Schuldner schulden einem Gläubiger derart eine bestimmte Leistung, dass der Gläubiger die gesamte Leistung von jedem einzelnen in voller Höhe verlangen kann; weil er die Leistung insgesamt aber nur einmal erhalten soll, befreit die Leistung eines Gesamtschuldners auch die übrigen. Sämtliche europäische Rechtsordnungen kennen ein Institut, das dieses Strukturmerkmal aufweist und zumeist als Solidarschuld, in Deutschland als Gesamtschuld, bezeichnet wird. Manche Rechte kennen auch mehrere Gesamtschuldformen, etwa das französische (solidarité und obligation in solidum) und das englische (joint liability und joint and several liability). Die Gesamtschuldnormen regeln die Entstehung der Gesamtschuld, das Außenverhältnis zwischen dem Gläubiger und den Schuldnern sowie den Innenausgleich unter den Schuldnern. In ihrer Grundstruktur weisen sie bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf, die auf eine gemeinsame historische Tradition zurückgehen: Schon in den römischen Quellen finden sich zahlreiche Aussagen zu verschiedenen Gesamtschuldverhältnissen, deren Rezeption zur Entwicklung eines einheitlichen Gesamtschuldinstituts im kontinentaleuropäischen Gemeinen Recht (ius commune) führte, das die nationalen Kodifikationen erheblich beeinflusst hat. Selbst das englische Gesamtschuldrecht weicht nicht fundamental vom kontinentaleuropäischen ab.
Neben Gesamtschuldverhältnissen kennen alle Rechtsordnungen auch Teilschulden, bei denen die dem Gläubiger insgesamt zustehende Leistung auf die Schuldner (gleichmäßig oder ungleichmäßig) aufgeteilt wird. Grundsätzlich bestehen hier unabhängige Einzelschulden auf den jeweiligen Anteil. Entstehen Teilschulden jedoch aufgrund eines einheitlichen Vertrags, können sie in bestimmter Weise verbunden sein. So kann ein Rücktrittsrecht häufig nur einheitlich ausgeübt werden, und der Gegenleistungsanspruch der Teilschuldner ist zumeist von der vollständigen Erbringung aller Teilleistungen abhängig.
Die Bürgschaft hat mit der Gesamtschuld gemein, dass der Gläubiger eine insgesamt einmal zu erbringende Leistung von mehreren Schuldnern verlangen kann. Das entscheidende Abgrenzungsmerkmal zur gewöhnlichen Gesamtschuld ist weniger die Einrede der Vorausklage, die häufig ausgeschlossen oder zumindest abdingbar ist, sondern die Akzessorietät der Bürgenverpflichtung zur Hauptschuld. Bei gewöhnlichen Gesamtschulden gibt es keine Akzessorietät; sofern das Schicksal einer Schuld auf die Schwesterverbindlichkeit einwirkt, geschieht dies wechselseitig. Die Bürgschaft wird daher in Europa manchmal als aliud, manchmal als Sonderform der Gesamtschuld angesehen.
2. Entstehung
Vertragliche Gesamtschulden entstehen, wenn sie von den Parteien vereinbart werden. Schulden aber laut Vertrag vier Schuldner dem Gläubiger EUR 100,-, dann ist unklar, ob jeder Schuldner als Teilschuldner EUR 25,- oder als Gesamtschuldner EUR 100,- schulden soll. Das Gemeine Recht arbeitete mit einer Teilschuldvermutung, die sich in einer Reihe kontinentaleuropäischer Rechtsordnungen, etwa der französischen, österreichischen und niederländischen, wiederfindet. Demgegenüber sehen etwa das deutsche, das italienische und der Sache nach auch das englische Recht eine Gesamtschuldvermutung vor. Beide Vermutungen gelten nur eingeschränkt. Von der Teilschuldvermutung werden zahlreiche Ausnahmen gemacht, etwa bei bestimmten Vertragstypen oder im Handelsrecht; in der Praxis wird sie zudem oft nur sehr zögerlich angewandt. Umgekehrt wird die Gesamtschuldvermutung nicht angewandt, wenn die Anzahl der Schuldner hoch und das Risiko groß ist, etwa bei Bauverträgen durch zukünftige Wohnungseigentümer. Die Gesamtschuldvermutung erscheint praktikabler, weil sie weniger Ausnahmen kennt und keinen Unterschied zwischen bürgerlichem Recht und Handelsrecht machen muss. Für sie entschieden sich auch die PECL, der Code Européen des Contrats (Avant‑projet) und der Draft DCFR.
Gesetzliche Gesamtschulden bestehen häufig bei der Haftung von Personengesellschaftern, bei der mehrfachen Schadenversicherung (so auch Art. 8:104 PEICL) sowie dann, wenn sich mehrere unabhängig voneinander für dieselbe Schuld verbürgen (so auch die PEL Personal Security, Art. 1:107, und der DCFR, Art. IV.G.-1:105, Bürgschaft). Ob Miterben für die Schulden des Erblassers anteilig oder solidarisch haften, wird in den nationalen Rechtsordnungen, die eine Erbenhaftung kennen, unterschiedlich beurteilt. Ein Teil folgt der schon im Gemeinen Recht geltenden Teilschuldregel, während andere eine gesamtschuldnerische Haftung vorsehen, die Miterben aber in bestimmten Maß durch eine Haftungsbeschränkung auf das Nachlassvermögen schützen.
Haben mehrere einen Schaden verursacht, kommen theoretisch eine anteilige, eine solidarische oder eine kumulierte Haftung in Frage. Das römische Recht, das mit Privatstrafen arbeitete (Strafschadensersatz), sah in den praktisch wichtigen Fällen des Diebstahls und der Sachbeschädigung vor, dass die Bußleistung von jedem Täter in voller Höhe, also kumuliert, geschuldet wurde. Das Gemeine Recht begrenzte die dem Gläubiger zustehende Leistung auf den Ersatz seines Schadens und kam damit zur solidarischen Schadensersatzhaftung (Deliktsrecht). Diese gilt heute wohl in allen europäischen Ländern, und zwar nicht nur für Mittäter, sondern grundsätzlich auch für Nebentäter, die unabhängig voneinander einen Schaden mitverursacht haben; entsprechende Regeln enthalten die PETL, die Deliktsvorschriften des DCFR und, in einem Spezialbereich, Art. 5 der Produkthaftungs-RL (RL 85/374). Eine Teilhaftung nach Verursachungsbeiträgen findet grundsätzlich nicht statt. Unterschiedliche Lösungen gibt es für Fallgruppen unklarer Kausalität, etwa wenn der Schaden durch mindestens einen der Beteiligten verursacht wurde, aber unklar ist, von wem, oder wenn eine Vielzahl von Minimalursachen zur Entstehung des Schadens beitrugen.
3. Unteilbare Leistungen
Sofern eine Rechtsordnung bei einer vertraglichen Verpflichtung mehrerer mit einer Teilschuldvermutung arbeitet und/oder eine Teilung der Erblasserschulden unter Miterben (Erbenhaftung) vorsieht, benötigt sie Sonderregeln für den Fall, dass der Gegenstand der Leistung nicht teilbar ist, eine Gesamtschuld aber nicht vereinbart wurde. Sowohl das gemeine Recht als auch einige europäische Rechtsordnungen kennen daher eigene Regeln zu unteilbaren Leistungen. Da Teilschulden allein wegen der Art des Leistungsgegenstands nicht möglich sind, Gesamtschulden aber gerade nicht entstehen sollen, wird häufig versucht, eine dem Teilschuldverhältnis zumindest ähnliche Lage zu erreichen. Zu diesem Zweck kann etwa ein Recht des einzelnen Schuldners vorgesehen werden, nur zusammen mit seinen Mitschuldnern belangt zu werden, oder, im Fall der Leistungsstörung, eine Teilung des Schadensersatzanspruchs unter den Schuldnern. Rechtsordnungen, die bei Verträgen mit einer Gesamtschuldvermutung arbeiten und keine geteilte Erbenhaftung kennen, wie das englische und deutsche Recht sowie die PECL, benötigen keine Sonderregeln für unteilbare Leistungen. Stattdessen gelten die Gesamtschuldregeln.
Im deutschen Recht hat sich aber die Vorstellung entwickelt, dass die Anwendung der Gesamtschuldregeln dann nicht angemessen ist, wenn die Leistung nur von allen Schuldnern zusammen erbracht werden kann, sei es, weil die Schuldner praktisch zusammenwirken müssen (etwa als Streichquartett), sei es, weil sich Miteigentümer zu einer Verfügung verpflichten. Hier soll der Gläubiger nicht das Recht haben, vom Einzelschuldner eine Leistung zu verlangen, die dieser allein nicht erbringen kann. Statt Gesamtschulden soll hier eine gemeinschaftliche Schuld entstehen. Der Gläubiger soll die Schuldner nur gemeinsam belangen können, überwiegend will man auch die Leistungsstörung eines Schuldners allen zurechnen. Dieses Gedankengut hat Pate gestanden für die communal obligation in den PECL bzw. die joint obligation im DCFR, die gerade keine Gesamtschuld sein soll und bei der die Schuldner nur zusammen leisten müssen und vom Gläubiger nur zusammen belangt werden können. Der Schadensersatz bei Leistungsstörungen wird aber solidarisch geschuldet. Weitere Regeln, etwa zum Regress, fehlen. Was diese Figur genau bedeuten soll und ob sie wie die deutsche gemeinschaftliche Schuld (und anders als die romanische unteilbare Leistung und die englische joint liability) erfordert, dass die Leistung nur gemeinschaftlich erbracht werden kann, ist unklar. Vielleicht beschränkt sich der Regelungsgehalt auf die Pflicht zur gemeinsamen Belangung der Schuldner; für prozessuale Fragen der notwendigen Streitgenossenschaft sind die PECL bzw. der DCFR allerdings nicht zuständig.
4. Außenverhältnis
Der Gläubiger kann jeden Gesamtschuldner auf die Gesamtleistung (oder, wenn er will, auf einen Teil) in Anspruch nehmen. Mitbürgen genossen aber nach römischem und gemeinem Recht ein besonderes Privileg, die Einrede der Teilung (Bürgschaft). Danach konnte der in Anspruch genommene Mitbürge vom Gläubiger verlangen, den ausstehenden Betrag auf alle solventen Mitbürgen aufzuteilen. Es handelte sich nicht um eine Teilschuld, sondern um eine Einrede, die das Risiko der Insolvenz einzelner Mitbürgen bei den Mitbürgen beließ. Nach herrschender gemeinrechtlicher Lehre (die auf einer bestimmten Auslegung der 539 von Justinian erlassenen Novelle 99 beruhte) sollten sogar Vertragsgesamtschuldner eine solche Einrede haben. Wegen ihrer unpraktischen Folgen findet sich die Einrede im heutigen Recht kaum mehr. Einige Rechtsordnungen gewähren sie den Mitbürgen; in der Praxis wird sie aber offenbar zumeist abgedungen.
Unterschiedlich geregelt in Europa ist die Frage, ob Umstände, welche die Beziehung des Gläubigers mit einem Gesamtschuldner berühren, etwa Erlass oder Verjährung, die gleichen Auswirkungen auf die Haftung der Mitschuldner haben (Gesamtwirkung) oder deren Verbindlichkeiten unberührt lassen (Einzelwirkung). Überall selbstverständlich ist die Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate wie Hinterlegung und Aufrechnung. Ein mit nur einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlass kann auch die übrigen Mitschuldner befreien, sofern dies vereinbart ist bzw. der Gläubiger keinen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hat.
Bei der Gesamtschuld des europäischen gemeinen Rechts, der sog. Korrealobligation, erkannte die herrschende Lehre aber auch andere Gesamtwirkungen an, die man den römischen Quellen entnahm, insbesondere die Gesamtwirkung des Verschuldens, des klageabweisenden Urteils und, aufgrund einer Konstitution Justinians von 531, der Unterbrechung der Verjährung. In dieser Tradition stehen einige europäische Rechtsordnungen, etwa der französische Code civil, der nicht nur die Gesamtwirkung der verzugsbegründenden Mahnung (Zahlungsverzug) und der Verjährungsunterbrechung vorsieht, sondern auch eine Werthaftung aller Gesamtschuldner im Falle der von einem verschuldeten Unmöglichkeit (Nichterfüllung). Schuldnerbelastende Gesamtwirkungen erscheinen aber bei gesetzlichen Gesamtschuldnern, insbesondere bei Mitverursachern eines Schadens, die keine Rechtsbeziehung untereinander verbindet, als unangemessen. In der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts beschränkte man daher die gemeinrechtliche Korrealobligation im Wesentlichen auf vertragliche Gesamtschulden und schuf für deliktische Mittäter eine neue Figur, die so genannten Solidarobligationen, die sich von den Korrealobligationen dadurch unterschieden, dass nur die Erfüllung und ihre Surrogate Gesamtwirkung haben sollten und ansonsten eine Mehrheit unabhängiger Obligationen vorlag. Ebenso führten in Frankreich die schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen der im Code civil geregelten Gesamtschuld, der solidarité, dazu, dass man praeter legem eine zweite Gesamtschuldart schuf, die obligation in solidum, bei der nur die Erfüllung Gesamtwirkung hat und die hauptsächlich bei der Schadensverursachung durch mehrere und bei konkurrierenden Unterhaltspflichten angewendet wird. Schuldnerbelastende Gesamtschuldregelungen führen stets zu einer Einschränkung ihres Anwendungsbereichs und im Ergebnis zur Bildung mehrerer Gesamtschuldunterarten. Selbst in denjenigen Rechtsordnungen, die allein die gemeinrechtliche Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung übernommen haben (etwa der Schweiz), werden bestimmte Schuldnermehrheiten mit nur loser Verknüpfung von dieser Gesamtwirkung ausgenommen, indem man sie zu unechten Gesamtschulden erklärt.
Zwei Gesamtschuldarten kennt auch das englische Recht, wobei beide vertraglich vereinbart werden können. Die ältere Gesamtschuldform der joint liability beruht auf der Vorstellung, dass die gemeinsame Verpflichtung eine gemeinschaftliche Verbindlichkeit erzeugt. Ursprünglich konsumierte daher eine Klage des Gläubigers (wie schon im klassischen römischen Recht) die gesamte Verbindlichkeit, so dass weitere Klagen gegen bislang nicht belangte Mitschuldner nicht mehr möglich waren. Ohnehin mussten joint debtors zumindest grundsätzlich gemeinsam verklagt werden. Bei der joint and several liability haften die Schuldner dagegen sowohl zusammen als auch gesondert, was im Ergebnis zu einer lockereren Verbindung mit weniger Gesamtwirkungen führt. Beide Gesamtschuldformen nähern sich in der Praxis zunehmend an. Für Gesamtschulden auf Schadensersatz gelten weitere Sonderregeln.
Die Mehrheit der Rechtsordnungen arbeitet demgegenüber mit einer Einheitsregelung, die sowohl für vertraglich vereinbarte als auch für gesetzliche, insbesondere deliktische, Gesamtschulden gilt und häufig auch Mitbürgen umfasst. Dies wird ermöglicht durch den weitgehenden Verzicht auf schuldnerbelastende Gesamtwirkungen. Einen völligen Verzicht sieht etwa das deutsche Recht vor. Dieser Lösung folgen auch die Gesamtschuldregeln der PECL und des DCFR, die gleichermaßen für vertragliche als auch für Verbindlichkeiten auf Schadensersatz gelten sollen.
5. Rückgriff
Es besteht heute Einigkeit darüber, dass derjenige Gesamtschuldner, der an den Gläubiger leistet, ein anteiliges Rückgriffsrecht gegen seine Mitschuldner haben muss, weil andernfalls die Gläubigerwillkür über den endgültigen Träger der Belastung entscheidet. Die römische und gemeinrechtliche Gesamtschuld kannte allerdings kein mit der Gesamtschuld selbst verbundenes Rückgriffsrecht. Dies bedeutete aber nicht, dass kein Ausgleich stattfand. Bei vertraglichen und testamentarischen Gesamtschulden stützte sich der Rückgriff auf das zwischen den Schuldnern bestehende Innenverhältnis. Bürgen konnten die Abtretung der Gläubigerklage und damit auch der Klagen gegen Mitbürgen verlangen (Bürgschaft (Gemeines Recht)). Solidarisch haftenden deliktischen Mittätern wurde aber nach der Maxime ex turpi causa non oritur actio ein Ausgleich versagt. Diese Regel galt im common law noch bis 1935, als der Gesetzgeber eingriff und ein gesetzliches Rückgriffsrecht schuf. Nach römisch-gemeinem Recht wurde der Rückgriff zumindest dann zugelassen, wenn den Leistenden kein eigenes Verschulden traf. Der Regress wurde dann auf die actio negotiorum gestorum gestützt, also auf die Geschäftsführung ohne Auftrag. Später schloss man nur Vorsatztäter aus; heute wird der Rückgriff unter Schadensersatzschuldnern allgemein zugelassen.
Spuren dieses Ansatzes, den Rückgriff außerhalb der Gesamtschuld zu verorten, finden sich im französischen Recht, in dem die Rückgriffsvorschriften bei der solidarité nicht als Anspruchsgrundlagen verstanden werden, sondern als Hinweis des Gesetzgebers, dass ein Rückgriff stattfinden soll, der sich dann auf das besondere Innenverhältnis unter den Schuldnern, in Ermangelung dessen auf das Recht der GoA stützt. In England wird der Gesamtschuldrückgriff heute ins Bereicherungsrecht (law of restitution) eingeordnet. Die große Mehrheit der Rechtsordnungen aber leitet den Rückgriff heute direkt aus der Gesamtschuld selbst ab und sieht im Rahmen der Gesamtschuldregeln auch Rückgriffsvorschriften vor. Hierzu gehören auch die PECL, der DCFR, das Avant-projet und die Gesamtschuldregeln der PETL.
Über die Einzelregelungen besteht weitgehende Einigkeit; sie galten schon im Gemeinen Recht. Die insgesamt geschuldete Leistung muss unter die Schuldner aufgeteilt und jedem ein eigener interner Anteil zugewiesen werden, wobei auch eine interne Verteilung von 0 % zu 100 % möglich ist. Die Bestimmung der Anteile richtet sich nach dem besonderen Innenverhältnis unter den Schuldnern oder nach den Umständen, bei Schadensersatz-Gesamtschulden zumeist nach der Größe des Verursachungsbeitrags und/oder dem Verschuldensgrad. Nur in Ermangelung jedes anderen Anhalts erfolgt eine gleichmäßige Aufteilung. Ist ein Gesamtschuldner insolvent, erhöhen sich die Anteile der übrigen proportional. Hat ein Schuldner mehr als seinen Innenanteil an den Gläubiger geleistet, kann er den überschießenden Teil anteilig von seinen Mitschuldnern verlangen. Grundlage ist ein eigener schuldrechtlicher Anspruch. Die PECL und der DCFR sehen auch einen anteiligen Kostenerstattungsanspruch vor. Darüber hinaus kann der leistende Schuldner zumeist in Höhe seines Rückgriffsanspruchs auch die eigentlich erloschene Gläubigerforderung verwenden (Forderungsübergang oder Subrogation), was dann vorteilhaft ist, wenn der Rückgriffsschuldner insolvent, die Gläubigerforderung aber gesichert ist.
Ansprüche der Gesamtschuldner untereinander vor Leistung an den Gläubiger sind in der großen Mehrheit der europäischen Rechtsordnungen unbekannt. Nur das deutsche Recht kennt Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche, die schon mit der Gesamtschuld selbst entstehen. Die PECL, das Avant-projet und der DCFR folgen der Mehrheit und beschränken sich auf echte Rückgriffsansprüche.
Probleme entstehen, wenn ein Gesamtschuldner von seiner Außenhaftung aufgrund eines Umstandes vom Gläubigerzugriff befreit wird, der keine Gesamtwirkung hat. Hier besteht die Gefahr, dass der verbleibende Gesamtschuldner weiterhin das Ganze schuldet, aber keinen Regress hat. Die Rechtsordnungen reagieren auf Regressstörungen unterschiedlich und differenzieren teilweise auch nach der Art des befreienden Umstands. Im deutschen Rechtskreis dominiert die Regresslösung, wonach der regressverpflichtete Schuldner trotz Befreiung im Außenverhältnis weiterhin in Höhe seines internen Anteils zum Regress herangezogen werden kann. Im romanischen Rechtsraum wird häufig mit einer beschränkten Gesamtwirkung des Befreiungsgrundes gearbeitet, wonach der befreite Schuldner endgültig frei ist und der Anspruch des Gläubigers gegen die verbleibenden Gesamtschuldner um den Innenanteil des Befreiten gekürzt wird. Die PECL und der DCFR kennen eine beschränkte Gesamtwirkung beim Einzelerlass, sehen aber überwiegend die Regresslösung vor.
6. Alternative Regresswege
Nicht alle Konstellationen, in denen ein Gläubiger eine Leistung, die er insgesamt nur einmal erhalten soll, von mehreren Schuldnern verlangen kann, werden in den europäischen Rechtsordnungen als Gesamtschuldverhältnisse angesehen. Insbesondere dann, wenn die Verpflichtungen ungleicher Natur sind, etwa beim Zusammentreffen eines Schadensersatzanspruchs und eines Anspruchs gegen den Schadensversicherer (Schadenversicherung), Lohnfortzahler oder Unterhaltsverpflichteten (Unterhalt), wird ein Gesamtschuldverhältnis zumeist verneint. Der Regress des leistenden Versicherers, Lohnfortzahlers und Unterhaltsverpflichteten findet dann über eine actio negotiorum gestio, über einen Bereicherungsanspruch oder in Form einer Subrogation bzw. eines Forderungsübergangs statt, letzteres auf Basis der Annahme, die Schadensersatzschuld sei durch die Leistung des anderen Schuldners nicht zum Erlöschen gebracht worden. Insbesondere im deutschen Recht mehren sich aber Stimmen, die auch solche Konstellationen in den Anwendungsbereich der Gesamtschuldregeln einbeziehen wollen.
7. Vereinheitlichungsprojekte
Teil III der PECL enthält einen eigenen Abschnitt über Gesamtschuldverhältnisse (solidary obligations), der in erster Linie, aber nicht nur, vertraglich vereinbarte Gesamtschulden regeln soll und mit einzelnen Modifikationen in den Draft DCFR übernommen worden ist. Eine Arbeitsgruppe von UNIDROIT erarbeitet derzeit eine entsprechende Regelung, die sich offenbar auf vertraglich vereinbarte Gesamtschulden beschränken soll. Gesamtschuldregeln finden sich auch in Art. 88 des Code Européen des Contrats (Avant‑projet). Die Principles of European Tort Law (PETL) enthalten Regeln zu deliktischen Gesamtschulden (solidary liability). Regeln des Einheitsrechts enthalten manchmal Gesamtschuldvorschriften für bestimmte Bereiche, etwa Art. 34 ff. CMR zu aufeinanderfolgenden Frachtführern. Kollisionsnormen zu Schuldnermehrheiten finden sich in Art. 15 und 16 der Rom I-VO (VO 593/2008) sowie in Art. 19 und 20 der Rom II-VO (VO 864/2007).
Literatur
Ernst von Caemmerer, Ausgleichsprobleme im Haftpflichtrecht in rechtsvergleichender Sicht, Zeitschrift für Rechtsvergleichung 9 (1968) 81 ff.; Tony Weir, Complex Liabilities, in: IECL XI/2, Kap. 12, 1975; Peter Schlechtriem, Ausgleich zwischen mehreren Sicherern fremder Schuld, Festschrift für Ernst von Caemmerer, 1978, 1013 ff.; Daniel Friedmann, Nili Cohen, Adjustment Among Multiple Debtors, in: IECL X, Kap. 5, 1991; Christian von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, 1996, Rn. 50 ff. und 315 ff.; European Center of Tort and Insurance Law, William V. Horton Rogers (Hg.): Unification of Tort Law: Multiple Tortfeasors, Principles of European Tort Law, Bd. 9, 2004; Jens Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen bei Gesamtschuld, Bürgschaft und Schadensversicherung in Deutschland, England und Schweden, 2005; die Beiträge von Simon Whittaker und Belén Trigo García, in: Antoni Vaquer (Hg.), La tercera parte de los principios de derecho contractual europeo: The Principles of European Contract Law, Teil III, 2005, 23 ff. bzw. 103 ff.; Sonja Meier, §§ 420–432/1, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/2, 2007; eadem, Gesamtschulden: Entstehung und Regress in historisch-vergleichender Perspektive, in Vorbereitung für 2010.