Corporate Governance und Corpus Juris Civilis: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Klaus J. Hopt]]''
von ''[[Reinhard Zimmermann]]''
== 1. Begriff und internationale Entwicklung der ''Corporate Governance'' ==
== 1. Justinian und das ''Corpus Juris'' ==
''Corporate Governance'' als Begriff und Problemkreis ist umfassender zuerst in den USA diskutiert und in Europa vor allem in Großbritannien entwickelt worden. Von dort hat die ''Corporate Governance'' einen wahren Siegeslauf durch die modernen Industriestaaten angetreten. Beiträge und Forschungsprojekte zu dem Thema gibt es in der ganzen Welt. Seit 1995 gibt es ein European ''Corporate Governance Network'' (mittlerweile ''European Corporate Governance Institute'', ECGI) mit Sitz in Brüssel, seit 2009 in Luxemburg, das weltweit zahlreiche Wissenschaftler, vor allem Ökonomen und Rechtswissenschaftler, und Praktiker verbindet. Inzwischen beschäftigt das Thema auch nachhaltig die Praxis in Börsen, Banken, Industrieverbänden und sogar Parlamenten verschiedenster Länder. In vielen Ländern sind in den letzten Jahren einschneidende Aktien-, Wirtschaftsprüfer-, Börsen- und Kapitalmarktrechtsreformen durchgeführt oder eingeleitet worden, die entweder ausdrücklich als Verbesserung der nationalen ''Corporate Governance'' diskutiert werden oder jedenfalls der Sache nach einen Beitrag dazu leisten.
Nach der Bibel kann das ''Corpus Juris Civilis'' als die einflussreichste Schrift in der Geschichte Europas gelten. Denn es war im Wesentlichen durch das ''Corpus Juris Civilis'', dass das antike [[römisches Recht|römische Recht]] die europäische Rechtstradition (die später auch auf viele außereuropäische Teile der Welt ausstrahlte) nachhaltig und charakteristisch geprägt hat ([[Rezeption]]).


Im Kern geht es um etwas, das ''Adam Smith'' schon 1776 in seinem berühmten Werk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ wie folgt beschrieben hat: „The directors of such companies, however, being the managers rather of other people’s money than of their own, it cannot well be expected, that they should watch over it with the same anxious vigilance with which the partners in a private copartnery frequently watch over their own... Negligence and profusion, therefore, must always prevail, more or less, in the management of the affairs of such a company.“ In heutiger Terminologie geht es um den ''principal agent conflict'' zwischen den Aktionären und dem Management.
Das ''Corpus Juris Civilis'' entstand im 6. Jahrhundert n. Chr. in Konstantinopel, der Hauptstadt des oströmischen Reiches; Westrom befand sich seit 476 unter germanischer Herrschaft. Es war Teil eines umfassenden Restaurationsprogramms ''Kaiser Justinians'' (527-565): Das alte ''imperium Romanum'' sollte als nunmehr christliches Weltreich glanzvoll wiedererstehen. Diesem Ziel dienten die Feldzüge, durch die jedenfalls vorübergehend Teile des ehemals weströmischen Reiches zurückgewonnen wurden, ihm dienten die monumentalen Bauten insbesondere in Konstantinopel und Ravenna, ihm diente eine auf einen Cäsaropapismus zielende Kirchenpolitik, und ihm diente das Gesetzgebungswerk, das (freilich erst seit der Gesamtausgabe des ''Dionysius Gothofredus'' von 1583) als ''Corpus Juris Civilis'' bekannt ist. Verwirklicht wurde es durch ''Justinians'' Justizminister ''Tribonian'', der sich dabei auf eine in den oströmischen Rechtsschulen von Beryt und Konstantinopel wiederbelebte wissenschaftliche Tradition stützen konnte und der eine Reihe von Professoren dieser Rechtsschulen (''Dorotheus'', ''Theophilus'') zur Mitarbeit heranzog.


== 2. Interne und externe ''Corporate Governance'' ==
== 2. ''Codex'' ==
Danach scheint es nahe zu liegen, ''Corporate Governance'' als ein Problem der rechtlichen Binnenverhältnisse der Aktiengesellschaft zu verstehen. Tatsächlich ist die ursprüngliche Ausrichtung der ''Corporate Governance''-Bewegung in den USA auch auf die Stellung, Pflichten und Haftung der ''directors'' in der ''corporation'' ausgerichtet. Auch die internationale ''Code of Conduct''-Bewegung, die maßgeblich von Großbritannien geprägt worden ist, hat ihren Schwerpunkt in Empfehlungen betreffend den ''board of directors'', seine Ausschüsse und seine Kontrolle durch die Abschlussprüfer. Das gilt auch in Deutschland für den Deutschen ''Corporate Governance'' Kodex (DCGK), der neben einigen Aussagen über die Rechte der Aktionäre und der Hauptversammlung im Wesentlichen vom Vorstand und vom Aufsichtsrat handelt. In der heutigen ''Corporate Governance''-Diskussion ist jedoch anerkannt, dass neben der unternehmensinternen die unternehmensexterne ''Corporate Governance'' wichtig ist, also die Unternehmenskontrolle durch Marktkräfte, insbesondere – aber nicht nur – am Markt für Unternehmenskontrolle.
Das justinianische ''Corpus Juris'' bestand aus drei Teilen, die alle als Gesetzbücher veröffentlicht und in Kraft gesetzt wurden: Institutionen, Digesten und ''Codex''. Unter ihnen ist der ''Codex'' der, jedenfalls auf den ersten Blick, konventionellste Teil. Es handelt sich um eine Sammlung von Kaisergesetzen (''constitutiones principis''<nowiki>; deshalb auch: Kaiserkonstitutionen). Solche Sammlungen hatte es bereits in vorjustinianischer Zeit gegeben (darunter insbesondere den </nowiki>''Codex Theodosianus'' von 438/439), und sie bildeten eine wichtige Grundlage für ''Tribonian'' und seine Kommission. Dieser (erste) ''Codex Justinianus'' entstand in den Jahre 528 und 529. Um ein Gesetzbuch im modernen Sinne des Wortes handelte es sich dabei nicht. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Konstitutionen nicht nur Regelungen allgemeiner oder grundsätzlicher Art enthielten, sondern auch eine Fülle von Reskripten, d.h. Entscheidungen des Kaisers (bzw. seiner Kanzlei) zu ihm vorgelegten Rechtsfällen.


Bei der internen ''Corporate Governance'' geht es vor allem um Regeln über das Leitungs- und Kontrollorgan des Unternehmens. In der deutschen Aktiengesellschaft haben die Aktionäre die Leitung dem Vorstand und die Kontrolle dem Aufsichtsrat übertragen (Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht). Im anglo-amerikanischen Rechtskreis, aber auch in der Schweiz und vielen anderen Ländern, gibt es nur ein einziges Unternehmensleitungs- und &#8209;kontrollorgan, den ''board'', innerhalb dessen aber häufig zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden bzw., weitergehend, unabhängigen directors getrennt wird. Das legt ein Wahlrecht der Gesellschaften nahe. Die Kernfrage ist, wie die Kontrolle durch den Aufsichtsrat rechtlich und tatsächlich effektuiert werden kann ([[Aufsichtsrat/Board/Vorstand|Aufsichtsrat/''Board''/Vorstand]]).
== 3. Digesten ==
Das Hauptstück des ''Corpus Juris Civilis'' sind die Digesten (von ''digerere'' = ordnen, sammeln; der entsprechende griechische Begriff ist Pandekten, von πάν δέχεσαι <nowiki>= alles umfassen). Hierbei handelt es sich um eine gewaltige Sammlung von Auszügen („Fragmenten“) aus der juristischen Literatur de</nowiki>s klassischen römischen Rechts. Tatsächlich bilden, da die klassischen Juristenschriften alsbald nicht mehr verfügbar waren, die Digesten die Hauptquelle unseres Wissens vom klassischen [[römisches Recht|römischen Recht]] (und von seiner Entwicklung aus den republikanischen Ursprüngen; denn zum einen enthalten die Digesten auch einzelne Fragmente aus der Zeit der „Vorklassik“, zum anderen werden die republikanischen Juristen von ihren Nachfolgern häufig zitiert). Die von ''Tribonian'' gebildete und geleitete Kommission sichtete zu diesem Zweck fast 2.000 Bücher im Umfang von mehr als drei Millionen Zeilen. Ungefähr ein Drittel der in die Digesten aufgenommenen Fragmente stammt von dem spätklassischen Juristen ''Domitius Ulpianus'', der ab 202 n.&nbsp;Chr. einige Jahre lang der kaiserlichen Kanzlei ''a libellis'' vorstand – er war damit für die Beantwortung privater Eingaben zuständig –, und der 222 als ''praefectus praetorio'' zum höchsten Reichsbeamten in Zivilverwaltung und Rechtsprechung ernannt wurde. Die Ordnung der Digesten folgt im Wesentlichen dem prätorischen Edikt, also einem historisch gewachsenen, ab dem Ende der Republik nicht mehr veränderten Dokument, das für die ordentliche Gerichtsbarkeit von zentraler Bedeutung war. Gegliedert sind die Digesten in 50 Bücher, die ganz überwiegend in Titel unterteilt sind, die ihrerseits die aneinandergereihten Fragmente enthalten. Jedem Fragment ist eine ''inscriptio'' vorangestellt, die den Verfasser und die Fundstelle angibt. Dem Schwerpunkt der römischen Jurisprudenz entsprechend, nimmt das Privatrecht (einschließlich Zivilprozess) auch in den Digesten den weitaus größten Raum, nämlich die Bücher 2-46, ein. Dass die Digesten als Gesetz erlassen wurden, erscheint für den modernen Juristen vor allem deshalb seltsam, weil die darin enthaltenen Fragmente der juristischen ''Literatur&nbsp;''entstammten: Entscheidungssammlungen, Ediktskommentare, Gesamtdarstellungen des Zivilrechts oder einzelner Rechtsbereiche, Zusammenstellungen von Gutachten oder Disputationen, Monographien: ein buntes Sammelsurium von Texten unterschiedlichster Art.


Andererseits spielen die unterschiedlichen Aktionärsstrukturen in den verschiedenen Ländern eine erhebliche Rolle. So sind etwa in den USA und Großbritannien die ''public companies'' ohne kontrollierende Aktionäre die Regel (''outsider''-Modell), während in kontinentaleuropäischen Ländern eher Gesellschaften mit Großaktionären, Familien- und konzernangehörige Gesellschaften vorherrschen (''insider''-Modell). Neben den oben genannten ''principal agent conflict'' zwischen Aktionären und Management tritt damit der zwischen den Minderheitsaktionären und dem herrschenden Aktionär. Die ''Corporate Governance''-Probleme sind dann nicht mehr dieselben, was von Ökonomen und international auch zunehmend thematisiert wird, unter anderem inwieweit Übergänge von dem einen zu dem anderen System möglich sind, ohne dieses zu destabilisieren.
Seit geraumer Zeit fragt sich die romanistische Forschung, wie ein derart umfangreiches und komplexes Werk in einem Zeitraum von nur drei Jahren (530-533) entstehen konnte. Als gesichert gilt heute die Massentheorie von ''Friedrich Bluhme''. Sie beruht auf der Beobachtung, dass die Fragmente innerhalb der Digestentitel in bestimmter Weise geordnet sind. Den Kern einer ersten Gruppe bilden die Kommentarwerke der spätklassischen Autoren ''Ulpian'' und ''Paulus'' zu einer Darstellung des Zivilrechts durch den frühklassischen Juristen ''Massurius Sabinus'' (das ist die sog. „Sabinusmasse“); es folgen Exzerpte aus den Ediktskommentaren der Hoch- und Spätklassiker („Ediktsmasse“), aus den Responsen und Quaestionessammlungen des ''Papinian'', ''Paulus'' und ''Ulpian'' („Papiniansmasse“) sowie gelegentlich noch aus vermischten anderen Schriften („Appendixmasse“). ''Bluhme'' nahm deshalb an, dass die Digestenkommission in drei Unterkommissionen aufgeteilt war, von denen jede für eine bestimmte „Masse“ der klassischen Schriften zuständig war; die Werke der Appendixmasse seien offenbar erst nachträglich herangezogen worden. Weitere Einzelheiten der Arbeitsweise der „Kompilatoren“ (von ''compilare'' = ausbeuten) und der Voraussetzungen ihrer Arbeit sind bis heute unklar geblieben. Haben sie sich auf einen privaten Vorläufer der Digesten (''predigesto'') oder auf andere nennenswerte Vorarbeiten aus dem Unterrichtsbetrieb der oströmischen Schulen stützen können? Derartige Thesen werden heute ebenso skeptisch beurteilt wie der ehrgeizige Versuch ''Tony Honorés'', aufgrund umfassender Stilanalysen der zur Verfügung stehenden prosopographischen Daten und der Anwendung quantitativer Methoden die Zuordnung der Arbeitspensen zu individuellen Bearbeitern und Bearbeiterteams zu rekonstruieren.


In Deutschland und international sind die Publizität und die Wirtschaftsprüfung ein unverzichtbarer Baustein der ''Corporate Governance''. Die Unternehmenspublizität in ihren verschiedenen Formen ist vor allem deshalb so wichtig, weil sie, insbesondere wenn sie geprüft wird, den Akteuren am Markt für ihre Entscheidungen wichtige Informationen vermittelt und für die Unternehmen einen schonenderen, marktverträglicheren Eingriff darstellt als eine materielle, zwingende Gesetzesregelung. Publizität und Wirtschaftsprüfung gehören zwar zur Aktiengesellschaft, Abschlussprüfer sind aber wegen ihrer Unabhängigkeit keine Organe der Gesellschaft und stehen deshalb in gewisser Weise zwischen interner und externer ''Corporate Governance''. Die Abschlussprüfer gehören zu den wichtigsten sogenannten ''gatekeepers''.
== 4. Das Problem der Interpolationen ==
Die Digesten wurden Ende des Jahres 533 fertiggestellt. Die darin enthaltenen Fragmente entstammten jedoch einer lange versunkenen Zeit, denn die Epoche des klassischen [[römisches Recht|römischen Recht]]s koinzidierte in etwa mit der des Prinzipats. Die großen spätklassischen Juristen ''Papinian'' und ''Ulpian'' starben 212 und 223 (der eine wurde auf Befehl des ''Caracalla'' hingerichtet, der andere vor den Augen des ''Alexander Severus'' ermordet); und die schweren Erschütterungen, denen das römische Reich nach dem Tod des letzten Kaisers der Severerdynastie (des soeben erwähnten ''Alexander Severus'', 222-235) ausgesetzt war, bedeuteten dann das Ende der klassischen Jurisprudenz. Das für die Digesten „ausgebeutete“ Material war also mindestens dreihundert Jahre alt. Inzwischen hatten sich die Lebensverhältnisse grundlegend gewandelt. Wenn der christliche ''Kaiser Justinian'' in Konstantinopel nunmehr das ''ius vetus'' des heidnischen Rom sammeln ließ, zu einem ''sanctissimum templum iustitiae'' erhob und mit staatlichem Geltungsanspruch ausstattete, so war dies ein erstaunlicher, für den Klassizismus ''Justinians'' charakteristischer Vorgang. Doch bedurfte es gewisser Anpassungen. Der Arbeitsauftrag ''Tribonians'' (''Constitutio Deo auctore'' = C.&nbsp;1,17) bestand deshalb auch darin, veraltete Rechtsregeln und Rechtsinstitute zu beseitigen, Widersprüche zu tilgen sowie dazu gegebenenfalls in die Texte des klassischen Rechts einzugreifen und in ihnen Veränderungen vorzunehmen. Dies sind die berühmten (oder auch notorischen) Interpolationen. Dass die Digesten derartige interpolierte Texte enthalten, steht damit außer Frage. Zweifelhaft und jeweils von Fall zu Fall umstritten ist nur, in welchem Umfang dies der Fall ist. Die Problematik hatte über lange Perioden der europäischen Rechtsgeschichte hinweg – nämlich soweit und solange das [[römisches Recht|römische Recht]] (und das heißt: das Recht des ''Corpus Juris Civilis'') Grundlage der gemeinrechtlichen Jurisprudenz und damit für die praktische Rechtsanwendung bedeutsam war ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) – nur geringe Bedeutung. Für das unverfälschte Recht der klassischen Zeit interessierten sich vor allem die Protagonisten des juristischen [[Humanismus]] des 16.&nbsp;und frühen 17.&nbsp;Jahrhunderts, und es ist deshalb kein Wunder, dass sie die Interpolationenforschung begründeten (''Jacobus Cuiacius'', ''Antonius Faber''). Von zentralem Interesse wurde das Thema dann wieder, als mit der sich abzeichnenden Kodifikation des Privatrechts in Deutschland die romanistische Forschung die römischen Rechtsquellen „unberührt durch gemeinrechtliche Anwendbarkeitsrücksichten und deren erdrückendes Übergewicht“ (''Ernst Landsberg'') in den Blick zu nehmen begann. Es setzte nun unter inhaltlichen wie stilistischen Aspekten eine großangelegte Suche nach den Veränderungen klassischer Juristentexte durch die Kompilatoren ein, um so das klassische römische Recht aus dem justinianischen herauszupräparieren (''Fridolin Eisele'', ''Otto Gradenwitz''). Bis zum Jahre 1909 hatte die Interpolationenforschung einen derartigen Umfang angenommen, dass die Herausgeber der Romanistischen Abteilung der Savigny-Zeitschrift zur Erstellung eines ''Index interpolationum'' aufriefen, den dann, nach vielen Jahren der Vorbereitung, ''Ernst Levy'' und ''Ernst Rabel'' in Form eines dreibändigen Werkes ausführten (1929-35). Ganze Jahrgänge der Savigny-Zeitschrift wurden in jener Zeit von endlosen Nachweisen vermeintlich unklassischer Ausdrücke und Wendungen dominiert. Heute hat sich, vor allem unter dem Einfluss ''Max Kasers'', wieder eine sehr viel konservativere, von deutlich stärkerem Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit der Überlieferung geprägte Haltung durchgesetzt. Gleichzeitig wird heute aber auch angenommen, dass in gewissem Umfang bereits mit vorjustinianischen Überarbeitungen der klassischen Juristentexte zu rechnen ist (Textstufenforschung: ''Fritz Schulz'', ''Franz Wieacker'').


Die wichtigste externe ''Corporate Governance'' liegt – von Banken, Börsen und Kapitalmarkt und, soweit es sich nicht um Mitbestimmung im Aufsichtsrat handelt, von den Arbeitnehmern abgesehen – im Markt für Unternehmenskontrolle. Übernahmeangebote gelten grundsätzlich als erwünscht, und zwar sowohl als ein Mittel zur Nutzung von Synergien als auch als ein Instrument zur Kontrolle der Leitung von börsennotierten Unternehmen mit breiter Eigentumsstreuung, was nicht heißt, dass Übernahmeangebote für alle (oder auch nur eine der) beteiligten Parteien immer vorteilhaft sind. Die Entwicklung eines ''level playing field'' für Übernahmeangebote ist in der [[Europäische Union|Europäischen Union]] ein für den [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarkt]] förderliches Ziel. Das darf aber nicht zur Zurückdrängung des Wettbewerbs führen, wie von Wirtschaftswissenschaftlern gegenüber dem Schlagwort level playing field vielfach befürchtet wird, sondern soll im Gegenteil die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Markt für Unternehmenskontrolle (''market for corporate control'') innerhalb des europäischen Binnenmarkts erleichtern. Zu diesem Zweck müssen Hindernisse für Übernahmeangebote in allen Mitgliedstaaten abgebaut werden. ''Corporate Governance''-Regeln dazu enthält das [[Übernahmerecht]].
== 5. Institutionen ==
Für ein Gesetzbuch ebenso eigenartig wie die Digesten war der Inhalt des ersten Teils des ''Corpus Juris Civilis'', der Institutionen. Denn die Institutionen waren ein amtliches Einführungslehrbuch des römischen Privat- und Zivilprozessrechts. Mit seiner Redaktion waren, wiederum unter der Leitung von ''Tribonian'', die Professoren ''Theophilus'' (Konstantinopel) und ''Dorotheus'' (Beryt) betraut worden, und es wurde gegen Ende des Jahres 533, noch einige Wochen vor den Digesten, verkündet. Dass auch die Institutionen in vergleichsweise kurzer Zeit fertiggestellt werden konnten, lag daran, dass ''Theophilus'' und ''Dorotheus'' sich auf ein in der nachklassischen Zeit außerordentlich verbreitetes Lehrbuch stützen konnten, mit dem sie aus ihrem Unterrichtsbetrieb bestens vertraut waren: die aus der Mitte des 2.&nbsp;Jahrhunderts n.&nbsp;Chr. stammenden Institutionen des Provinzialjuristen ''Gaius'' (von ''Justinian'' als „Gaius noster“ bezeichnet). Die Vorzüge der Institutionen des ''Gaius'', die auch die justinianischen Institutionen prägen, liegen in der klaren Sprache und in der didaktisch geschickten, auf das Wesentliche reduzierten Darstellungsweise, vor allem aber in dem Bemühen um eine systematische Aufbereitung des Lehrstoffes: „Das Neuartige und Einzigartige des Werks ist sein System“ (''Wieacker'') ([[Pandektensystem]]). Die obersten Positionen dieses Systems, das seine Spuren in so gut wie jeder modernen Privatrechtskodifikation hinterlassen hat, sind die Kategorien ''personae'', ''res'', ''actiones&nbsp;''– also gewissermaßen das „Wer?“, das „Was?“ und das „Wie?“ des Rechts. „Res“ betrifft dabei das „Vermögen“ und umfasst Sachenrecht, Erbrecht und Schuldrecht. Gegenüber den Institutionen des ''Gaius'' neu gestaltet wurde vor allem das letzte der vier Bücher der justinianischen Institutionen: dies lag an der völligen Umgestaltung des Zivilprozesses gegenüber der klassischen Zeit. Bis heute prägt unsere Rechtsordnungen auch etwa die Unterteilung der Schuldverhältnisse in deliktische und vertragliche („summa divisio“), aber auch die ebenfalls schon auf ''Gaius'' zurückgehende Erkenntnis, dass es daneben weitere Schuldverhältnisse gibt („ex variis causarum figuris“ in einer überarbeiteten Fassung der Gaianischen Institutionen, quasi-vertragliche und quasi-deliktische Obligationen bei ''Justinian''). Außer ''Gaius'' zogen die Redaktoren aber auch weitere Einführungsliteratur, Auszüge aus den Kommentaren der Digestenjuristen und die justinianischen Reformkonstitutionen aus den Jahren seit 528 heran.


== 3. Europäisches Recht und Konvergenz der nationalen ''Corporate Governance'' Rechte  ==
== 6. Noch einmal: ''Codex'' ==
Ob ''Corporate Governance'' Regeln überhaupt auf europäischer Ebene vereinheitlicht werden oder besser den Mitgliedstaatsrechten überlassen bleiben sollten, wird kontrovers diskutiert. Das ist nicht nur eine Frage der Subsidiarität, wie sie im EG-Vertrag verankert ist, sondern der ökonomisch und rechtspolitisch richtigen Ebene. Diese letztere Frage rührt an Grundlagen und gehört zu den umstrittensten der ganzen Regelungstheorie und europäischen Rechtspolitik. Ökonomen tendieren dabei eher zum Wettbewerb der Rechtsordnungen, während Juristen häufig der Harmonisierung den Vorzug geben. Die Europäische Union hat dazu unterschiedliche Politiken verfolgt (Vollharmonisierung, gegenseitige Anerkennung, Mindestharmonisierung, Rahmenregelung, Deregulierung u.a.). Das kann hier nicht vertieft werden. Richtig dürfte jedenfalls sein, die Begründungslast denjenigen aufzuerlegen, die für eine europäische Harmonisierung eintreten. Diese kommt nur in Betracht, wenn überzeugend dargelegt werden kann, erstens dass ein bestimmtes regulatorisches Eingreifen des Gesetzgebers in die ''Corporate Governance'' legitim ist – etwa aufgrund von Marktversagen oder von externen Effekten oder aufgrund der notwendigen Implementierung der politischen Entscheidung für einen Binnenmarkt – und zweitens dass dieses Eingreifen, um erfolgreich zu sein, auf europäischer Ebene und nicht nur auf Mitgliedstaatsebene notwendig ist. Das führt dann nicht zu einem Entweder Oder, sondern zu einem Ineinandergreifen von europäischem und nationalem ''Corporate Governance'' Recht, wobei ersteres sich auf Rahmenregeln, Kernprobleme oder Bausteine beschränken sollte. Ob sich auf Dauer die Waage zugunsten des einen oder des anderen senken wird, hängt von vielen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen ab und lässt sich schwer vorhersagen.  
Durch diese Reformkonstitutionen und eine Sammlung von amtlichen Entscheidungen strittiger Rechtsfragen (''Quinquaginta Decisiones'', 530) war eine Überarbeitung des 529 verkündeten (Ersten) ''Codex'' erforderlich geworden. Sie führte dazu, dass Ende 534 der endgültige (Zweite) ''Codex'' in Kraft treten konnte, der seither den dritten Teil des justinianischen Gesetzgebungswerkes bildete. Er enthält insgesamt mehr als 4.600 Konstitutionen, die meisten aus der Zeit der Severerkaiser und ''Diokletians''. Über 400 Konstitutionen stammen aus der Regierungszeit ''Justinians''.


Auch unabhängig von europäischen Vorgaben lässt sich jedoch eine Entwicklung hin zu größerer, vom Markt erzwungener Konvergenz des Gesellschaftsrechts und der ''Corporate Governance'' vorhersagen. In den USA ist insoweit sogar schon vom „Ende der Geschichte des Aktienrechts“ gesprochen worden. Aus europäischer Sicht ist das utopisch, doch sind bei allen Besonderheiten und Pfadabhängigkeiten der nationalen ''Corporate Governance'' Systeme deutliche Konvergenzbewegungen erkennbar.
== 7. Novellen ==
Das Inkrafttreten des ''Codex'' bedeutete nicht das Ende der Reformgesetzgebung ''Justinians''. Vielmehr hat der Kaiser auch in der Folgezeit seine Reformtätigkeit „in fast beängstigender Rastlosigkeit“ (''Wieacker'') fortgesetzt und dabei nicht zuletzt auch wichtige Teilbereiche des Privatrechts (vor allem des Familien- und Erbrechts) neu geordnet. Diese ''novellae leges'' (Novellen) wurden überwiegend in Griechisch, der neuen Amtssprache in Konstantinopel, abgefasst. Eine geplante amtliche Sammlung ist nicht mehr zustande gekommen; stattdessen sind uns nur einige private Sammlungen erhalten, insbesondere die ''Epitome Juliani'' (eine verkürzende Bearbeitung von 124 Gesetzen der Jahre 535-555 in lateinischer Sprache), das sog. ''Authenticum'' (eine Sammlung von 134 Novellen, ebenfalls in lateinischer Sprache; sie wurde im Mittelalter fälschlich für den Originaltext gehalten) und die sog. griechische Novellensammlung (sie gelangte erst nach dem Untergang von Byzanz/Konstantinopel in den Westen und enthielt ursprünglich 168 Novellen, von denen einige auch von ''Justinians'' Nachfolgern stammten). Im Mittelalter wurde noch eine unter dem Namen ''Libri Feudorum'' bekannte Sammlung des langobardischen („lombardischen“) Lehnsrechts in das ''Corpus Juris Civilis'' aufgenommen ([[Feudalrecht]]); außerdem wurde der ''Codex'' um drei Gesetze der ''Kaiser Friedrich I.&nbsp;''und'' II''. ergänzt (darunter die berühmte ''Authentica Habita'', in der der Kaiser die Professoren und Studenten in Bologna unter seinen besonderen Schutz nahm).


== 4. Europäische Vorgaben für interne ''Corporate Governance'' ==
== 8. Studienreform und Kommentierverbot ==
Europäische Vorgaben für die interne ''Corporate Governance'' finden sich vor allem im europäischen [[Gesellschaftsrecht]]. Auch wenn dieses nicht flächendeckend wie das europäische [[Börsen]]- und [[Kapitalmarktrecht]] ist – so mussten die Pläne einer 5.&nbsp;Struktur-RL und einer 9.&nbsp;Konzernrechts-RL aufgegeben werden –, bleibt doch festzuhalten, dass das europäische Gesellschaftsrecht schon umfangmäßig, aber auch inhaltlich bedeutsam ist. Für Einzelheiten und Rechtsquellen zu den Gesellschaftsrechtsrichtlinien siehe [[Gesellschaftsrecht]], [[Aktiengesellschaft]], [[Kapitalmarktpublizität]].
Gleichzeitig mit den Digesten verkündete ''Justinian'' im Dezember 533 eine umfassende Studienreform. Denn da hinfort nur noch die drei Teile des justinianischen Gesetzbuchs anzuwenden und zu befolgen waren alles ältere Recht habe, so die ''Constitutio Tanta'' (= C.&nbsp;1,17,2) „zu verstummen“ und trat damit außer Kraft –, mussten sie auch im Studienbetrieb an die Stelle der vorjustinianischen Rechtsliteratur treten: die Institutionen (anstelle der Institutionen des ''Gaius'') sowie die Bücher 1-4 der Digesten im ersten Jahr, weitere Teile der Digesten in den Jahren zwei bis vier, und das Studium des ''Codex'' im fünften Jahr. Im Übrigen dekretierte ''Justinian'', dass kein Rechtsgelehrter es in Zukunft wagen möge, den Digesten Kommentare hinzuzufügen „und durch seine Geschwätzigkeit die Kürze unseres Gesetzbuches zu verderben“. Erlaubt sein sollten nur Übertragungen ins Griechische, Hinweise auf Parallelstellen und kurze Inhaltsangaben. Bezog sich dies Kommentierverbot von vornherein nicht auf die Professoren an den staatlich autorisierten Rechtsschulen? Betraf es nur den Gebrauch von Erläuterungswerken vor Gericht? Oder galt das Verbot nur für das Schreiben von Kommentaren in die Gesetzbücher selbst? Wie dem auch sei, jedenfalls begannen tatsächlich noch in der Regierungszeit ''Justinians'' die ersten Kommentare zu erscheinen.


In ihrem Aktionsplan vom 21.5.2003 stellt die Kommission die ''Corporate Governance'' zu Recht in den Vordergrund, wie auch schon im Titel des Aktionsplans „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union“ zum Ausdruck kommt. Die dort genannte erste Stufe ist mittlerweile durch verschiedene Richtlinien und Empfehlungen im Wesentlichen bereits abgearbeitet. So sind die erhöhten Offenlegungspflichten in Bezug auf die Unternehmensleitung und &#8209;überwachung und die Bestätigung der kollektiven Verantwortung der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans für den Jahresabschluss in der Richtlinie vom 14.6.2006 (RL&nbsp;2006/46) enthalten. Dort finden sich Vorschriften über den von der Gesellschaft, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zugelassen sind, jährlich zu erstellenden ''Corporate Governance''-Bericht (Erklärung zur Unternehmensführung) und über die Pflicht und Haftung hinsichtlich der Aufstellung und der Veröffentlichung der Jahresabschlüsse, des Lageberichts, der konsolidierten Abschlüsse und des konsolidierten Lageberichts. In Deutschland hat das im Zuge der Bilanzrechtsreform 2009 zu einer deutlichen Verschärfung des § 161 AktG über die Erklärung zum ''Corporate Governance'' Kodex geführt (zu diesem siehe [[Private Rechtsetzung und Codes of Conduct|Private Rechtsetzung und ''Codes of Conduct'']]).
== 9. Überlieferung ==
In Ostrom (Byzanz) kam es nach einer Phase der erneuten Vulgarisierung zu einer Renaissance des justinianischen Rechts in mehrfach überarbeiteter und immer stärker gestraffter Form sowie in griechischer Sprache (''ius Graeco-Romanum'': Basiliken-Gesetzgebung, ''Hexabiblos''). Im Westen blieben im Wesentlichen die Institutionen, der ''Codex'' und die Novellen bekannt. Mit der Wiederentdeckung und intellektuellen Aneignung der Digesten im späten 11.&nbsp;Jahrhundert begann, ausgehend von Bologna, die Geschichte der abendländischen Rechtswissenschaft ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]<nowiki>; Rezeption). Die einzige aus der Spätantike stammende, möglicherweise noch zu Lebzeiten </nowiki>''Justinians'' entstandene Handschrift gelangte zunächst nach Pisa und wird seit 1406 in Florenz aufbewahrt (daher: ''littera Florentina''). Von ihr verfügte man seit etwa 1080 in Bologna über eine heute verschollene Abschrift, den ''Codex Secundus''<nowiki>; doch enthielt diese Abschrift auch Korrekturen und Ergänzungen aufgrund einer von der </nowiki>''Florentina'' unabhängigen, ebenfalls nicht mehr erhaltenen Handschrift. Der ''Codex Secundus'' wurde zur Grundlage des mittelalterlichen Rechtsunterrichts und aller weiteren von Bologna aus verbreiteten Handschriften. Diese wurden kollektiv als ''littera Bononiensis'' oder Digestenvulgata bezeichnet und weisen mittelalterliche Textveränderungen auf. Seit dem 16.&nbsp;Jahrhundert folgen die Editionen der Digesten hauptsächlich der ''Florentina''. Das gilt auch für die heute maßgebliche Ausgabe von ''Theodor Mommsen''.


Die RL&nbsp;2007/36 vom 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften regelt die Erleichterung der Kommunikation mit den Aktionären und der Beschlussfassung einschließlich der Teilnahme an Versammlungen, Ausübung der Stimmrechte und grenzübergreifenden Ausübung der Stimmrechte.
Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der Frage, inwieweit die justinianische Gesetzgebung das klassische römische Recht widerspiegelt, ist das einzige Werk der klassischen römischen Literatur, von dem wir ein weitgehend erhaltenes Manuskript besitzen: die Institutionen des ''Gaius''. Dieser Text wurde 1816 von ''Barthold Georg Niebuhr'' in der Kapitelbibliothek von Verona auf einem mit einem anderen Text überschriebenen Pergament (Palimpsest) entdeckt und ist seither zum großen Teil wieder lesbar gemacht worden.  


Die Empfehlung 2004/913 vom 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften befasst sich mit einem in der Öffentlichkeit besonders beachteten Thema. Danach soll das allgemeine Konzept der Vergütung offengelegt werden und die Hauptversammlung soll darüber beraten und Beschluss fassen. Deutschland und die meisten anderen Mitgliedstaaten sind zur Enttäuschung der Kommission dieser letzteren Empfehlung nicht gefolgt. Deshalb und unter dem Eindruck der internationalen Kritik an überhöhten Managervergütungen ist die Ergänzungsempfehlung vom 30.4.2009 ergangen.
==Literatur==
''Fritz Schulz'', Einführung in das Studium der Digesten, 1916; ''Leopold Wenger'', Die Quellen des römischen Rechts, 1953, §§&nbsp;78-86, 91; ''Max Kaser'', Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, 1986; ''Franz Wieacker'', Römische Rechtsgeschichte, Bd.&nbsp;I, 1988 (§§&nbsp;6-8), Bd.&nbsp;II, 2006 (§§&nbsp;79-85); ''Wolfgang Kunkel'', ''Martin Schermaier'', Römische Rechtsgeschichte, 13.&nbsp;Aufl. 2001, §&nbsp;11; ''Tony Honoré'', Tribonian, 1978; ''Eltjo J.H. Schrage'', Utrumque Ius: Eine Einführung in das Studium der Quellen des mittelalterlichen gelehrten Rechts, 1992, 15&nbsp;ff.; ''Michael Maas'' (Hg.), The Cambridge Companion to the Age of Justinian, 2005.


Zur Stärkung der Rolle von unabhängigen nicht geschäftsführenden Direktoren und Aufsichtsräten ist die Empfehlung 2005/162 vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats ergangen. Wichtig für Deutschland ist, dass als Normfall empfohlen wird, dass der ausscheidende Vorstandsvorsitzende nicht unmittelbar Aufsichtsratsvorsitzender wird. Davon kann zwar abgewichen werden, aber das sollte begleitet werden von Informationen über die getroffenen Schutzvorkehrungen. Sodann sind als Norm mit Ausnahmen für KMU ein Nominierungs-, ein Vergütungs- und ein Rechnungslegungsausschuss zu etablieren, in denen die Mehrheit der Mitglieder unabhängig sein soll. Was unabhängig ist, wird in der Empfehlung und insbesondere in deren Anhang&nbsp;II sehr weit und streng gefasst. Obschon letztlich der Aufsichtsrat entscheidet, ob Unabhängigkeit anzunehmen ist, wäre die Umsetzung in Deutschland umwälzend, wegen der Beschneidung der Kontrollmöglichkeiten im Konzern und vor allem angesichts der (quasi) paritätischen Mitbestimmung. Näher dazu [[Aufsichtsrat/Board/Vorstand|Aufsichtsrat/''Board''/Vorstand]].
==Quellen==
 
Für den Text der Digesten ist grundlegend die große kritische Ausgabe von ''Theodor Mommsen'', Digesta Iustiniani Augusti, Bd. I (1868), Bd. II (1870); für den ''Codex'' diejenige von ''Paul Krüger'', Codex Iustinianus (1877). Darauf bruhen auch die entsprechenden Teile der heute regelmäßig benutzte Gesamtausgabe des ''Corpus Juris Civilis'': ''Theodor Mommsen'', ''Paul Krüger'', ''Rudolf Schoell'', ''Wilhelm Kroll'', Corpus Juris Civilis, editio stereotypa, Bd. I: Institutionen und Digesten, 1872; Bd. II: Codex, 1877; Bd. III: Novellen, 1895; alle Bde. in verschiedenen Neuauflagen und Nachdrucken. Eine deutsche Übersetzung des ''Corpus Juris Civilis'' aufgrund der damals gebräuchlichen Texte ist ''Carl E. Otto'', ''Bruno Schilling'', ''Carl Friedrich Ferdinand Sintenis'', Das Corpus Juris Civilis in's Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter, Bde. I-VII, 1830-33 (Neudruck 1984); eine moderne deutsche Übersetzung (freilich bislang nur für Institutionen und die Digesten bis Buch 27) bieten ''Okko Behrends'', ''Rolf Knütel'', ''Berthold Kupisch'', ''Hans Hermann Seiler'', Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, Bd. I (Institutionen), 2.&nbsp;Aufl. 1997 (Taschenbuchausgabe, 2. Aufl. 1999); Bd. II (Digesten 1-10), 1995; Bd. III (Digesten 11-20), 1999; Bd. IV (Digesten 21-27), 2005. Englische Übersetzungen: ''Peter Birks'', ''Grant McLeod'', Justinian’s Institutes, 1987; ''Theodor Mommsen'', ''Paul Krüger'', The Digest of Justinian (herausgegeben von Alan Watson), Bde. I-IV, 1985. Für die Institutionen des Gaius vgl. ''Emil Seckel'', ''Bernhard Kübler'', Gai institutionum commentarii quattuor, 8.&nbsp;Aufl. 1939; ''William M. Gordon'', ''Olivia F. Robinson'', The Institutes of Gaius, 1988; ''Ulrich Manthe'', Gaius Institutionen, 2004.
Die bindende Vorgabe eines Prüfungsausschusses für bestimmte Unternehmen ist in der Richtlinie vom 17.5.2006 (RL&nbsp;2006/43) vorgesehen. Danach muss jedes Unternehmen von öffentlichem Interesse einen Prüfungsausschuss haben. Unternehmen von öffentlichem Interesse sind mitgliedstaatliche Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaates zugelassen sind, sowie Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses muss unabhängig sein und über Sachverstand in Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung verfügen.
 
Die weiteren Stufen des Aktionsplans will die derzeitige Kommission aber nicht abarbeiten. Dazu gehören: Verstärkte Offenlegung der Anlage- und Abstimmungsstrategien institutioneller Anleger, die Möglichkeit der Wahl zwischen einem dualistischen und einem monistischen System für alle börsennotierten Gesellschaften und die Stärkung der Verantwortung der Mitglieder des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans (Recht auf Sonderprüfung, Insolvenzverschleppungshaftung, Verbot der Tätigkeit als Direktor). Mit der Untersuchung der Folgen eines Ansatzes zur Erreichung vollständiger Aktionärsdemokratie (''one share one vote''), zumindest für börsennotierte Gesellschaften, hat Kommissar ''McCreevy'' allerdings Schiffbruch erlitten und ist in das andere Extrem verfallen, überhaupt keine weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der (internen) ''Corporate Governance'' nach dem Aktionsplan mehr zu unternehmen. Das ist von europäischen Sachverständigen und vom [[Europäisches Parlament|Europäischen Parlament]] zutreffend kritisiert worden.
 
== 5. Europäische Vorgaben für externe ''Corporate Governance'' ==
Zu den wichtigsten europäischen Vorgaben für externe ''Corporate Governance'' gehört die 13. Richtlinie vom 21.4.2004 über Übernahmeangebote (RL&nbsp;2004/25). Die abenteuerliche Geschichte ihres Zustandekommens, ihr Inhalt und ihre Bedeutung sind unter [[Übernahmerecht]] näher dargestellt.
 
Weitere Elemente können sich positiv von außen auf die ''Corporate Governance'' von Unternehmen auswirken. Das gilt insbesondere für Publizitätsanforderungen, durch die die Verhältnisse der Gesellschaft und ihre ''Corporate Governance'' transparent und für Anleger und mögliche Übernahmeinteressenten offenkundig gemacht werden. Im europäischen [[Gesellschaftsrecht|Gesellschafts-]] und [[Kapitalmarktrecht]] gibt es auch abgesehen von der Regelpublizität eine Vielzahl solcher Vorschriften, angefangen von dem bereits oben erwähnten ''Corporate Governance'' Bericht über die Meldepflichten bei Überschreiten von bestimmten Meldeschwellen für Aktienpakete bis hin zur ''ad hoc''-Publizität bei für das Unternehmen und seine Papiere wesentlichen Entwicklungen.
 
== Literatur ==
''American Law Institute'', Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, 1994; ''Klaus J. Hopt'', ''Hideki Kanda'', ''Marc J. Roe'', ''Eddy Wymeersch'', ''Stefan Prigge ''(Hg.), Comparative Corporate Governance: The State of the Art and Emerging Research, 1998; ''Klaus J. Hopt'', Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa?, Zeitschrift für Unternehmens-und Gesellschaftsrecht 2000, 779&nbsp;ff.; ''Susanne Kalss'', Anlegerinteressen: Der Anleger im Handlungsdreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2001; ''Paul Frentrop'', History of Corporate Governance 1602-2002, 2002; ''High Level Group of Company Law Experts'', Report on Issues Related to Takeover Bids (Report I) and A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe (Report II): Reports of the High Level Group of Company Law Experts, European Commission, Brussels, 10 January 2002 and 4 November 2002, auch in: Guido Ferrarini, Klaus J. Hopt, Jaap Winter, Eddy Wymeersch (Hg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, Annex&nbsp;2, 825&nbsp;ff. und Annex&nbsp;3, 925&nbsp;ff.; ''Klaus J. Hopt'', ''Eddy Wymeersch'', ''Hideki Kanda'', ''Harald Baum'' (Hg.), Corporate Governance in Context: Corporations, States, and Markets in Europe, Japan, and the US, 2005; ''Klaus J. Hopt'','' Eddy Wymeersch'' (Hg.), European Company and Financial Law: Texts and Leading Cases, 4.&nbsp;Aufl. 2007; ''Patrick C. Leyens'', Corporate Governance: Grundsatzfragen und Forschungsperspektiven, Juristenzeitung 2007, 1061&nbsp;ff.; ''Henrik-Michael Ringleb'','' Thomas Kremer'', ''Marcus Lutter'', ''Axel von Werder'','' ''Deutscher Corporate Governance Kodex, 3.&nbsp;Aufl. 2008.


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Version vom 28. September 2021, 15:24 Uhr

von Reinhard Zimmermann

1. Justinian und das Corpus Juris

Nach der Bibel kann das Corpus Juris Civilis als die einflussreichste Schrift in der Geschichte Europas gelten. Denn es war im Wesentlichen durch das Corpus Juris Civilis, dass das antike römische Recht die europäische Rechtstradition (die später auch auf viele außereuropäische Teile der Welt ausstrahlte) nachhaltig und charakteristisch geprägt hat (Rezeption).

Das Corpus Juris Civilis entstand im 6. Jahrhundert n. Chr. in Konstantinopel, der Hauptstadt des oströmischen Reiches; Westrom befand sich seit 476 unter germanischer Herrschaft. Es war Teil eines umfassenden Restaurationsprogramms Kaiser Justinians (527-565): Das alte imperium Romanum sollte als nunmehr christliches Weltreich glanzvoll wiedererstehen. Diesem Ziel dienten die Feldzüge, durch die jedenfalls vorübergehend Teile des ehemals weströmischen Reiches zurückgewonnen wurden, ihm dienten die monumentalen Bauten insbesondere in Konstantinopel und Ravenna, ihm diente eine auf einen Cäsaropapismus zielende Kirchenpolitik, und ihm diente das Gesetzgebungswerk, das (freilich erst seit der Gesamtausgabe des Dionysius Gothofredus von 1583) als Corpus Juris Civilis bekannt ist. Verwirklicht wurde es durch Justinians Justizminister Tribonian, der sich dabei auf eine in den oströmischen Rechtsschulen von Beryt und Konstantinopel wiederbelebte wissenschaftliche Tradition stützen konnte und der eine Reihe von Professoren dieser Rechtsschulen (Dorotheus, Theophilus) zur Mitarbeit heranzog.

2. Codex

Das justinianische Corpus Juris bestand aus drei Teilen, die alle als Gesetzbücher veröffentlicht und in Kraft gesetzt wurden: Institutionen, Digesten und Codex. Unter ihnen ist der Codex der, jedenfalls auf den ersten Blick, konventionellste Teil. Es handelt sich um eine Sammlung von Kaisergesetzen (constitutiones principis; deshalb auch: Kaiserkonstitutionen). Solche Sammlungen hatte es bereits in vorjustinianischer Zeit gegeben (darunter insbesondere den Codex Theodosianus von 438/439), und sie bildeten eine wichtige Grundlage für Tribonian und seine Kommission. Dieser (erste) Codex Justinianus entstand in den Jahre 528 und 529. Um ein Gesetzbuch im modernen Sinne des Wortes handelte es sich dabei nicht. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Konstitutionen nicht nur Regelungen allgemeiner oder grundsätzlicher Art enthielten, sondern auch eine Fülle von Reskripten, d.h. Entscheidungen des Kaisers (bzw. seiner Kanzlei) zu ihm vorgelegten Rechtsfällen.

3. Digesten

Das Hauptstück des Corpus Juris Civilis sind die Digesten (von digerere = ordnen, sammeln; der entsprechende griechische Begriff ist Pandekten, von πάν δέχεσαι = alles umfassen). Hierbei handelt es sich um eine gewaltige Sammlung von Auszügen („Fragmenten“) aus der juristischen Literatur des klassischen römischen Rechts. Tatsächlich bilden, da die klassischen Juristenschriften alsbald nicht mehr verfügbar waren, die Digesten die Hauptquelle unseres Wissens vom klassischen römischen Recht (und von seiner Entwicklung aus den republikanischen Ursprüngen; denn zum einen enthalten die Digesten auch einzelne Fragmente aus der Zeit der „Vorklassik“, zum anderen werden die republikanischen Juristen von ihren Nachfolgern häufig zitiert). Die von Tribonian gebildete und geleitete Kommission sichtete zu diesem Zweck fast 2.000 Bücher im Umfang von mehr als drei Millionen Zeilen. Ungefähr ein Drittel der in die Digesten aufgenommenen Fragmente stammt von dem spätklassischen Juristen Domitius Ulpianus, der ab 202 n. Chr. einige Jahre lang der kaiserlichen Kanzlei a libellis vorstand – er war damit für die Beantwortung privater Eingaben zuständig –, und der 222 als praefectus praetorio zum höchsten Reichsbeamten in Zivilverwaltung und Rechtsprechung ernannt wurde. Die Ordnung der Digesten folgt im Wesentlichen dem prätorischen Edikt, also einem historisch gewachsenen, ab dem Ende der Republik nicht mehr veränderten Dokument, das für die ordentliche Gerichtsbarkeit von zentraler Bedeutung war. Gegliedert sind die Digesten in 50 Bücher, die ganz überwiegend in Titel unterteilt sind, die ihrerseits die aneinandergereihten Fragmente enthalten. Jedem Fragment ist eine inscriptio vorangestellt, die den Verfasser und die Fundstelle angibt. Dem Schwerpunkt der römischen Jurisprudenz entsprechend, nimmt das Privatrecht (einschließlich Zivilprozess) auch in den Digesten den weitaus größten Raum, nämlich die Bücher 2-46, ein. Dass die Digesten als Gesetz erlassen wurden, erscheint für den modernen Juristen vor allem deshalb seltsam, weil die darin enthaltenen Fragmente der juristischen Literatur entstammten: Entscheidungssammlungen, Ediktskommentare, Gesamtdarstellungen des Zivilrechts oder einzelner Rechtsbereiche, Zusammenstellungen von Gutachten oder Disputationen, Monographien: ein buntes Sammelsurium von Texten unterschiedlichster Art.

Seit geraumer Zeit fragt sich die romanistische Forschung, wie ein derart umfangreiches und komplexes Werk in einem Zeitraum von nur drei Jahren (530-533) entstehen konnte. Als gesichert gilt heute die Massentheorie von Friedrich Bluhme. Sie beruht auf der Beobachtung, dass die Fragmente innerhalb der Digestentitel in bestimmter Weise geordnet sind. Den Kern einer ersten Gruppe bilden die Kommentarwerke der spätklassischen Autoren Ulpian und Paulus zu einer Darstellung des Zivilrechts durch den frühklassischen Juristen Massurius Sabinus (das ist die sog. „Sabinusmasse“); es folgen Exzerpte aus den Ediktskommentaren der Hoch- und Spätklassiker („Ediktsmasse“), aus den Responsen und Quaestionessammlungen des Papinian, Paulus und Ulpian („Papiniansmasse“) sowie gelegentlich noch aus vermischten anderen Schriften („Appendixmasse“). Bluhme nahm deshalb an, dass die Digestenkommission in drei Unterkommissionen aufgeteilt war, von denen jede für eine bestimmte „Masse“ der klassischen Schriften zuständig war; die Werke der Appendixmasse seien offenbar erst nachträglich herangezogen worden. Weitere Einzelheiten der Arbeitsweise der „Kompilatoren“ (von compilare = ausbeuten) und der Voraussetzungen ihrer Arbeit sind bis heute unklar geblieben. Haben sie sich auf einen privaten Vorläufer der Digesten (predigesto) oder auf andere nennenswerte Vorarbeiten aus dem Unterrichtsbetrieb der oströmischen Schulen stützen können? Derartige Thesen werden heute ebenso skeptisch beurteilt wie der ehrgeizige Versuch Tony Honorés, aufgrund umfassender Stilanalysen der zur Verfügung stehenden prosopographischen Daten und der Anwendung quantitativer Methoden die Zuordnung der Arbeitspensen zu individuellen Bearbeitern und Bearbeiterteams zu rekonstruieren.

4. Das Problem der Interpolationen

Die Digesten wurden Ende des Jahres 533 fertiggestellt. Die darin enthaltenen Fragmente entstammten jedoch einer lange versunkenen Zeit, denn die Epoche des klassischen römischen Rechts koinzidierte in etwa mit der des Prinzipats. Die großen spätklassischen Juristen Papinian und Ulpian starben 212 und 223 (der eine wurde auf Befehl des Caracalla hingerichtet, der andere vor den Augen des Alexander Severus ermordet); und die schweren Erschütterungen, denen das römische Reich nach dem Tod des letzten Kaisers der Severerdynastie (des soeben erwähnten Alexander Severus, 222-235) ausgesetzt war, bedeuteten dann das Ende der klassischen Jurisprudenz. Das für die Digesten „ausgebeutete“ Material war also mindestens dreihundert Jahre alt. Inzwischen hatten sich die Lebensverhältnisse grundlegend gewandelt. Wenn der christliche Kaiser Justinian in Konstantinopel nunmehr das ius vetus des heidnischen Rom sammeln ließ, zu einem sanctissimum templum iustitiae erhob und mit staatlichem Geltungsanspruch ausstattete, so war dies ein erstaunlicher, für den Klassizismus Justinians charakteristischer Vorgang. Doch bedurfte es gewisser Anpassungen. Der Arbeitsauftrag Tribonians (Constitutio Deo auctore = C. 1,17) bestand deshalb auch darin, veraltete Rechtsregeln und Rechtsinstitute zu beseitigen, Widersprüche zu tilgen sowie dazu gegebenenfalls in die Texte des klassischen Rechts einzugreifen und in ihnen Veränderungen vorzunehmen. Dies sind die berühmten (oder auch notorischen) Interpolationen. Dass die Digesten derartige interpolierte Texte enthalten, steht damit außer Frage. Zweifelhaft und jeweils von Fall zu Fall umstritten ist nur, in welchem Umfang dies der Fall ist. Die Problematik hatte über lange Perioden der europäischen Rechtsgeschichte hinweg – nämlich soweit und solange das römische Recht (und das heißt: das Recht des Corpus Juris Civilis) Grundlage der gemeinrechtlichen Jurisprudenz und damit für die praktische Rechtsanwendung bedeutsam war (ius commune) – nur geringe Bedeutung. Für das unverfälschte Recht der klassischen Zeit interessierten sich vor allem die Protagonisten des juristischen Humanismus des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, und es ist deshalb kein Wunder, dass sie die Interpolationenforschung begründeten (Jacobus Cuiacius, Antonius Faber). Von zentralem Interesse wurde das Thema dann wieder, als mit der sich abzeichnenden Kodifikation des Privatrechts in Deutschland die romanistische Forschung die römischen Rechtsquellen „unberührt durch gemeinrechtliche Anwendbarkeitsrücksichten und deren erdrückendes Übergewicht“ (Ernst Landsberg) in den Blick zu nehmen begann. Es setzte nun unter inhaltlichen wie stilistischen Aspekten eine großangelegte Suche nach den Veränderungen klassischer Juristentexte durch die Kompilatoren ein, um so das klassische römische Recht aus dem justinianischen herauszupräparieren (Fridolin Eisele, Otto Gradenwitz). Bis zum Jahre 1909 hatte die Interpolationenforschung einen derartigen Umfang angenommen, dass die Herausgeber der Romanistischen Abteilung der Savigny-Zeitschrift zur Erstellung eines Index interpolationum aufriefen, den dann, nach vielen Jahren der Vorbereitung, Ernst Levy und Ernst Rabel in Form eines dreibändigen Werkes ausführten (1929-35). Ganze Jahrgänge der Savigny-Zeitschrift wurden in jener Zeit von endlosen Nachweisen vermeintlich unklassischer Ausdrücke und Wendungen dominiert. Heute hat sich, vor allem unter dem Einfluss Max Kasers, wieder eine sehr viel konservativere, von deutlich stärkerem Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit der Überlieferung geprägte Haltung durchgesetzt. Gleichzeitig wird heute aber auch angenommen, dass in gewissem Umfang bereits mit vorjustinianischen Überarbeitungen der klassischen Juristentexte zu rechnen ist (Textstufenforschung: Fritz Schulz, Franz Wieacker).

5. Institutionen

Für ein Gesetzbuch ebenso eigenartig wie die Digesten war der Inhalt des ersten Teils des Corpus Juris Civilis, der Institutionen. Denn die Institutionen waren ein amtliches Einführungslehrbuch des römischen Privat- und Zivilprozessrechts. Mit seiner Redaktion waren, wiederum unter der Leitung von Tribonian, die Professoren Theophilus (Konstantinopel) und Dorotheus (Beryt) betraut worden, und es wurde gegen Ende des Jahres 533, noch einige Wochen vor den Digesten, verkündet. Dass auch die Institutionen in vergleichsweise kurzer Zeit fertiggestellt werden konnten, lag daran, dass Theophilus und Dorotheus sich auf ein in der nachklassischen Zeit außerordentlich verbreitetes Lehrbuch stützen konnten, mit dem sie aus ihrem Unterrichtsbetrieb bestens vertraut waren: die aus der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. stammenden Institutionen des Provinzialjuristen Gaius (von Justinian als „Gaius noster“ bezeichnet). Die Vorzüge der Institutionen des Gaius, die auch die justinianischen Institutionen prägen, liegen in der klaren Sprache und in der didaktisch geschickten, auf das Wesentliche reduzierten Darstellungsweise, vor allem aber in dem Bemühen um eine systematische Aufbereitung des Lehrstoffes: „Das Neuartige und Einzigartige des Werks ist sein System“ (Wieacker) (Pandektensystem). Die obersten Positionen dieses Systems, das seine Spuren in so gut wie jeder modernen Privatrechtskodifikation hinterlassen hat, sind die Kategorien personae, res, actiones – also gewissermaßen das „Wer?“, das „Was?“ und das „Wie?“ des Rechts. „Res“ betrifft dabei das „Vermögen“ und umfasst Sachenrecht, Erbrecht und Schuldrecht. Gegenüber den Institutionen des Gaius neu gestaltet wurde vor allem das letzte der vier Bücher der justinianischen Institutionen: dies lag an der völligen Umgestaltung des Zivilprozesses gegenüber der klassischen Zeit. Bis heute prägt unsere Rechtsordnungen auch etwa die Unterteilung der Schuldverhältnisse in deliktische und vertragliche („summa divisio“), aber auch die ebenfalls schon auf Gaius zurückgehende Erkenntnis, dass es daneben weitere Schuldverhältnisse gibt („ex variis causarum figuris“ in einer überarbeiteten Fassung der Gaianischen Institutionen, quasi-vertragliche und quasi-deliktische Obligationen bei Justinian). Außer Gaius zogen die Redaktoren aber auch weitere Einführungsliteratur, Auszüge aus den Kommentaren der Digestenjuristen und die justinianischen Reformkonstitutionen aus den Jahren seit 528 heran.

6. Noch einmal: Codex

Durch diese Reformkonstitutionen und eine Sammlung von amtlichen Entscheidungen strittiger Rechtsfragen (Quinquaginta Decisiones, 530) war eine Überarbeitung des 529 verkündeten (Ersten) Codex erforderlich geworden. Sie führte dazu, dass Ende 534 der endgültige (Zweite) Codex in Kraft treten konnte, der seither den dritten Teil des justinianischen Gesetzgebungswerkes bildete. Er enthält insgesamt mehr als 4.600 Konstitutionen, die meisten aus der Zeit der Severerkaiser und Diokletians. Über 400 Konstitutionen stammen aus der Regierungszeit Justinians.

7. Novellen

Das Inkrafttreten des Codex bedeutete nicht das Ende der Reformgesetzgebung Justinians. Vielmehr hat der Kaiser auch in der Folgezeit seine Reformtätigkeit „in fast beängstigender Rastlosigkeit“ (Wieacker) fortgesetzt und dabei nicht zuletzt auch wichtige Teilbereiche des Privatrechts (vor allem des Familien- und Erbrechts) neu geordnet. Diese novellae leges (Novellen) wurden überwiegend in Griechisch, der neuen Amtssprache in Konstantinopel, abgefasst. Eine geplante amtliche Sammlung ist nicht mehr zustande gekommen; stattdessen sind uns nur einige private Sammlungen erhalten, insbesondere die Epitome Juliani (eine verkürzende Bearbeitung von 124 Gesetzen der Jahre 535-555 in lateinischer Sprache), das sog. Authenticum (eine Sammlung von 134 Novellen, ebenfalls in lateinischer Sprache; sie wurde im Mittelalter fälschlich für den Originaltext gehalten) und die sog. griechische Novellensammlung (sie gelangte erst nach dem Untergang von Byzanz/Konstantinopel in den Westen und enthielt ursprünglich 168 Novellen, von denen einige auch von Justinians Nachfolgern stammten). Im Mittelalter wurde noch eine unter dem Namen Libri Feudorum bekannte Sammlung des langobardischen („lombardischen“) Lehnsrechts in das Corpus Juris Civilis aufgenommen (Feudalrecht); außerdem wurde der Codex um drei Gesetze der Kaiser Friedrich I. und II. ergänzt (darunter die berühmte Authentica Habita, in der der Kaiser die Professoren und Studenten in Bologna unter seinen besonderen Schutz nahm).

8. Studienreform und Kommentierverbot

Gleichzeitig mit den Digesten verkündete Justinian im Dezember 533 eine umfassende Studienreform. Denn da hinfort nur noch die drei Teile des justinianischen Gesetzbuchs anzuwenden und zu befolgen waren – alles ältere Recht habe, so die Constitutio Tanta (= C. 1,17,2) „zu verstummen“ und trat damit außer Kraft –, mussten sie auch im Studienbetrieb an die Stelle der vorjustinianischen Rechtsliteratur treten: die Institutionen (anstelle der Institutionen des Gaius) sowie die Bücher 1-4 der Digesten im ersten Jahr, weitere Teile der Digesten in den Jahren zwei bis vier, und das Studium des Codex im fünften Jahr. Im Übrigen dekretierte Justinian, dass kein Rechtsgelehrter es in Zukunft wagen möge, den Digesten Kommentare hinzuzufügen „und durch seine Geschwätzigkeit die Kürze unseres Gesetzbuches zu verderben“. Erlaubt sein sollten nur Übertragungen ins Griechische, Hinweise auf Parallelstellen und kurze Inhaltsangaben. Bezog sich dies Kommentierverbot von vornherein nicht auf die Professoren an den staatlich autorisierten Rechtsschulen? Betraf es nur den Gebrauch von Erläuterungswerken vor Gericht? Oder galt das Verbot nur für das Schreiben von Kommentaren in die Gesetzbücher selbst? Wie dem auch sei, jedenfalls begannen tatsächlich noch in der Regierungszeit Justinians die ersten Kommentare zu erscheinen.

9. Überlieferung

In Ostrom (Byzanz) kam es nach einer Phase der erneuten Vulgarisierung zu einer Renaissance des justinianischen Rechts in mehrfach überarbeiteter und immer stärker gestraffter Form sowie in griechischer Sprache (ius Graeco-Romanum: Basiliken-Gesetzgebung, Hexabiblos). Im Westen blieben im Wesentlichen die Institutionen, der Codex und die Novellen bekannt. Mit der Wiederentdeckung und intellektuellen Aneignung der Digesten im späten 11. Jahrhundert begann, ausgehend von Bologna, die Geschichte der abendländischen Rechtswissenschaft (ius commune; Rezeption). Die einzige aus der Spätantike stammende, möglicherweise noch zu Lebzeiten Justinians entstandene Handschrift gelangte zunächst nach Pisa und wird seit 1406 in Florenz aufbewahrt (daher: littera Florentina). Von ihr verfügte man seit etwa 1080 in Bologna über eine heute verschollene Abschrift, den Codex Secundus; doch enthielt diese Abschrift auch Korrekturen und Ergänzungen aufgrund einer von der Florentina unabhängigen, ebenfalls nicht mehr erhaltenen Handschrift. Der Codex Secundus wurde zur Grundlage des mittelalterlichen Rechtsunterrichts und aller weiteren von Bologna aus verbreiteten Handschriften. Diese wurden kollektiv als littera Bononiensis oder Digestenvulgata bezeichnet und weisen mittelalterliche Textveränderungen auf. Seit dem 16. Jahrhundert folgen die Editionen der Digesten hauptsächlich der Florentina. Das gilt auch für die heute maßgebliche Ausgabe von Theodor Mommsen.

Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der Frage, inwieweit die justinianische Gesetzgebung das klassische römische Recht widerspiegelt, ist das einzige Werk der klassischen römischen Literatur, von dem wir ein weitgehend erhaltenes Manuskript besitzen: die Institutionen des Gaius. Dieser Text wurde 1816 von Barthold Georg Niebuhr in der Kapitelbibliothek von Verona auf einem mit einem anderen Text überschriebenen Pergament (Palimpsest) entdeckt und ist seither zum großen Teil wieder lesbar gemacht worden.

Literatur

Fritz Schulz, Einführung in das Studium der Digesten, 1916; Leopold Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, 1953, §§ 78-86, 91; Max Kaser, Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, 1986; Franz Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Bd. I, 1988 (§§ 6-8), Bd. II, 2006 (§§ 79-85); Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, 13. Aufl. 2001, § 11; Tony Honoré, Tribonian, 1978; Eltjo J.H. Schrage, Utrumque Ius: Eine Einführung in das Studium der Quellen des mittelalterlichen gelehrten Rechts, 1992, 15 ff.; Michael Maas (Hg.), The Cambridge Companion to the Age of Justinian, 2005.

Quellen

Für den Text der Digesten ist grundlegend die große kritische Ausgabe von Theodor Mommsen, Digesta Iustiniani Augusti, Bd. I (1868), Bd. II (1870); für den Codex diejenige von Paul Krüger, Codex Iustinianus (1877). Darauf bruhen auch die entsprechenden Teile der heute regelmäßig benutzte Gesamtausgabe des Corpus Juris Civilis: Theodor Mommsen, Paul Krüger, Rudolf Schoell, Wilhelm Kroll, Corpus Juris Civilis, editio stereotypa, Bd. I: Institutionen und Digesten, 1872; Bd. II: Codex, 1877; Bd. III: Novellen, 1895; alle Bde. in verschiedenen Neuauflagen und Nachdrucken. Eine deutsche Übersetzung des Corpus Juris Civilis aufgrund der damals gebräuchlichen Texte ist Carl E. Otto, Bruno Schilling, Carl Friedrich Ferdinand Sintenis, Das Corpus Juris Civilis in's Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter, Bde. I-VII, 1830-33 (Neudruck 1984); eine moderne deutsche Übersetzung (freilich bislang nur für Institutionen und die Digesten bis Buch 27) bieten Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch, Hans Hermann Seiler, Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, Bd. I (Institutionen), 2. Aufl. 1997 (Taschenbuchausgabe, 2. Aufl. 1999); Bd. II (Digesten 1-10), 1995; Bd. III (Digesten 11-20), 1999; Bd. IV (Digesten 21-27), 2005. Englische Übersetzungen: Peter Birks, Grant McLeod, Justinian’s Institutes, 1987; Theodor Mommsen, Paul Krüger, The Digest of Justinian (herausgegeben von Alan Watson), Bde. I-IV, 1985. Für die Institutionen des Gaius vgl. Emil Seckel, Bernhard Kübler, Gai institutionum commentarii quattuor, 8. Aufl. 1939; William M. Gordon, Olivia F. Robinson, The Institutes of Gaius, 1988; Ulrich Manthe, Gaius Institutionen, 2004.