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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 14:46 Uhr
1. Gegenstand und Zweck
Die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft und die ihrer Mitgliedstaaten ist gemäß Art. 4(1), 98 EG/ 119 f. AEUV dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet (Europäische Wirtschaftsverfassung; Wettbewerb im Binnenmarkt). Eine solche Wettbewerbsordnung ist ohne privates Eigentum an Produktionsmitteln nicht denkbar. Privates Eigentum muss also gegen (unverhältnismäßige) Eingriffe geschützt werden. Eingriffe können durch Private, die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten erfolgen. Der Natur der unterschiedlichen Eingriffsarten entsprechend ist der öffentlich-/verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff jedenfalls außerhalb des Strafrechts vielfach weiter als der privatrechtliche und umfasst auch Immaterialgüterrechte (Geistiges Eigentum (Durchsetzung)) und Ansprüche aus sozialen Sicherungssystemen.
2. Eingriffe durch Private
a) Instrumente des Eigentumsschutzes
Das Fundament des privatrechtlichen Eigentumsschutzes in den kontinentalen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist gemeinhin die Idee des absoluten Rechts. Sie bildet die Grundlage der selbständigen Sachen- oder Eigentumsrechte, die mit dem Herausgabeanspruch des Eigentümers (bzw. der Klage rei vindicatio) auf die Verwirklichung und den Schutz der exklusiven Eigentümerbefugnis gerichtet sind. Sie entfalten vielfach eine Sogwirkung auf das Deliktsrecht (Christian von Bar), indem Vorschriften über den Inhalt und Umfang des absoluten Rechts haftungsrechtlich abgerundet werden. Im Übrigen geben die auf dem Konzept des absoluten Rechts fußenden Sachenrechte dem Deliktsrecht Schutzpositionen vor, bei deren (schuldhafter) Verletzung Ersatz gewährt werden muss. Das spiegeln sowohl die PETL (Art. 2:102(3)) als auch die PEL Liab. Dam. (Art. 2:206) wider.
Im common law hingegen ist der Eigentumsschutz vorwiegend aktionenrechtlich durch verschiedene torts, insbesondere negligence, nuisance und trespass, ausgestaltet. Die Funktion der rei vindicatio übernimmt im Wesentlichen der tort der conversion.
Dem Eigentümer steht damit grundsätzlich ein sachen- und/oder deliktsrechtlicher Herausgabeanspruch zu, soweit ihm nicht ein Recht zum Besitz entgegengehalten werden kann. Gegen den Entzug der Sache sowie (nachteilige) Einwirkungen auf die Sache besteht regelmäßig ein Abwehranspruch.
Erhebliche Unterschiede bestehen zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Beweises der Eigentümerstellung, insbesondere bei Grundstücken. Während sich in Deutschland die Eigentümerstellung aus dem Grundbuch ergibt, verzichten andere Mitgliedstaaten, wie Frankreich (mit Ausnahme von Elsass-Lothringen), auf ein solches Register bzw. erkennen ihm nur deklaratorische Bedeutung zu.
Im europäischen Sekundärrecht finden sich zwar zunehmend auch sachenrechtliche Regelungen, konkrete eigentumsschützende Vorschriften zugunsten Privater sind jedoch die Ausnahme geblieben. Gemäß Art. 5(2)(c) EuInsVO (VO 1346/2000) wird das Recht des Vindikationsberechtigten durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. Die Produkthaftungs-RL (RL 85/374) (Produkthaftung) sieht einen Schadensersatzanspruch für durch fehlerhafte Produkte verursachte Sachbeschädigungen vor (s.u.).
Kollisionsrechtlich folgen die Mitgliedstaaten, wie auch die EuInsVO, regelmäßig der Anwendung der lex rei sitae bzw. (bei Eintragungspflicht) des Rechts des Registerstaates auf sachenrechtliche Ansprüche. Zum gemeinschaftsrechtlichen Deliktskollisionsrecht siehe außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR).
b) Umfang des Eigentumsschutzes
Der Eigentumsschutz wird nicht schrankenlos gewährleistet. Einwirkungen in großer Höhe über einem Grundstück etwa oder in größerer Tiefe darunter (Bergrecht) können regelmäßig nicht untersagt werden. Weitere Einschränkungen ergeben sich vor allem aus Nachbarrecht (näher sogleich), zivilrechtlichen Notstandsregeln oder Treu und Glauben. Soziale und verfassungsrechtliche Erwägungen haben in den Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße Eingang in das Zivilrecht gefunden.
Sachentzug: Für den Entzug der Sache oder jedenfalls den Entzug der Möglichkeit ihrer Nutzung billigen wohl alle mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen dem Eigentümer einen verschuldensabhängigen Anspruch auf Ersatz des durch den Nutzungsausfall entstehenden (normativen) Schadens (Schadensersatz) zu, jedenfalls wenn die Nutzung nicht ohnehin ausgeschlossen war und es sich bei der ungenutzten Sache nicht um einen Luxusartikel handelt.
Sachbeschädigung: Die Sachbeschädigung löst ebenfalls regelmäßig einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch aus, wobei der Begriff der Sachbeschädigung mitunter Auslegungsschwierigkeiten aufwerfen kann, wie beispielsweise bei der Veränderung des Aggregatzustandes oder der Verschmutzung einer Sache.
(Sonstige) Verletzung des Eigentumsrechts: Bestimmte verschuldensunabhängige Haftungsregime, wie das der Produkthaftungs-RL, gewähren Ersatz nur bei Sachbeschädigungen, nicht aber bei sonstigen Eigentumsverletzungen. Außerhalb dieser Sonderregime ist der Eigentumsschutz auf dem Kontinent und im common law jedoch nicht auf den Schutz der Sachsubstanz vor Beschädigung beschränkt. Auch die Verletzung des Eigentumsrechts kann die Haftung des Verletzers für entstandene Schäden auslösen. Im common law, das zur Begründung dieses Ergebnisses nicht auf das absolute Recht verweisen kann, gilt dies u.a., wenn der entsprechende tort actionable without proof of actual damage ist. Eigentumsverletzungen ohne Beschädigung der Sachsubstanz liegen neben dem bereits erwähnten Sachentzug beispielsweise in der Verfügung über die Sache mit der Folge, dass ein Dritter Eigentum erwirbt oder, bei Grundstücken, in Lärmemissionen sowie dem Entzug von Licht. Die Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung einer Sache, ohne dass sie aber dem Eigentümer entzogen würde, kann diesen unter Umständen auch zum Schadensersatz berechtigen.
Eigentumsschutz gegen den Nachbarn und den gutgläubigen Besitzer: Eigentumsschutz wird gegenüber bestimmten Dritten nur eingeschränkt gewährt. So sehen die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen für nachbarschädliche Grundstücksnutzungen gemeinhin ein besonderes Haftungsregime vor, nach dem der Grundstückseigentümer nur gegen wesentliche Beeinträchtigungen durch seinen Nachbarn geschützt ist und dies bisweilen auch nur durch einen Schadensersatz- und nicht durch einen Unterlassungsanspruch. Ganz überwiegend ist die schadensersatzrechtliche Haftung für wesentliche Beeinträchtigungen verschuldensunabhängig ausgestaltet, bisweilen mit Hilfe spezialgesetzlicher Umwelthaftungsregeln.
Auch gegenüber dem gutgläubigen Besitzer ist der Schutz des Eigentümers vielfach eingeschränkt. So haftet der gutgläubige Besitzer auf dem Kontinent, anders als im common law, dem Eigentümer vielfach nur eingeschränkt für Verlust und Beschädigung, wobei die Voraussetzungen dieser Privilegierung stark variieren, was den Sorgfaltsmaßstab bezüglich des Besitzerwerbs sowie des Verlusts oder der Beschädigung angeht. Im common law hingegen haftet auch der gutgläubige Besitzer grundsätzlich aus conversion, unabhängig von der bei Besitzerwerb oder Einwirkung auf die Sache angewandten Sorgfalt.
3. Eingriffe durch die Mitgliedstaaten und die Europäische Gemeinschaft
a) Instrumente des Eigentumsschutzes
Gegen mitgliedstaatliche Eingriffe bieten die nationalen Grundrechtsordnungen Schutz. Außerdem wird die Achtung des Eigentums durch Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK garantiert, das alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK; EGMR).
Eigentumsschutz gegen Eingriffe durch die Europäische Gemeinschaft ergibt sich, anders als der Wortlaut der Vorschrift vielleicht nahelegt, nicht aus Art. 295 EG/345 AEUV. Dass diese Vorschrift keine Gewähr gegen Eingriffe in das Eigentum bietet, ist inzwischen allgemein akzeptiert – das Vertragsprogramm würde ins Leere laufen, könnte die Gemeinschaft keine eigentumsbezogenen Maßnahmen treffen. Es bleibt ihr, jedenfalls im Grundsatz, lediglich verwehrt, Privatisierungen oder Verstaatlichungen durch die Mitgliedstaaten zu kontrollieren oder selbst anzuordnen. Die Eigentumsfreiheit gehört jedoch zu den in der Rechtsprechung des EuGH durch Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts anerkannten gemeinschaftsimmanenten Grundrechten (EuGH Rs. 44/79 – Hauer, Slg. 1979, 3727, Rn. 17 ff.; EuGH Rs. 4/73 – Nold, Slg. 1974, 491, Rn. 14).
Da weder EG noch EU Vertragspartei der EMRK (vgl. aber Art. 6(2) EU (2007) und 14. Zusatzprotokoll zur EMRK) sind, gilt die EMRK nicht unmittelbar für die Gemeinschaften, auch wenn Art. 6(2) EU (1992) die Union verpflichtet, die Grundrechte, wie sie durch die EMRK gewährleistet sind, zu achten. Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Grundrechte jedoch zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Der EuGH, der deren Wahrung zu sichern hat, hebt in ständiger Rechtsprechung die besondere Bedeutung der EMRK als Rechtserkenntnisquelle für die Gewinnung dieser allgemeiner Rechtsgrundsätze hervor und folgert, „dass in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als Rechtens anerkannt werden können, die mit der Beachtung der so anerkannten und gewährleisteten Menschenrechte unvereinbar sind“ (EuGH Rs. C-260/89 – ERT, Slg. 1991, I-2925, Rn. 41).
Das Eigentum wird des Weiteren durch Art. 17 GRCh geschützt (zu deren Verbindlichkeit und Tragweite Grund- und Menschenrechte; s.a. Art. 6(2) EU (2007), dessen Schutzumfang gemäß Art. 52(3) GRCh dem von Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK entspricht.
Zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft nach Art. 288(2) EG/340 AEUV s. unter c).
b) Umfang des Eigentumsschutzes
aa) Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK
Der Umfang des Schutzes gegen mitgliedstaatliche Eingriffe richtet sich zum einen nach nationalem öffentlichen Recht, regelmäßig dem Verfassungsrecht, und zum anderen nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK.
Art. 1 des Zusatzprotokolls enthält drei separate Regeln. Abs. 1 S. 1 enthält das Prinzip der Achtung des Eigentums. Nach Abs. 1 S. 2 darf niemandem sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und dann nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. Abs. 2 schließlich erkennt das Recht der Vertragsparteien an, die Nutzung des Eigentums unter bestimmten Voraussetzungen näher zu regeln. Handelt es sich weder um eine Eigentumsentziehung noch eine Nutzungsregelung, kommt noch eine Beeinträchtigung „eigener Art“ der durch Abs. 1 S. 1 gebotenen Achtung des Eigentums in Betracht, vgl. etwa EGMR Nr. 7151/75; 7152/75 – Sporrong und Lönnroth, § 63.
Der EGMR hat klargestellt, dass mit den in Art. 1 des Zusatzprotokolls verwandten Begriffen property bzw. propriété und possessions bzw. biens jeweils dasselbe gemeint ist, nämlich das Eigentum (property). Nach seiner ständigen Rechtsprechung ist die EMRK „autonom“ auszulegen. Das gilt auch für den Begriff „Eigentum“, so dass nach Art. 1 des Zusatzprotokolls auch Rechtspositionen geschützt sein können, für die nach dem jeweiligen nationalen Recht kein Eigentumsschutz besteht.
Die Rechtfertigung nutzungsregelnder Maßnahmen richtet sich nach Art. 1(2) des Zusatzprotokolls. Danach muss der Eingriff auf eine gesetzliche Grundlage gestützt werden und „im Einklang mit dem Allgemeininteresse“ erfolgen. Nach der Rechtsprechung des EGMR muss der Eingriff außerdem verhältnismäßig sein (Verhältnismäßigkeit). Der EGMR räumt dem nationalen Gesetzgeber bei der Beurteilung des verfolgten Allgemeininteresses sowie der Auswahl der zu seiner Erreichung zu treffenden Regelungen einen weiten Beurteilungsspielraum ein (EGMR Nr. 10522/83; 11011/84; 11070/84 – Mellacher, § 45).
Im Rahmen des nach Art. 1(2) 1. Zusatzprotokoll anzuwendenden Verhältnismäßigkeitstests (Verhältnismäßigkeit) prüft der EGMR, ob die Eigentumsentziehung einen gerechten Ausgleich („fair balance“) zwischen dem fraglichen Allgemeininteresse und den Anforderungen des Schutzes der Grundrechte des Einzelnen herstellt, ob also zwischen Ziel und Mittel eine vernünftige Verhältnismäßigkeitsbeziehung besteht (EGMR Nr. 10522/83; 11011/84; 11070/84 – Mellacher, § 48).
Gemäß Art. 41 EMRK spricht der Gerichtshof, wenn das nationale Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen einer Verletzung gestattet, der verletzten Partei eine „gerechte“ Entschädigung zu, sofern dies notwendig ist. Stellt der EGMR einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie fest, gibt er den Parteien regelmäßig Gelegenheit, über eine Wiedergutmachung zu verhandeln, bei einer rechtswidrigen Enteignung mit der Zielvorgabe der Rückgabe oder der Erstattung des gegenwärtigen Marktpreises. Allerdings differenziert der EGMR zwischen per se rechtswidrigen Enteignungen und solchen, die nur deshalb rechtswidrig sind, weil sie nicht mit einer Entschädigung einhergingen. In letzterem Falle muss kein voller Ersatz geleistet werden. Schlagen die Verhandlungen fehl, legt der EGMR die Entschädigung fest, mit oder ohne Sachverständigengutachten. Zum Schaden gehört auch entgangener Gewinn, und zwar sowohl bei Eigentumsentziehungen als auch bei Nutzungsbeschränkungen. Der Gerichtshof stellt jedoch selten genaue Berechnungen an und belässt es gerade bei ungewissen Schätzungsgrundlagen mitunter bei einem assessment on an equitable basis (EGMR Nr. 40/ 1993/435/514 – Loizidou, § 33 f).
Nach der Rechtsprechung des EGMR können die Pflichten des Mitgliedstaates aus Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls sich auf die Vornahme positiver Maßnahmen erstrecken, so dass die Vorschrift eine Schutzpflicht in Bezug auf das Eigentumsrecht enthält. Unterlassungen werden dabei, mutatis mutandis, anhand derselben Maßstäbe wie Eingriffe geprüft (EGMR Nr. 31443/96 – Broniowski, § 143 ff.; EGMR Nr. 48553/99 – Sovtransavto Holding, § 96).
bb) Gemeinschaftsimmanente Eigentumsfreiheit
Das gemeinschaftsimmanente Grundrecht der Eigentumsfreiheit ist durch die Organe der Gemeinschaft sowie die Mitgliedstaaten „bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen“ zu achten (EuGH Rs. 5/99 – Wachauf, Slg. 1989, 2609, Rn. 19). Die erste ausdrückliche Anerkennung der Eigentumsfreiheit als gemeinschaftsimmanentes Grundrecht findet sich in der Entscheidung Hauer von 1979, in der der EuGH Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK zitiert. Der EuGH nimmt auch die dort getroffene Unterscheidung zwischen Eigentumsentziehung und ‑beschränkung auf und wendet sie auf die von ihm zu prüfende Regelung – ein Neuanpflanzungsverbot für Weinreben – an. Im Anschluss zitiert er die Eigentumsgarantien einiger mitgliedstaatlicher Verfassungen sowie die Voraussetzungen für deren Einschränkungen und weist auf das das Privateigentum beschränkende Forstwirtschafts-, Umweltschutz- und Raumordnungsrecht der Mitgliedstaaten hin. Dieser Gesamtschau entnimmt er eine den Mitgliedstaaten gemeinsame Verfassungskonzeption der „sozialen Funktion des Eigentumsrechts“ (EuGH Rs. 44/79 – Hauer, Slg. 1979, 3727, Rn. 20 f.). Nach ständiger Rechtsprechung kann das Eigentumsrecht mithin „Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten würde …“ (EuGH Rs. C-210/03 – Swedish Match, Slg. 2004, I-11893, Rn. 72).
Der EuGH konnte bislang keine unverhältnismäßigen Eingriffe in die Eigentumsfreiheit feststellen. Er räumt dem Rat bei der Auswahl der politischen Ziele, um derentwillen die Eigentumsfreiheit eingeschränkt werden kann, einen weiten Beurteilungsspielraum ein und erhält Maßnahmen aufrecht, solange sie nicht zur Verwirklichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet sind. Des Weiteren verzichtet der EuGH fast vollständig auf eine Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung.
Der EuGH scheint einer sich aus der Eigentumsfreiheit ergebenden Schutzpflicht zuzuneigen (EuGH Rs. C-275/06 – Productores de Música de España, Slg. 2008, I-271, Rn. 61 ff.), hat eine solche bislang aber nicht ausdrücklich festgestellt.
c) Verfahren
Zum Eigentumsschutz nach dem 1. Zusatzprotokoll zur EMRK, insbesondere zur Individualbeschwerde siehe EGMR. Gemeinschaftsrechtlich wird er nicht durch ein Recht auf Individualbeschwerde flankiert. Die Individualklagemöglichkeiten vor den Gemeinschaftsgerichten sind nur gering entwickelt. Gemäß Art. 230(4) EG können natürliche oder juristische Personen nur gegen an sie ergangene Entscheidungen klagen bzw. gegen Entscheidungen, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen. Das Kriterium der individuellen Betroffenheit wird vom EuGH restriktiv ausgelegt und ist nach der so genannten Plaumann-Formel nur erfüllt, „wenn die fragliche Handlung eine natürliche oder juristische Person wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten …“ (EuGH Rs. C-50/00 P – Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, Rn. 36 unter Hinweis u.a. auf EuGH Rs. 25/62 – Plaumann, Slg. 1963, 213, 238). Wer durch eine EG-Verordnung, die keiner nationalen Durchführungsmaßnahme bedarf, unmittelbar, nicht aber individuell betroffen wird, muss daher regelmäßig zunächst gegen die Verordnung verstoßen und einen Sanktionsakt abwarten, um dann gegen diesen vorzugehen. Einem Versuch des EuG, die Anforderungen an dieses Kriterium zu lockern, ist der EuGH nicht gefolgt (EuGH Rs. C-263/02 P – Jégo-Quéré, Slg. 2004, I-3425, Rn. 29 ff.; EuGH Rs. C-50/00 P – Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, Rn. 36). Art. 263(4) AEUV sieht jedoch ein Anfechtungsrecht gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter vor, die den Kläger unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen. Das gemeinschaftsrechtliche Eigentumsgrundrecht kann also vor Inkrafttreten des AEUV nur in seltenen Fällen von dem Betroffenen direkt vor den Gemeinschaftsgerichten geltend gemacht werden. Im Regelfall bleibt damit allein der Weg über das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG/267 AEUV.
Das Institut der Schadensersatzklage nach Art. 288(2), 235 EG/340, 268 AEUV ändert wenig an diesem Befund und hat für den Eigentumsschutz bislang kaum praktische Bedeutung entfaltet. Ihr Erfolg ist in Fällen normativen Unrechts an die Voraussetzung geknüpft, dass das handelnde Gemeinschaftsorgan einen so genannten „qualifizierten“ Rechtsverstoß begangen, das heißt „die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat …“ (EuGH Rs. C-352/98 P – Bergaderm, Slg. 2000, I-5291, Rn. 43). Bei rechtmäßigem Gemeinschaftshandeln haftet die Gemeinschaft gemäß Art. 288(2)EG/340 AEUV nach Auffassung des EuG für „außergewöhnliche“ und „besondere“ Schäden, d.h. für Schäden, die die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnen, überschreiten, und die eine besondere Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gegenüber den anderen unverhältnismäßig belasten (EuG, Rs. T-69/00 – FIAMM, Slg. 2005, II-5393, Rn. 160, 202). Nach dem EuGH ist diese Auffassung rechtsfehlerhaft (EuGH, verb. Rs. C-120/06 P und C-121/06 P – FIAMM, ZfRV 2008, 219, Rn. 179). Ein Rechtsetzungsakt der Gemeinschaft, dessen Anwendung zu Beschränkungen des Rechts auf Eigentum führt, die, gegebenenfalls gerade deshalb, weil keine zur Vermeidung oder zum Ausgleich dieser Beeinträchtigung geeignete Entschädigung vorgesehen wurde, den Wesensgehalt dieses Rechts in unverhältnismäßiger und nicht tragbarer Weise berühren würden, kann jedoch die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen (EuGH, verb. Rs. C-120/06 P und C-121/06 P – FIAMM, ZfRV 2008, 219, Rn. 184).
d) Zusammenspiel der beiden Grundrechtsregime
Das Verhältnis der beiden Grundrechtsregime zueinander hat der EGMR anhand eines Falls zum Eigentumsschutz, Bosphorus (Nr. 45036/ 98), in gewissem Umfang bestimmt. In Bosphorus hatte der EGMR über eine Beschwerde gegen eine irische Beschlagnahmemaßnahme zu entscheiden, die zur Durchsetzung einer EG-Verordnung ergangen war. Die Verordnung war zur Umsetzung von durch die Vereinten Nationen beschlossenen Sanktionen erlassen worden. Der EuGH hatte in einem Vorabentscheidungsverfahren in derselben Sache einen unverhältnismäßigen Eigentumseingriff verneint (Rs. C-84/95 – Bosphorus, Slg. 1996, I-3953). Der EGMR kam zu dem Ergebnis, dass der in der EG gewährte Grundrechtsschutz im Wesentlichen dem des Konventionssystems vergleichbar sei und bei Maßnahmen eines Mitgliedstaates beider Organisationen, durch die nur eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung erfüllt werde, deshalb eine widerlegliche Vermutung bestehe, dass dieser Mitgliedstaat seine Verpflichtungen aus der EMRK nicht verletzt habe. Diese Vermutung könne widerlegt werden, wenn der Grundrechtsschutz in einem konkreten Fall offenkundig unzureichend war. Wenn einem Mitgliedstaat beider Organisationen bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts jedoch Ermessen zukomme, sei er unter dem Konventionssystem für von ihm getroffene Maßnahmen voll verantwortlich. In Bosphorus wurde die Vermutung nicht widerlegt (EuGH Rs. C-84/95 – Bosphorus, Slg. 1996, I-3953, Rn. 11 ff., 19ff.; EGMR Nr. 45036/98 – Bosphorus, § 149 ff.). Der Eigentumsschutz gegen unmittelbar oder mittelbar gemeinschaftsrechtliche Eingriffe obliegt also bis auf Weiteres dem EuGH, der jedoch bis zum Inkrafttreten des AEUV nur unter engen Voraussetzungen im Wege der Individualklage mit solchen Eingriffen befasst werden kann.
Literatur
Jürgen Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992; Jochen Frowein, Wolfgang Peukert, EMRK, 2. Aufl. 1996; Christian von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. 1, 1996, § 5 III., Bd. 2, 1999, § 1 I. und II.; idem (Hg.), Sachenrecht in Europa, 4 Bde., 1999–2001; Ugo Mattei, Basic Principles of Property Law, 2000; Oliver Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, 399 ff.; Martin Schmidt-Kessel, Sachenrecht im Gemeinschaftsprivatrecht, in: Wojciech Dajczak, Hans-Georg Knothe (Hg.), Deutsches Sachenrecht in polnischer Gerichtspraxis, 2005, 341; Jürgen Basedow, Friedrich Wenzel Bulst, Der Eigentumsschutz nach der EMRK als Teil der europäischen Wirtschaftsverfassung, in: Festschrift für Reiner Schmidt, 2006, 3 ff.; Luigi Malferrari, La tutela del diritto di proprietà secondo il diritto comunitario, Rivista trimestrale di diritto e procedura civile 2007, 561 ff; Walter Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4: Europäische Grundrechte, 2008.