Zahlungsverzug und Zins- und Zinseszins: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Gegenstand und Zweck ==
Zahlungsverzug ist Verzug mit der Erbringung einer Geldleistung. Die Bedeutung des Verzugs liegt darin, dass er als Anknüpfungspunkt für die unterschiedlichsten Rechtsfolgen dient. Im Hinblick auf den Zahlungsverzug ist vor allem die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen ([[Zins- und Zinseszins]]) von Bedeutung, aber auch ein (weitergehender) Schadensersatzanspruch ([[Schadensersatz]]) und ein Recht, sich vom [[Vertrag]] zu lösen. Der Verschärfung der Haftung für den Leistungsgegenstand, wie sie etwa § 287 BGB als Folge des Verzugs anordnet, kommt dagegen beim Zahlungsverzug keine praktische Bedeutung zu.
Zinsen stellen das typische Entgelt für die Überlassung der knappen Ressource Kapital (Geld oder vertretbare Sachen) dar. Der gegenwärtige Verzicht auf liquide Mittel führt zu Opportunitätskosten, die durch die Verzinsung des überlassenen Kapitals ausgeglichen werden. Dementsprechend werden Zinsen lediglich nach Laufzeit und Ausfallrisiko bemessen und sind unabhängig vom Ertrag, der vom Kreditnehmer unter Einsatz des Überlassenen erwirtschaftet wird. Aus Sicht des Rechts geht es vor diesem Hintergrund im Wesentlichen um zwei Fragenkomplexe. Zum einen um die Voraussetzungen und Grenzen privatautonomer Zinsvereinbarungen, zum anderen um die adäquate Sanktionierung eigenmächtiger Kapitalanmaßungen durch gesetzliche Zinspflichten.


Grundvoraussetzung des Verzugs ist die nicht rechtzeitige Leistung. Dies setzt das Bestehen einer Leistungspflicht voraus, also eines fälligen und durchsetzbaren Anspruchs. Die Rechtzeitigkeit kann entweder auf die Vornahme der Leistungshandlung – also derjenigen Handlung, die der Schuldner vornehmen muss, um den Leistungserfolg zu bewirken – oder auf den Eintritt des Leistungserfolgs bezogen sein. Im ersten Fall trägt der Gläubiger das Risiko, dass nach Vornahme der Leistungshandlung Verzögerungen eintreten, im zweiten Fall der Schuldner. Konsequent ist, hinsichtlich Verzugseintritt und ‑beendigung – wie es das deutsche Recht tut – auf die Leistungshandlung abzustellen. Denn die Frage, welcher Sachverhalt maßgeblich ist, stellt sich nur, wenn die Leistungshandlung vor Eintritt des Leistungserfolgs abgeschlossen ist, also z.B. schon mit dem Erteilen des Überweisungsauftrags, nicht erst mit der Gutschrift des Betrags auf dem Empfängerkonto. Eine derartige Trennung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg hat aber gerade den Zweck, Risiken auf den Gläubiger zu verlagern.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Überlassung von Fremdkapital für Investitions- und Konsumzwecke hat dazu geführt, dass heute alle marktwirtschaftlich orientierten Rechtsordnungen Europas die rechtsgeschäftliche Vereinbarung von Zinsen grundsätzlich zulassen. Der Privatautonomie werden lediglich zum Schutz des Schuldners bzw. aus Gemeinwohlerwägungen weit gefasste, materielle Schranken gezogen. Dieser Befund stellt jedoch das Ergebnis einer durchaus wechselhaften historischen Entwicklung dar. Das [[Römisches Recht|römische Recht]] ging in der frühen Zeit von einem weitgehend schrankenlosen wirtschaftlichen Individualismus aus und unterwarf Zinsvereinbarungen keinen materiellen Schranken. Das Zwölftafelgesetz führte mit dem ''fenus unciarium'' aber für das ''nexum'' erstmals einen festen Zinsfuss ein, dessen Überschreiten als Wucher anzusehen war. Der Schuldner wucherischer Zinsen war nicht nur zur Rückforderung des zu viel Gezahlten berechtigt, sondern hatte auch eine ''actio poenalis'' auf das ''quadruplum'', also das Vierfache der Überzahlung. Die spätere Verdrängung des ''nexum'' durch das formlose ''mutuum'' führte zunächst zu einem Leerlaufen der erwähnten Zinsschranke. Dies wurde aber durch die Einführung des ''centesimae usurae'' (12 % p.a.) auch für das ''mutuum'' gegen Ende der Republik wieder korrigiert. Als Folge des christlichen Einflusses fanden sich im ''[[Corpus Juris Civilis]]'' für die Allgemeinheit reduzierte Zinsschranken neben weniger strengen Höchstzinsregelungen, die sowohl die Risiken des Geschäfts (Seedarlehen) als auch die Geschäftsgewandtheit der Parteien (Kaufleute, Fabrikanten) widerspiegelten. Das mit dem stetigen Machtzuwachs der christlichen Kirche auch in den weltlichen Gesetzen Geltung erlangende, radikale Zinsverbot des [[Kanonisches Recht|kanonischen Rechts]] wurde bereits in der Wirtschaftspraxis des Spätmittelalters durch besondere Gestaltungen unterlaufen (z.B. beim „Rentenkauf“, bei dem die Hingabe von Kapital mit einer Rente vergütet wurde und der Schuldner keine Kündigungsmöglichkeit besaß). Ähnliches ließ sich für das im Ausgangspunkt ebenfalls strikte Zinsverbot des [[Islamisches Recht|islamischen Rechts]] beobachten, das sich allerdings in manchen Staaten bis heute als geltendes Recht gehalten hat. Ausgehend von den oberitalienischen Städten wurde das Zinsverbot nach und nach durch Territorialgesetze außer Kraft gesetzt, die nur noch Zinsmaxima vorsahen. Unter dem Einfluss des Liberalismus und der klassischen Nationalökonomie, insbesondere der Schriften von ''Adam Smith'' und ''Jeremy Bentham'' („Defence of Usury“, 1789), fielen in Europa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die starren, die Berücksichtigung individueller Umstände des Geschäfts ausschließenden Zinshöchstsätze und wurden durch elastische Wuchertatbestände ersetzt.  


Der Eintritt von Verzug kann außer von der nicht rechtzeitigen Leistung von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden, etwa einer Mahnung oder dem Verstreichen eines bestimmten Termins oder einer bestimmten Frist. Ferner kann Verzug voraussetzen, dass dem Schuldner ein Verschulden zur Last fällt oder er aus anderen Gründen zu vertreten hat, dass er nicht rechtzeitig leistet.
Unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes verdient auch der Zinseszins (Anatozismus) besondere Aufmerksamkeit. Die Eigenschaften der Aufzinsungsfunktion führen bei zunehmender Laufzeit dazu, dass die Zinsschuld exponentiell steigt, wenn die in der Vergangenheit angefallenen Zinsen der zukünftigen Verzinsung unterworfen werden. Dieser Effekt wurde historisch unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes als steuerungsbedürftig angesehen. Es ging insoweit darum, den Schuldner durch rechtliche Regulierung vor einer „lawinenartig“ anschwellenden Zinslast zu bewahren oder ihm diese Gefahr zumindest transparent zu machen. Aus diesem Grund wurde bereits im klassischen römischen Recht einfach untersagt, dass Zinsen ihrerseits Zinsen tragen, um so ein lediglich lineares Wachstum der Zinsschuld sicherzustellen. Gerade die Erfahrung des römischen Rechts lehrt aber auch, dass Umgehungen, z.B. durch periodisch wiederkehrende Aufnahme der Kredite unter Hinzurechnen der aufgelaufenen Zinsen, naheliegen, wenn die Beteiligten ein wirtschaftliches Bedürfnis für eine entsprechende Zinspraxis sehen.


Der Zweck von Verzugszinsen kann entweder schadensersatzrechtlich oder bereicherungsrechtlich verstanden werden. Im ersten Fall stellen die Zinsen einen pauschalierten Schadensersatz dar, der dem Gläubiger einen Ausgleich dafür verschaffen soll, dass er wegen der Verzögerung Kreditzinsen aufwenden musste oder keine Anlagezinsen erwirtschaften konnte. Im zweiten Fall sollen die Zinsen in pauschalierter Form die Vorteile abschöpfen, die der Schuldner daraus zog, dass er während der Verzögerung den geschuldeten Betrag selbst nutzen konnte. Der Zweck der Verzugszinsen entscheidet dabei darüber, welcher Zinssatz maßgeblich sein sollte, wenn sich – wie bei internationalen Geschäften – die Zinssätze am Geschäftssitz des Gläubigers und des Schuldners unterscheiden. Versteht man die Verzugszinsen bereicherungsrechtlich, ist es konsequent, auf die Zinsen am Geschäftssitz des Schuldners abzustellen, versteht man sie schadensersatzrechtlich, sollten die Zinsen am Geschäftssitz des Gläubigers maßgeblich sein.
Die Funktion der Verzinsung, den Verzicht auf liquides Kapital zu vergüten, ist schließlich aus Sicht der Rechtsordnung auch dort von Bedeutung, wo sich ein säumiger Schuldner Kapital anmaßt. Eine gesetzliche Pflicht zur Verzinsung als Sanktion des Leistungsstörungsrechts für den Fall des [[Zahlungsverzug]]s mit einer Geldschuld kann Anreizen zu opportunistischem Verhalten entgegenwirken.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
== 2. Grundstrukturen und Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Der Begriff des Verzugs – und damit auch des Zahlungsverzugs – hat als Rechtsbegriff heute nur noch eine relativ geringe Bedeutung. Während Verzug im deutschen Recht als wichtiger Unterfall der Leistungsstörung nach wie vor als dogmatische Figur etabliert ist, wird dieser Begriff in anderen nationalen Rechten und vor allem in den Regelwerken des [[Einheitsrecht]]s und den internationalen Modellregeln nicht verwendet. Eine Ausnahme bildet die Zahlungsverzugs-RL (RL 2000/35), die ihn schon im Titel trägt und in Art. 2 Nr. 2 definiert. Allerdings kommt ihm innerhalb der Richtlinie keine bedeutende Funktion zu, da die Voraussetzungen für die bei nicht rechtzeitiger Zahlung eintretenden Rechtsfolgen jeweils ausformuliert werden, ohne dass der Begriff „Zahlungsverzug“ dabei eine nennenswerte Rolle spielt.
=== a) Vertragliche Zinsvereinbarungen ===
Die grundsätzliche Freiheit der Parteien bei der vertraglichen Vereinbarung von Zinsen steht in den europäischen Vertragsrechtsordnungen heute außer Frage. Damit ist aber noch nicht geklärt, ob die jeweiligen Rechtsordnungen die Kapitalüberlassung auch ohne ausdrückliche Parteivereinbarung im Zweifel als entgeltlich behandeln oder von Unentgeltlichkeit ausgehen. Auf der Grundlage römisch-rechtlicher Vorbilder ist dies für das [[Darlehen]] als dem Grundtypus der rechtsgeschäftlichen Kapitalüberlassung in vielen Rechtsordnungen nicht der Fall (vgl. z.B. Art. 1905 frz. ''Code civil'', Art. 1755 span. ''Código civil'', Art. 7A:1804 BW; Art. 313 Abs. 1 OR; für das englische ''common law'' ''Page v. Newman'' (1829) 9 B. & C. 378, 381; ''President of India v. La Pintada Compania Navegacion'' SA [1985] AC 104 (HL); anders insbesondere Art. 1815 Abs. 1 ''Codice civile'', § 488 Abs. 1 S. 2 BGB). Jedenfalls für das [[Handelsrecht]] wird das Regel/Ausnahme-Verhältnis aber verbreitet ausdrücklich umgekehrt (z.B. § 354 Abs. 2 HGB [UGB]; Art. 313 Abs. 2 OR). Aber auch jenseits spezieller positiv-rechtlicher Regelungen wird in der Rechtspraxis vielfach die dem typischen Parteiwillen entsprechende Entgeltlichkeit über die Annahme stillschweigender Zinsvereinbarungen oder entsprechender Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs angenommen. In derartigen Konstellationen wird dann auch ein als Auffangregel konzipierter, gesetzlicher Zinssatz (z.B. § 246 BGB, § 352 Abs. 1 HGB, Art. 1284 ''Codice civile'', Art. 7A:1805 BW) als zugunsten des Üblichen abbedungen angesehen.


Unabhängig von seiner Bedeutung als Rechtsbegriff ist „Verzug“ als Lebenssachverhalt natürlich von höchster Relevanz. Auch diejenigen Rechtsordnungen, die auf den Begriff des Verzugs verzichten, müssen regeln, ob der Schuldner bei verspäteter Zahlung Zinsen zahlen und Schadensersatz leisten muss und unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger vom primären Zahlungsanspruch abgehen und Sekundärrechte geltend machen, insbesondere vom Vertrag zurücktreten kann ([[Rückabwicklung von Verträgen]]). Entsprechende Regelungen finden sich denn auch in allen Rechtsordnungen. Ob dabei einzelne Voraussetzungen gleichsam vor die Klammer gezogen und unter dem Begriff des Verzugs zusammengefasst werden, so dass später mit dem Begriff „Verzug“ auf sie verwiesen werden kann, oder ob die einzelnen Voraussetzungen jeweils ausformuliert werden, ist dabei letztlich eine Stilfrage.
Strenge Anforderungen an die Transparenz von Zinsvereinbarungen existieren im harmonisierten Recht des [[Verbraucherkredit (Regelungsgrundsätze)|Verbraucherkredits]], wo umfassende Informationen (insbesondere zu Sollzins, effektivem Jahreszins etc.) sowohl im Vorfeld des Vertragsschlusses als auch in der Vertragsurkunde selbst vorgeschrieben sind (vgl. Art.&nbsp;4&nbsp;ff. Verbraucherkredit-RL <nowiki> [RL&nbsp;2008/48]).</nowiki>


== 3. Historische Entwicklung und nationale Rechte ==
Materielle Schranken für privatautonome Zinsabreden bestehen in allen europäischen Rechtsordnungen, insbesondere in Form des Wuchertatbestands, dessen Bezeichnung sich im Wortstamm an den lateinischen Begriff der ''usura'' (bzw. im mittelalterlichen Latein ''usuria'') anlehnt (neben den romanischen Sprachen z.B. im Englischen ''usury'','' ''im Schwedischen ''ocker''). Vergleichend lassen sich dabei zwei regulatorische Ansätze unterscheiden. Entweder wird bereits das objektive Bestehen eines groben Missverhältnisses zwischen Kapitalüberlassung und vereinbartem Zins als ausreichend angesehen, um den Vorwurf des Zinswuchers zu begründen. Oder es wird zusätzlich noch das subjektive Ausnutzen einer besonderen Anfälligkeit der Gegenseite durch die begünstigte Partei als notwendig erachtet.
Im [[Römisches Recht|römischen Recht]] stand unter den Verzugsfolgen die Haftungsverschärfung im Vordergrund. Die ''mora debitoris'' führte aber auch dazu, dass der Schuldner – zunächst außer bei den strengrechtlichen Klagen auf ein ''certum'' – während des Verzugs gezogene Früchte herausgeben und bei Geldschulden pauschalierte Zinsen zahlen, möglicherweise auch einen weitergehenden Schaden des Gläubigers ersetzen musste. Ob der Verzugseintritt neben dem Bestehen eines fälligen und durchsetzbaren Anspruchs und dem Unterbleiben der Leistung eine Mahnung und Verschulden voraussetzte, ist zweifelhaft. Die römischen Juristen entschieden wohl aufgrund einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, wobei eine Mahnung dazu beitragen konnte, dem Schuldner das Bestehen der [[Leistungspflicht, Inhalt der|Leistungspflicht]] bewusst zu machen und so im Regelfall ein Verschulden zu begründen.


Im Gemeinen Recht (''[[Ius commune (Gemeines Recht)|ius commune]]) ''gewann das Verschuldenserfordernis an Bedeutung, allerdings weniger als positive Voraussetzung des Verzugs denn im Sinne der Entschuldigung als Ausschlussgrund. Dabei konnte auch eine Leistungserschwerung, für die der Schuldner nicht verantwortlich war, den Verzug ausschließen, selbst wenn sie den Schuldner von der Pflicht zur Leistung nicht befreite. Sogar bei unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit des Schuldners trat kein Verzug ein. Die Mahnung wurde klarer vom Verschuldenserfordernis getrennt; mahnungsersetzende Wirkung wurde dabei dem vereinbarten oder gesetzlichen Fälligkeitstermin zugemessen („dies interpellat pro homine“). Der Gläubiger konnte Ersatz des durch den Verzug entstandenen Schadens verlangen. Verzugszinsen wurden dabei als pauschalierter Schadensersatz angesehen und verstießen daher nicht gegen das kanonische Zinsverbot ([[Kanonisches Recht]]).
Die erste Konzeption begegnet faktisch eher im Kontext des Verbraucherkredits (Ratenkredit) ([[Verbraucherkredit (Regelungsgrundsätze)|Verbraucherkreditrecht (Regelungsgrundsätze)]], wohl weil hier bei typisierender Betrachtung von einer allgemeinen Unterlegenheit des Zinsschuldners ausgegangen wird. Die entsprechenden Regelungen sind aber zumeist nicht auf Verbrauchergeschäfte beschränkt. Sonderregeln für den Kreditwucher bestehen z.B. in Frankreich (Art.&nbsp;L-313-5 ''Code monétaire et financier ''i.V.m. Art.&nbsp;L-313-3 ''Code de la consommation''), England (sec. 137-140 ''Consumer Credit Act of 1974''), Spanien (Art.&nbsp;1 ''Ley de la represión de la usura'') und Italien (Art.&nbsp;1815 Abs.&nbsp;2 ''Codice civile''). Diese enthalten zum Teil feste Zinsschranken (Frankreich: Wucher ab einem Zinssatz in Höhe von 133&nbsp;% des durchschnittlichen effektiven Globalzinses, den Finanzinstitute im vorhergehenden Quartal für Darlehen der betroffenen Art berechneten), die aber gleichwohl eine gewisse Differenzierung nach der Art des Kredits zulassen. Darüber hinaus werden auch Generalklauseln des bürgerlichen Rechts (§&nbsp;138 Abs.&nbsp;1 BGB, §&nbsp;879 Abs.&nbsp;1 ABGB, Art.&nbsp;178&nbsp;f. griech. ZGB, Art.&nbsp;36 der nordischen Vertragsgesetze) durch die Rechtsprechung in einer Weise angewandt, die sie im Fall einer objektiv wucherischen Zinsvereinbarung eingreifen lässt (exemplarisch BGH 24.3.1988, BGHZ 104,&nbsp;102,&nbsp;105 st.&nbsp;Rspr: Gesamtzins von mehr als dem Doppelten des Durchschnittszinssatzes ist wucherisch und damit sittenwidrig).


Das BGB von 1900 folgte diesen Grundlinien, die auch im Rahmen der Schuldrechtsreform nicht aufgegeben wurden: Verzug setzt sowohl Verschulden, das allerdings vermutet wird (§&nbsp;285 BGB a.F., §&nbsp;286 Abs.&nbsp;4 BGB), als auch eine Mahnung voraus (§&nbsp;284 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;1 BGB a.F., §&nbsp;286 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;1 BGB), die in verschiedenen Fällen – insbesondere bei ernsthafter und endgültiger Leistungsverweigerung durch den Schuldner und bei kalendermäßiger Festlegung der Leistungszeit – entbehrlich ist. Der im Jahre 2000 als §&nbsp;284 Abs.&nbsp;3 BGB a.F. erlassene und im Zuge der Schuldrechtsreform im Jahre 2002 schon wieder reformierte §&nbsp;286 Abs.&nbsp;3 BGB, nach dem Verzug dreißig Tage nach Zugang einer Rechnung eintritt, dient der Umsetzung der Zahlungsverzugs-RL. Verzugsfolgen sind außer der Haftungsverschärfung für den Leistungsgegenstand (§&nbsp;287 BGB) eine Pflicht zum Ersatz des Verzögerungsschadens (§&nbsp;286 Abs.&nbsp;1 BGB a.F., §§&nbsp;280 Abs.&nbsp;1 und 2, 286 BGB) und – bei Geldschulden – zur Zahlung von Verzugszinsen (§&nbsp;288 BGB). Deren Höhe betrug zunächst 4&nbsp;% p.a. (§&nbsp;288 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;1 BGB a.F.) bzw. 5&nbsp;% p.a. bei beiderseitigen Handelsgeschäften (§&nbsp;352 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;1 HGB a.F.), was als erheblich zu niedrig empfunden wurde. Im Jahre 2000 wurden die Verzugszinsen daher angehoben und variabel ausgestaltet: Der Zinssatz beträgt p.a. 5&nbsp;Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§&nbsp;247 BGB), seit der Schuldrechtsreform im Jahre 2002 für Entgeltforderungen aus [[Rechtsgeschäft]]en, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, sogar 8&nbsp;% p.a. über dem Basiszinssatz. Erheblich vermindert hat sich die Bedeutung des Verzugs durch die Schuldrechtsreform insofern, als der Übergang vom Erfüllungsanspruch auf Sekundärrechtsbehelfe (Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung bzw. – in alter Terminologie – Schadensersatz wegen Nichterfüllung) nicht mehr, wie nach altem Recht (§§&nbsp;286 Abs.&nbsp;2, 326 BGB a.F.), das Vorliegen von Verzug, sondern nur noch (von den Ausnahmen der §§&nbsp;281 Abs.&nbsp;2, 323 Abs.&nbsp;2, 440, 478 Abs.&nbsp;1, 636 BGB abgesehen) den Ablauf einer Nachfrist voraussetzt (§§&nbsp;281, 323 BGB). Das ist insbesondere für den Rücktritt wichtig, der nach neuem Recht von einem Vertretenmüssen des Schuldners unabhängig ist.
Ein zu dem grob übersetzen Zinssatz hinzutretendes Ausnutzen einer anfälligen Partei ist regelmäßig dann erforderlich, wenn der Wucher über weiter gefasste, potentiell nicht nur den Zins als Gegenleistung betreffende Gesetzesbestimmungen oder Doktrinen erfasst werden soll. Dies gilt z.B. für die ''equitable doctrines'' (''[[equity]]'') der ''[[undue influence]]'' und des ''unconscionable bargain'', aber auch im niederländischen Recht (Art.&nbsp;3:44 Abs.&nbsp;4 BW).


Auch im Schweizer Recht erfüllt der Begriff des Verzugs noch eine wichtige Funktion. Dort setzt Verzug allerdings kein Verschulden, wohl aber – wenn die Leistung nicht kalendermäßig bestimmt ist – eine Mahnung voraus (Art.&nbsp;102 OR). Der Schuldner muss Verzugszinsen in Höhe von normalerweise 5&nbsp;% p.a. zahlen (Art.&nbsp;104 OR) und auch einen weitergehenden Schaden des Gläubigers ersetzen, letzteres allerdings nur, wenn er nicht nachweisen kann, dass ihm kein Verschulden zur Last fällt (Art.&nbsp;106 OR). Verzug ist auch für den Übergang zu Sekundärrechten maßgeblich: Der Gläubiger muss – außer in den Fällen des Art.&nbsp;108 OR – eine Nachfrist setzen und kann nach deren Ablauf zurücktreten oder Schadensersatz wegen [[Nichterfüllung]] verlangen (Art.&nbsp;107 OR).
Folge des Wuchers ist im praktischen Ergebnis in den meisten Rechtsordnungen, bei zum Teil weit abweichenden dogmatischen Konstruktionen im Einzelnen, die Kürzung des überhöhten Zinssatzes auf das Marktübliche, sei es als Folge gesetzlicher oder richterlicher Vertragsanpassung, der Teilnichtigkeit der Zinsklausel oder deren vollständiger Unwirksamkeit und eines Bereicherungsausgleichs (z.B. Frankreich, England, Italien, Deutschland, Skandinavien).


Ganz ähnlich sind die Rechtsfolgen verspäteter Zahlung in denjenigen Rechtsordnungen, die auf den Begriff des Verzugs verzichten. In den meisten europäischen Ländern sind Zinsen zu zahlen, wobei teils ein starrer Zinssatz (z.B. Art.&nbsp;1224 Abs.&nbsp;1, 1284 Abs.&nbsp;1 ''Codice civile''), immer häufiger aber ein flexibler Zinssatz festgesetzt ist (z.B. Art.&nbsp;L313-2 frz. ''Code monétaire et financier''). Ein weitergehender Schaden kann in der Regel im Wege des Schadensersatzes geltend gemacht werden, doch gibt es Ausnahmen (siehe z.B. Art.&nbsp;1153 frz. ''Code civil'').
=== b) Zinseszins ===
Soweit sich das Verbot des Anatozismus in den geltenden Rechtsordnungen Europas erhalten hat (vgl. z.B. §&nbsp;248 Abs.&nbsp;1 BGB, §&nbsp;289 Abs.&nbsp;1 BGB; Art&nbsp;314 Abs.&nbsp;3 OR; Art.&nbsp;1154 frz. ''Code civil''), ist es regelmäßig sachlich und persönlich Beschränkungen unterworfen. Insbesondere für den Handelsverkehr bestehen weitreichende Ausnahmen oder Dispositonsmöglichkeiten (z.B. §&nbsp;355 Abs.&nbsp;1 HGB, Art.&nbsp;314 Abs.&nbsp;3 OR, §&nbsp;317 span. ''Código de commercio''). Hintergrund ist nicht zuletzt, dass ein generelles, rigides Verbot aus Gründen des Schuldnerschutzes als übermäßig angesehen wird und daher auch die existierenden Bestimmungen in der Regel eng ausgelegt werden.


Was den Übergang zu Sekundärrechten anbelangt, wird üblicherweise darauf abgestellt, ob die Vertragsverletzung von besonderem Gewicht ist und/oder ob der Schuldner eine Nachfrist hat verstreichen lassen (z.B. §§&nbsp;918 Abs.&nbsp;1, 919 ABGB, Art.&nbsp;1454 ''Codice civile''). So kann etwa im englischen Recht der Gläubiger einer Leistung, deren pünktliche Erfüllung eigentlich nicht ''of the essence of the contract'' ist, durch eine Nachfristsetzung ''make time of the essence''.
=== c) Gesetzliche Verzinsungspflicht als leistungsstörungsrechtliche Sanktion ===
Die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gewähren dem Gläubiger einer Geldforderung im Fall des [[Zahlungsverzug]]s regelmäßig einen Anspruch auf Verzinsung gegen den säumigen Schuldner. Im Gegensatz hierzu kennt das ''common law'' keinen solchen Anspruch und verweigert z.B. dem Darlehensgeber Zinsen für die Zeit nach Fälligkeit, wenn der Darlehensnehmer mit der Rückzahlung im Verzug ist (''London'','' Chatham & Dover Ry v. South Easter Ry'' &#91;1893&#93; AC 429 (HL), ''President of India v. La Pintada Compania Navegacion SA'' &#91;1985&#93; AC 104 (HL)). Auch wenn die Regel in Einzelfällen etwas abgeschwächt ist und der Gläubiger insbesondere einen tatsächlich erlittenen, vorhersehbaren Zinsschaden ersetzt verlangen kann (''Trans Trust SPRL v. Danubian Trading Co'' &#91;1952&#93; 2 QB 297, 306, 307 (CA); ''Wadsworth v. Lydell'' &#91;1981&#93; 1 WLR 598 (CA)), bleibt der grundsätzliche Befund erhalten. Lediglich gesetzliche Regelungen führen zu echten Durchbrechungen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Zahlungsverzugs-RL (RL&nbsp;2000/35), die für sämtliche Zahlungsvorgänge im Geschäftsverkehr eine Verzinsung ab dem 30.&nbsp;Tag nach Fälligkeit vorsieht (Art.&nbsp;3 Zahlungsverzugs-RL). Die Regelung geht nicht nur für das Vereinigte Königreich über das tradierte Recht erheblich hinaus, insbesondere da ein gewisser pönaler Charakter der Regelung unübersehbar ist. Der (dispositive) Verzugszins wird mit einer „Spanne“ von mindestens 7 Prozentpunkten über dem Bezugszinssatz (Basiszinssatz der [[Europäische Zentralbank|EZB]] bzw. nationalen Zentralbank) festgesetzt, was in dieser Allgemeinheit unter Risikogesichtspunkten nicht gerechtfertigt werden kann, sondern allein dazu dient, starke Anreize zur pünktlichen Zahlung zu geben.


== 4. Internationales Einheitsrecht und internationale Modellregeln ==
== 3. Regelungsstrukturen im Einheitsrecht und Vereinheitlichungsprojekte ==
=== a) Zahlungsverzugs-RL ===
Die Vereinheitlichungsprojekte eröffnen den Parteien die Freiheit zur privatautonomen Zinsvereinbarung, enthalten aber keine explizite Aussage darüber, ob die Kapitalüberlassung im Zweifel entgeltlich erfolgt. Auch wenn für die entsprechenden Verträge, wie in vielen nationalen Rechtsordnungen, durchaus Unentgeltlichkeit in Betracht kommt, können Regelungen nach dem Muster des Art.&nbsp;6:104 PECL (gleichsinnig Art.&nbsp;II.-9:104 DCFR, Art.&nbsp;5.1.7 UNIDROIT PICC), die den „angemessenen“ oder „üblichen“ Preis als vereinbart unterstellen, ohne Weiteres so gelesen werden, dass Kapitalüberlassungen bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte zum üblichen Zinssatz erfolgen. Richtigerweise sind die Weichen insoweit aber nicht in den allgemein vertragsrechtlichen Regelungen zu stellen, sondern vielmehr der Regelung der einzelnen, auf Kapitalüberlassung gerichteten Vertragstypen vorzubehalten (vgl. z.B. die entsprechende Regelung für ''loan contracts'' in Art. IV.F.-1:104 DCFR).  
Das wichtigste internationale Regelwerk in Bezug auf Zahlungsverzug ist die Zahlungsverzugs-RL, die (nur) als Entgelt im Geschäftsverkehr geschuldete Zahlungen betrifft, nicht also z.B. Schadensersatzzahlungen und Geschäfte mit Verbrauchern. Sie statuiert einen Mindeststandard zugunsten des Gläubigers und regelt ausschließlich den Anspruch auf Verzugszinsen und den Ersatz von Beitreibungskosten, nicht dagegen Schadensersatzansprüche. Sie verwendet zwar den Begriff „Zahlungsverzug“, dieser Verzug ist aber – im Gegensatz zum deutschen Recht – weder von einer Mahnung oder einem Mahnungssurrogat noch vom Vertretenmüssen des Schuldners abhängig, sondern meint schlicht die Nichteinhaltung des Zahlungstermins (Art.&nbsp;2 Nr.&nbsp;2 Zahlungsverzugs-RL). Die Rechtsfolgen des Zahlungsverzugs – nämlich sowohl der Zinsanspruch als auch der Anspruch auf Ersatz von Beitreibungskosten – sind allerdings ausgeschlossen, wenn der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist. Der Zinsanspruch des Art.&nbsp;3 Zahlungsverzugs-RL beginnt prinzipiell mit dem vertraglich vereinbarten Zahlungstermin. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, beginnt der Zinsanspruch 30&nbsp;Tage nachdem der Schuldner sowohl die Rechnung als auch die Güter oder Dienstleistungen erhalten hat. Wenn vertraglich oder gesetzlich ein Abnahme‑ oder Überprüfungsverfahren vorgesehen ist, beginnt die Frist nicht vor dessen Durchführung. Maßgeblich für den Lauf des Zinsanspruchs ist, wann der Gläubiger den fälligen Betrag erhält. Der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] hat auf Vorlage des OLG Köln entschieden, dass es bei einer Zahlung durch Banküberweisung auf den Zeitpunkt der Gutschrift auf dem Empfängerkonto ankommt (EuGH Rs.&nbsp;C-306/06 – ''01051 Telecom GmbH/Deutsche Telekom AG'', Slg. 2008, I-1923). Die Verantwortlichkeit des Schuldners soll dabei ausgeschlossen sein, wenn er den üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat. Der EuGH will also offenbar dem Schuldner Fehler der beteiligten Banken nicht zurechnen. Der Zinssatz ist variabel in Abhängigkeit von einem Bezugszinssatz der [[Europäische Zentralbank|Europäischen Zentralbank]] festgelegt (Art.&nbsp;3(1)(d) Zahlungsverzugs-RL).


=== b) Internationale Modellregeln ===
Ein Verbot des Zinseszinses findet sich in den Vereinheitlichungsprojekten bisher nicht. Wohl aber hat der Wucher dort eine Regelung erfahren, die freilich nicht nur auf Zinsvereinbarungen Anwendung findet. Dementsprechend ist nicht verwunderlich, dass neben dem übermäßigen Vorteil der einen Partei auch das Ausnutzen einer besonders anfälligen Gegenseite gefordert wird (Art.&nbsp;4:109(1) PECL, Art.&nbsp;II.-7:207(1) DCFR, Art.&nbsp;3.10 UNIDROIT PICC).
Einander sehr ähnlich sind die Regelungen in den [[Principles of European Contract Law|PECL]], den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]] und dem [[Common Frame of Reference|DCFR]]. Keines der Regelwerke verwendet den Begriff „Verzug“, vielmehr legen sie die Rechtsfolgen einer Leistungsverzögerung jeweils ohne Anknüpfung an eine solche dogmatische Kategorie fest. Der Gläubiger einer Geldforderung kann ab Fälligkeit Zinsen zum durchschnittlichen Bankensatz für kurzfristige Kredite an erstklassige Kreditnehmer, der für die Zahlungswährung am Zahlungsort gilt, verlangen (Art.&nbsp;9:508 PECL, Art.&nbsp;7.4.9 UNIDROIT PICC, Art.&nbsp;III.-3:708 DCFR), und zwar unabhängig davon, ob die Leistungsverzögerung gemäß Art.&nbsp;8:108 PECL, Art.&nbsp;7.1.7 UNIDROIT PICC, Art.&nbsp;III.-3:104 DCFR entschuldigt ist oder nicht; hierin liegt ein wichtiger Unterschied zur Zahlungsverzugs-RL. Der Anspruch ist nach den ''Comments'' zu den PECL dazu bestimmt, den Verlust des Gläubigers zu kompensieren; maßgeblich für die Wahl des Zinssatzes war daher, dass der gewählte Satz diesen Verlust am besten widerspiegelt. Gemäß ''Comment&nbsp;B'' zu Art.&nbsp;9:508 PECL bezieht sich die Zinspflicht nur auf Geldansprüche, die eine vertragliche Primärpflicht darstellen, nicht z.B. auf Schadensersatzansprüche. Einen weitergehenden Verlust kann der Gläubiger mit Hilfe des allgemeinen Schadensersatzanspruchs geltend machen (Art.&nbsp;9:501 PECL, Art.&nbsp;7.4.1 UNIDROIT PICC, Art.&nbsp;III.-3:701 DCFR); auf besondere Verzugsvoraussetzungen – wie etwa eine Mahnung – kommt es dabei nicht an (vgl. ''Comment&nbsp;A'' zu Art.&nbsp;8:106 PECL). Auch für den Übergang auf Sekundärrechte stellen die drei Regelwerke nicht auf das Vorliegen eines – wie auch immer definierten – Verzugs ab. Der Gläubiger kann vielmehr zurücktreten (Art.&nbsp;9:301 PECL, Art.&nbsp;7.3.1 UNIDROIT PICC, Art.&nbsp;III.-3:502&nbsp;f. DCFR), wenn die Nichtleistung wesentlich ist (Art.&nbsp;8:103 PECL, Art. 7.3.1(2) UNIDROIT PICC, Art.&nbsp;III.-3:502(2) DCFR) oder wenn eine vom Gläubiger gesetzte Nachfrist erfolglos verstrichen ist (Art.&nbsp;8:106(3) PECL, Art. 7.1.5(3) und (4) UNIDROIT PICC mit einer Ausnahme in Bezug auf untergeordnete Pflichten, Art.&nbsp;III.-3:503 DCFR). Art.&nbsp;III.-3:710 DCFR enthält der Zahlungsverzugs-RL entstammende Sonderregeln für die Pflicht von Unternehmen, den vereinbarten Preis für Güter oder Dienstleistungen zu zahlen.


=== c) CISG ===
Schließlich finden sich sowohl im Einheitsrecht (Art.&nbsp;48(2) Genfer Wechselübereinkommen, Art.&nbsp;45(1) Genfer Scheckübereinkommen, Art.&nbsp;78, Art.&nbsp;84(1) CISG) als auch in den Vereinheitlichungsprojekten (Art.&nbsp;9:508 PECL, Art.&nbsp;III.-3:708 DCFR, Art.&nbsp;7.4.9 UNIDROIT PICC) zahlreiche Bestimmungen, die eine gesetzlich Verzinsungspflicht für den Fall des Zahlungsverzugs statuieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass dem hierfür jeweils vorgesehene Zinssatz – die CISG enthält wegen unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten der Verhandlungsteilnehmer in Wien keine diesbezügliche Festlegung – kein Strafcharakter zukommt. Durch das Gleichsetzen der gesetzlichen Verzugszinsen mit dem Zinssatz, den Geschäftsbanken ihren Kunden mit erstklassiger Bonität für kurzfristige Kredite in Rechnung stellen (Art.&nbsp;9:508(1) PECL, Art.&nbsp;III-3:708(1) DCFR, Art. 7.4.9(2) UNIDROIT PICC), verbleiben für manche Schuldner die Arbitragepotentiale opportunistischer Kapitalanmaßung. Dies gilt insbesondere, wenn die Tilgung der Verbindlichkeit nicht aus (niedriger)verzinslichen Guthaben des Schuldners, sondern unter Ausnutzung von dessen (höher)verzinslichen Kreditlinien erfolgt.
Auch das CISG ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]) kennt das Institut des Verzugs nicht. Weder der Schadensersatzanspruch des Verkäufers wegen nicht rechtzeitiger Zahlung (Art.&nbsp;61(1)(b) CISG) noch der Zinsanspruch (Art.&nbsp;78 CISG) setzt Verschulden oder eine Mahnung voraus. Es genügt vielmehr, dass die Zahlung nicht zur bestimmten Zeit erbracht wird. Der Zinsanspruch ist dabei selbst dann gegeben, wenn der Schadensersatzanspruch nach Art.&nbsp;79 CISG ausgeschlossen ist (vgl. Art.&nbsp;79(5) CISG). Umstritten ist, ob Art.&nbsp;78 CISG auch eingreift, wenn der betreffende Anspruch der Höhe nach noch nicht festgelegt (''liquidated'') ist.
 
Nicht geregelt ist die Zinshöhe, da insofern bei Schaffung des CISG keine Einigkeit erzielt werden konnte. Sofern die Parteien – wie in der Regel – keinen Zinssatz vereinbart haben, sind nach Art.&nbsp;9 CISG die Gebräuche im internationalen Handel maßgeblich. Lässt sich auch ihnen kein Zinssatz entnehmen, kommt es nach Art.&nbsp;7(2) CISG auf die allgemeinen, dem CISG zugrundeliegenden Grundsätze oder hilfsweise auf das anwendbare nationale Recht an. Über die richtige Lösung besteht lebhafter Meinungsstreit. Interessant sind Vorschläge, als „allgemeine Grundsätze“ die Regelungen in anderen internationalen Regelwerken heranzuziehen, nämlich in der Zahlungsverzugs-RL, den UNIDROIT PICC oder den PECL. Freilich lässt sich schwerlich annehmen, dass es sich dabei um ''dem CISG zugrundeliegende'' Grundsätze handelt, zumal die betreffenden Regelwerke jünger sind.
 
Ein Übergang auf Sekundärrechte ist gemäß Art.&nbsp;64(1) CISG möglich, wenn die [[Nichterfüllung]] der Zahlungspflicht eine wesentliche Vertragsverletzung i.S.v. Art.&nbsp;25 CISG darstellt oder eine Nachfrist verstrichen ist.


== Literatur==
== Literatur==
''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 790&nbsp;ff.; ''Martin Schmidt-Kessel'', Zahlungsverzug im Handelsverkehr: Ein neuer Richtlinienentwurf, Juristenzeitung 1998, 1135&nbsp;ff.; ''Eva-Maria Kieninger'', Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Handelsverkehr, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1998, 2213&nbsp;ff.; ''Franco Ferrari'', Verzugszinsen nach Art.&nbsp;78 UN-Kaufrecht, Internationales Handelsrecht 2003, 153&nbsp;ff.; ''Florian Faust''<nowiki>, Zinsen bei Zahlungsverzug [im UN-Kaufrecht], Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 68 (2004) 511&nbsp;ff.; </nowiki>''Justus Meyer'', „Zahlungsverzug“ im UN-Kaufrecht und EU-Vertragsrecht, in: Festschrift für Gerhard Otte, 2005, 241&nbsp;ff.; ''Sebastian Lohsse'', §§&nbsp;286-292, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/1, 2007; ''Klaus Bacher'', Art.&nbsp;78, in: Peter Schlechtriem, Ingeborg Schwenzer (Hg.): Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5.&nbsp;Aufl. 2008.
''Winfried A. Hetger'', Sittenwidrigkeit von Ratenkrediten und Kreditwucher, 1989; ''Jochen Dilcher'', Die Zins-Wucher-Gesetzgebung in Deutschland im 19.&nbsp;Jahrhundert, 2002; ''Franz Dorn'', §§&nbsp;246-248, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/1, 2007.


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Version vom 28. September 2021, 13:58 Uhr

von Tobias Tröger

1. Gegenstand und Zweck

Zinsen stellen das typische Entgelt für die Überlassung der knappen Ressource Kapital (Geld oder vertretbare Sachen) dar. Der gegenwärtige Verzicht auf liquide Mittel führt zu Opportunitätskosten, die durch die Verzinsung des überlassenen Kapitals ausgeglichen werden. Dementsprechend werden Zinsen lediglich nach Laufzeit und Ausfallrisiko bemessen und sind unabhängig vom Ertrag, der vom Kreditnehmer unter Einsatz des Überlassenen erwirtschaftet wird. Aus Sicht des Rechts geht es vor diesem Hintergrund im Wesentlichen um zwei Fragenkomplexe. Zum einen um die Voraussetzungen und Grenzen privatautonomer Zinsvereinbarungen, zum anderen um die adäquate Sanktionierung eigenmächtiger Kapitalanmaßungen durch gesetzliche Zinspflichten.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Überlassung von Fremdkapital für Investitions- und Konsumzwecke hat dazu geführt, dass heute alle marktwirtschaftlich orientierten Rechtsordnungen Europas die rechtsgeschäftliche Vereinbarung von Zinsen grundsätzlich zulassen. Der Privatautonomie werden lediglich zum Schutz des Schuldners bzw. aus Gemeinwohlerwägungen weit gefasste, materielle Schranken gezogen. Dieser Befund stellt jedoch das Ergebnis einer durchaus wechselhaften historischen Entwicklung dar. Das römische Recht ging in der frühen Zeit von einem weitgehend schrankenlosen wirtschaftlichen Individualismus aus und unterwarf Zinsvereinbarungen keinen materiellen Schranken. Das Zwölftafelgesetz führte mit dem fenus unciarium aber für das nexum erstmals einen festen Zinsfuss ein, dessen Überschreiten als Wucher anzusehen war. Der Schuldner wucherischer Zinsen war nicht nur zur Rückforderung des zu viel Gezahlten berechtigt, sondern hatte auch eine actio poenalis auf das quadruplum, also das Vierfache der Überzahlung. Die spätere Verdrängung des nexum durch das formlose mutuum führte zunächst zu einem Leerlaufen der erwähnten Zinsschranke. Dies wurde aber durch die Einführung des centesimae usurae (12 % p.a.) auch für das mutuum gegen Ende der Republik wieder korrigiert. Als Folge des christlichen Einflusses fanden sich im Corpus Juris Civilis für die Allgemeinheit reduzierte Zinsschranken neben weniger strengen Höchstzinsregelungen, die sowohl die Risiken des Geschäfts (Seedarlehen) als auch die Geschäftsgewandtheit der Parteien (Kaufleute, Fabrikanten) widerspiegelten. Das mit dem stetigen Machtzuwachs der christlichen Kirche auch in den weltlichen Gesetzen Geltung erlangende, radikale Zinsverbot des kanonischen Rechts wurde bereits in der Wirtschaftspraxis des Spätmittelalters durch besondere Gestaltungen unterlaufen (z.B. beim „Rentenkauf“, bei dem die Hingabe von Kapital mit einer Rente vergütet wurde und der Schuldner keine Kündigungsmöglichkeit besaß). Ähnliches ließ sich für das im Ausgangspunkt ebenfalls strikte Zinsverbot des islamischen Rechts beobachten, das sich allerdings in manchen Staaten bis heute als geltendes Recht gehalten hat. Ausgehend von den oberitalienischen Städten wurde das Zinsverbot nach und nach durch Territorialgesetze außer Kraft gesetzt, die nur noch Zinsmaxima vorsahen. Unter dem Einfluss des Liberalismus und der klassischen Nationalökonomie, insbesondere der Schriften von Adam Smith und Jeremy Bentham („Defence of Usury“, 1789), fielen in Europa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die starren, die Berücksichtigung individueller Umstände des Geschäfts ausschließenden Zinshöchstsätze und wurden durch elastische Wuchertatbestände ersetzt.

Unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes verdient auch der Zinseszins (Anatozismus) besondere Aufmerksamkeit. Die Eigenschaften der Aufzinsungsfunktion führen bei zunehmender Laufzeit dazu, dass die Zinsschuld exponentiell steigt, wenn die in der Vergangenheit angefallenen Zinsen der zukünftigen Verzinsung unterworfen werden. Dieser Effekt wurde historisch unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes als steuerungsbedürftig angesehen. Es ging insoweit darum, den Schuldner durch rechtliche Regulierung vor einer „lawinenartig“ anschwellenden Zinslast zu bewahren oder ihm diese Gefahr zumindest transparent zu machen. Aus diesem Grund wurde bereits im klassischen römischen Recht einfach untersagt, dass Zinsen ihrerseits Zinsen tragen, um so ein lediglich lineares Wachstum der Zinsschuld sicherzustellen. Gerade die Erfahrung des römischen Rechts lehrt aber auch, dass Umgehungen, z.B. durch periodisch wiederkehrende Aufnahme der Kredite unter Hinzurechnen der aufgelaufenen Zinsen, naheliegen, wenn die Beteiligten ein wirtschaftliches Bedürfnis für eine entsprechende Zinspraxis sehen.

Die Funktion der Verzinsung, den Verzicht auf liquides Kapital zu vergüten, ist schließlich aus Sicht der Rechtsordnung auch dort von Bedeutung, wo sich ein säumiger Schuldner Kapital anmaßt. Eine gesetzliche Pflicht zur Verzinsung als Sanktion des Leistungsstörungsrechts für den Fall des Zahlungsverzugs mit einer Geldschuld kann Anreizen zu opportunistischem Verhalten entgegenwirken.

2. Grundstrukturen und Tendenzen der Rechtsentwicklung

a) Vertragliche Zinsvereinbarungen

Die grundsätzliche Freiheit der Parteien bei der vertraglichen Vereinbarung von Zinsen steht in den europäischen Vertragsrechtsordnungen heute außer Frage. Damit ist aber noch nicht geklärt, ob die jeweiligen Rechtsordnungen die Kapitalüberlassung auch ohne ausdrückliche Parteivereinbarung im Zweifel als entgeltlich behandeln oder von Unentgeltlichkeit ausgehen. Auf der Grundlage römisch-rechtlicher Vorbilder ist dies für das Darlehen als dem Grundtypus der rechtsgeschäftlichen Kapitalüberlassung in vielen Rechtsordnungen nicht der Fall (vgl. z.B. Art. 1905 frz. Code civil, Art. 1755 span. Código civil, Art. 7A:1804 BW; Art. 313 Abs. 1 OR; für das englische common law Page v. Newman (1829) 9 B. & C. 378, 381; President of India v. La Pintada Compania Navegacion SA [1985] AC 104 (HL); anders insbesondere Art. 1815 Abs. 1 Codice civile, § 488 Abs. 1 S. 2 BGB). Jedenfalls für das Handelsrecht wird das Regel/Ausnahme-Verhältnis aber verbreitet ausdrücklich umgekehrt (z.B. § 354 Abs. 2 HGB [UGB]; Art. 313 Abs. 2 OR). Aber auch jenseits spezieller positiv-rechtlicher Regelungen wird in der Rechtspraxis vielfach die dem typischen Parteiwillen entsprechende Entgeltlichkeit über die Annahme stillschweigender Zinsvereinbarungen oder entsprechender Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs angenommen. In derartigen Konstellationen wird dann auch ein als Auffangregel konzipierter, gesetzlicher Zinssatz (z.B. § 246 BGB, § 352 Abs. 1 HGB, Art. 1284 Codice civile, Art. 7A:1805 BW) als zugunsten des Üblichen abbedungen angesehen.

Strenge Anforderungen an die Transparenz von Zinsvereinbarungen existieren im harmonisierten Recht des Verbraucherkredits, wo umfassende Informationen (insbesondere zu Sollzins, effektivem Jahreszins etc.) sowohl im Vorfeld des Vertragsschlusses als auch in der Vertragsurkunde selbst vorgeschrieben sind (vgl. Art. 4 ff. Verbraucherkredit-RL [RL 2008/48]).

Materielle Schranken für privatautonome Zinsabreden bestehen in allen europäischen Rechtsordnungen, insbesondere in Form des Wuchertatbestands, dessen Bezeichnung sich im Wortstamm an den lateinischen Begriff der usura (bzw. im mittelalterlichen Latein usuria) anlehnt (neben den romanischen Sprachen z.B. im Englischen usury, im Schwedischen ocker). Vergleichend lassen sich dabei zwei regulatorische Ansätze unterscheiden. Entweder wird bereits das objektive Bestehen eines groben Missverhältnisses zwischen Kapitalüberlassung und vereinbartem Zins als ausreichend angesehen, um den Vorwurf des Zinswuchers zu begründen. Oder es wird zusätzlich noch das subjektive Ausnutzen einer besonderen Anfälligkeit der Gegenseite durch die begünstigte Partei als notwendig erachtet.

Die erste Konzeption begegnet faktisch eher im Kontext des Verbraucherkredits (Ratenkredit) (Verbraucherkreditrecht (Regelungsgrundsätze), wohl weil hier bei typisierender Betrachtung von einer allgemeinen Unterlegenheit des Zinsschuldners ausgegangen wird. Die entsprechenden Regelungen sind aber zumeist nicht auf Verbrauchergeschäfte beschränkt. Sonderregeln für den Kreditwucher bestehen z.B. in Frankreich (Art. L-313-5 Code monétaire et financier i.V.m. Art. L-313-3 Code de la consommation), England (sec. 137-140 Consumer Credit Act of 1974), Spanien (Art. 1 Ley de la represión de la usura) und Italien (Art. 1815 Abs. 2 Codice civile). Diese enthalten zum Teil feste Zinsschranken (Frankreich: Wucher ab einem Zinssatz in Höhe von 133 % des durchschnittlichen effektiven Globalzinses, den Finanzinstitute im vorhergehenden Quartal für Darlehen der betroffenen Art berechneten), die aber gleichwohl eine gewisse Differenzierung nach der Art des Kredits zulassen. Darüber hinaus werden auch Generalklauseln des bürgerlichen Rechts (§ 138 Abs. 1 BGB, § 879 Abs. 1 ABGB, Art. 178 f. griech. ZGB, Art. 36 der nordischen Vertragsgesetze) durch die Rechtsprechung in einer Weise angewandt, die sie im Fall einer objektiv wucherischen Zinsvereinbarung eingreifen lässt (exemplarisch BGH 24.3.1988, BGHZ 104, 102, 105 st. Rspr: Gesamtzins von mehr als dem Doppelten des Durchschnittszinssatzes ist wucherisch und damit sittenwidrig).

Ein zu dem grob übersetzen Zinssatz hinzutretendes Ausnutzen einer anfälligen Partei ist regelmäßig dann erforderlich, wenn der Wucher über weiter gefasste, potentiell nicht nur den Zins als Gegenleistung betreffende Gesetzesbestimmungen oder Doktrinen erfasst werden soll. Dies gilt z.B. für die equitable doctrines (equity) der undue influence und des unconscionable bargain, aber auch im niederländischen Recht (Art. 3:44 Abs. 4 BW).

Folge des Wuchers ist im praktischen Ergebnis in den meisten Rechtsordnungen, bei zum Teil weit abweichenden dogmatischen Konstruktionen im Einzelnen, die Kürzung des überhöhten Zinssatzes auf das Marktübliche, sei es als Folge gesetzlicher oder richterlicher Vertragsanpassung, der Teilnichtigkeit der Zinsklausel oder deren vollständiger Unwirksamkeit und eines Bereicherungsausgleichs (z.B. Frankreich, England, Italien, Deutschland, Skandinavien).

b) Zinseszins

Soweit sich das Verbot des Anatozismus in den geltenden Rechtsordnungen Europas erhalten hat (vgl. z.B. § 248 Abs. 1 BGB, § 289 Abs. 1 BGB; Art 314 Abs. 3 OR; Art. 1154 frz. Code civil), ist es regelmäßig sachlich und persönlich Beschränkungen unterworfen. Insbesondere für den Handelsverkehr bestehen weitreichende Ausnahmen oder Dispositonsmöglichkeiten (z.B. § 355 Abs. 1 HGB, Art. 314 Abs. 3 OR, § 317 span. Código de commercio). Hintergrund ist nicht zuletzt, dass ein generelles, rigides Verbot aus Gründen des Schuldnerschutzes als übermäßig angesehen wird und daher auch die existierenden Bestimmungen in der Regel eng ausgelegt werden.

c) Gesetzliche Verzinsungspflicht als leistungsstörungsrechtliche Sanktion

Die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gewähren dem Gläubiger einer Geldforderung im Fall des Zahlungsverzugs regelmäßig einen Anspruch auf Verzinsung gegen den säumigen Schuldner. Im Gegensatz hierzu kennt das common law keinen solchen Anspruch und verweigert z.B. dem Darlehensgeber Zinsen für die Zeit nach Fälligkeit, wenn der Darlehensnehmer mit der Rückzahlung im Verzug ist (London, Chatham & Dover Ry v. South Easter Ry [1893] AC 429 (HL), President of India v. La Pintada Compania Navegacion SA [1985] AC 104 (HL)). Auch wenn die Regel in Einzelfällen etwas abgeschwächt ist und der Gläubiger insbesondere einen tatsächlich erlittenen, vorhersehbaren Zinsschaden ersetzt verlangen kann (Trans Trust SPRL v. Danubian Trading Co [1952] 2 QB 297, 306, 307 (CA); Wadsworth v. Lydell [1981] 1 WLR 598 (CA)), bleibt der grundsätzliche Befund erhalten. Lediglich gesetzliche Regelungen führen zu echten Durchbrechungen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Zahlungsverzugs-RL (RL 2000/35), die für sämtliche Zahlungsvorgänge im Geschäftsverkehr eine Verzinsung ab dem 30. Tag nach Fälligkeit vorsieht (Art. 3 Zahlungsverzugs-RL). Die Regelung geht nicht nur für das Vereinigte Königreich über das tradierte Recht erheblich hinaus, insbesondere da ein gewisser pönaler Charakter der Regelung unübersehbar ist. Der (dispositive) Verzugszins wird mit einer „Spanne“ von mindestens 7 Prozentpunkten über dem Bezugszinssatz (Basiszinssatz der EZB bzw. nationalen Zentralbank) festgesetzt, was in dieser Allgemeinheit unter Risikogesichtspunkten nicht gerechtfertigt werden kann, sondern allein dazu dient, starke Anreize zur pünktlichen Zahlung zu geben.

3. Regelungsstrukturen im Einheitsrecht und Vereinheitlichungsprojekte

Die Vereinheitlichungsprojekte eröffnen den Parteien die Freiheit zur privatautonomen Zinsvereinbarung, enthalten aber keine explizite Aussage darüber, ob die Kapitalüberlassung im Zweifel entgeltlich erfolgt. Auch wenn für die entsprechenden Verträge, wie in vielen nationalen Rechtsordnungen, durchaus Unentgeltlichkeit in Betracht kommt, können Regelungen nach dem Muster des Art. 6:104 PECL (gleichsinnig Art. II.-9:104 DCFR, Art. 5.1.7 UNIDROIT PICC), die den „angemessenen“ oder „üblichen“ Preis als vereinbart unterstellen, ohne Weiteres so gelesen werden, dass Kapitalüberlassungen bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte zum üblichen Zinssatz erfolgen. Richtigerweise sind die Weichen insoweit aber nicht in den allgemein vertragsrechtlichen Regelungen zu stellen, sondern vielmehr der Regelung der einzelnen, auf Kapitalüberlassung gerichteten Vertragstypen vorzubehalten (vgl. z.B. die entsprechende Regelung für loan contracts in Art. IV.F.-1:104 DCFR).

Ein Verbot des Zinseszinses findet sich in den Vereinheitlichungsprojekten bisher nicht. Wohl aber hat der Wucher dort eine Regelung erfahren, die freilich nicht nur auf Zinsvereinbarungen Anwendung findet. Dementsprechend ist nicht verwunderlich, dass neben dem übermäßigen Vorteil der einen Partei auch das Ausnutzen einer besonders anfälligen Gegenseite gefordert wird (Art. 4:109(1) PECL, Art. II.-7:207(1) DCFR, Art. 3.10 UNIDROIT PICC).

Schließlich finden sich sowohl im Einheitsrecht (Art. 48(2) Genfer Wechselübereinkommen, Art. 45(1) Genfer Scheckübereinkommen, Art. 78, Art. 84(1) CISG) als auch in den Vereinheitlichungsprojekten (Art. 9:508 PECL, Art. III.-3:708 DCFR, Art. 7.4.9 UNIDROIT PICC) zahlreiche Bestimmungen, die eine gesetzlich Verzinsungspflicht für den Fall des Zahlungsverzugs statuieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass dem hierfür jeweils vorgesehene Zinssatz – die CISG enthält wegen unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten der Verhandlungsteilnehmer in Wien keine diesbezügliche Festlegung – kein Strafcharakter zukommt. Durch das Gleichsetzen der gesetzlichen Verzugszinsen mit dem Zinssatz, den Geschäftsbanken ihren Kunden mit erstklassiger Bonität für kurzfristige Kredite in Rechnung stellen (Art. 9:508(1) PECL, Art. III-3:708(1) DCFR, Art. 7.4.9(2) UNIDROIT PICC), verbleiben für manche Schuldner die Arbitragepotentiale opportunistischer Kapitalanmaßung. Dies gilt insbesondere, wenn die Tilgung der Verbindlichkeit nicht aus (niedriger)verzinslichen Guthaben des Schuldners, sondern unter Ausnutzung von dessen (höher)verzinslichen Kreditlinien erfolgt.

Literatur

Winfried A. Hetger, Sittenwidrigkeit von Ratenkrediten und Kreditwucher, 1989; Jochen Dilcher, Die Zins-Wucher-Gesetzgebung in Deutschland im 19. Jahrhundert, 2002; Franz Dorn, §§ 246-248, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/1, 2007.