Verbraucherverträge (IPR und IZPR): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 31. August 2021, 18:08 Uhr

von Hannes Rösler

1. Regelungserfordernis und Verbraucherbegriff

Für den zunehmend mit grenzüberschreitenden Geschäften konfrontierten Verbraucher (Verbraucher und Verbraucherschutz) sind im Fall vertragsrechtlicher Probleme zwei Fragen bedeutsam: die nach dem anwendbaren Recht und nach der ggf. zuständigen staatlichen Gerichtsbarkeit. Schließlich rufen die Ermittlung ausländischen Rechts und die Rechtsverfolgung im Ausland einige Zusatzmühen und ‑kosten hervor. Neben dem sonstigen Zivil- und Prozessrecht variiert auch das Niveau des verbraucherspezifischen Sachrechts – trotz (und teils wegen) der Verpflichtung der EG zu einem hohen Verbraucherschutzniveau. Der Verbraucher würde angesichts der oft geringen Streitwerte ohne Abhilfe seitens der EG seine Ansprüche noch seltener durchsetzen. Dies wäre unvereinbar mit einem einheitlichen Binnenmarkt, der gerade auf vermehrte Mobilität zielt.

Die europäischen Rechtsakte zum internationalen Privatrecht sowie zum internationalen Zivilprozessrecht sehen direkte und einfache Sonderregeln zugunsten des Verbrauchers vor: Der Verbraucher wird grundsätzlich in Form der Anwendung des Rechts seines gewöhnlichen Aufenthaltsstaates sowie durch die Zuständigkeit der Gerichte in seinem Wohnsitzstaat bevorzugt. Davon abweichende Parteivereinbarungen sind nur in engen Grenzen möglich.

Personelle Voraussetzung ist übergreifend das Vorliegen eines Rechtsgeschäfts zwischen Endverbraucher und Unternehmer. Die Definitionen dieses Gegensatzpaares entsprechen den Systembegriffen des Verbraucher-acquis (Verbraucher und Verbraucherschutz). Nur im IZPR besteht eine Abweichung: Bedingt durch die Vorgängervorschrift im Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ) schließt heute Art. 15(1) Brüssel I-VO (VO 44/ 2001, auch mit EuGVO abgekürzt) juristische Personen vom Verbraucherbegriff nicht aus. Aber die nachfolgende Rom I-VO (VO 593/2008) beschränkt den Schutz zutreffenderweise auf natürliche Personen (Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR)). Sinnvoll wäre nun eine parallele Klarstellung in der Brüssel I-VO. Der EuGH legt die personellen Voraussetzungen zumindest bei der Zuständigkeit erstaunlich strikt aus. So hat der EuGH Rs. C-464/01 – Gruber, Slg. 2005, I-439 beim Dachziegelkauf für einen Bauernhof das Vorliegen einer Verbrauchersache wegen beruflich-gewerblicher Komponente abgelehnt (näher Verbraucher und Verbraucherschutz).

2. EuGH und Gleichklang zwischen IPR und IZPR

Die Verordnungen Rom I und Brüssel I sind Maßnahmen zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, und zwar auf Grundlage des Kompetenztitels Art. 61(c) i.V.m. 65 EG/81 AEUV. Damit ist die Zuständigkeit des EuGH gemäß Art. 68 EG eröffnet. (Dagegen hatte der Gerichtshof aufgrund eines Auslegungsprotokolls von 1971 die Zuständigkeit für das völkerrechtliche EuGVÜ. Beim EVÜ erhielt der EuGH sie zum 1.8.2004.) Allerdings beschränkt Art. 68(1) EG die vorlageberechtigten und ‑verpflichteten Gerichte noch auf solche, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.

Die Beschränkung der Vorlagebefugnis streicht der Vertrag von Lissabon erfreulicherweise ersatzlos, indem er die Materie den allgemeinen Regeln über die Gerichtsbarkeit in Art. 251 ff. AEUV unterstellt. Damit besteht vermehrt die Chance, mit Hilfe einer einheitlichen Auslegung der Rom I-VO, der Brüssel I-VO sowie der Rom II-VO (VO 864/2007) über außervertragliche Schuldverhältnisse) eine einheitliche Terminologie richterlich zu konkretisieren. Dem kommt angesichts der relativen Definitionsarmut der Verordnungen und der Verpflichtung zur autonomen Begriffsbestimmung eine große Bedeutung zu (s. auch Art. 18 EVÜ bzw. Art. 36 EGBGB mit der Verpflichtung zur einheitlichen Auslegung).

So musste der EuGH z.B. den Vertragsbegriff durch Rs. C-27/02 – Engler, Slg. 2005, I-481 erst näher definieren. Dort ging es um Verpflichtungen im Fall isolierter Gewinnmitteilungen aus dem Ausland. Solche nicht mit einer Warenbestellung verbundenen Gewinnmitteilungen unterfallen als einseitige Verpflichtungen nicht dem als Sondervorschrift eng auszulegenden Art. 13(1) Nr. 3 EuGVÜ. (Vgl. dagegen für den weiter gefassten Vertragsbegriff in Art. 15(1)(c) Brüssel I-VO jüngst EuGH Rs. C-180/06 – Ilsinger, EWS 2009, 280, Rn. 51). Allerdings sind Gewinnmitteilungen freiwillig eingegangene Verpflichtungen, so dass nach Engler der allgemeine, weit auszulegende Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ eröffnet sein soll, der eine deliktische Zuständigkeit verdrängt.

Angesichts der Parallelen zwischen beiden Verordnungen ist die wechselseitige Übertragung von Begriffsbestimmungen erstrebt und mehr als sinnvoll. (Diese Abstimmung galt auch schon für EVÜ und EuGVÜ, siehe nur den Giuliano/Lagarde-Bericht zum EVÜ, ABl. 1980 C 282//1). Inwieweit dies nun im Einzelnen möglich ist, bleibt zwar wegen unterschiedlicher Funktion von Kollisions- und Prozessrecht grundsätzlich umstritten. Die Bedenken können aber für die verbraucherschützenden Bestimmungen kaum Geltung beanspruchen. Beim Verbraucherschutz gibt das Kollisionsrecht seine strikte Neutralität auf und nähert sich dem Prozessrecht an, das auch allgemein von Schutzerwägungen geleitet wird. Ein Auslegungsgleichklang ist hier erwünscht. Die Parallelen führen auch dazu, dass anwendbares Recht und das Heimatforum des Verbrauchers regelmäßig zusammenfallen. Ein solcher Gleichlauf von anwendbarem Recht und Gerichtsstand ist wegen des typischerweise niedrigen Streitwerts bei Verbraucherverträgen zielführend.

Großbritannien hat von der Möglichkeit des opt-in zu Rom I Gebrauch gemacht, wie schon bei der Brüssel I-VO. Im Verhältnis zu Dänemark wird allerdings wegen Art. 69 EG wohl nicht Rom I, sondern noch weiterhin das EVÜ gelten. Dänemark hat sich freilich der Brüssel I-VO angeschlossen, und zwar auf der Grundlage eines am 1.7.2007 in Kraft getretenen Abkommens (ABl. 2007 L 94/70). Das insoweit zwischenzeitlich weitergeltende EuGVÜ wurde endgültig ersetzt.

3. Anwendbares Recht

a) Art. 5 EVÜ und Art. 6 Rom I-VO

Das Kollisionsrecht der internationalen Verbraucherverträge ist innerhalb der EU bestimmt durch die Rom I-VO. Sie ersetzt das EVÜ für Verträge, die nach dem 17.12.2009 geschlossen wurden. Gegenüber dem völkerrechtlichen Vorgänger wird beim neuen Gemeinschaftsinstrument der sachliche Anwendungsbereich erweitert: Die verbraucherrechtliche Bestimmung des Art. 5 EVÜ (in Deutschland inkorporiert mit Art. 29 EGBGB) gilt nur für Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen oder die Erbringung von Dienstleistungen sowie darauf bezogene Kreditverträge. Dagegen sind dem Art. 6(1) Rom I-VO prinzipiell alle Verbraucherverträge unterworfen. Erfasst sind endlich auch immaterielle Leistungsgegenstände (z.B. Software und Musik-Downloads).

Mit Art. 6(4) Rom I-VO gelten aber weiterhin die vom EVÜ bekannten Ausnahmen. Dazu zählen bedauerlicherweise Dienstleistungen, die ausschließlich außerhalb des Aufenthaltsstaates des Verbrauchers erbracht werden (z.B. Hotelverträge, Feriensprachunterricht, Sportkurse), aber auch Beförderungsverträge (es gilt Art. 5 Rom I-VO), bis auf Pauschalreisen im Sinne der RL 90/314 (Reisevertrag (Pauschalreisen), Verträge über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen und Mietverträge, ausgenommen Teilzeitnutzungsrechte an Immobilien im Sinne der RL 94/47. Des Weiteren sind nach Maßgabe von lit. d) und e) bestimmte Aspekte von Finanzinstrumenten nicht erfasst. Mit Art. 7 Rom I-VO findet sich eine vorrangige Vorschrift zu Versicherungsverträgen, die überfällig war. Das EVÜ nimmt sie aus. Vorvertragliche Schuldverhältnisse unterliegen nur den Vorschriften der Rom II-VO (vgl. Art. 1(2)(j) Rom I-VO). Bei deliktischen Produkthaftungsansprüchen gilt speziell Art. 5 der am 11.1.2009 in Kraft getretenen Rom II-VO.

Für den besonderen kollisionsrechtlichen Schutz muss neben dem erläuterten persönlichen und sachlichen auch der situative Anwendungsbereich eröffnet sein. Der Unternehmer hat entweder im Verbraucherstaat eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auszuüben oder – der Rom I-VO folgend – seine vertragsbezogene Tätigkeit „auf irgend einem Wege“ auf ihn auszurichten. Mit diesem neuen übergreifenden Ausrichtungsmerkmal erübrigt sich die Auflistung einzelner Vertragsschluss- und Vertragsanbahnungssituationen. Eine komplexe Liste wie in Art. 5(2) EVÜ erwies sich als zu unflexibel: als mal zu weit, als mal zu lückenhaft. Letzteres war etwa bei den umstrittenen Gran-Canaria-Fällen gegeben, wo ein Tourist im Ausland geworben wurde, sein Vertrag aber erst später im Heimatland zu erfüllen war und er darum als Verbraucher oft schutzlos blieb (vgl. aber BGH 15.11. 1990, BGHZ 113, 11).

Im Zuge der Vereinfachung stellt Art. 6 Rom I-VO sinnvollerweise nicht mehr auf den Abgabeort der Vertragserklärung ab. Schließlich ist es im Internetzeitalter gleichgültig, ob sich der Verbraucher bei Vertragsschluss in seinem gewöhnlichen Aufenthaltstaat befand oder nicht. Dieser Ort ist eher zufällig oder verleitet gar einen Unternehmer, den Verbraucher aus seinem Aufenthaltsstaat herauszulocken. Die Streichung in Art. 6 Rom I-VO (gegenüber Art. 5(2) 1. Spiegelstrich EVÜ) folgt der Novellierung in Art. 15(1)(c) Brüssel I-VO (gegenüber Art. 13(1) Nr. 3(b) EuGVÜ).

Die „Ausrichtung“ auf den Verbraucherstaat ist noch im Einzelnen klärungsbedürftig – schließlich wurde das Tatbestandsmerkmal vom Gemeinschaftsgesetzgeber bewusst undefiniert und mit Blick auf noch unbekannte Vermarktungstechniken entwicklungsoffen gelassen. Dies gilt nicht nur bei der Rom I-VO, sondern auch im Fall der Brüssel I-VO, wo es zur Erfassung des Fernabsatzes erstmals 2001 eingeführt wurde (s. zu Art. 15(1)(c) unten 4). Die Parallelität führt zu besagtem begünstigenden Gleichlauf zwischen IPR und IZPR: Verbraucher können vor den Gerichten ihres Aufenthaltsstaats unter Anwendung ihres Sachrechts klagen. Das ist als billiger Interessenausgleich zu begrüßen: Der Unternehmer kann die Anwendung von bestimmten Rechtsordnungen durch die Ausrichtung seiner Tätigkeit vermeiden. Dem Verbraucher wird aber das zwingende Recht, dem er prinzipiell vertraut, nicht entzogen.

Erforderlich für die Sonderanknüpfung durch „Ausrichtung“ ist ein bewusstes und zielgerichtetes Ergreifen von absatzfördernden Maßnahmen in Richtung auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers. Unzureichend ist dagegen die reine Zugänglichmachung einer Internetseite. So verhält es sich etwa mit einer an alle Welt gerichteten Seite mit Produktinformation, die aber für den Verkauf auf Vertriebshändler oder Handelsvertreter verweist. Vielmehr muss die Internetseite auch den Vertragsabschluss im Fernabsatz anbieten (z.B. Fax) und der Abschluss hat hierüber zu erfolgen.

Dabei soll die auf einer Internetseite benutzte Sprache oder die Währung keine Relevanz haben (Gemeinsame Erklärung von Rat und Parlament zu Brüssel I, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2001, 259, 261; wiederholt in Erwägungsgrund 24 der Rom I-VO). Dies macht aber bei international selten verwendeten Sprachen kaum Sinn. Allerdings beschränkt sich das Merkmal nicht nur auf Internet-Sachverhalte. Erfasst sind beispielsweise auch alle Arten der Werbung (die schon die beiden Vorgängerrechtsakte ausdrücklich erwähnten). Dazu zählen auch Zeitungsanzeigen, speziell versandte Kataloge und Angebote durch Vertreter (EuGH Rs. C-96/00 – Gabriel, Slg. 2002, I-6367, Rn. 44). Schließlich gilt für beide Verordnungen selbstverständlich: Der Vertrag muss im Rahmen dieser Tätigkeit überhaupt geschlossen worden sein.

Art. 5(2) EVÜ erlaubt die Rechtswahl auch im b2c-Bereich. Bis zuletzt war unter den Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament umstritten, ob daran festgehalten werden sollte. Die verabschiedete Verordnung hält – auf Drängen Deutschlands und Luxemburgs – an der Parteiautonomie fest: nach Art. 6(2) i.V.m. Art. 3 Rom I-VO ist die Rechtswahl weiterhin zulässig. Nun kann auch künftig auf Grundlage von Klauselwerken das unternehmerseitige Recht zur Anwendung kommen. Damit soll eine übermäßige Belastung von kleinen und mittelständischen Anbietern verhindert werden. Die Rechtswahlvereinbarung muss dabei – wie stets – ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben (Art. 3(1) Rom I-VO).

Jedoch bleiben zum Schutz des Verbrauchers die zwingenden verbraucherbegünstigenden Vorschriften seines Aufenthaltstaates bestehen. Dies gilt beispielsweise für eine nationale Gewährleistungsfrist, die zwingend über diejenige nach der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/44, Verbrauchsgüterkauf) hinausgeht. Damit finden im Fall der Rechtswahl weiterhin (und wie auch zum Schutz des Arbeitnehmers bei Art. 8 Rom I-VO) zwei Rechtssysteme Anwendung: insgesamt das gewählte nationale oder auch nicht-staatliche Recht, das ergänzt wird um das zwingende verbrauchereigene Schutzrecht. Wenn jedoch die gewählte und die abbedungene Rechtsordnung denselben Gegenstand unterschiedlich zwingend regeln, wird auch weiterhin ein Günstigkeitsvergleich erforderlich.

Ist danach das gewählte Recht für den Verbraucher vorteilhafter als sein eigenes, kann der Verbraucher sogar von der Rechtswahl profitieren. Angesichts dieses „Rosinenpickens“ ist eine Rechtswahlklausel für den Unternehmer auch weiterhin recht unattraktiv. Bei Obsiegen des Verbrauchers nach eigenem Recht unterlassen die Gerichte den schwer handhabbaren Günstigkeitsvergleich meist: Wegen der Vorteile des Gleichlaufs von anwendbarem Recht und Gerichtsstand wendet das Gericht wohl recht häufig forumeigenes Recht an und übergeht die Rechtswahl.

Liegt keine Rechtswahl vor, kommt es zur objektiven Anknüpfung. Abweichend von Art. 4 EVÜ bzw. der Rom I-VO (in Deutschland Art. 28 EGBGB) ist dabei nicht das Recht des Staates mit der engsten Verbindung einschlägig, sondern gemäß der erläuterten Voraussetzung diejenige Rechtsordnung, in der der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dabei muss es sich nicht um einen Mitgliedstaat der EU handeln, auch wenn der Entwurf (KOM(2005) 650 endg.) irrtümlicherweise gerade keine allseitige Kollisionsnorm vorsah.

b) Richtlinienkollisionsrecht

Fünf jüngere Verbrauchervertragsrichtlinien enthalten Beschränkungen für den Fall der Rechtswahl eines Nichtmitgliedstaates. Dies ist auf die Kompetenz zur Verwirklichung des Binnenmarktes durch Rechtsharmonisierung gestützt (und darum außerhalb von EVÜ bzw. der Rom I-VO). Solche IPR-Klauseln finden sich in Art. 6(2) Klausel-RL (RL 93/13), Art. 9 Timesharing-RL (RL 94/47), Art. 12(2) Fernabsatz-RL (RL 97/7), Art. 7(2) Verbrauchsgüterkauf-RL und Art. 12(2) Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (RL 2002/65). Hiernach ist bei Vereinbarung von Drittstaatenrecht die Einhaltung des Richtlinienrechts sicherzustellen, wenn der Vertrag einen „engen Zusammenhang“ mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten aufweist. Die dazu „erforderlichen Maßnahmen“ haben die EU-Staaten und (auf Grundlage des EWR-Abkommens) auch die anderen EWR-Mitglieder zu treffen.

Deutschland ist den kollisionsrechtlichen Umsetzungsaufträgen in Form des zusammenfassenden Art. 29a EGBGB nachgekommen. Der zweite Absatz der im Jahr 2000 geschaffenen Sonderanknüpfung enthält ein Regelbeispiel für den geforderten „engen Zusammenhang“. Anzunehmen ist er, wenn der Vertrag auf Grund eines öffentlichen Angebots, einer öffentlichen Werbung oder einer ähnlichen geschäftlichen Tätigkeit zustande kommt, die in einem EU- oder EWR-Staat entfaltet wird und der andere Teil seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Abgabe seiner Vertragserklärung in eben diesem Raum hat.

Gleichgültig ist insoweit, wo der Verbraucher seine Willenserklärung abgegeben hat (etwa ob im Heimatland oder am Urlaubsort in EU/EWG oder im Drittland). Anerkannte Bewertungskriterien für die Annahme eines bestimmten Näheverhältnisses sind die Nationalität, der Firmensitz oder die Niederlassung des Verwenders, verwendete Sprache, Ort des Vertragsabschlusses, Erfüllungsort der Leistungen oder die Belegenheit des Leistungsgegenstandes. Bedenklicherweise ist ein Günstigkeitsvergleich nach der deutschen Umsetzung nicht ausdrücklich vorgesehen.

Europaweit ist umstritten, ob und inwieweit etwa die Haustürwiderrufs-RL (RL 85/577, Haustürgeschäfte) und Produkthaftungs-RL (RL 85/374, Produkthaftung) sowie das Herkunftslandprinzip in Art. 3(1) E-Commerce-RL (RL 2000/31) ungeschriebenerweise kollisionsrechtlichen Gehalt entfalten. Künftig ist insbesondere hier auch Art. 3(4) Rom I-VO zu beachten, zumal Art. 23 i.V.m. Anhang I der Rom I-VO die Verbraucherrichtlinien nicht als vorrangig aufführt.

4. Forumsfragen – Art. 15-17 Brüssel I-VO

Die Bestimmung des internationalen – und im Fall des Art. 16(1) 2. Alt. Brüssel I-VO auch örtlichen – Verbrauchergerichtsstandes unterliegt bei grenzüberschreitenden Zivilverfahren mit Art. 15-17 Brüssel I-VO seit 1.3.2002 dem Gemeinschaftsrecht. Im Verhältnis zur Schweiz, Island und Norwegen gilt das LugÜ, das entsprechend der Brüssel I-VO reformiert wird.

Wie bei sämtlichen Rechtsakten bestehen weitreichende Ausnahmen vom Grundsatz des Beklagtenwohnsitzes, wie er vor allem in Art. 2(1) Brüssel I-VO festgeschrieben ist: Bei Aktivprozessen des Verbrauchers hat er das Wahlrecht zwischen dem Gerichtsstand an seinem Wohnort und dem seines Vertragspartners (Art. 16(1) 1. und 2. Alt. Brüssel I-VO). Dabei wird er meist den Klägergerichtstand wählen. Klagt dagegen ein Unternehmer, kann er seine Klage allein im Wohnsitzstaat des Verbrauchers anstrengen (Art. 16(2) Brüssel I-VO). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Klageerhebung.

Zugunsten des Verbrauchers wird der räumlich-persönliche Anwendungsbereich seines Klägergerichtsstands entscheidend erweitert: Nach Art. 15(2) Brüssel I-VO unterliegen ihm auch Anbieter aus Drittstaaten, sofern sie eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung in der Gemeinschaft unterhalten. Dies stellt eine Teilausnahme von der ansonsten auch beim Schutzgerichtsstand geltenden territorialen Einschränkung in Art. 4(1) Brüssel I-VO dar, wonach der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben muss. Zu beachten ist auch der besondere Gerichtsstand der Niederlassung nach Art. 5 Nr. 5 Brüssel I-VO (so Art. 15(1) Brüssel I-VO).

Zum sachlichen Anwendungsbereich: Eine Herausnahme von außerhalb des Aufenthaltsstaates des Verbrauchers erbrachten Dienstleistungen kennt die Brüssel I-VO nicht. (Dies sollte auch die Rom I-VO nachvollziehen.) Denn Art. 15(1)(c) Brüssel I-VO schafft im Zusammenhang mit dem „Ausrichten“ auch sachlich einen weiten Auffangtatbestand. (Dort heißt es „in allen anderen Fällen“, wohingegen sich Art. 13(1) Nr. 1 EuGVÜ auf Dienstleistungs- und Lieferverträge beschränkt.) Dementsprechend vorrangig sind die nur historisch zu erklärenden Vertragskategorien des Art. 15(1)(a) und (b), also Kaufverträge von beweglichen Sachen auf Teilzahlung sowie Kreditverträge, sofern sie zur Finanzierung eines Kaufs derartiger Sachen bestimmt sind.

Allerdings gilt der verbraucherrechtliche Abschnitt der Brüssel I-VO gemäß dessen Art. 15(3) nicht für Beförderungsverträge, mit Ausnahme von Reiseverträgen, die für einen Pauschalpreis kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsehen. Vorrangig sind auch die Vorschriften für Versicherungssachen (Art. 8-14 Brüssel I-VO) und für ausschließliche Zuständigkeiten, etwa für die Miete von unbeweglichen Sachen (Art. 22 Brüssel I-VO).

Zum situativen Anwendungsbereich: Nach Art. 16(1)(c) 1. Alt. Brüssel I-VO handelt es sich um eine Verbrauchersache, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Verbraucherstaat ausübt. Ansonsten muss aber als 2. Alternative das „Ausrichten“ der unternehmerischen Tätigkeit auf den Staat des Verbrauchers vorliegen, das schon zu Art. 6 Rom I-VO näher erläutert wurde (s.o. 3.a). Wiederum muss der Vertrag natürlich in den Bereich der betriebenen oder ausgerichteten Tätigkeit fallen. Ebenfalls kommt es nicht mehr auf den Ort der Vornahme der Rechtshandlungen an.

Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist bei Verbrauchersachverhalten weitgehend verboten und nur nach Maßgabe der Art. 17 Brüssel I-VO möglich (so Art. 23(5) Brüssel I-VO). Wirksam sind solche Vereinbarungen allenfalls, wenn sie nach Entstehung der Streitigkeit getroffen wurden oder sie dem Verbraucher ermöglichen, weitere Gerichte anzurufen; ferner unter besonderen Umständen, wenn der Verbraucher nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz wechselt. Zu beachten sind die Formvorschriften des Art. 23 Brüssel I-VO, insbesondere das Schrifterfordernis. Die Vorschrift schließt eine weitere Missbrauchskontrolle, etwa auf Basis der Klausel-RL, nicht aus.

Art. 24 Brüssel I-VO sieht zwar die Heilung eines Zuständigkeitsmangels durch rügelose Einlassung vor. Auf Grundlage der Klausel-RL hat der EuGH allerdings in Rs. C-240/98 bis 244/98 – Océano Grupo, Slg. 2000, I-4941 entschieden, eine unwirksame Schiedsklausel führe selbst dann zur Aufhebung eines gegen den Verbraucher ergangenen Schiedsspruchs, wenn die Nichtigkeit nicht im Schiedsverfahren selbst geltend gemacht wurde.

Ein Fehlen der verbraucherrechtlichen Zuständigkeit führt zudem – abweichend von der Grundregel in Art. 35(3) Brüssel I-VO – zur Versagung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, denn eine Gerichtskontrolle über die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats hat insoweit weiterhin zu erfolgen (Art. 35(1) Brüssel I-VO).

Literatur

Jürgen Basedow, Internationales Verbrauchervertragsrecht, in: Festschrift für Erik Jayme, Bd. I, 2004, 3 ff.; Jan Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 15 ff.; Felix Blobel, Hannes Rösler, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Gewinnmitteilungen aus dem Ausland, Juristische Rundschau 2006, 441 ff.; Peter Mankowski, Art. 5 des Vorschlags für eine Rom I-Verordnung, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 105 (2006) 120 ff.; Hannes Rösler, Verena Siepmann, Der Beitrag des EuGH zur Präzisierung von Art. 15 I EuGVO, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2006, 76 ff.; idem, Gerichtsstand bei gemischt privat-gewerblichen Verträgen nach europäischem Zivilprozessrecht, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht 2006, 497 ff.; Ansgar Staudinger, Art. 15-17 Brüssel I-VO, in: Thomas Rauscher (Hg.), Europäisches Zivilprozessrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2006; Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, Comments on the European Commission’s Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on the law applicable to contractual obligations (Rome I), Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationals Privatrecht 71 (2007) 225, 267 ff.; Art. 15-17, Jonathan Hill, Cross-Border Consumer Contracts, 2008; Norbert Reich, Kap. 7: Cross-Border Consumer Protection, Kap. 8: Legal Protection of Individual and Collective Consumer Interests, in: Hans-W. Micklitz, Norbert Reich, Peter Rott, Understanding EU Consumer Law, 2009.

Abgerufen von Verbraucherverträge (IPR und IZPR) – HWB-EuP 2009 am 23. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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