Umwandlung/Spaltung/Verschmelzung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 31. August 2021, 18:07 Uhr
von Heike Schweitzer
1. Begriffe und Funktion
Zum Wettbewerb zwischen Unternehmen am Markt gehört der Wettbewerb um optimale Unternehmensorganisation, um die optimalen „Grenzen des Unternehmens“ und um die dem Zweck des Unternehmens am besten entsprechende Rechtsform. Die Entscheidung über die Grenzen des Unternehmens, die mit einer Entscheidung über die Grenzen der Gesellschaft einhergehen kann aber nicht muss, orientiert sich an einem Vergleich von Kosten und Nutzen der Koordination in einer Organisation gegenüber der dezentralen Koordination am Markt. Die Entscheidung über die Rechtsform hat u.a. die verschiedenen organisations-, haftungs-, finanzierungs- und steuerrechtlichen Implikationen einzubeziehen. Es ist ein wesentliches Kennzeichen eines modernen Gesellschaftsrechts, dass es in beiden Hinsichten eine einfache, flexible, zügige und kostengünstige Anpassung der Strukturen eines Verbandes an die sich ständig ändernden Umweltbedingungen erlaubt.
Der Oberbegriff für die wichtigsten Formen einer derartigen Umstrukturierung von Gesellschaften ist im deutschen Recht der Begriff der Umwandlung. Zu unterscheiden sind die übertragende und die formwechselnde Umwandlung. Die übertragende Umwandlung verändert die Grenzen der Gesellschaft. Für sie stehen im deutschen Recht die Formen der Verschmelzung (§§ 2–122 UmwG), der Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung; §§ 123–173 UmwG) und der Vermögensübertragung (§§ 174–189 UmwG) zur Verfügung. Die formwechselnde Umwandlung ist in den §§ 190–304 UmwG geregelt und dient allein der identitätswahrenden Änderung der Organisationsform.
Kennzeichnend für alle Formen der übertragenden Umwandlung ist die Übertragung von Vermögen kraft Gesamtrechtsnachfolge. In der Systematik des UmwG bildet die Verschmelzung insoweit den Grundtatbestand, auf den bei der Regelung von Spaltung und Vermögensübertragung verwiesen wird. Unterschieden werden die Verschmelzung durch Aufnahme, bei der ein oder mehrere Rechtsträger (übertragende Ge-sellschaften) ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen im Wege der Auflösung auf einen bereits bestehenden anderen Rechtsträger (übernehmende Gesellschaft) übertragen, und die Verschmelzung durch Neugründung, bei der der übernehmende Rechtsträger im Zuge der Verschmelzung neu gegründet wird. In beiden Fällen erhalten die Anteilsinhaber der übertragenden Rechtsträger Anteile oder Mitgliedschaften des übernehmenden oder neuen Rechtsträgers. Eine Gegenleistung in Geld ist nach deutschem Recht nicht vorgesehen – Zuzahlungen in Bar sind auf höchstens 10 % beschränkt. Die übertragende Gesellschaft erlischt ipso iure, ohne dass es einer Liquidation der übertragenden Gesellschaften bedarf. Die Spaltung soll die Übertragung von Vermögensteilen als Gesamtheit, also uno actu kraft Eintragung ins Register ermöglichen. Unterschieden werden die Form der Aufspaltung, der Abspaltung oder der Ausgliederung. Bei der Aufspaltung teilt ein Rechtsträger sein gesamtes Vermögen auf und überträgt die Vermögensteile im Wege der partiellen Gesamtrechtsnachfolge (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) auf mindestens zwei andere schon bestehende oder neu gegründete Rechtsträger. Als Gegenleistung werden Anteile der übernehmenden oder neuen Rechtsträger an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers gewährt. Der übertragende Rechtsträger wird ohne Abwicklung aufgelöst. Bei der Abspaltung wird nur ein Teil des Vermögens im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger übertragen, der übertragende Rechtsträger bleibt im Übrigen bestehen. Die Ausgliederung ähnelt im Prinzip der Abspaltung; jedoch werden die als Gegenleistung gewährten Anteile der übernehmenden oder neuen Rechtsträger an den übertragenden Rechtsträger selbst und nicht an die Anteilsinhaber ausgegeben. Die Spaltung in ihren verschiedenen Formen ist eine Alternative zur fortbestehenden Möglichkeit einer „Realteilung“, also der Übertragung von Vermögensteilen kraft Einzelrechtsnachfolge. Die Vermögensübertragung in den Formen der Voll- oder Teilübertragung unterscheidet sich von anderen Umwandlungsformen dadurch, dass die Gegenleistung für die Übertragung nicht in Anteilen am übernehmenden Rechtsträger, sondern in einer Geldleistung besteht. Der Anwendungsbereich der Vermögensübertragung ist nach deutschem Recht jedoch eng begrenzt auf Fälle, in denen eine Kapitalgesellschaft ihr Vermögen oder Teile ihres Vermögens auf die öffentliche Hand überträgt, sowie auf Vermögensübertragungen unter Versicherungsunternehmen.
Die formwechselnde Umwandlung ist von der übertragenden Umwandlung grundsätzlich verschieden: eine Vermögensübertragung findet hier nicht statt. Es erfolgt lediglich eine Änderung der Rechtsform und rechtlichen Struktur eines Rechtsträgers, unter Wahrung seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Identität.
Die vom Recht bereitgestellten Möglichkeiten der Umwandlung werden in der Praxis in erheblichem Umfang genutzt. Dies gilt in Deutschland wie in anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, die – trotz vieler Unterschiede im Detail – ebenfalls die Möglichkeit einer Vermögensübertragung zwischen Unternehmen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vorsehen. So werden etwa die Verschmelzung (fusion; statutory merger; amalgamation) und die Spaltung (scission; corporate division oder corporate separation in den Formen des split-up, split-off und spin-off) vielfach zu einer Neuordnung derjenigen Unternehmensbereiche eingesetzt, die als wirtschaftliche Einheit mit einer gewissen Selbständigkeit agieren sollen. Die Spaltung kann auch der Vorbereitung der Veräußerung von Unternehmensteilen, der Isolierung von Haftungsrisiken oder der Erbauseinandersetzung dienen. Die Verschmelzung kann unter anderem ein Vehikel der Unternehmensakquisition sein, wenn der Kaufpreis im Wesentlichen im Wege des Anteilstausches gezahlt werden soll. In all diesen Fällen ist die Umwandlung allerdings nicht der einzig mögliche Weg, um das wirtschaftlich gewünschte Ergebnis zu erzielen, das alternativ – wenngleich u.U. mit höherem Aufwand – im Wege der Einbringung, der Anteilsveräußerung oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen im Wege der Einzelrechtsnachfolge, ggf. unter späterer Liquidation der übertragenden Gesellschaft verfolgt werden kann (sog. „wirtschaftliche Umwandlung“).
2. Entwicklungen im mitgliedstaatlichen Umwandlungsrecht auf der Grundlage der Fusions- und der Spaltungs-RL
Umwandlungsrecht ist in Europa zu einem wichtigen Teil mitgliedstaatliches Recht. In seinen Grundstrukturen ist es jedoch bereits seit Ende der 1970er Jahre durch Europäisches Richtlinienrecht vorgeprägt. Die Europäische Kommission sah voraus, dass die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes und die damit angestrebte Erweiterung des wirtschaftlichen Aktionsraumes europäischer Unternehmen grenzüberschreitende Unternehmensumstrukturierungen, insbesondere grenzüberschreitende Zusammenschlüsse, nahelegen würde. Die 3. gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 9.10.1978 (Fusions-RL [RL 78/855]) war daher als ein „Basisrechtsakt für ein Europäisches Recht der Strukturmaßnahmen“ konzipiert (Stefan Grundmann). Sie regelt das Verfahren, welches in allen Mitgliedstaaten für eine Verschmelzung von Aktiengesellschaften bzw. Gesellschaften entsprechender Rechtsform, d.h. für eine Übertragung des Gesamtvermögens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge und ggf. unter Auflösung der übertragenden Gesellschaft ohne Liquidation, bereitstehen muss, sowie einen Basisstandard des Gläubigerschutzes. Geregelt wird die Verschmelzung durch Aufnahme und die Verschmelzung durch Neugründung. Die Verfahrensvorgaben beruhen auf einem dem Aktionärsschutz verpflichteten Informationsmodell, welches auf folgenden Grundpfeilern ruht: einem von den Leitungsorganen der beteiligten Gesellschaften gemeinsam zu erstellenden Verschmelzungsplan (Art. 5) bzw. Vertragsentwurf, der nach den Regeln der Publizitäts-RL (RL 68/151) zu veröffentlichen ist; einem vom Leitungsorgan jeder beteiligten Gesellschaft gesondert zu erstellendem Verschmelzungsbericht (Art. 9), der die geplante Verschmelzung in ihren wesentlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten, insb. auch mit Blick auf das Wert- und Tauschverhältnis, verständlich erläutert und allen Aktionären zugänglich zu machen ist; einer unabhängigen Prüfung des Verschmelzungsplans und insb. des dort bestimmten Umtauschverhältnisses (Art. 10), abgesichert durch eine Fahrlässigkeitshaftung der Prüfer gegenüber den Aktionären; und dem Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses mit satzungsändernder Mehrheit (Art. 7 f.), die sich nach mitgliedstaatlichem Recht bestimmt. Gläubigern, deren Forderungen vor Bekanntmachung des Verschmelzungsplans entstanden und noch nicht fällig sind, muss das mitgliedstaatliche Recht ein angemessenes Schutzsystem bereitstellen (Art. 13–15). Zum Schutz der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft wird eine Fahrlässigkeitshaftung der Organmitglieder dieses Verschmelzungspartners gegenüber den Aktionären dieser Gesellschaft eingeführt (Art. 20 f.). Die 6. gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 17.12. 1982 (Spaltungs-RL [RL 82/891]) ergänzt die Fusions-RL und soll zugleich dem Risiko einer Umgehung des dort vorgegebenen Schutzniveaus begegnen, welches aus der teilweisen wirtschaftlichen Austauschbarkeit von Spaltung und Verschmelzung folgt. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht dazu, das Instrument der Spaltung bereitzustellen, sondern macht Vorgaben für das Spaltungsverfahren nur insoweit, als die Möglichkeit einer Spaltung nach nationalem Recht existiert. In Aufbau und Regelungsgehalt ist die Richtlinie eng an die Fusionsrichtlinie angelehnt: auch sie betrifft ausschließlich Spaltungen unter Beteiligung einer Aktiengesellschaft. Das Niveau des Gläubiger- und Aktionärsschutzes ist dem der Fusions-RL angepasst.
Auf den Vorgaben dieser Richtlinien bauen die kontinentaleuropäischen Umwandlungsrechte durchgängig auf und ähneln sich demgemäß in ihren Grundstrukturen. Auch bei der Auslegung der einschlägigen Tatbestände sind die europäischen Vorgaben zu berücksichtigen. Zahlreiche kontinentaleuropäische Mitgliedstaaten (Deutschland, Italien, Belgien, Niederland u.a.) haben das in den Richtlinien vorgesehene Regime ferner über die europäischen Vorgaben hinaus auf die GmbH erstreckt. Eine wichtige Ausnahme bildet das englische Recht. Zwar wurden auch hier die 3. und 6. gesellschaftsrechtliche Richtlinie formal umgesetzt. So wurde mit sec. 427A Companies Act 1985 eine Vorschrift in das englische Gesellschaftsrecht aufgenommen, mit der ein merger by fusion grundsätzlich möglich ist. Da dem englischen Recht die Gesamtrechtsfolge, und damit ein wesentlicher Grund für die Attraktion des Rechtsinstituts der Umwandlung, fremd ist und das englische Recht für den Übergang der mit dem übertragenden Rechtsträger bestehenden Schuldverhältnisse die Zustimmung der jeweiligen Vertragspartner verlangt, spielt der merger by fusion in der Rechtspraxis keine Rolle. Stattdessen finden Fusionen nach englischem Recht in der Form des Anteilserwerbs statt. Das englische Recht unterscheidet sich damit auch von den US-amerikanischen Gesellschaftsrechtsordnungen, welche den statutory merger kennen und nutzen.
In Deutschland, wo die bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannte Verschmelzung zunächst noch getrennt für die einzelnen Rechtsformen im AktG, GenG, KapErhG etc. geregelt war, wurde die Fusions-RL zunächst durch eine Anpassung der aktienrechtlichen Vorschriften zur Verschmelzung (§§ 339–393 AktG a.F.) umgesetzt. Eine wichtige Änderung brachte das UmwG 1994, welches die verstreuten Regelungen – und damit sowohl europäisch vorgeprägte und autonom mitgliedstaatliche Regelungen – erstmals systematisch zusammengefasst, vervollständigt und um neue Umwandlungsmöglichkeiten erweitert hat. Umwandlungsvorgänge wie die Verschmelzung oder der Formwechsel, die bis dahin Kapitalgesellschaften vorbehalten waren, wurden für alle Gesellschaftsformen geöffnet. Die Möglichkeit einer Spaltung wurde neu ins deutsche Recht eingeführt. Das Umwandlungsverfahren ist mit Modifikationen auch über den persönlichen Anwendungsbereich der europäischen Richtlinien hinaus an die dort vorgegebene Grundstruktur angelehnt. Über die Richtlinienvorgaben hinaus geht das Austrittsrecht dissentierender Anteilsinhaber, denen das UmwG bei der Verschmelzung in andere Rechtsformen, der Spaltung auf einen Rechtsträger anderer Rechtsform und beim Formwechsel das Recht einräumt, gegen Abfindung aus der Gesellschaft auszuscheiden. Das Abfindungsangebot muss bereits im Verschmelzungsvertrag bzw. Spaltungsvertrag oder ‑plan enthalten sein. Die Angemessenheit der Abfindung unterliegt der gerichtlichen Nachprüfung im Spruchverfahren.
Auch hinsichtlich der Konzeption des Gläubigerschutzes bleiben zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestehen. Die Fusions-RL verlangt von den Mitgliedstaaten als Mindestschutz einen Anspruch auf Einräumung von Sicherheiten (Art. 13). An diesem Modell orientiert sich auch das deutsche Recht. Der Gläubigerschutz wird ergänzt durch eine Schadensersatzhaftung der Organe der übertragenden Rechtsträger auch gegenüber den Gläubigern (§ 25 UmwG). Bei der Spaltung, die zu einer Aufteilung der den Gläubigern ursprünglich zur Verfügung stehenden Haftungsmasse führt, sieht das deutsche Recht in Übereinstimmung mit einer von der Spaltungs-RL ausdrücklich akzeptierten Option eine gesamtschuldnerische Haftung der beteiligten Rechtsträger vor. Andere Rechtsordnungen (z.B. Großbritannien, Frankreich) räumen den Gläubigern bei Umwandlungen weitergehend ein Vetorecht ein. Durch die europäischen Richtlinien nicht vorgegeben ist ferner, zu welchem Zeitpunkt eine Umwandlung wirksam wird. In Deutschland ist dies der Zeitpunkt der Eintragung ins Handelsregister. Frankreich stellt demgegenüber jedenfalls bei der Verschmelzung durch Aufnahme auf den Zeitpunkt des letzten Hauptversammlungsbeschlusses ab.
Der Schutz der Arbeitnehmerinteressen im Rahmen von Umwandlungen wird zwar durch europäisches Recht beeinflusst (siehe u.a. RL 2001/23 vom 12.3.2001 – Betriebsübergangs-RL), ist jedoch in der Fusions- und Spaltungsrichtline nicht vollständig harmonisiert. Das deutsche UmwG enthält in den §§ 321 ff. einschlägige Regelungen.
In Deutschland ist das UmwG mit seinem Versuch, einen rechtsformübergreifenden Rahmen für das Recht von Unternehmensumwandlungen zu schaffen und dabei konsistente Lösungen für den Schutz der Interessen von Anteilsinhabern und Gläubigern zu konzipieren, zum Ausgangspunkt weiterreichender Überlegungen geworden. So ist insb. die Frage aufgeworfen worden, ob sich das UmwG als „Allgemeiner Teil“ eines Rechts der Umstrukturierung von Unternehmen lesen lässt und seine Regelungen auf Strukturmaßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs des UmwG, die zu wirtschaftlich vergleichbaren Ergebnissen führen, entsprechend anzuwenden sind (sog. „Ausstrahlungswirkung des UmwG“). Dies wird von einer starken Meinung im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum bejaht. Die Rspr. ist dem bislang nur teilweise gefolgt.
3. Neuere Entwicklung im Recht der Unternehmensumstrukturierung auf Gemeinschaftsebene
Die Fusions- und die Spaltungs-RL gewährleisteten noch nicht die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Umstrukturierung von Unternehmen. Art. 220 EWG-Vertrag in seiner ursprünglichen, später geänderten Fassung behielt die Regelung dieser Frage einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten vor. Die späteren Bemühungen der Kommission um eine Einbeziehung in die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien hatten zunächst keinen Erfolg, zumal die Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen nach 1989 zunehmend auf Widerstände stieß.
Entscheidende Anstöße für das europäische Recht der Unternehmensumstrukturierung gingen von der Rspr. des EuGH zur Niederlassungsfreiheit aus. In SEVIC (EuGH, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I-10805) stellte der EuGH die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der auf § 1 UmwG a.F. beruhenden deutschen Praxis fest, die Möglichkeit von Verschmelzungen generell auf Gesellschaften mit Sitz im Inland zu beschränken und bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen die Eintragung ins nationale Handelsregister ohne weitere Prüfung abzulehnen. Der EuGH sah hierin eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG/49, 54 AEUV), die es den Mitgliedstaaten gebietet, die tatsächliche Teilnahme von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat am Wirtschaftsleben des Gaststaates unter denselben Bedingungen gestatten, die für die inländischen Wirtschaftsbeteiligten gelten (Rn. 18). Zu den Bedingungen der Teilnahme am Wirtschaftsleben zählen auch grenzüberschreitende Verschmelzungen, da sie den Zusammenarbeits- und Umgestaltungsbedürfnissen von Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten entsprechen und für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes wichtige Modalitäten darstellen (Rn. 19). Wenn das Recht eines Mitgliedstaates die Möglichkeit von Verschmelzungen auf innerstaatliche Vorgänge beschränkt, liegt darin eine diskriminierende Behandlung, die nur dann aufrechterhalten werden darf, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Rn. 22). Eine pauschale Berufung auf den Schutz der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern ohne eine konkrete Prüfung, ob die schutzwürdigen Interessen tatsächlich bedroht, genüge den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an eine Rechtfertigung nicht.
Sevic gab den letzten Anstoß zur Billigung der RL 2005/56 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vom 26.10.2005 (Verschmelzungs-RL) durch die Mitgliedstaaten. Die Richtlinie regelt die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, sofern mindestens zwei der beteiligten Gesellschaften dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen. Im Unterschied zur Fusions-RL ist der Anwendungsbereich der Verschmelzungs-RL nicht auf Aktiengesellschaften beschränkt. Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten auch anderen Kapitalgesellschaften die Beteiligung an grenzüberschreitenden Verschmelzungen in dem Umfang gestatten, in welchem diesen eine innerstaatliche Verschmelzung offensteht (Diskriminierungsverbot) (Art. 1, Art. 4). Das Verschmelzungsverfahren (Verschmelzungsplan/Verschmelzungsbericht/unabhängige Prüfung/Gesellschafterbeschluss, Art. 5-Art. 9) ist weitgehend der Fusions-RL und den Art. 17 ff. SE-VO (VO 2157/2001) nachgebildet, welche Aktiengesellschaften bereits zuvor die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) eröffnet hat (Art. 2(1), Art. 17 ff. SE-VO).
Wie zuvor bereits die Fusions- und die Spaltungs-RL, so verweist auch die Verschmelzungs-RL in wichtigen Punkten – etwa hinsichtlich der erforderlichen Beschlussmehrheiten in den beteiligten Gesellschaft und hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Gesellschafter-, Gläubiger- und Arbeitnehmerschutzes auf mitgliedstaatliches Recht. Neben dem Verschmelzungsverfahren regelt die Verschmelzungs-RL vor allem, welches Recht für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verschmelzungsvorgangs maßgeblich ist. Zu unterscheiden ist insoweit zwischen der Rechtsmäßigkeit der Verschmelzungsbeschlüsse der beteiligten Gesellschaften, die nach dem auf die jeweilige Gesellschaft anwendbaren mitgliedstaatlichen Recht und durch die dortigen Gerichte oder Behörden zu prüfen ist (Art. 10), und der Kontrolle der Durchführung der Verschmelzung, welche durch denjenigen Mitgliedstaat erfolgt, dessen Recht die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt (Art. 11). Der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der grenzüberschreitenden Verschmelzung richtet sich nach dem Recht des Sitzstaates der aufnehmenden Gesellschaft (Art. 12).
Die Grundsätze, welche bei der Bewertung der Unternehmen und der auf dieser basierenden Festlegung der Verschmelzungswertrelation und des Umtauschverhältnisses anwendbar sind, werden in der Richtlinie nicht gesondert geregelt. Sie richten sich nach dem jeweils auf die beteiligten Verschmelzungspartner anwendbaren mitgliedstaatlichen Recht. Dies kann dazu führen, dass in einem wirtschaftlichen und rechtlichen Kernaspekt grenzüberschreitender Verschmelzungen teilweise divergierende mitgliedstaatliche Grundsätze aufeinandertreffen. Die Wirksamkeit der Transaktion hängt jedoch davon ab, dass die Verschmelzungswertrelation im Ergebnis den rechtlichen Anforderungen aller beteiligten Rechtsordnungen genügt. Die fehlende Harmonisierung in diesem Punkt kann in der Praxis Schwierigkeiten bereiten und stellt die Transaktionspraxis vor die Herausforderung, einen gemeinsamen Bewertungsstandard für grenzüberschreitende Verschmelzungen zu entwickeln.
Durch die neuere Rspr. des EuGH zur Niederlassungsfreiheit haben ferner auch die seit langem existierenden Pläne der Kommission zur Verabschiedung einer Sitzverlegungsrichtlinie neuen Auftrieb erlangt, die über die im Rahmen des SE-Statuts und der Verschmelzungs-RL bereits bestehenden Möglichkeiten hinaus eine rechtsformwechselnde Sitzverlegung über die Grenze ermöglichen soll (siehe zuletzt Commission Staff Working Paper vom 12.12.2007: Impact Assessment on the Directive on cross-border transfer of registered office, SEC(2007) 1707).
Von großer praktischer Bedeutung sind die steuerrechtlichen Implikationen grenzüberschreitender Umstrukturierungen. Die steuerliche Behandlung grenzüberschreitender Zusammenschlüsse und Spaltungen im weiten, wirtschaftlichen Sinne – d.h. in all jenen Konstellationen, in denen ein Unternehmen oder Unternehmensteil unter bloßem Austausch der Anteile und ohne Auszahlung liquider Mittel an die veräußernden Anteilsinhaber erfolgt – ist Gegenstand der Fusionsbesteuerungs-RL (RL 90/434) vom 23.7.1990. Die Richtlinie untersagt grundsätzlich eine Besteuerung von (tatsächlich weder bei den Gesellschaften noch den Anteilsinhabern in realisierbarer Weise anfallenden) Gewinnen aus einer grenzüberschreitenden Transaktion, etwa die Besteuerung von im Rahmen der Umstrukturierung aufgedeckten stillen Reserven. Eine solche Besteuerung würde in der Praxis häufig dazu führen, dass die grenzüberschreitende Transaktion unterbleibt. Die Richtlinie soll bewirken, dass die Besteuerung bis zur tatsächlichen Realisierung der Gewinne aufgeschoben wird. Die Fusionsbesteuerungs-RL ist allerdings in einigen Mitgliedstaaten bislang nur ungenügend umgesetzt. Vor diesem Hintergrund erlangt auch hier die auf die Grundfreiheiten (Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze) gestützte Rspr. des EuGH zur Besteuerung grenzüberschreitender Unternehmensumstrukturierungen besondere Relevanz.
4. Rückwirkungen auf mitgliedstaatliches Recht
Die Verschmelzungs-RL war bis zum Dezember 2007 in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen. Dies ist in Deutschland mit der Einfügung eines eigenen Abschnitts über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in das UmwG geschehen (siehe §§ 122a ff. UmwG). Eine grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften ist nicht vorgesehen, wenngleich ihre Zulassung auf der Grundlage des in SEVIC statuierten Diskriminierungsverbots gemeinschaftsrechtlich geboten erscheint. Die §§ 122a ff. UmwG knüpfen im Grundsatz an das Recht der inländischen Verschmelzung an, weisen jedoch einige Besonderheiten auf. Bedeutsam sind insb. die Sonderregelungen zum Schutz der Interessen von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern, die bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung in besonderer Weise berührt sein können. So sieht § 122i UmwG einen Anspruch dissentierender Anteilsinhaber auf eine angemessene Barabfindung vor, wenn die Verschmelzung zu einem Wegzug aus Deutschland führt. Kein Anteilsinhaber soll gezwungen werden, die mit einem Wechsel in eine ausländische Rechtsform verbundene Änderung seiner Rechte und Pflichten hinzunehmen. Das den Gläubigern bei Inlandsverschmelzungen gemäß § 22 UmwG zustehende Recht auf Sicherheitsleistung in Bezug auf potentiell gefährdete Forderungen wird bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen durch § 122j UmwG vorverlagert.
Die deutschen Sonder-Schutzbestimmungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen verweisen auf die Besonderheiten der Interessenlage, die bei derartigen Unternehmenstransaktionen nach wie vor besteht. Unter welchen Voraussetzungen diese Besonderheiten eine Ungleichbehandlung inländischer und grenzüberschreitender Transaktionen bzw. eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen, ist in der Rspr. des EuGH bislang nicht abschließend geklärt. Die Entwicklung gemeinschaftsweit einheitlicher gesellschaftsrechtlicher Schutzstandards für Anteilsinhaber, Minderheitsgesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer ist bislang nur punktuell gelungen, bleibt aber gerade im Lichte der neueren Rspr. des EuGH eine Herausforderung.
Literatur
Alfred F. Conard, Fundamental changes in marketable share companies, in: IECL XIII/2, Kap. 6, 1969; Peter Hommelhoff, Karl Riesenhuber, Strukturmaßnahmen, insbesondere Verschmelzung und Spaltung im Europäischen und deutschen Gesellschaftsrecht, in: Stefan Grundmann (Hg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, 261 ff.; Jens Petersen, Der Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, 2001; York Schnorbus, Gestaltungsfreiheit im Umwandlungsrecht, 2001; Karsten Schmidt, Integrationswirkung des Umwandlungsgesetzes, in: Festschrift für Peter Ulmer, 2003, 557 ff.; Stefan Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, §§ 25, 26; Harald Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, 3. Aufl. 2005; Roger Kiem, Die Ermittlung der Verschmelzungswertrelation bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2007, 542 ff.; Maria Doralt, Cross-Border Mergers, European Company and Financial Law Review 2007, 17 ff.; Barbara Dauner-Lieb, Stefan Simon, Kölner Kommentar zum UmwG, 2008; Marcus Lutter, Martin Winter (Hg.), UmwG, Bd. 2, 4. Aufl. 2008; Marieke Wyckaert, Koen Geens, Cross-border mergers and minority protection. An open-ended harmonization, Utrecht Law Review 4 (2008) 40 ff.