Speditionsvertrag und Staatsunternehmen im Wettbewerbsrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Heike Schweitzer]]''
== 1. Begriff und Abgrenzung ==
== 1. Staatsunternehmen – Begriff und Problemstellung ==
Durch den Speditionsvertrag verpflichtet sich der Spediteur gegen Entrichtung der vereinbarten Vergütung zur Organisation von Güterbeförderungen oder, mit den Worten des § 453 HGB oder Art. 439 OR, zur „Besorgung der Versendung“. Wie die Tätigkeit von Frachtführern sind speditionelle Tätigkeiten auf die Ortsveränderung von Gütern gerichtet. Im Gegensatz zum [[Transportvertrag]] übernimmt der Spediteur jedoch nicht die Ortsveränderung, er verspricht lediglich, andere damit zu betrauen. Dieser Hauptpflicht genügt der Spediteur durch den Abschluss derjenigen Frachtverträge mit Beförderern, die im Einzelnen notwendig sind, um das jeweilige Frachtgut an seinen Bestimmungsort zu bringen. Dabei obliegt ihm – unter Wahrung der Interessen des Versenders – die Auswahl von Beförderungsstrecke, Beförderungsmittel sowie der jeweiligen Beförderer. Daneben treffen ihn zum Teil auch abhängig von der jeweiligen Vereinbarung verschiedene Nebenpflichten, wie die Abholung und Verpackung des Gutes, die Beischaffung der Begleitpapiere bzw. die Überprüfung auf deren Vollständigkeit, Abschluss von Versicherungen, Verzollung des Gutes etc. Die Frachtverträge, die der Spediteur in Erfüllung der seinem Vertragspartner, dem Versender, gegenüber bestehenden Verpflichtungen, schließt, schließt er im Allgemeinen im eigenen Namen und auf Rechnung des Versenders, sodass er Vertragspartner des Frachtführers und im Verhältnis zu diesem Absender wird. Zwischen dem Frachtführer und dem Versender, dem Auftraggeber des Spediteurs, bestehen keinerlei vertragliche Beziehungen. Anders das ''[[common law]]'', welches streng zwischen der Verpflichtung des ''freight'' ''forwarders'' als ''agent'', der als bloßer Vermittler im Namen seines Vertragspartners auftritt, bzw. als ''principal'' unterscheidet.
Der Begriff des Staatsunternehmens ist kein Rechtsbegriff. Nach allgemeinem Verständnis umschreibt er den Sachverhalt, dass sich die öffentliche Hand als Unternehmen oder durch Unternehmen am Wirtschaftsverkehr beteiligt. Der [[EG-Vertrag]] spricht in diesem Zusammenhang von „öffentlichen Unternehmen“ (Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV). In der auf Art. 86(3) EG/‌106(3) AEUV gestützten Transparenz-RL (RL 2006/‌11) sind sie als Unternehmen definiert, auf welche die öffentliche Hand auf Grund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (Art. 2(1) (b)). Der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] greift für die Zwecke des Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV auf eine inhaltlich übereinstimmende Definition zurück. Zu einem Sonderproblem des Wettbewerbsrechts werden Staatsunternehmen, weil der Staat mit der Beteiligung am Wirtschaftsverkehr neben der Gewinnerzielung häufig weitergehende politische und/‌oder wirtschaftspolitische Ziele verfolgt und „seinen“ Unternehmen zu diesem Zweck Monopolrechte oder sonstige Vorrechte im Wettbewerb einräumt. Trotz der Spannung, in welche Staatsunternehmen und ein System unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3(g) EG/‌keine direkte Entsprechung im AEUV) damit unausweichlich geraten, hat der EG-Vertrag die Existenz von öffentlichen Unternehmen nicht in Frage gestellt. Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV setzt sie voraus. Gemäß Art. 295/‌345 AEUV lässt der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten unberührt. Die Mitgliedstaaten trifft nach dem EG-Vertrag keine Privatisierungspflicht. Stattdessen statuiert der EG-Vertrag ein Neutralitätsgebot. Gemäß Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV dürfen die Mitgliedstaaten in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag und insbesondere dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot (Art. 12 EG/‌18 AEUV) und den Wettbewerbs- und Beihilfevorschriften (Art. 81–89 EG/‌101–109 AEUV) widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten. Sie dürfen daher ihren Einfluss auf öffentliche Unternehmen weder dazu nutzen, die staatsbezogenen Normen des Gemeinschaftsrechts zu umgehen, indem sie diese Unternehmen zu Verhaltensweisen verpflichten oder veranlassen, die als Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten unzulässig wären; noch dürfen sie öffentliche Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, in eine Situation versetzen, in die sich diese Unternehmen durch selbstständige Verhaltensweisen nicht ohne Verstoß gegen Art. 82 EG/‌102 AEUV versetzen könnten. Schließlich bleiben die Mitgliedstaaten auch bezüglich öffentlicher Unternehmen in vollem Umfang an das Beihilfenverbot des Art. 87(1)/‌107(1) AEUV gebunden.


Im Einzelnen bereitet die Abgrenzung zum [[Transportvertrag|Transport-]] oder Frachtvertrag Schwierigkeiten; entscheidend ist, dass der Spediteur die Güterbeförderung organisiert, der Frachtführer sie hingegen ausführt und den Beförderungserfolg schuldet. Aus dem Speditionsvertrag trifft den Spediteur jedenfalls nicht die Pflicht, die Güter zu befördern. Er kann aber in den von ihm abzuschließenden Frachtvertrag selbst ganz oder teilweise eintreten (''Selbsteintritt'') und übernimmt damit Frachtführerpflichten und ‑rechte. Die Problematik der Abgrenzung resultiert aus der Tatsache, dass die idealtypische Definition des Speditionsvertrages nicht dem Realbild der von Spediteuren durchgeführten Tätigkeiten entspricht. Hier verschwimmen die Grenzen gewerblicher Tätigkeiten, häufig sind Gemischtbetriebe, und die strenge Trennung ist auch dem umgangssprachlichen Gebrauch der Begriffe fremd. Die Grenzen zwischen Spedition und Beförderung sind fließend.
Diese Vorgaben stehen im Widerspruch zu der herkömmlichen mitgliedstaatlichen Praxis, die öffentliche Unternehmen von den Vorgaben des Wettbewerbsrechts regelmäßig freigestellt hat. Ausdruck hiervon waren die weiten Monopolrechte, mit denen die Mitgliedstaaten öffentliche Unternehmen in den großen Infrastruktursektoren (Telekommunikation, Post, Bahn etc.) regelmäßig ausgestattet haben, um sie so als wirksames Instrument staatlicher Wirtschaftspolitik und ‑planung nutzen zu können. Die finanziellen Beziehungen zwischen Staat und öffentlichen Unternehmen waren innere Angelegenheiten, typischerweise intransparent und der richterlichen Kontrolle entzogen.


Die Speditionsverträgen idealtypisch zugrundeliegende Tätigkeit liegt in der Organisation von Transportabläufen von Waren für Versender und ist damit essentiell für den (internationalen) Warenaustausch. Sie ist einem zeitlichen Wandel unterworfen; zum einen erweitern Spediteure kontinuierlich ihr Betätigungsfeld, zum anderen werden auf der Verladerseite immer mehr Aufgabenbereiche aus dem eigenen Betrieb auf Fremdunternehmer ausgelagert. Der Begriff der ''Logistik'', der die Organisation und Überwachung des Warenflusses im weitesten Sinn (Punkt 1.10 UN/‌ECE Terminologie) und damit die innerbetriebliche Materialverwaltung, die Verpackung sowie die Endverteilung zum Ort des Verbrauchs umfasst, ist heute untrennbar mit der Tätigkeit von Spediteuren verbunden. Diese verstehen sich zunehmend als umfassende Logistikdienstleister. Dem tragen etwa auch die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2003 (2.1) oder die FIATA ''Rules'' mit ihrer weiten Definition der ''freight forwarding services'' (2.1) Rechnung.
Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatlichen öffentlichen Unternehmen hat zu einschneidenden Änderungen des mitgliedstaatlichen Rechts und der mitgliedstaatlichen Praxis geführt. In dem Maße, in dem öffentliche Unternehmen dem Wettbewerb ausgesetzt sind und keine Vorrechte mehr genießen, können sie nicht mehr als Steuerungsinstrumente für politische und wirtschaftspolitische Ziele eingesetzt werden. Das Gemeinschaftsrecht hat daher die Funktionen von öffentlichen Unternehmensbeteiligungen eingeschränkt und die Politik der Privatisierungen begünstigt. Im deutschen öffentlichen Recht hat die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts eine Debatte über die Umstellung vom Leistungs- auf einen Gewährleistungsstaat ausgelöst.


Durch das wachsende Güterverkehrsvolumen gewinnen diese Tätigkeiten weiter an Bedeutung. Steigendes Transportvolumen bedeutet auch wachsende Belastungen für ohnehin schon überlastete Verkehrswege. Durch bessere Organisation von Transportverläufen und die Ausschöpfung der Ladekapazitäten einzelner Beförderungsmittel durch Komplettladungen können vorhandene Ressourcen effektiver genutzt und durch Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger Straßen und Umwelt entlastet werden. Dazu bedarf es des verstärkten Einsatzes von kombinierten bzw. multimodalen Transportabläufen, deren Organisation Spediteuren obliegt.
== 2. Staatsunternehmen im Recht der EG ==
=== a) Art. 31 EG/‌37 AEUV ===
Art. 31 EG/‌37 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre staatlichen Handelsmonopole derart umzuformen, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Für Einfuhrmonopole folgt nach der Rspr. des EuGH aus dem Umformungsgebot eine Abschaffungspflicht (EuGH Rs. C-59/‌79 – ''Manghera'', Slg. 1976, 91, Rn. 13), da sie mit einer strukturellen Diskriminierungsgefahr verbunden sind. Ein Handelsmonopol, das selbst darüber entscheidet, zu welchen Bedingungen es Konkurrenzprodukte neben den eigenen Produkten auf dem Markt anbietet, hat eine strategische Position inne, die mit der Chancengleichheit anderer Wirtschaftsteilnehmer unvereinbar ist. Dasselbe gilt nach einer neueren Rspr. des EuGH auch für Ausfuhrmonopole (EuGH Rs. C-159/‌94 – ''Energiemonopole Frankreich'', Slg. 1997, I-5815, Rn. 33 ff.). Dagegen hat der EuGH Einzelhandelsmonopole für zulässig erachtet, soweit sie durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt waren und eine nicht-diskriminierende Organisation und Funktionsweise des Monopols gewährleistet war (EuGH Rs. C-189/‌95 – ''Franzén'', Slg. 1997, I-5909, Rn 39; EuGH Rs. C-438/‌02 – ''Hanner'', Slg. 2005, I-4551, Rn. 34 ff.).


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
=== b) Die Bedeutung von Art. 86(1)EG/‌106(1) AEUV ===
Die Abgrenzung von Spedition und Beförderung anhand der von den Vertragsparteien getroffenen Abreden gestaltet sich schwierig. Relevant ist sie vor allem hinsichtlich der unterschiedlichen Haftungsvorschriften. Während der Spediteur die Organisation der Beförderung verspricht, schuldet der Frachtführer den Beförderungserfolg. Für letzteren hat der Spediteur somit grundsätzlich nicht einzustehen. Er haftet lediglich für eigenes schuldhaftes Verhalten und jenes seiner Leute. Hinsichtlich der von ihm verpflichteten Frachtführer trifft den Spediteur hingegen typischerweise lediglich eine Haftung für Auswahlverschulden. Damit hat er – im Gegensatz zum Frachtführer – nicht die durchgehende Haftung bis zur Ablieferung der Güter an den Empfänger zu tragen und für den Beförderungserfolg einzustehen. Zu bedenken ist, dass auch ein Beförderer den Transport im Allgemeinen nicht selbst bzw. mit eigenen Leuten oder mit eigenen Fahrzeugen durchführen muss, sondern häufig Subunternehmer einsetzt. Dann ist er ebenso Transportmittler wie der Spediteur, haftet allerdings im Gegensatz zu diesem für den Beförderungserfolg. Da sich die Abreden zwischen Verlader und Spediteur oder Beförderer kaum unterscheiden, resultiert die Beurteilung des Vertrages mehr oder weniger aus dem subjektiven Haftungswillen des Vertragspartners des Verladers. Allerdings unterstellen jene Rechtsordnungen, die den Spediteur für Auswahlverschulden haften lassen, ihn in besonderen Fällen frachtrechtlichen Vorschriften. Das gilt neben dem ''Selbsteintritt'' auch für Sonderformen der Spedition, etwa wenn die Versendung zusammen mit Sendungen anderer Versender (''Sammelladungsspedition'') oder zu fixen Kosten (''Fixkostenspedition'') versprochen wird; diese Sonderformen bilden in der Praxis den Regelfall, nicht hingegen die den Vertragstypus prägende Form, die fremdnützige Geschäftsbesorgungsspedition, bei der der Spediteur auf Rechnung des Versenders tätig wird.
Öffentliche Unternehmen sind in gleicher Weise wie Privatunternehmen an die europäischen Wettbewerbsregeln, insb. die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV, gebunden, soweit sie als „Unternehmen“ im Sinne des Wettbewerbsrechts zu qualifizieren sind, d.h. eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, also Waren oder Dienstleistungen am Markt anbieten (EuGH Rs. C-41/‌90 – ''Höfner'', Slg. 1991, I-1979, Rn. 21).


Das Dilemma der Vertragsqualifikation mit der Konsequenz unterschiedlicher Haftungsregeln vermeidet jener Regelungsansatz, der auch die Spediteure für die vertragsgemäße Ankunft des Gutes am Bestimmungsort einstehen lässt (zB.: Art. L 132-4 ''Code de commerce'', Art. 439 OR). Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch zum Teil deutliche begriffliche Unterschiede. So entspricht der ''commissionaire de transport'' des französischen Rechts mehr dem Beförderer als dem Spediteur nach deutschem Rechtsverständnis, schuldet er doch den Beförderungserfolg.
Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV macht darüber hinaus die Mitgliedstaaten als solche zu Normadressaten. Ihnen sind insbesondere Maßnahmen untersagt, durch die Unternehmens- und Marktstrukturen geschaffen würden, die mit dem System unverfälschten Wettbewerbs unvereinbar sind. Zu den wiederkehrenden Fragen gehört, inwieweit die Einräumung besonderer oder ausschließlicher Rechte, welche die begünstigten Unternehmen dem Wettbewerb ganz oder teilweise entziehen, mit dieser Vorgabe vereinbar ist. Der EuGH prüft dies getrennt am Maßstab der Verkehrsfreiheiten und des Wettbewerbsrechts. Zu Art. 86(1) i.V.m. Art. 82 EG/‌106(1) i.V.m. Art. 107 AEUV heißt es in st. Rspr., dass die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung von Sonderrechten als solche nicht gemeinschaftsrechtswidrig ist. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen Art. 86(1) i.V.m. Art. 82 EG/‌106(1) i.V.m. Art. 107 AEUV, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (EuGH Rs. C‑475/‌99 – ''Ambulanz Glöckner'', Slg. 2001, I-8089, Rn. 39; st. Rspr.). Die Verkehrsfreiheiten ihrerseits begründen nicht nur Diskriminierungs-, sondern darüber hinaus Beschränkungsverbote: den Mitgliedstaaten sind alle Maßnahmen untersagt, welche die Ausübung dieser Freiheiten unterbinden, beschränken oder weniger attraktiv machen (für die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit: EuGH Rs. C-451/‌03 – ''Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl.'', Slg. 2006, I-2941, Rn. 31; st. Rspr.). Der EuGH hat wiederholt festgestellt, dass eine Regelung, die – obgleich nicht-diskriminierend – bestimmte Tätigkeiten einem einzelnen Unternehmen vorbehält, den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig ausschließt und die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erschwert oder unmöglich macht und daher einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses bedarf (ebd., Rn. 33–34, 37 u.a.).


Wie gezeigt kommen in weiten Bereichen speditioneller Tätigkeit frachtrechtliche Vorschriften zur Anwendung. Angesichts der Tendenz der Verladerseite, in steigendem Maße Komplettlösungen etwa in Form von Haus-zu-Haus-Beförderungen nachzufragen, die weit mehr als bloße Transportleistungen bzw. deren Organisation umfassen, rückt für den Auftraggeber die Abgrenzung zwischen Speditionsvertrag und Frachtvertrag mehr und mehr in den Hintergrund. Seine Erwartungen im Hinblick auf die Ortsveränderung des Gutes gehen dahin, dass sein Vertragspartner dafür Sorge trägt, dass das zu versendende Gut unbeschädigt, vollständig und pünktlich beim Empfänger einlangt, die durchgehende Verantwortung dafür trägt und im Schadensfall haftet. Diese Erwartungshaltung der Verlader findet ihre Entsprechung im Auftreten der Spediteure als umfassende Logistikdienstleister. Im Hinblick auf ihre Rolle bei der Konzeption und Abwicklung multimodaler Transporte sind sie die Unternehmer des [[multimodaler Transport|multimodalen Transports]], die zwar häufig Teilleistungen nur vermitteln, aber infolge ihrer durchgehenden Verantwortung für den gesamten Beförderungsverlauf als Beförderer anzusehen sind.
=== c) Das Beihilfenverbot des Art. 87(1) EG/‌107(1) AEUV ===
Das EG-Beihilfenrecht gilt auch im Verhältnis zu Staatsunternehmen. Zwar hindert es den Staat nicht, sich an Unternehmen zu beteiligen und ihnen Kapital zuzuführen. Er bewegt sich dabei jedoch nur dann außerhalb des Anwendungsbereichs des Beihilfenrechts, wenn er sich wie ein privater Kapitalgeber verhält, d.h. an Rentabilitätskriterien orientiert (''market economy investor principle'', EuGH Rs. C-482/‌99 – ''Stardust Marine'', Slg. 2002, I-4397, Rn. 70; st. Rspr.). Die Abgrenzung kann im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten.


== 3. Internationale Rechtsvereinheitlichung ==
Beihilfenrechtliche Fragen können sich auch ergeben, wenn ein öffentliches Unternehmen, das für einen Teil seiner wirtschaftlichen Aktivitäten ein Ausschließlichkeitsrecht genießt, seine Tätigkeit im liberalisierten Marktsegment mit Gewinnen aus dem geschützten Bereich quersubventioniert. Insb. im Postsektor haben sich EuG und EuGH um die Entwicklung beihilferechtlicher Maßstäbe für die Beurteilung solcher Quersubventionen bemüht (EuGH Rs. C-83/‌01 P, C-93/‌01 P, C-94/‌01 P – ''Chronopost'', Slg. 2003, I-6993).
Zur selben Zeit als an der Vereinheitlichung des internationalen Straßengüterverkehrsrechts ([[Straßengüterverkehr]]) gearbeitet wurde, bestanden Bestrebungen auch für den internationalen Speditionsvertrag einheitliche Vorschriften zu schaffen. Schließlich gelang es [[UNIDROIT]] wenige Jahre nach dem Inkrafttreten der CMR, einen Übereinkommensentwurf über den internationalen Speditionsvertrag vorzulegen, in welchem der Spediteur grundsätzlich für Auswahlverschulden haften sollte, in drei Fällen jedoch der Frachtführerhaftung unterstellt wurde, und zwar bei der Fixkosten- und Sammelladungsspedition sowie bei Ausstellung eines speziellen Dokuments, des internationalen Speditionsscheins. Im Hinblick auf Arbeiten an einer internationalen verkehrsträgerübergreifenden Vereinheitlichung des Frachtrechts wurde dieser Übereinkommensentwurf jedoch zurückgestellt. Auch dem Übereinkommen, welches die Haftung von Unternehmern von Umschlagbetrieben, einem Teilaspekt speditioneller Tätigkeit, vereinheitlichen sollte, war kein Erfolg beschieden.


Im Rahmen der FIATA wurden schließlich 1996 ''Model Rules'' für speditionelle Tätigkeiten verabschiedet, deren Anwendbarkeit auf den konkreten Vertrag von den Vertragsparteien vereinbart werden kann. Hinsichtlich der Haftung wird unterschieden, ob der Spediteur als Beförderungsmittler (''agent'') oder als Beförderer (''principal'') agiert. Letzteres ist beim Selbsteintritt gegeben, wenn er mit eigenen Beförderungsmitteln den Transport durchführt oder durch Ausstellung eines Beförderungsdokuments oder auf anderem geeigneten Wege zu erkennen gibt, die Beförderung übernehmen zu wollen (7.1). In diesen Fällen unterliegen auch andere speditionelle Tätigkeiten dieser Haftung (7.2). Die Bedeutung dieser ''Model Rules'' in der Praxis ist jedoch begrenzt. Insgesamt mangelt es beim Speditionsvertrag an vereinheitlichten Quellen und die unterschiedlichen nationalen Regelungen lassen ein einheitliches Bild vermissen. Gegenwärtige Bestrebungen zielen auf eine Lösung für den multimodalen Transport mit dem Ziel, Spediteure diesen Haftungsvorschriften zu unterstellen.  
Schließlich kann das Beihilfenrecht einschlägig sein, wenn ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, welches es mit „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ (s.u.) betraut hat, hierfür einen finanziellen Ausgleich gewährt. Seit dem ''Altmark Trans-''Urteil (EuGH Rs. C-280/‌00 – ''Altmark Trans'', Slg. 2003, I-7747, Rn. 88 ff.) wird eine solche Ausgleichszahlung nicht als „Begünstigung“ i.S.d. Art. 87(1) EG/‌‌107(1) AEUV und daher nicht als Beihilfe qualifiziert, wenn folgende vier Voraussetzungen erfüllt sind: (1) das begünstige Unternehmen ist mit der Erfüllung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut; (2) die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, sind ex ante objektiv und transparent definiert; (3) der Ausgleich ist auf die Deckung der aus der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung resultierenden Nettokosten beschränkt, einschließlich eines angemessenen Gewinns; (4) und die Höhe des Ausgleichs wird entweder im Rahmen eines offenen Vergabeverfahren bestimmt oder aber auf der Grundlage einer Analyse der Kosten, die bei einem durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen anfallen würden. In allen anderen Fällen ist Art. 87 EG/‌107 AEUV einschlägig und die Ausgleichszahlung bedarf einer Rechtfertigung am Maßstab des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV.


== 4. Europäische Perspektiven ==
=== d) Ausnahmen (Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV; Art. 16 EG/‌14 AEUV. ===
Das Bemühen der Europäischen Gemeinschaft um eine auf Dauer tragbare Mobilität ist für den Bereich des Güterverkehrs entscheidend geprägt von Maßnahmen zur Förderung der sogenannten Intermodalität ([[multimodaler Transport]]) mit dem Ziel der Errichtung verkehrsträgerunabhängiger Dienste von Haus zu Haus (KOM(97) 243 endg.). Ausgangspunkt dieser Bemühungen ist unter anderem die Tatsache, dass angesichts eines permanent steigenden Gütertransportvolumens manche Verkehrsträger überlastet sind, während andere zum Teil ohne Investitionsbedarf in die Infrastruktur brachliegende Kapazitäten aufweisen. Ferner steht schon heute die überlastete Straße umweltfreundlicheren Alternativen mit hinreichendem Verlagerungspotential gegenüber. Der Planung und Organisation von Transportabläufen unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kommt somit entscheidende Bedeutung zu, wenn vorhandene Kapazitäten besser genützt und Engpässe künftig vermieden werden sollen. Aus diesem Grund sollen die Rahmenbedingungen der ''Güterverkehrslogistik'', die von der Planung über die Organisation bis zur Durchführung alle Maßnahmen von Güterverkehrsdiensten umfasst, verbessert werden, und zwar sowohl in ihrer rein verkehrsträgerbezogenen („unimodalen“) als auch in ihrer multimodalen Ausprägung. Als unabdingbares Ziel einer optimalen und nachhaltigen Ressourcennutzung im Rahmen des europäischen Verkehrssystems gilt die ''Ko-Modalität'', worunter der effiziente Einsatz von Verkehrsträgern im europäischen Verkehrssystem in unimodaler als auch multimodaler Weise zu verstehen ist (KOM(2006) 336 endg. 3). Diese Aufgaben sollen von sogenannten Güterverkehrskonsolidatoren (''Freight Integrators'') (KOM(2001) 370 endg. 53 f.) wahrgenommen werden. Ihnen obliegt die Auswahl des jeweils leistungsfähigsten Verkehrsträgers in der Transportkette; je nach Beförderungsstrecke und Gut sind die spezifischen Qualitäten der einzelnen Verkehrsträger zu kombinieren und jene zu bevorzugen, die am kostengünstigsten, umweltschonendsten und zuverlässigsten sind. Ziel ist die Bildung vollständiger Ladungen in intermodalen Transporteinheiten, was eine entsprechende Ausbildung voraussetzt. Dabei kommt der Berufsgruppe der Spediteure gewissermaßen als „Architekten des Beförderungsablaufs“ eine Schlüsselrolle zu.
Der Ausnahmetatbestand des Art. 86(2) EG/‌‌106(2) AEUV eröffnet Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, sowie Mitgliedstaaten, die eine solche Betrauung vorgenommen haben, die Möglichkeit, Verstöße gegen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen, soweit deren Anwendung die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Gemäß Art. 86(2)2 EG/‌106(2)2 AEUV darf dadurch die Entwicklung des Handelsverkehrs allerdings nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV vermittelt zwischen dem Geltungsanspruch der Verkehrsfreiheiten und Wettbewerbsregeln einerseits, den politischen Gestaltungsansprüchen der Mitgliedstaaten in staatsnahen Sektoren andererseits. Die Vorschrift wird von der Rspr. heute als Legalausnahme behandelt (seit EuGH Rs. 66/‌86 – ''Ahmed Saeed Flugreisen'', Slg. 1989, 803, Rn. 53). Sie kann von öffentlichen oder privaten Unternehmen in Anspruch genommen werden, sofern nur eine Betrauung i.S.d. Art. 86 EG/‌106 AEUV vorliegt.


Privatrechtliche Maßnahmen wurden bislang seitens der Europäischen Gemeinschaft nicht angedacht. Erwogen wird eine Lösung für den multimodalen Transport.
Die zunächst mit erheblichen Unsicherheiten verbundenen Tatbestandsmerkmale des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV hat der EuGH seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend konkretisiert. Die EU-Kommission hat ferner eine Reihe einschlägiger Mitteilungen veröffentlicht (zuletzt Mitteilung zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialleistungen: Europas neues Engagement, 20.11.2007, KOM (2007) 725 endg.). Unter „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ werden marktbezogene Tätigkeiten verstanden, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden (Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. 1996 C 281/‌3). Ihre Eigenart besteht darin, dass die fraglichen Leistungen auch dann erbracht werden müssen, wenn dies für das betraute Unternehmen im Einzelfall unrentabel ist (EuG Rs. T-289/‌03 – ''BUPA'', Slg. 2008, II-81, Rn. 190. Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Bestimmung, welche Leistungen einen solchen Kontrahierungszwang rechtfertigen, über ein weites Ermessen, das nur auf offenkundige Fehler hin kontrolliert wird. Die Ermessensgrenzen sind bis heute ungewiss. In jedem Fall setzt die Inanspruchnahme des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV einen hoheitlichen Betrauungsakt voraus, der Angaben über die Art des Versorgungsauftrags und seine geographische und zeitliche Reichweite, das betraute Unternehmen und die diesem im Gegenzug gewährten Privilegien enthalten muss. Der Betrauungsakt soll sicherstellen, dass sich der Versorgungsauftrag am allgemeinen wirtschaftlichen Interesse und nicht am Eigeninteresse des betrauten Unternehmens orientiert; er soll ferner Rechtssicherheit und Transparenz gewährleisten. Er bildet den Maßstab für die in Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung. Deren Reichweite gehört zu den bis heute umstrittenen Fragen. Unklar ist insbesondere, unter welchen Voraussetzungen eine Berufung auf Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV ausgeschlossen ist, weil der Versorgungsauftrag auch mit alternativen, gemeinschaftsfreundlicheren Mitteln als etwa der Beibehaltung eines Ausschließlichkeitsrechts gewährleistet werden kann. Gewiss ist, dass ein Mitgliedstaat nicht auf die Möglichkeit einer Beihilfenfinanzierung anstelle der Beibehaltung von Ausschließlichkeitsrechten verwiesen werden kann. Den ''Energiemonopol-''Urteilen des EuGH zufolge kann die Kommission aber grds. Möglichkeiten aufzeigen, wie die Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auch bei Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte durch einen angemessenen Regulierungsrahmen sichergestellt werden kann. Die Darlegungslast liegt in einem solchen Fall zunächst bei der Kommission (EuGH Rs. C-157/‌94 – ''Energiemonopole Niederlande'', Slg. 1997, I-5699, Rn. 58 f.).
 
Die Schranken-Schranke des Art. 86(2)2 EG/‌106(2)2 AEUV hat in der Praxis bislang keine Bedeutung erlangt.
 
Mit dem Vertrag von Amsterdam ist ein neuer Art. 16 in den EG-Vertrag eingeführt worden (künftig Art. 14 AEUV). Die Vorschrift normiert den Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union und ihre Bedeutung für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten haben im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse für die Funktionsfähigkeit dieser Dienste zu sorgen. Die Initiative für die Vertragsänderung ging von den Mitgliedstaaten, insbes. von Frankreich, aus und sollte die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten über ihre öffentlichen Sektoren wieder herzustellen. Der Rspr. des EuGH lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass Art. 16 EG/‌14 AEUV im Ergebnis zu einer Abschwächung der Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV innewohnenden Kontrollmaßstäbe geführt hat. Eine solche Schwächung ist im Ergebnis auch nicht durch den Vertrag von Lissabon zu erwarten, der in einem dem bisherigen Art. 16 neu hinzugefügten S. 2 eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Verordnungen des Parlaments und des Rates betreffend die Grundsätze und Bedingungen des Funktionierens der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse schafft. Diese Rechtsgrundlage tritt in Konkurrenz sowohl zu Art. 95 und zu Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV (s.u.). Das Initiativrecht verbleibt aber bei der Kommission.
 
=== e) Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ===
Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ermächtigt die Kommission, Entscheidungen und Richtlinien an die Mitgliedstaaten (''nicht'' an die Unternehmen) zu richten, wenn dies zur Durchsetzung des Art. 86 EG/‌106 AEUV erforderlich ist. Die Möglichkeit der Kommission, Richtlinien zu erlassen, ist von den Mitgliedstaaten wiederholt angegriffen, vom EuGH aber bestätigt worden (z.B. EuGH Rs. C-271/‌90, 281/‌90 und 289/‌90 – ''Telekommunikationsdienste'', Slg. 1992, I-5833, Rn. 12; st. Rspr.). Auf Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ist insb. die Transparenz-RL (RL 2006/‌111) gestützt. Sie soll die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ihren öffentlichen Unternehmen sowie die finanzielle Transparenz innerhalb öffentlicher Unternehmen in teilliberalisierten Märkten gewährleisten, um die wirksame Anwendung der Beihilfenregeln sicherzustellen. Auf Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ist ferner die RL 2002/‌2007 über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste gestützt.
 
== 3. Infrastruktursektoren von gemeinschaftsweiter Bedeutung ==
Die verstärkte Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln auf unternehmerisches und staatliches Verhalten in den herkömmlich öffentlichen Sektoren hat zur Liberalisierung dieser Sektoren beigetragen, aber auch zu neuen Regulierungen geführt. In den großen Infrastruktursektoren von gemeinschaftsweiter Bedeutung (insbes. Telekommunikation, Post, Energie und Transport) hat die Gemeinschaft einen harmonisierten Rahmen für die Re-Regulierung geschaffen. Ziel dieser Rechtsetzung ist es, den notwendigen Schutz öffentlicher Interessen, einschließlich des Schutzes der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, mit der Herstellung von Wettbewerb in Einklang zu bringen und die Voraussetzungen für einen Binnenmarkt herzustellen. Exemplarisch hierfür ist die Universaldienst-RL (RL&nbsp;2002/‌‌22) für den Bereich der elektronischen Kommunikation: sie definiert diejenigen Dienste, die von allen Mitgliedstaaten in bestimmter Qualität allen Endnutzern in ihrem Hoheitsgebiet zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung zu stellen sind („Universaldienst“) und legt zugleich diejenigen wettbewerbskonformen Mechanismen fest, mit denen etwaige Nettokosten des Universaldienstes finanziert werden können. Mit der vollständigen Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte im Postsektor zum <nowiki>31.12.2010 durch die RL&nbsp;2008/‌6 folgt die Gemeinschaft im Postsektor einem ähnlichen Modell. In den Energiebinnenmarkt-RL’en (Elektrizitätsbinnenmarkt-RL [RL&nbsp;2003/‌54]; Gasbinnenmarkt-RL [RL 2003/‌55]) ist die Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte, jedoch keine Vereinheitlichung eines Universaldienstes auf Gemeinschaftsebene vorgesehen. Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs gebietet das Gemeinschaftsrecht zwar keine Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte, wohl aber die Herstellung von Wettbewerb um den Markt (siehe VO&nbsp;1370/‌2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste). Keine der Richtlinien oder Verordnungen gebietet eine Privatisierung von öffentlichen Unternehmen. In vielen Mitgliedstaaten sind jedoch Privatisierungen und/‌oder Teilprivatisierungen erfolgt, gelegentlich unter Einführung sog. „goldener Aktien“ (</nowiki>''golden shares''), um dem Mitgliedstaat einen Einfluss auf bestimmte strategische Grundlagenentscheidungen zu sichern. Dieser Praxis hat der EuGH in einer umfangreichen Rechtsprechung anhand der Grundfreiheiten enge Grenzen gezogen (siehe EuGH verb. Rs.&nbsp;C-463/‌04 und C-464/‌04 – ''Federconsumatori'', Slg. 2007, I-10419 m.w.N.).


==Literatur==
==Literatur==
''Jobst Baumhöfener'', Der Speditionsvertrag im grenzüberschreitenden Güterverkehr, 1971; ''Johann Georg Helm'','' ''Speditionsrecht, 2.&nbsp;Aufl. 1986; ''Jürgen Basedow'', Der Transportvertrag, 1987; ''Jan Ramberg'', Unification of the Law of International Freight Forwarding, Uniform Law Review 1998, 5&nbsp;ff.; ''UN/‌‌ECE'', Terminologie des kombinierten Verkehrs, 2001; ''Jan Ramberg'', The Law of Freight Forwarding, 2002; ''David A. Glass'', Freight Forwarding and Multimodal Transport Contracts, 2004; ''Ingo Koller'', Transportrecht, 6.&nbsp;Aufl. 2007; ''Peter'' ''Bydlinski'', §§&nbsp;453 ff. HGB, in: Münchener Kommentar zum HGB, Bd. VII, 2. Auf. 2009.
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Version vom 29. September 2021, 09:49 Uhr

von Heike Schweitzer

1. Staatsunternehmen – Begriff und Problemstellung

Der Begriff des Staatsunternehmens ist kein Rechtsbegriff. Nach allgemeinem Verständnis umschreibt er den Sachverhalt, dass sich die öffentliche Hand als Unternehmen oder durch Unternehmen am Wirtschaftsverkehr beteiligt. Der EG-Vertrag spricht in diesem Zusammenhang von „öffentlichen Unternehmen“ (Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV). In der auf Art. 86(3) EG/‌106(3) AEUV gestützten Transparenz-RL (RL 2006/‌11) sind sie als Unternehmen definiert, auf welche die öffentliche Hand auf Grund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (Art. 2(1) (b)). Der EuGH greift für die Zwecke des Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV auf eine inhaltlich übereinstimmende Definition zurück. Zu einem Sonderproblem des Wettbewerbsrechts werden Staatsunternehmen, weil der Staat mit der Beteiligung am Wirtschaftsverkehr neben der Gewinnerzielung häufig weitergehende politische und/‌oder wirtschaftspolitische Ziele verfolgt und „seinen“ Unternehmen zu diesem Zweck Monopolrechte oder sonstige Vorrechte im Wettbewerb einräumt. Trotz der Spannung, in welche Staatsunternehmen und ein System unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3(g) EG/‌keine direkte Entsprechung im AEUV) damit unausweichlich geraten, hat der EG-Vertrag die Existenz von öffentlichen Unternehmen nicht in Frage gestellt. Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV setzt sie voraus. Gemäß Art. 295/‌345 AEUV lässt der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten unberührt. Die Mitgliedstaaten trifft nach dem EG-Vertrag keine Privatisierungspflicht. Stattdessen statuiert der EG-Vertrag ein Neutralitätsgebot. Gemäß Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV dürfen die Mitgliedstaaten in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag und insbesondere dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot (Art. 12 EG/‌18 AEUV) und den Wettbewerbs- und Beihilfevorschriften (Art. 81–89 EG/‌101–109 AEUV) widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten. Sie dürfen daher ihren Einfluss auf öffentliche Unternehmen weder dazu nutzen, die staatsbezogenen Normen des Gemeinschaftsrechts zu umgehen, indem sie diese Unternehmen zu Verhaltensweisen verpflichten oder veranlassen, die als Verhaltensweisen der Mitgliedstaaten unzulässig wären; noch dürfen sie öffentliche Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, in eine Situation versetzen, in die sich diese Unternehmen durch selbstständige Verhaltensweisen nicht ohne Verstoß gegen Art. 82 EG/‌102 AEUV versetzen könnten. Schließlich bleiben die Mitgliedstaaten auch bezüglich öffentlicher Unternehmen in vollem Umfang an das Beihilfenverbot des Art. 87(1)/‌107(1) AEUV gebunden.

Diese Vorgaben stehen im Widerspruch zu der herkömmlichen mitgliedstaatlichen Praxis, die öffentliche Unternehmen von den Vorgaben des Wettbewerbsrechts regelmäßig freigestellt hat. Ausdruck hiervon waren die weiten Monopolrechte, mit denen die Mitgliedstaaten öffentliche Unternehmen in den großen Infrastruktursektoren (Telekommunikation, Post, Bahn etc.) regelmäßig ausgestattet haben, um sie so als wirksames Instrument staatlicher Wirtschaftspolitik und ‑planung nutzen zu können. Die finanziellen Beziehungen zwischen Staat und öffentlichen Unternehmen waren innere Angelegenheiten, typischerweise intransparent und der richterlichen Kontrolle entzogen.

Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatlichen öffentlichen Unternehmen hat zu einschneidenden Änderungen des mitgliedstaatlichen Rechts und der mitgliedstaatlichen Praxis geführt. In dem Maße, in dem öffentliche Unternehmen dem Wettbewerb ausgesetzt sind und keine Vorrechte mehr genießen, können sie nicht mehr als Steuerungsinstrumente für politische und wirtschaftspolitische Ziele eingesetzt werden. Das Gemeinschaftsrecht hat daher die Funktionen von öffentlichen Unternehmensbeteiligungen eingeschränkt und die Politik der Privatisierungen begünstigt. Im deutschen öffentlichen Recht hat die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts eine Debatte über die Umstellung vom Leistungs- auf einen Gewährleistungsstaat ausgelöst.

2. Staatsunternehmen im Recht der EG

a) Art. 31 EG/‌37 AEUV

Art. 31 EG/‌37 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre staatlichen Handelsmonopole derart umzuformen, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Für Einfuhrmonopole folgt nach der Rspr. des EuGH aus dem Umformungsgebot eine Abschaffungspflicht (EuGH Rs. C-59/‌79 – Manghera, Slg. 1976, 91, Rn. 13), da sie mit einer strukturellen Diskriminierungsgefahr verbunden sind. Ein Handelsmonopol, das selbst darüber entscheidet, zu welchen Bedingungen es Konkurrenzprodukte neben den eigenen Produkten auf dem Markt anbietet, hat eine strategische Position inne, die mit der Chancengleichheit anderer Wirtschaftsteilnehmer unvereinbar ist. Dasselbe gilt nach einer neueren Rspr. des EuGH auch für Ausfuhrmonopole (EuGH Rs. C-159/‌94 – Energiemonopole Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Rn. 33 ff.). Dagegen hat der EuGH Einzelhandelsmonopole für zulässig erachtet, soweit sie durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt waren und eine nicht-diskriminierende Organisation und Funktionsweise des Monopols gewährleistet war (EuGH Rs. C-189/‌95 – Franzén, Slg. 1997, I-5909, Rn 39; EuGH Rs. C-438/‌02 – Hanner, Slg. 2005, I-4551, Rn. 34 ff.).

b) Die Bedeutung von Art. 86(1)EG/‌106(1) AEUV

Öffentliche Unternehmen sind in gleicher Weise wie Privatunternehmen an die europäischen Wettbewerbsregeln, insb. die Art. 81, 82 EG/‌101, 102 AEUV, gebunden, soweit sie als „Unternehmen“ im Sinne des Wettbewerbsrechts zu qualifizieren sind, d.h. eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, also Waren oder Dienstleistungen am Markt anbieten (EuGH Rs. C-41/‌90 – Höfner, Slg. 1991, I-1979, Rn. 21).

Art. 86(1) EG/‌106(1) AEUV macht darüber hinaus die Mitgliedstaaten als solche zu Normadressaten. Ihnen sind insbesondere Maßnahmen untersagt, durch die Unternehmens- und Marktstrukturen geschaffen würden, die mit dem System unverfälschten Wettbewerbs unvereinbar sind. Zu den wiederkehrenden Fragen gehört, inwieweit die Einräumung besonderer oder ausschließlicher Rechte, welche die begünstigten Unternehmen dem Wettbewerb ganz oder teilweise entziehen, mit dieser Vorgabe vereinbar ist. Der EuGH prüft dies getrennt am Maßstab der Verkehrsfreiheiten und des Wettbewerbsrechts. Zu Art. 86(1) i.V.m. Art. 82 EG/‌106(1) i.V.m. Art. 107 AEUV heißt es in st. Rspr., dass die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung von Sonderrechten als solche nicht gemeinschaftsrechtswidrig ist. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen Art. 86(1) i.V.m. Art. 82 EG/‌106(1) i.V.m. Art. 107 AEUV, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (EuGH Rs. C‑475/‌99 – Ambulanz Glöckner, Slg. 2001, I-8089, Rn. 39; st. Rspr.). Die Verkehrsfreiheiten ihrerseits begründen nicht nur Diskriminierungs-, sondern darüber hinaus Beschränkungsverbote: den Mitgliedstaaten sind alle Maßnahmen untersagt, welche die Ausübung dieser Freiheiten unterbinden, beschränken oder weniger attraktiv machen (für die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit: EuGH Rs. C-451/‌03 – Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl., Slg. 2006, I-2941, Rn. 31; st. Rspr.). Der EuGH hat wiederholt festgestellt, dass eine Regelung, die – obgleich nicht-diskriminierend – bestimmte Tätigkeiten einem einzelnen Unternehmen vorbehält, den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig ausschließt und die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erschwert oder unmöglich macht und daher einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses bedarf (ebd., Rn. 33–34, 37 u.a.).

c) Das Beihilfenverbot des Art. 87(1) EG/‌107(1) AEUV

Das EG-Beihilfenrecht gilt auch im Verhältnis zu Staatsunternehmen. Zwar hindert es den Staat nicht, sich an Unternehmen zu beteiligen und ihnen Kapital zuzuführen. Er bewegt sich dabei jedoch nur dann außerhalb des Anwendungsbereichs des Beihilfenrechts, wenn er sich wie ein privater Kapitalgeber verhält, d.h. an Rentabilitätskriterien orientiert (market economy investor principle, EuGH Rs. C-482/‌99 – Stardust Marine, Slg. 2002, I-4397, Rn. 70; st. Rspr.). Die Abgrenzung kann im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten.

Beihilfenrechtliche Fragen können sich auch ergeben, wenn ein öffentliches Unternehmen, das für einen Teil seiner wirtschaftlichen Aktivitäten ein Ausschließlichkeitsrecht genießt, seine Tätigkeit im liberalisierten Marktsegment mit Gewinnen aus dem geschützten Bereich quersubventioniert. Insb. im Postsektor haben sich EuG und EuGH um die Entwicklung beihilferechtlicher Maßstäbe für die Beurteilung solcher Quersubventionen bemüht (EuGH Rs. C-83/‌01 P, C-93/‌01 P, C-94/‌01 P – Chronopost, Slg. 2003, I-6993).

Schließlich kann das Beihilfenrecht einschlägig sein, wenn ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, welches es mit „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ (s.u.) betraut hat, hierfür einen finanziellen Ausgleich gewährt. Seit dem Altmark Trans-Urteil (EuGH Rs. C-280/‌00 – Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747, Rn. 88 ff.) wird eine solche Ausgleichszahlung nicht als „Begünstigung“ i.S.d. Art. 87(1) EG/‌‌107(1) AEUV und daher nicht als Beihilfe qualifiziert, wenn folgende vier Voraussetzungen erfüllt sind: (1) das begünstige Unternehmen ist mit der Erfüllung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut; (2) die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, sind ex ante objektiv und transparent definiert; (3) der Ausgleich ist auf die Deckung der aus der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung resultierenden Nettokosten beschränkt, einschließlich eines angemessenen Gewinns; (4) und die Höhe des Ausgleichs wird entweder im Rahmen eines offenen Vergabeverfahren bestimmt oder aber auf der Grundlage einer Analyse der Kosten, die bei einem durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen anfallen würden. In allen anderen Fällen ist Art. 87 EG/‌107 AEUV einschlägig und die Ausgleichszahlung bedarf einer Rechtfertigung am Maßstab des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV.

d) Ausnahmen (Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV; Art. 16 EG/‌14 AEUV.

Der Ausnahmetatbestand des Art. 86(2) EG/‌‌106(2) AEUV eröffnet Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, sowie Mitgliedstaaten, die eine solche Betrauung vorgenommen haben, die Möglichkeit, Verstöße gegen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen, soweit deren Anwendung die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Gemäß Art. 86(2)2 EG/‌106(2)2 AEUV darf dadurch die Entwicklung des Handelsverkehrs allerdings nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV vermittelt zwischen dem Geltungsanspruch der Verkehrsfreiheiten und Wettbewerbsregeln einerseits, den politischen Gestaltungsansprüchen der Mitgliedstaaten in staatsnahen Sektoren andererseits. Die Vorschrift wird von der Rspr. heute als Legalausnahme behandelt (seit EuGH Rs. 66/‌86 – Ahmed Saeed Flugreisen, Slg. 1989, 803, Rn. 53). Sie kann von öffentlichen oder privaten Unternehmen in Anspruch genommen werden, sofern nur eine Betrauung i.S.d. Art. 86 EG/‌106 AEUV vorliegt.

Die zunächst mit erheblichen Unsicherheiten verbundenen Tatbestandsmerkmale des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV hat der EuGH seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend konkretisiert. Die EU-Kommission hat ferner eine Reihe einschlägiger Mitteilungen veröffentlicht (zuletzt Mitteilung zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialleistungen: Europas neues Engagement, 20.11.2007, KOM (2007) 725 endg.). Unter „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ werden marktbezogene Tätigkeiten verstanden, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden (Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. 1996 C 281/‌3). Ihre Eigenart besteht darin, dass die fraglichen Leistungen auch dann erbracht werden müssen, wenn dies für das betraute Unternehmen im Einzelfall unrentabel ist (EuG Rs. T-289/‌03 – BUPA, Slg. 2008, II-81, Rn. 190. Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Bestimmung, welche Leistungen einen solchen Kontrahierungszwang rechtfertigen, über ein weites Ermessen, das nur auf offenkundige Fehler hin kontrolliert wird. Die Ermessensgrenzen sind bis heute ungewiss. In jedem Fall setzt die Inanspruchnahme des Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV einen hoheitlichen Betrauungsakt voraus, der Angaben über die Art des Versorgungsauftrags und seine geographische und zeitliche Reichweite, das betraute Unternehmen und die diesem im Gegenzug gewährten Privilegien enthalten muss. Der Betrauungsakt soll sicherstellen, dass sich der Versorgungsauftrag am allgemeinen wirtschaftlichen Interesse und nicht am Eigeninteresse des betrauten Unternehmens orientiert; er soll ferner Rechtssicherheit und Transparenz gewährleisten. Er bildet den Maßstab für die in Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung. Deren Reichweite gehört zu den bis heute umstrittenen Fragen. Unklar ist insbesondere, unter welchen Voraussetzungen eine Berufung auf Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV ausgeschlossen ist, weil der Versorgungsauftrag auch mit alternativen, gemeinschaftsfreundlicheren Mitteln als etwa der Beibehaltung eines Ausschließlichkeitsrechts gewährleistet werden kann. Gewiss ist, dass ein Mitgliedstaat nicht auf die Möglichkeit einer Beihilfenfinanzierung anstelle der Beibehaltung von Ausschließlichkeitsrechten verwiesen werden kann. Den Energiemonopol-Urteilen des EuGH zufolge kann die Kommission aber grds. Möglichkeiten aufzeigen, wie die Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auch bei Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte durch einen angemessenen Regulierungsrahmen sichergestellt werden kann. Die Darlegungslast liegt in einem solchen Fall zunächst bei der Kommission (EuGH Rs. C-157/‌94 – Energiemonopole Niederlande, Slg. 1997, I-5699, Rn. 58 f.).

Die Schranken-Schranke des Art. 86(2)2 EG/‌106(2)2 AEUV hat in der Praxis bislang keine Bedeutung erlangt.

Mit dem Vertrag von Amsterdam ist ein neuer Art. 16 in den EG-Vertrag eingeführt worden (künftig Art. 14 AEUV). Die Vorschrift normiert den Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union und ihre Bedeutung für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten haben im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse für die Funktionsfähigkeit dieser Dienste zu sorgen. Die Initiative für die Vertragsänderung ging von den Mitgliedstaaten, insbes. von Frankreich, aus und sollte die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten über ihre öffentlichen Sektoren wieder herzustellen. Der Rspr. des EuGH lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass Art. 16 EG/‌14 AEUV im Ergebnis zu einer Abschwächung der Art. 86(2) EG/‌106(2) AEUV innewohnenden Kontrollmaßstäbe geführt hat. Eine solche Schwächung ist im Ergebnis auch nicht durch den Vertrag von Lissabon zu erwarten, der in einem dem bisherigen Art. 16 neu hinzugefügten S. 2 eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Verordnungen des Parlaments und des Rates betreffend die Grundsätze und Bedingungen des Funktionierens der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse schafft. Diese Rechtsgrundlage tritt in Konkurrenz sowohl zu Art. 95 und zu Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV (s.u.). Das Initiativrecht verbleibt aber bei der Kommission.

e) Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV

Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ermächtigt die Kommission, Entscheidungen und Richtlinien an die Mitgliedstaaten (nicht an die Unternehmen) zu richten, wenn dies zur Durchsetzung des Art. 86 EG/‌106 AEUV erforderlich ist. Die Möglichkeit der Kommission, Richtlinien zu erlassen, ist von den Mitgliedstaaten wiederholt angegriffen, vom EuGH aber bestätigt worden (z.B. EuGH Rs. C-271/‌90, 281/‌90 und 289/‌90 – Telekommunikationsdienste, Slg. 1992, I-5833, Rn. 12; st. Rspr.). Auf Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ist insb. die Transparenz-RL (RL 2006/‌111) gestützt. Sie soll die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ihren öffentlichen Unternehmen sowie die finanzielle Transparenz innerhalb öffentlicher Unternehmen in teilliberalisierten Märkten gewährleisten, um die wirksame Anwendung der Beihilfenregeln sicherzustellen. Auf Art. 86(3)EG/‌106(3) AEUV ist ferner die RL 2002/‌2007 über den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste gestützt.

3. Infrastruktursektoren von gemeinschaftsweiter Bedeutung

Die verstärkte Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln auf unternehmerisches und staatliches Verhalten in den herkömmlich öffentlichen Sektoren hat zur Liberalisierung dieser Sektoren beigetragen, aber auch zu neuen Regulierungen geführt. In den großen Infrastruktursektoren von gemeinschaftsweiter Bedeutung (insbes. Telekommunikation, Post, Energie und Transport) hat die Gemeinschaft einen harmonisierten Rahmen für die Re-Regulierung geschaffen. Ziel dieser Rechtsetzung ist es, den notwendigen Schutz öffentlicher Interessen, einschließlich des Schutzes der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, mit der Herstellung von Wettbewerb in Einklang zu bringen und die Voraussetzungen für einen Binnenmarkt herzustellen. Exemplarisch hierfür ist die Universaldienst-RL (RL 2002/‌‌22) für den Bereich der elektronischen Kommunikation: sie definiert diejenigen Dienste, die von allen Mitgliedstaaten in bestimmter Qualität allen Endnutzern in ihrem Hoheitsgebiet zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung zu stellen sind („Universaldienst“) und legt zugleich diejenigen wettbewerbskonformen Mechanismen fest, mit denen etwaige Nettokosten des Universaldienstes finanziert werden können. Mit der vollständigen Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte im Postsektor zum 31.12.2010 durch die RL 2008/‌6 folgt die Gemeinschaft im Postsektor einem ähnlichen Modell. In den Energiebinnenmarkt-RL’en (Elektrizitätsbinnenmarkt-RL [RL 2003/‌54]; Gasbinnenmarkt-RL [RL 2003/‌55]) ist die Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte, jedoch keine Vereinheitlichung eines Universaldienstes auf Gemeinschaftsebene vorgesehen. Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs gebietet das Gemeinschaftsrecht zwar keine Abschaffung der Ausschließlichkeitsrechte, wohl aber die Herstellung von Wettbewerb um den Markt (siehe VO 1370/‌2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste). Keine der Richtlinien oder Verordnungen gebietet eine Privatisierung von öffentlichen Unternehmen. In vielen Mitgliedstaaten sind jedoch Privatisierungen und/‌oder Teilprivatisierungen erfolgt, gelegentlich unter Einführung sog. „goldener Aktien“ (golden shares), um dem Mitgliedstaat einen Einfluss auf bestimmte strategische Grundlagenentscheidungen zu sichern. Dieser Praxis hat der EuGH in einer umfangreichen Rechtsprechung anhand der Grundfreiheiten enge Grenzen gezogen (siehe EuGH verb. Rs. C-463/‌04 und C-464/‌04 – Federconsumatori, Slg. 2007, I-10419 m.w.N.).

Literatur

Ulrich Ehricke, Staatliche Eingriffe in den Wettbewerb, 1994; Ernst-Joachim Mestmäcker, Daseinsvorsorge und Universaldienst im europäischen Kontext, in: Festschrift für Hans F. Zacher, 1997, 635 ff.; Damien Géradin (Hg.), The Liberalization of State Monopolies in the European Union and Beyond, 2000; Heike Schweitzer, Daseinsvorsorge, ‚service public‘, Universaldienst, 2001/‌2002; Thomas von Danwitz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der europäischen Wettbewerbsordnung, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2002/‌I, 2003, 73 ff.; Josh Holmes, The Control of State Action under EC Competition Law, in: Valentine Korah (Hg.), Competition Law of the European Community, 2. Aufl. 2005; José Luis Buendia Sierra, Article 86: Exclusive Rights and Other Anti-Competitive State Measures, in: Jonathan Faull, Ali Nikpay (Hg.), The EC Law of Competition, 2. Aufl. 2007, 593 ff.; Ernst-Joachim Mestmäcker, Heike Schweitzer, Art. 31, 86 EGV, in: Ulrich Immenga, Ernst-Joachim Mestmäcker (Hg.), Wettbewerbsrecht Bd. 1/‌EG Teil 1, 4. Aufl. 2007; Erika Szyszczak, The Regulation of the State in Competitive Markets in the EU, 2007.