Arbeitsrecht, internationales: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 13:18 Uhr

von Wolfgang Wurmnest

1. Gegenstand und Zweck, Tendenzen der Rechtsentwicklung

Unter der Bezeichnung „Internationales Arbeitsrecht“ werden verschiedene Rechtsmaterien zusammengefasst. Traditionell zählt das Arbeitsvölkerrecht dazu, mit dem bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts international bzw. regional vereinheitlicht wurden. Die Vereinheitlichung des materiellen Arbeitsrechts geschieht zu einem Großteil durch multilaterale Übereinkommen und Empfehlungen, die im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erarbeitet werden. In Europa wird die Vereinheitlichung des Arbeitsrechts heute verstärkt durch die Europäische Union vorangetrieben. Langsam bilden sich Konturen eines Europäischen Arbeitsrechts heraus, dessen praktische Bedeutung immer weiter zunimmt.

Im Zuge der fortschreitenden Internationalisierung der Märkte, die auch vor dem Arbeitsmarkt nicht halt macht, rückt ein weiterer Bereich des Internationalen Arbeitsrechts immer stärker in den Vordergrund. Er umfasst diejenigen Rechtsregeln, anhand derer bei Sachverhalten mit Auslandsbezug bestimmt wird, welches materielle Arbeitsrecht auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist (sog. Arbeitskollisionsrecht). Dieses Rechtsgebiet ist in zunehmendem Maße europäischen Einflüssen unterworfen. Bereits das Römer Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) von 1980 enthielt eine Kollisionsnorm für Individualarbeitsverträge (Art. 6 EVÜ = Art. 30 EGBGB). Dieses völkerrechtliche Übereinkommen wurde von den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert – wobei für Einzelfragen Vorbehalte erklärt werden konnten. Nach der Übertragung von Kompetenzen zur Harmonisierung des Internationalen Privat- und Prozessrechts im Vertrag von Amsterdam auf die Europäische Union (internationales Privatrecht, Europäisches Zivilprozessrecht) hat der Gemeinschaftsgesetzgeber das EVÜ im Jahre 2008 in eine Verordnung umgewandelt (VO 593/ 2008), die in Anlehnung an das Römer Übereinkommen als Rom I-VO bezeichnet wird. Diese Verordnung bindet alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark, für das weiterhin das EVÜ Anwendung findet. Auch die Anfang 2009 in Kraft getretene parallele Rom II-VO (VO 864/ 2007), die das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht regelt, enthält eine Norm mit arbeitsrechtlichem Bezug. Diese betrifft grenzüberschreitende Arbeitskampfmaßnahmen. Nach Art. 9 Rom II-VO ist in Bezug auf die Haftung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern bzw. der Organisationen, die deren berufliche Interessen vertreten, für Schäden, die aus bevorstehenden oder durchgeführten Arbeitskampfmaßnahmen entstanden sind, das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Arbeitskampfmaßnahme erfolgen soll oder erfolgt ist. Diese Regelung beruht auf der Überlegung, dass das Arbeitskampfstatut, also das Recht nach dem die Rechtmäßigkeit einer bestimmten arbeitskampfrechtlichen Maßnahme zu beurteilen ist, sich nach dem Arbeitskampfort richtet. Da das Arbeitskampfrecht nicht europaweit harmonisiert ist, unterscheiden sich zulässige Kampfmaßnahmen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich. Um zu verhindern, dass eine Maßnahme des Arbeitskampfs, die nach dem Recht des Ortes, an dem sie durchgeführt wird, rechtmäßig ist, nach einem andernorts geltenden Recht zur Haftung führen kann, ordnet Art. 9 Rom II-VO einen Gleichlauf von Arbeitskampfstatut und haftungsrechtlichen Ansprüchen an, die aus arbeitsrechtlichen Kampfmaßnahmen, wie einem Streik oder einer Aussperrung, resultieren können.

Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Verordnungen bestimmt sich das anzuwendende Arbeitsrecht nach autonomem Recht. Dies ist etwa der Fall, um den internationalen Anwendungsbereich der Betriebsverfassung zu bestimmen. Zur Anknüpfung der Betriebsverfassung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wird in Deutschland etwa auf den Lageort des Betriebs abgestellt.

Neben der Harmonisierung von Kollisionsnormen wirkt das Gemeinschaftsrecht auch auf andere Weise auf das Arbeitskollisionsrecht ein. So bestimmt etwa die Entsenderichtlinie (RL 96/71), dass einem Arbeitnehmer, der vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat tätig wird, bestimmte gesetzliche bzw. in allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen enthaltene Mindestarbeitsbedingungen der Rechtsordnung des Ortes, an dem er seine Arbeitsleistung erbringt, nicht versagt werden dürfen (Entsendung von Arbeitnehmern). Weiterhin müssen Vorschriften des nationalen Rechts so ausgestaltet sein, dass sie bezogen auf grenzüberschreitende Fälle mit einem Binnenmarktbezug im Einklang mit den Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des EG/ AEUV stehen.

Nachfolgend werden ausgewählte Grundzüge des Internationalen Arbeitsvertragsrechts, welches derzeit den praktisch bedeutendsten Teil des harmonisierten Arbeitskollisionsrechts ausmacht, näher vorgestellt. Die arbeitsvertragsrechtliche Kollisionsnorm der Rom I-VO baut auf dem Regelungsmodell des EVÜ auf, welches sich im Großen und Ganzen als sachgerechte und handhabbare Anknüpfungsregel erwiesen hat.

2. Rechtswahl und kollisionsrechtliches Günstigkeitsprinzip

Grundsätzlich können die Vertragsparteien das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht im Wege der Rechtswahl vereinbaren (Art. 3, 6(1) EVÜ/Art. 3, 8(1) Rom I-VO). Die Möglichkeit der Rechtswahl gestattet es den Vertragsparteien, auch bei komplexeren Arbeitsverhältnissen einen angemessenen Interessenausgleich zu finden, den eine starre Anknüpfung nicht immer garantieren kann. Möglich ist die Wahl eines beliebigen Rechts, auch eines solchen, das überhaupt keine Berührungspunkte zum Arbeitsverhältnis aufweist. Damit wird der Grundsatz der Parteiautonomie im Gemeinschaftsrecht stärker verwirklicht als in manchen nationalen Rechten. So bestimmt etwa das IPR der Schweiz, dass die Parteien den Arbeitsvertrag nur dem Recht desjenigen Staates unterstellen können, in dem der Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem der Arbeitgeber seine Niederlassung, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 121 Abs. 3 IPRG). Die Rechtswahl kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Die nationalen Gerichte haben unter Geltung des EVÜ eine stillschweigende Rechtswahl in Arbeitsrechtssachen bislang recht großzügig angenommen. Das mit Abstand wichtigste Indiz für eine solche Rechtswahl ist die Bezugnahme des Arbeitsvertrags auf gesetzliche oder tarifliche Bestimmungen einer bestimmten Rechtsordnung.

Der historische Gesetzgeber ging davon aus, dass es dabei einem Arbeitgeber oftmals möglich sein wird, ein ihm genehmes Recht mit Hilfe standardisierter Vertragsklauseln (Allgemeine Geschäftsbedingungen) durchzusetzen. Praktisch sind solche Fälle der gezielten Wahl eines Rechts mit geringerem Schutzstandard durch den Arbeitgeber aber nicht relevant geworden. Vielmehr nutzen die Parteien eines Arbeitsvertrags mit Auslandsberührung die Möglichkeit der Rechtswahl regelmäßig dazu, um Klarheit über das anwendbare Recht zu schaffen – und optieren dabei oftmals für das ohnehin anzuwendende Arbeitsrecht. Um allerdings etwaigen Missbräuchen vorzubeugen und den Arbeitnehmer als potentiell schwächere Vertragspartei zu schützen, bestimmt Art. 6(1) EVÜ/Art. 8(1) Rom I-VO, dass die Rechtswahl nicht dazu führen darf, dem Arbeitnehmer den Schutz zu entziehen, der ihm von den zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, welches gemäß Art. 6(2) EVÜ/Art. 8(2), (3) bzw. (4) Rom I-VO ohne Rechtswahl zur Entscheidung berufen wäre. Dieses Prinzip des kollisionsrechtlichen Arbeitnehmerschutzes kann zu einem „Rechtsmix“ führen. Grundsätzlich gilt das gewählte Recht. Für den Bereich des zwingenden Rechts ist jedoch zu untersuchen, ob das nach objektiver Anknüpfung ermittelte Recht für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen bereithält. Ist dies der Fall, setzen sich diese günstigeren Regelungen gegen das gewählte Recht durch.

3. Objektive Anknüpfung

a) Grundstruktur

Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, so ist das Arbeitsvertragsstatut nach Art. 6(2) EVÜ/Art. 8(2)und (3) Rom I-VO zu ermitteln. Diese Vorschrift enthält zwei im Alternativverhältnis zueinander stehende Regelanknüpfungen: Verrichtet der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in Erfüllung des Arbeitsvertrags gewöhnlich in ein und demselben Staat, so ist das Recht des Staates berufen, in dem der gewöhnliche Arbeitsort liegt, auch wenn der Arbeitnehmer vorübergehend (also nicht dauerhaft) in einen anderen Staat entsendet wird (Art. 6(2)(a) EVÜ/ Art. 8(2) Rom I-VO – Anknüpfung an den gewöhnlichen Arbeitsort). Erfüllt der Arbeitnehmer dagegen seinen Arbeitsvertrag gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat, so kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat (Art. 6(2)(b) EVÜ/Art. 8(3) Rom I-VO – Anknüpfung an die einstellende Niederlassung). Beide Regelanknüpfungen stehen unter einem Vorbehalt. Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Arbeitsvertrag eine engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden (Art. 6(2) in fine EVÜ/Art. 8(4) Rom I-VO). Diese Ausweichklausel soll gegenüber den Regelanknüpfungen die Ausnahme bilden.

Diese Regelungsstruktur bietet für das Gros der Fälle eine klare Abgrenzung an. In einem ersten Schritt ist im Rahmen der Regelanknüpfung zu ermitteln, ob der Arbeitnehmer gewöhnlich in einem Staat tätig ist, also ob sich ein tatsächlicher Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit ausmachen lässt, oder ob er ständig in verschiedenen Ländern arbeitet. In einem zweiten Schritt ist im Wege der Gesamtschau zu ergründen, ob von dem Ergebnis der Regelanknüpfung ausnahmsweise abzuweichen ist, weil sich eine engere Verbindung mit einer anderen Rechtsordnung ergibt. Unter Geltung des EVÜ haben die Gerichte bei der Klärung der Frage, ob eine engere Verbindung vorliegt, eine Vielzahl von Umständen berücksichtigt, darunter die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien, Vertragsabschlussort, Vertragssprache, Vergütungswährung und die Unterwerfung des Vertragsverhältnisses unter ein bestimmtes Sozialversicherungsrecht. Keines der Kriterien kann für sich allein genommen die Anwendbarkeit der Ausweichklausel begründen, vielmehr bedarf es einer wertenden Betrachtung. In der Vergangenheit wurde dabei der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien großes Gewicht eingeräumt. Im Zuge der immer weiteren Zurückdrängung des Staatsangehörigkeitsprinzips im internationalen Vertragsrecht ist die Aussagekraft dieses Kriteriums jedoch sehr zweifelhaft geworden. Nach wie vor ist die Tendenz aber weit verbreitet, für den Fall, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besitzen und zudem auch in diesem Staat ihren Sitz/Wohnsitz haben, die Ausweichklausel eingreifen zu lassen.

b) Gewöhnlicher Arbeitsort

Der gewöhnliche Arbeitsort ist nicht gemeinschaftsrechtlich legaldefiniert. Zur Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs kann allerdings auf die Rechtsprechung des EuGH zum parallel ausgestalteten Internationalen Arbeitsprozessrecht in der Brüssel I-VO (Europäisches Zivilprozessrecht) zurückgegriffen werden. So hat der EuGH den gewöhnlichen Arbeitsort in der Rechtssache Mulox (EuGH Rs. C-125/92, Slg. 1993, I-4075) als Ort definiert, „an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber hauptsächlich erfüllt“. Somit ist im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen, ob der Schwerpunkt der Berufstätigkeit in einem Staat angesiedelt werden kann. Der EuGH hat dies in der Rechtssache Rutten (EuGH Rs. C-383/95, Slg. 1997, I-57) für einen angestellten Handelsvertreter bejaht, dessen Berufstätigkeit sich zu zwei Dritteln auf einen Staat bezog, in dem der Arbeitnehmer auch ein Büro unterhielt, von dem aus er die Arbeitseinsätze im Ausland organisierte. Um einen Gleichlauf zwischen forum und ius auch gesetzlich festzuschreiben, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber versucht, diese Rechtsprechung bei der Vergemeinschaftung des EVÜ zu kodifizieren. Sprach Art. 6 EVÜ lediglich davon, dass das Recht des Staates anzuwenden ist, „in dem“ der Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Arbeitsort hat, heißt es nunmehr in Art. 8 Rom I-VO, dass das Recht des Staates Anwendung finden soll, „in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages seine Arbeit gewöhnlich verrichtet.“

Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat bei der Vergemeinschaftung des EVÜ davon abgesehen, eine Präzisierung der Anknüpfung für besondere internationale Arbeitsverhältnisse in die Rom I-VO aufzunehmen. Umstritten ist etwa die Anknüpfung von Arbeitsverträgen von Seeleuten, die auf Schiffen tätig sind, die Häfen in verschiedenen Staaten anlaufen. In vielen Mitgliedstaaten dominiert die Ansicht, solche Arbeitsverhältnisse seien dem Recht der Flagge zu unterstellen. Diese Anknüpfung basiert auf der Annahme einer besonderen Beziehung zwischen Schiff und Flaggenstaat, die das Schiff völkerrechtlich dem Flaggenstaat zuweist. Daraus wird abgeleitet, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich in dem Staat verrichtet, dessen Flagge das Schiff führt. Hiergegen wird eingewandt, dass der Arbeitgeber durch die Ausflaggung des Schiffs und das Führen einer „billigen Flagge“ geradezu eingeladen wird, ein für den Arbeitnehmer ungünstiges Recht durchzusetzen. In anderen Mitgliedstaaten werden solche Arbeitsverträge daher dem Recht der einstellenden Niederlassung unterstellt. Diese Lösung ist jedoch ebenfalls nicht frei von Problemen. In der internationalen Schifffahrt werden Seeleute häufig über sog. manning oder crewing companies eingestellt, die ihren Sitz ebenfalls in Ländern mit einem niedrigen Arbeitsschutz haben können. Somit kommen beide Ansätze nicht ohne Rekurs auf die Ausweichklausel aus, wenn keine andere Verbindung zum Recht des Flaggenstaates bzw. des Staates, in dem sich die einstellende Niederlassung befindet, ersichtlich ist. Der neugefasste Art. 8(2) Rom I-VO schlichtet diesen Streit nicht. Seeleute in der internationalen Seeschifffahrt erbringen ihre Arbeit nicht in Form einer Tätigkeit „von einem Staat aus“, da das Schiff, auf dem sie tätig sind, Häfen in verschiedenen Staaten anläuft. „Von einem Staat aus“ arbeiten allenfalls Seeleute auf Ausflugsdampfern, die lediglich gelegentlich das Gebiet des Flaggenstaates verlassen. Die kollisionsrechtliche Einordnung von Arbeitsverträgen der internationalen Seeschifffahrt wird daher der EuGH zu klären haben. Dieser hat im Rahmen der Brüssel I-VO entschieden, dass ein Schiffskoch, der auf verschiedenen Schiffen und schwimmenden Einrichtungen über dem Festlandsockel eingesetzt wird, gewöhnlich in dem Staat seine Arbeit verrichtet, dem aus völkerrechtlicher Sicht die wirtschaftliche Nutzung dieses Meeresgebiets zugewiesen ist (EuGH Rs. C-37/00 – Weber/Ogden, Slg. 2002, I-2032). Es liegt daher nahe, dass der EuGH sich für die Flaggenanknüpfung aussprechen wird.

c) Entsendung

Eine vorübergehende Entsendung des Arbeitnehmers in einen anderen Staat führt nicht zu einer Änderung des gewöhnlichen Arbeitsorts. Damit soll verhindert werden, dass jeder Auslandseinsatz einen Statutenwechsel bewirkt.

Das Gemeinschaftsrecht geht von einem engen Begriff der Entsendung aus. Von einer vorübergehenden Entsendung kann nur gesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer eine Vorbeschäftigung im Inland hat und sich die Parteien des Arbeitsvertrags darüber einig sind, dass der Arbeitnehmer in den Ursprungsstaat zurückkehren soll. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 36 der Rom I-VO. Dort heißt es, dass die Verrichtung der Arbeit in einem anderen Staat als vorübergehend anzusehen ist, „wenn von dem Arbeitnehmer erwartet wird, dass er nach seinem Arbeitseinsatz im Ausland seine Arbeit im Herkunftsstaat wieder aufnimmt“. Wiederaufgenommen werden kann nur eine Tätigkeit, die zuvor schon bestand. Aus dem Passus „erwartet wird“ kann zudem abgeleitet werden, dass die Vertragsparteien die Rückkehr zum Zeitpunkt der Entsendung gewollt haben müssen. Keine vorübergehende Entsendung liegt somit vor, wenn ein Arbeitnehmer gezielt für einen Auslandseinsatz angeworben wird oder dauerhaft im Ausland verbleiben soll. Eine feste Obergrenze, bei deren Überschreitung eine Entsendung als „endgültig“ anzusehen ist, so dass automatisch ein Statutenwechsel eintritt, gibt es im Gemeinschaftsrecht nicht. Ob eine Entsendung vorübergehend oder dauerhaft ist, muss daher mit Blick auf die Parteivereinbarung und die objektiven Gegebenheiten des Einzelfalls ermittelt werden.

Bei einer kurzfristigen Entsendung ins Ausland (Montagetätigkeit, Dienstreisen) bleibt der bisherige Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber im Regelfall bestehen. Allenfalls wird er durch eine Zusatzvereinbarung zwischen den Vertragsparteien modifiziert. Bei längerfristigen Auslandsaufenthalten in rechtlich selbstständigen ausländischen Unternehmen schließt der Arbeitgeber dagegen oftmals einen eigenständigen Arbeitsvertrag mit der ausländischen Gesellschaft ab (Lokalarbeitsverhältnis). Daneben bleibt der Arbeitsvertrag mit dem ursprünglichen Arbeitgeber (Rumpfarbeitsverhältnis) bestehen, dessen beiderseitige Hauptpflichten für die Dauer des Arbeitseinsatzes im Ausland suspendiert werden. Erwägungsgrund 36 der Rom I-VO stellt klar, dass der Abschluss eines zweiten Arbeitsvertrags mit der ausländischen Gesellschaft eine Entsendung nicht automatisch ausschließt. Damit muss auch in einer solchen Konstellation im Einzelfall geprüft werden, ob der Lokalarbeitsvertrag dem ausländischen Recht unterliegt oder ob auch dieses Rechtsverhältnis dem Recht des Entsendestaates unterstellt werden kann.

d) Einstellende Niederlassung

Die Anknüpfung an die einstellende Niederlassung soll sicherstellen, dass trotz Erbringung der Arbeitsleistung in verschiedenen Staaten eine feste Anknüpfung gewährleistet ist. Auch bei diesem Tatbestandsmerkmal stellen sich im Detail schwierige Abgrenzungsfragen. Muss unter Einstellung der Vertragsschluss verstanden werden, so dass die Niederlassung maßgeblich ist, in der der Arbeitsvertrag unterschrieben wurde? Oder kommt es darauf an, in welcher Niederlassung der Arbeitnehmer nach Abschluss des Vertrages tatsächlich organisatorisch eingegliedert ist? Auch diese Fragen werden letztendlich vom EuGH zu klären sein.

4. Zwingendes Recht

Das moderne Arbeitsrecht ist in allen europäischen Staaten als Arbeitnehmerschutzrecht entstanden und wird von zwingenden Vorschriften dominiert. Ob diese auch international zwingend i.S.v. Art. 7(2) EVÜ/Art. 9 Rom I-VO sind, so dass sie unabhängig vom Vertragsstatut zur Anwendung gelangen (Eingriffsnormen), muss durch Auslegung ermittelt werden. Es werden nur solche Bestimmungen als international zwingend angesehen, die nicht nur den Ausgleich zwischen den individuellen Parteiinteressen regeln wollen, sondern aus einem Gemeinwohlinteresse heraus unbedingt Geltung verlangen. Welche arbeitsrechtlichen Normen als international zwingend eingestuft werden müssen, ist Gegenstand großer Kontroversen. Denn ob eine Norm aus einem überragenden öffentlichen Interesse Geltung beansprucht, ist oftmals schwer festzustellen: Dient der gesetzliche Urlaubsanspruch allein dem Erholungsinteresse des Arbeitnehmers oder dem Gemeinwohlinteresse des Gesundheitsschutzes? Soll die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall den Arbeitnehmer vornehmlich davor bewahren, durch Krankheit in soziale Not zu geraten, oder muss man diese Zahlung aufgrund ihrer engen Bezüge zum öffentlich-rechtlichen Krankenversicherungsrecht dem Gemeinwohlinteresse des Gesundheitsschutzes zuordnen?

Für Arbeitnehmer innerhalb der EU hat der Gemeinschaftsgesetzgeber den Kreis der zwingenden Vorschriften etwas erweitert. So bestimmt die Entsenderichtlinie (Entsendung von Arbeitnehmern), dass einem Arbeitnehmer, der vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat tätig wird, bestimmte gesetzliche bzw. in allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen enthaltene Mindestarbeitsbedingungen (u.a. Arbeitszeit, Mindestlohn und Urlaubsanspruch) der Rechtsordnung des Ortes, an dem er seine Arbeitsleistung erbringt, nicht versagt werden dürfen. Vorschriften des nationalen Rechts, die der Umsetzung der in der Entsenderichtlinie aufgeführten Mindestbestimmungen dienen, müssen somit zumindest bezogen auf EU-Sachverhalte als zwingendes Recht angesehen werden. Ob die jeweiligen Vorschriften auch in Bezug auf Drittstaaten international zwingend sind, also unter Art. 7(2) EVÜ/Art. 9 Rom I-VO fallen, muss wiederum für jede einzelne Vorschrift im Wege der Auslegung ermittelt werden.

Literatur

Ulrich Drobnig, Jürgen Basedow, Rüdiger Wolfrum (Hg.), Recht der Flagge und „Billige Flaggen“ – Neuere Entwicklungen im Internationalen Privatrecht und Völkerrecht, 1990; Abbo Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992; Martin Taschner, Arbeitsvertragsstatut und zwingende Bestimmungen nach dem europäischen Schuldvertragsübereinkommen: Einheitliche Auslegung, 2003; Ulla Liukkunen, The Role of Mandatory Rules in International Labour Law: A Comparative Study in the Conflict of Laws, 2004; Karsten Müller, International zwingende Normen des deutschen Arbeitsrechts, 2005; Neville Rubin, Code of International Labour Law: Law Practice and Jurisprudence, Bde. I und II, 2005; Max Planck Institute Working Group on Rome I, Comments on the European Commission’s Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on the Law applicable to contractual obligations (Rome I), Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 71 (2007) 225 ff.; Dieter Martiny, Art. 30 EGBGB, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. X, 4. Aufl. 2006; Martin Franzen, Internationales Arbeitsrecht, Arbeitsrecht-Blattei, Heidelberg 2006; Abbo Junker, Arbeitsverträge, in: Franco Ferrari/ Stefan Leible, (Hg.), Ein neues internationales Vertragsrecht für Europa: Der Vorschlag für eine Rom I-Verordnung, 2007, 113 ff.

Abgerufen von Arbeitsrecht, internationales – HWB-EuP 2009 am 28. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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